Epheser 1,18-19 – Erleuchtete Augen – Von Thomas Pichel

 A.

Eine Frage hat mich in dieser Woche herausgefordert. Sie trifft den Nerv des christlichen Glaubens.

Gehe ich mit Gott nur gedanklich um oder rechne ich mit seinem konkreten Wirken?

Wer die Bibel aufschlägt, merkt:

Wir glauben an einen Gott, der lebendig ist, der sich uns Menschen zeigen kann und will, der Menschen vieles schenken kann und will.

Es geht immer um diesen Gott, der handelt, der wirkt, der etwas tut, was Menschen nicht tun können – und davon lebt alles.

(Diese Sätze sind von Thomas Maier, Rektor der Missionsschule Unterweissach, und von Robert Lau, Prediger in Braunschweig, mit dem ich 3 Jahre in Unterweissach studiert habe.)

 

B.

„Er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam ist.“

 

I.
Wir brauchen erleuchtete Augen

1.
Das biblische Bild vom Menschen sagt: Wir haben ein inneres Kommandozentrum. Diese Zentrale heißt wie unser lebenswichtiges Organ „Herz“. Dieses Herz, das für uns als Mensch und Person steht, hat drei „Kammern“, die zusammenarbeiten: Unsere Gefühle. Unser Verstand. Unser Wille.

Es ist leider so, dass wir mit diesem Herzen nicht immer gut sehen. Weder im Blick auf uns, noch im Blick auf andere, noch im Blick auf das Leben.

Aber gerade auch nicht im Blick auf Gott. Gerade im Blick auf Gott kann unser Herz sehr kurzsichtig, fehlsichtig oder blind sein. Unsere Gefühle, unser Denken und unser Wille können im Blick auf Gott entweder gleichgültige oder allergische Reaktionen zeigen. Wir übersehen Gott oder schätzen ihn völlig verkehrt ein (Erfindung von Menschen, Problemfigur, Übel für die Menschen…)

Unser Herz ist „der Ort, an dem der Mensch sich all dem verweigern kann, was er soll und ist; es ist der innere Ort, an dem der Mensch dem Reden und Handeln Gottes begegnen oder ausweichen kann.“  Martin Schleske, Der Klang, S.156

2.
Wie können unsere Augen erleuchtet werden?

 (1)
Wir können die Jesus-Geschichte und die Jesus-Geschichten lesen.

Luther sagt einmal: Wer über Gott etwas herausbekommen will, der darf nicht die Finger in die Ohren stecken, der muss „die Augen in die Ohren stecken“. Was sagt die Bibel tatsächlich über Gott? Was sagt die Bibel über Jesus? Jesus ist die beste Sehschule, wenn es um Gott geht.

Jesus ist das Projekt Gottes, unsere Gleichgültigkeit und Allergie gegenüber Gott zu heilen.

(2)
Wir können beten. Für uns. Für andere.

“Jesu, gib gesunde Augen, die was taugen, rühre meine Augen an. Denn das ist die größte Plage, wenn bei Tage man das Licht nicht sehen kann” (EKG 266,7)

Herr, zeig uns das, was für unsere Augen unsichtbar ist, was wir nicht sehen können und was doch real ist. Sei Du uns vor Augen! Gerade dann, wenn der Augenschein uns etwas anderes einflüstert. Mach Du uns klar, dass Du am Wirken bist, was Du gerade tust. Schenk uns erleuchtete Augen, damit wir sehen, was die Wirklichkeit ist, damit wir durch die Oberfläche des Sichtbaren hindurchsehen, dass wir nicht nur das für Wirklichkeit halten, was wir sehen, was wir in den Medien mitbekommen… Du musst es uns zeigen!

(3)
Wir müssen etwas wagen. Nehmen wir die Berufung an?

Der jüdische Philosoph Hans Jonas spricht von einer Paradoxie des Glaubens: Wir können Gottes Wort (erst) hören, wenn wir beginnen, darauf zu antworten. Wir gewinnen Klarheit über Gott, wenn wir beginnen, ihm zu vertrauen. Wir machen Erfahrungen mit ihm, wenn wir beginnen zu praktizieren, was er sagt.


II.
Wir bekommen eine einzigartige Erbschaft.

Wir sind zu Erben eingesetzt worden, heißt es im Vers 11.
Wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist, heißt es im Vers 18.

1.
Paulus hätte sagen können: Wir sind reich beschenkt. Es gibt viele und großartige Geschenke für uns. Das tut er nicht. Er verwendet bewusst ein Bildwort. Er sagt: Ihr habt geerbt. Was heißt das?

a.
Worin besteht formal die Herrlichkeit unseres Erbes?

Es ist etwas Überraschendes. Es war nicht damit zu rechnen. Es war für mich unerreichbar.
Es ist etwas Verbindliches und Gültiges. Ich darf es glauben: Es ist alles zu meinen Gunsten.
Es hat spürbares Gewicht. Es verändert alles. Dadurch kann ich ein anderes Leben führen.
Es ist Ausdruck größter Wertschätzung.

b.
Worin besteht inhaltlich die Herrlichkeit unseres Erbes?

Herrliche Ländereien. Die Bibel nennt sie „ewiges Leben“ hier auf Erde und später nach unserem Tod im Himmel.
Ein herrliches Haus. Die Bibel nennt es Vaterhaus. Ich darf mit dem Dreieinigen Gott zusammen sein und zusammenleben.
Das Gold der Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Das Silber der Treue Gottes.
Den Fond der Erwählung. Den Fond der Gnade.
Eine Stiftung, nämlich die lebenslange Übernahme aller Schulden.
Aktienanteile an der Kraft Gottes, an den Möglichkeiten Jesu, an der Auferstehung.
Die Dividende: Ausgeschüttet werden z.B. Lebensfreude, z.B. Hoffnung, z.B. Trost, z.B. Kraft.
66 sehr wertvolle Bücher. Die Bibel, in der ich alles über den Erblasser erfahre.

c.
Ohne diesen Bildvergleich lautet die Antwort:
Ich darf als Kind des himmlischen Vaters leben.
Ich darf als Bruder Jesu leben. Ich darf Christusbruderschaft leben.
Ich darf mit dem Heiligen Geist leben, der in mir Wohnung nimmt und mich inspiriert, führt und leitet.
Ich darf Erfahrungen mit der Gegenwart und dem Wirken des Auferstandenen machen. Ich habe Auferstehungserlebnisse.

2.
Dieses Erbe verändert alles und ermöglicht eine gewisse Art zu leben. Paulus spricht von „Hoffnung“ und „Kraft“. Er sagt: Ihr braucht erleuchtete Augen, damit ihr einseht, begreift, „zu welcher Hoffnung ihr berufen seid“ und wie „überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir vertrauen, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam ist.

a.
Hoffnung und Kraft für unser Leben.

Christen sind ‚Menschen der Hoffnung‘. Wir sind gleichzeitig arm an Illusionen und reich an Hoffnung! Wir sind nüchtern im Blick auf das Leben, aber auch im Blick auf Gott.

Ich weiß nicht, ob Eure Lieblingsfarbe rosa ist oder schwarz. Aber ich weiß, dass die Hoffnung auf Gott keine rosarote Brille bedeutet, mit der man das Leben sich schönfärbt und schönredet. Christsein ist aber auch keine Brille, mit der man alles nur noch grau in grau und zappendusterdunkelschwarz sieht.

Wir wissen um die Härten des Lebens. Wir sind verletzliche Wesen. Wir wissen, wie schwer und schwierig, wie bitter und unerträglich das Leben sein kann. Wir wissen um das abgründige Leid von Menschen.

Aber wir wissen auch um die Realität Gottes und seine Möglichkeiten. Es gibt die Kraft Gottes in unserem Leben. Es gibt die Macht seiner Stärke, die in uns, an uns und für uns wirksam ist.

Hoffnung hat in der Bibel nicht die Logik: „Nix gwiss woas ma ned!“ Hoffnung heißt in der Bibel: Ich gehe mit Gott nicht nur gedanklich um. Ich rechne mit seinem konkreten Wirken. Er wird handeln. Er wird etwas tun, was ich nicht tun kann. Ich hoffe nicht vergeblich auf Gott.

Ich wünsche uns allen, dass wir im Fach ‚Biblische Mathematik‘ gut sind: Ich rechne mit Gottes Möglichkeiten. Ich zähle auf ihn. Die Lösung wird entweder heißen: Gott nimmt mir die Last ab. Oder die Lösung wird heißen: Gott macht mich stärker, meine Last zu tragen.

b.
Deshalb schenkt uns dieser Vers, die ganze Bibel Hoffnung für die Zukunft dieser Welt:

Wir werden ermutigt mit einer herrlichen Perspektive: Gott wird eines Tages die Welt heil machen. Diese alte, verwundete, leidende, kranke Erde wird von Gott geheilt werden. Eines Tages gibt es die neue Erde und den neuen Himmel (Offb 21,1). Eines Tages gibt es keinen Tod mehr, kein Leid, kein Geschrei, keine von der eigenen Mutter getöteten 5 kleine Kinder, keine abgetriebenen Kinder, keine verhungerten Kinder, keine Kinder, die seit zwei Jahren keine Schule mehr gesehen haben, keine Schmerzen, keine Krampfanfälle, keine Epidemien… (Offb 21,4).

 

III.
Wir stehen vor einer Frage.

Wie antworten wir auf diesen Vers, auf diesen Text? Welche Antwort geben wir jetzt Gott?

Wollen wir uns von unserem Gesegnetsein, von unserer Erwählung, unserer Erlösung, unserem Erbe verpflichten lassen? Alle Geschenke Gottes verpflichten! All diese Dinge sind kein Grund zur Trägheit.

Lasst uns keine christlichen Couch-Potatoes sein! Die mit Bibel, Kaffee und Kuchen die Liebe Gottes meditieren, konsumieren und genießen. Die mit biblischen Korrektheiten das Weltgeschehen kommentieren.

Es gibt so viele Menschen mit blinden Augen für Gott, die Gott leider nicht kennen.
Es gibt so viele Menschen mit leeren Augen, weil sie vom Leben nichts mehr erwarten.
Es gibt so viele Menschen mit Augen voller Tränen, weil sie in ihren Traurigkeiten keinen Trost finden.
Es gibt so viele Menschen mit Augen voller unersättlicher Lebensgier, weil sie meinen, sie müssten alles aus diesem irdischen Leben herausholen.
Es gibt so viele Menschen mit Augen voller Angst. Warum auch immer!
Es gibt so viele Menschen voller Hass. Warum auch immer!

Jesus will all diesen Menschen begegnen. Er will all diese Augen erleuchten. Er will das Blindsein für Gott heilen. Dazu will er uns benutzen.

Deshalb: Runter vom Sofa! Hin zu den Menschen! Im Gebet. Und wo es uns möglich ist, auch tatsächlich: Mit Anrufen. Mit der Post. Mit Besuchen. Mit Gesprächen.