Lukas 2,1-21 – Weihnachten heißt: Der Schöpfer betritt die Lebensbühne seiner Geschöpfe – Von Thomas Pichel

A.
Weihnachten als Sehnsuchtsort

Weihnachten im Corona-Jahr. Covid 19 hat Weihnachten erreicht. Es ist in diesem Jahr vieles anders. Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote. Familientreffen am Computer.  Umstrittene Gottesdienste! Kein gemeinsames Singen! Dafür Musik aus der Dose!

Wir merken, wie wichtig das Fest ist. Wir brauchen das Zusammenkommen und Zusammensein, das Essen und Feiern, das Beschenken und Erzählen. Wir brauchen eine Auszeit. Wir sehnen uns nach Ferien von Corona. Wir sehnen uns nach Geborgenheit in unseren Ängsten, nach Frieden, nach Freude, nach Ermutigung und Kraft.

Ich glaube, dass die Weihnachtsgeschichte uns das geben kann und geben will.

 

Deshalb hören wir jetzt die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2,1-21.

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zurzeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, 5damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.  19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.  20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 21 Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.

 

B.

I.
Unser Leben hat drei Dimensionen.

1.
Die persönliche Dimension

Weihnachten ist zunächst die persönliche und private Geschichte zwischen Maria und Josef. Die Schwangerschaft Marias ist für die Beiden eine enorme Belastung. Hat Maria mich betrogen? muss Josef sich fragen. Wird Josef mir glauben? Wird er bei mir bleiben? muss Maria sich fragen. Weihnachten ist eine Geschichte der Mitmenschlichkeit und der Solidarität. Josef bleibt bei Maria. Die beiden stehen alles gemeinsam durch.

Wir sind nicht Maria und Josef. Aber es geht auch bei uns, ob wir verheiratet sind oder nicht, um das Thema: gute oder schlechte oder kaputte Beziehung. Es geht auch bei uns um die gleichen Fragen: Auf wen kann ich mich verlassen? Wer lässt mich nicht allein? Wer schenkt mir, was ich brauche: Menschlichkeit und Solidarität?

2.
Die politische Dimension

Die Weihnachtserzählung beginnt mit einer Zählung. Der Gottkaiser Augustus… befiehlt allen Bewohnern seines Reiches, sich in ihren jeweiligen Geburtsorten registrieren zu lassen; es geht ihm dabei um die Festsetzung der Steuern – und er setzt damit die ganze Welt in Bewegung. Alle Menschen des römischen Imperiums sollen erfasst werden. Jeder wird zur Nummer, der Kaiser lässt zählen: Da zählt nicht, ob einer den Weg schafft. Da zählt nicht, ob eine Frau ein Kind bekommt. Da zählt nicht, ob eine Familie eine Herberge findet. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit der Erfahrung: Was du brauchst, zählt nicht. Was du willst, zählt nicht. Was du kannst, zählt auch nicht. Du zählst nicht! Das ist die Macht der Zahl.

Wir begreifen in diesen Tagen wieder, wenn auch auf ganz andere Weise, was es bedeutet, der Macht der Zahl ausgeliefert zu sein: Wie viel Infizierte? Wie viel Erkrankte? Wie viele Tote? Wie viele Intensivbetten? Wie viele Masken? Wie viele Beatmungsgeräte? Wie ist die Reproduktionszahl? Wie ist die Inzidenzzahl? Wie ist die Fallzahl? … Die Zahlen und Zählungen haben uns im Griff. Sie bestimmen den Alltag, sie verändern ihn, sie diktieren ihn. Sie erzwingen nicht, wie in der Weihnachtsgeschichte, die große Mobilität; sie erzwingen die Immobilität. Die Menschen sollen bleiben, wo sie sind…“ (Heribert Prantl, SZ-Online, 20.12.2020).

3.
Die göttliche Dimension

Wir stehen nicht nur in einer Geschichte mit uns nahestehenden Menschen. Nicht nur unsere Zeit bildet den Rahmen für unser Leben. Wir stehen auch, ob uns das bewusst ist oder nicht, in einer Geschichte mit Gott.

Bei Maria und Josef war Augustus der mächtigste Mann der Welt. Seine Steuerpolitik zwang die beiden zu dieser Reise nach Bethlehem. Und doch war der mächtigste Mann der Welt mit seiner Politik ein Werkzeug in der Hand Gottes. Augustus diente, ohne es zu wissen, den Plänen und Zielen Gottes. Die alte Verheißung aus dem Buch des Propheten Micha (Micha 5,1) erfüllte sich dank des Augustus: Jesus wurde wie angekündigt in Bethlehem und nicht in Nazareth, dem Wohnort von Maria und Josef, geboren.

Und bei uns heute? Corona mit all seinen Problemen und Folgen hat sehr viel Macht über unser Leben. Corona hat etwas mit Gott zu tun. Wir wissen nur nicht, was und wie. Und doch gilt: Gott regiert. Es gibt nichts ohne Gott, nichts neben ihn, nichts über ihn.

Lasst uns Gott die Ehre geben, wie es dieser Riesenchor der Engel in der Weihnachtsnacht getan hat: „Ehre sei Gott in der Höhe!“

Gott ehren heißt Gott hochschätzen, ihm unsere Hochachtung zeigen, ihn ernst nehmen. Gott ehren heißt Gott gelten lassen, indem wir ihm das größte Gewicht beimessen:

Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, Deine Macht zählt und wiegt mehr als alles andere. Sie ist größer als die Macht von Covid 19. Auch dieser Virus ist in Deiner Hand und unter Deiner Kontrolle. Das will ich nie vergessen! Auch wenn ich die Dinge nicht durchschaue. Ich will es nicht zulassen, dass Covid 19 Dich in meinem Kopf und Herzen entthront!

Es gibt eine Liedzeile, die in meinem Leben schon alles war: etwas sehr Schmerzhaftes, etwas sehr Herausforderndes und etwas sehr Tröstliches: „Es kann uns nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir selig ist“. Sie stammt von Paul Fleming, der sie 1633 mitten im Dreißigjährigen Krieg gedichtet und gesungen hat.

Doch zurück zur Weihnachtsgeschichte. Wir schauen uns jetzt an, was damals passiert ist und was „der Engel des Herrn“, also der Chefbotschafter Gottes verkündet hat.

 

II.
Was ist an Weihnachten geschehen? Was lernen wir durch Weihnachten über Gott?

 1.
Was ist an Weihnachten geschehen?

Weihnachten ist Kulturgut und Tradition. Weihnachten ist das Fest der Familie und das Fest der menschlichen Liebe sein. Aber die Bibel erzählt mehr. Sie erzählt eine mega-starke Geschichte. Keine Fiktion ist so fantastisch wie diese Wahrheit!

“Als dieses Kind geboren wurde, kam Gott zur Welt. Nicht zu Besuch. Er kam zur Welt. Er blieb nicht in der Höhe, sondern er wählte die Tiefe. Er blieb nicht auf Abstand, sondern suchte unsere Nähe. Er zeigt sich nicht in erschreckender und verstörender Größe, sondern er wählt die Schwäche und das kleinste Wesen. Auf dass wir uns nicht fürchten! Das alles ist nicht das Naheliegende und Selbstverständliche.” (Michael Herbst)

Gott wird Mensch. Er dimmt sich herunter, um mit uns Kontakt aufnehmen zu können. Er sucht den Kontakt zu uns, um uns zu beschenken. Weil wir Menschen seines Wohlgefallens sind!

Ich sage es mit einem Bild-Vergleich, der auf C.S. Lewis zurückgeht: William Shakespeare hat die Sehnsucht, seinen Geschöpfen Hamlet, Othello und all den anderen zu helfen. Shakespeare schreibt sich deshalb in seine eigenen Bühnenstücke hinein. Er tritt auf. Er spielt mit. Was für Shakespeare unmöglich ist, genau das ist an Weihnachten geschehen: In Jesus betritt unser Schöpfer die Bühne unseres Lebens.

Er kommt als „Heiland“, als Retter. Das ist die Schlüsselfigur, die uns geben kann, was wir selbst uns nicht geben können: Jesus bringt und zeigt uns Gott. Er sichert uns unsere Gottesbeziehung und unser ewiges Leben. Er vergibt uns unsere Schuld und erlöst uns von allem, was für uns und andere toxisch ist, wo wir selbst für uns und andere höchst-problematisch sind. Und er schenkt uns all die Dinge, ohne die kein Mensch leben kann: Gesehen- und Geliebtwerden, Freude und Frieden, Trost und Hoffnung.

2.
Was sagt Weihnachten, was sagen die Ereignisse und die Umstände der Geburt Jesu über Gott?

 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen!“

Um im nächtlichen Bethlehem Jesus zu finden, waren das für die Hirten entscheidende Hinweise. Ein Stall oder eine Höhle für Ziegen und Schafe. Also eine Notunterkunft für Maria und Josef. Ein Futtertrog oder flaches Erdloch für Jesus.

Ich übertrage diese Ortswahl auf unsere Zeit: Stellt Euch eine Bushaltestelle vor! Ein dünnes Blech-Dach. Wände, die nicht richtig vor der Kälte schützen. Eine Straßenlampe gibt etwas Licht. Das junge Paar auf einer kargen Bank. Das Kind in einem vergessenen Einkaufswagen.

a.
Was ist die Botschaft des Stalls bzw. der Bushaltestelle? Was lernen wir dadurch über Gott? Was bedeutet es, dass Jesus in diese Umstände hinein geboren wird?

Gott hat ein Herz für Arme, für Schwache, für Flüchtlinge, für Heimatlose. „Gott fühlt sich gerade den Armen, Schwachen und Bedürftigen verpflichtet.“

 Elend, Armut, Leid, Hilflosigkeit bedeuten in den Augen Gottes etwas ganz anderes als im Urteil der Menschen. Gott wendet sich gerade dorthin, wo andere sich abwenden.

„Er legt selbst keinen Wert auf Äußerlichkeiten, auf Pracht und Prunk, auf Glamour, auf Eindruckmachen, auf Glanz.“ (Christian Nowatzky) Was für ein Gott!

b.
Was ist die Botschaft des Babys in Windeln? Was bedeutet das für unser Denken über Gott? Ich beschränke mich auf ein Beispiel.

Es ist schon merkwürdig! Man schafft es nicht, sich vor einem Säugling zu schämen. Man ist nie zu ärmlich angezogen. Man ist nie zu arm. Man ist nie zu schlecht. Wer einen Säugling anschaut, bei dem klappt das Sich-Schämen nicht mehr. Man schaut in Augen, die keine Schadensfreude, keine moralische Überlegenheit, keinen herablassenden Ausdruck kennen. Alles Leiden an sich selbst, alle Bitterkeit, alle Verzweiflung, alle Flucht vor sich selbst findet die Pausetaste. Jedes Anschauen von Babys tut gut, gibt uns sehr viel… (Ich habe diesen Gedanken von Thorsten Dietz)

Es ist vielleicht noch merkwürdiger! Es war und ist die Erfahrung aller, die Jesus begegnen: Alles Sich-Schämen fand und findet bei ihm und durch ihn die Pausetaste. Ich möchte das von mir persönlich sagen: Er wendet sich nicht ab von mir, wo andere sich vielleicht abwenden. Jesus macht etwas mit mir. Ich bekomme einen inneren Frieden exakt an den wunden Punkten, wo ich mich für meine Schuld schäme, wo ich mich schäme, Thomas Pichel zu sein. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Was lernen wir über Gott? Gott hat ein Herz für Menschen, die sich schämen, die sich aufgrund eines Mangels oder Fehlers oder einer Schuld für sich schämen. Was für ein Gott!

Ich erwähne nur kurz das, was umgekehrt ebenso gilt: Vor einem Baby zählen unsere Titel, unser Geld, unsere Erfolge, unsere Größe nicht.

 

III.
Wir sind nicht allein auf unserer Lebensbühne

1.
Weihnachten ist eine himmlische Botschaft. Weihnachten will geglaubt sein. Du wirst gefragt, Du wirst eingeladen zu glauben: Jesus ist da. Und er kommt zu uns.

Der Jesus aus dem Stall, der Jesus aus der Bushaltestelle geht und kommt in die Wohnung der Müden, der Einsamen, der Ängstlichen, der finanziell Bedrängten, der Wütenden, der Schuldigen, der Kranken… Ihnen allen fühlt er sich verpflichtet. Der Jesus aus dem Stall, der Jesus aus der Bushaltestelle geht und kommt in die Pflegeheime, Krankenhäuser, Sozialunterkünfte, Gefängnisse …

Das ehemalige Christkind trägt zwei Namen: Jesus und Immanuel. Diese Namen sind Programm. Immanuel heißt: Gott mit uns. Gott bei uns. Jesus heißt: Gott rettet. Gott hilft.

Jesus lässt uns nicht allein. Wir können uns auf seine Menschlichkeit und Solidarität verlassen. Wir können uns auf seine Göttlichkeit, seine Möglichkeiten und seine Macht verlassen. Wir müssen nicht allein klarkommen. Weder mit unseren Beziehungskisten noch mit unseren Ängsten noch mit Covid 19. Jesus hat die Macht, uns durch diese Zeit zu bringen.

Die Frage an uns heute lautet: Ob wir ihn auf unserer Lebensbühne wollen, ob wir ihm das Schild „Herzlich willkommen!“ oder „Betreten verboten!“ hinhalten?

2.
Du bist nicht allein auf der Bühne Deines Lebens. Schau Dich um!

Wer sind die Menschen, die ein Geschenk Gottes an Dich sind, die Dir immer wieder zu Freude und Frieden verhelfen? Auf wen kannst Du Dich verlassen? Wer lässt Dich nicht allein? Wer schenkt Dir, was Du brauchst: Menschlichkeit und Solidarität?

3.
Du bist nicht allein auf der Bühne Deines Lebens. Schau Dich um!

Wer braucht Deine Menschlichkeit und Solidarität? Wer braucht Dich als Joseph?
Wen kannst Du erfreuen, ermutigen, trösten?
Wem kannst Du konkret helfen?

Schau Dich um!

Wo gibt es in Deinem Leben hilfsbedürftige, angstgeplagte, kranke, corona-leidende, finanziell bedrängte, einsame, traurige Menschen? Weihnachten will Dich verpflichten. Für sie!

Wo gibt es Menschen, die nicht wissen, dass Jesus auf ihrer Lebensbühne dabei ist, die völlig danebenliegen in ihrem Denken über Gott? Weihnachten will Dich verpflichten. Für sie!

In Bayreuth fuhr (heute am 24.12.) mein Kollege Volker Sommerfeld 30 Gans-Klöß-Blaukraut-Portionen aus! An alleinstehende, kranke und hilfsbedürftige Menschen, die wegen des Lockdowns nicht einmal mehr in ihr geliebtes und so nötiges Cafe der Stadtmission dürfen.

Wie sagten wir? Elend, Armut, Leid, Hilflosigkeit bedeuten in den Augen Gottes etwas ganz anderes als im Urteil der Menschen. Gott wendet sich gerade dorthin, wo andere sich abwenden.

Deshalb frage ich: Wer braucht Deine “Portion Gans“?