Lukas 23,32-49 – Der Kreuzestod Jesu – (Über Jesus II) – Von Thomas Pichel

32 Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. 33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.  46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

 

I.
Das Kreuz als ein Zeichen für das Dunkle und Absurde dieser Welt

Das Kreuz ist ein Sinnbild für das Brutale und Unmenschliche, wozu Menschen fähig sind. Das Kreuz passt zu unserer Welt, über die 1 Mo 6,11 sagt:  Die Erde ist erfüllt mit Gewalttaten.

Immer wieder erschlägt ein Kain einen Abel. Immer wieder wird ein Abel Opfer eines Kain. Immer wieder schreit das Blut eines Abels zu Gott (1 Mo 4,10). In Mistelbach bei Bayreuth schreit das Blut eines ermordeten Arztehepaares zu Gott. In Syrien, im Jemen schrie und schreit das Blut vieler Abels. In der Ukraine schreit das Blut vieler, weil ein russischer Kain sie quält, missbraucht und umbringt.

Das Kreuz ist als Zeichen für eine Welt geeignet, in der Menschen dazu fähig sind, andere, hilflose Menschen zu verhöhnen und zu verspotten, andere unschuldige Menschen zu quälen und zu töten.

Paulus sagt in 1 Kor 2,8: Die Herrscher dieser Welt haben den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt. Jesus wurde ein Opfer der damals Mächtigen. „Die Repräsentanten der Weltmacht Rom, die religiösen Eliten in Jerusalem, aber auch die aufgewiegelte… öffentliche Meinung erreichen es durch ihr beklemmendes Zusammenwirken, dass Jesus ans Kreuz geschlagen wird.“ (Michael Welker, Gottes Offenbarung, S.173). Jesus wurde „im Namen der Religion, der Weltmachtpolitik, unter Berufung auf zweierlei Recht – das jüdische und das römische – und unter dem Beifall oder sogar dem Druck der öffentlichen Meinung gekreuzigt“ (Michael Welker, aa0, S.175).

Das Kreuz ist ein Zeichen dafür, dass in der Welt immer wieder die Wahrheit und die Liebe, das Recht und die Gerechtigkeit gekreuzigt werden.

Exkurs: Diese Welt ist reif für das Gericht Gottes. Gericht heißt: Gott hört das Schreien aller Abels dieser Welt. Was er hört, wird er zur Sprache bringen! Ich weise in diesem Zusammenhang auf eine Auffälligkeit in den ersten drei Evangelien im Neuen Testament hin. Matthäus, Markus und Lukas haben vor ihren Passionsberichten die Reden Jesu über seine Wiederkunft und über das Gericht. Das ist kein Zufall. Wir sollen die Berichte vom Leiden und Sterben Jesu so verstehen: Der, der litt und starb, wird wiederkommen, um über jeden Menschen das gerechte Gericht zu halten, um das Böse abzuschaffen, um die Opfer zu rehabilitieren, um die Welt zu heilen, um das Reich Gottes zu vollenden.

 

II.
Das Kreuz Jesu als das Zeichen für Sünde

In der ganzen Bibel versucht Gott, uns zu erklären, was Sünde ist. Das Leben Jesu und erst recht sein Leiden und sein Kreuzestod sind sein entscheidender Versuch, uns zu enthüllen, was Sünde ist und anrichtet. Denn „eine der schlimmsten Eigenschaften der Sünde ist, dass sie den Menschen so blind machen kann, dass für ihn die Sünde unsichtbar und undurchschaubar wird“ (Tomas Halik, Nicht ohne Hoffnung, S.152)

Wir sehen im Leben Jesu und erst recht in Lukas 23: Sünde ist, dass wir, wie die Jünger, Gott allein lassen. Wir lassen Gott allein. Wir lassen Gott in seinen Anliegen und seinem Tun allein. Seine Interessen sind uns nicht wichtig.

Wir sehen im Leben Jesu und erst recht in Lukas 23: Sünde ist der Versuch, Gott zu besitzen und zu bestimmen. Zeig Deine Macht, hilf Dir, hilf uns, dann glauben wir. Die Menschen sind bereit, an Gott zu glauben, wenn er tut, was sie wollen, wenn er nützlich ist. Weil Jesus die Erfüllung ihrer Wünsche verweigert, lassen sie ihn fallen, reden sie voller Verachtung über ihn.

Wir sehen im Leben Jesu und erst recht in Luk 23: Sünde ist der Wille, Gott zu loszubekommen. Sünde ist der Wille zur Entfernung Gottes aus dem eigenen Leben. Sünde ist der Wille zur Ferne Gottes. Warum ist das so? Weil das Wesen der Sünde die Bemühung ist, so zu sein wie Gott. Sünde heißt: Wir ignorieren den Willen Gottes und wollen unseren Willen und unsere Sehnsucht nach Macht durchsetzen.

Wir sehen im Leben Jesu und erst recht in Lukas 23: Sünde ist das, was wir Menschen Gott antun, worunter Gott zu leiden hat, was seinen Zorn erweckt, nicht weil er beleidigt wäre, sondern weil er weiß, was Sünde in unserem Leben anrichtet. Gott leidet unter unserer Angst vor ihm, unter unserem Misstrauen, unter unseren aggressiven Allergien ihm gegenüber. Gott leidet mit unter all dem, was seinen Menschen angetan wird. Er ist immer mit betroffen!

 

III.
Das Kreuz Jesu als das Zeichen für den Gott der Bibel  

1.
In der ganzen Bibel versucht Gott, uns seine guten Absichten, Hilfsbereitschaft und Liebe zu erklären. Das Leben Jesu und erst recht sein Leiden und sein Kreuzestod sind sein entscheidender Versuch, uns von sich zu überzeugen. Deshalb ist der Karfreitag ein Feiertag. Die Punkte I und II können wir nicht feiern! Aber (jetzt) den Punkt III der Predigt!

Ein wirklich christlicher Theologe kann nur ein Theologe des Kreuzes sein – jemand der weiß, dass es keinen anderen Weg zur Erkenntnis Gottes gibt als durch jene göttliche Kraft hindurch, die in der Schwäche, Erniedrigung und Ohnmacht des Gekreuzigten verborgen ist“ (Tomas Halik, Glaube und sein Bruder Zweifel, S.141)

Wir schauen uns nun zwei Worte Jesu an, die uns Gott nahebringen, die uns offenbaren, was das Kreuz Jesu für uns bedeutet und uns schenkt.

2.
Jesus bittet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Jesus denkt an Gott, an seinen Vater. Er verzweifelt nicht an ihm. Er bleibt in der Beziehung zu seinem himmlischen Vater. Er hält die Gemeinschaft durch.

Jesus denkt an andere. Er bittet um Vergebung. Er bittet für das Hinrichtungskommando. Er bittet für die Verantwortlichen, die ihn ans Kreuz bringen. Er bittet für die, die ihn loshaben wollen. Er ist frei von Hass. Er schimpft nicht. Er verflucht sie nicht. Er schreit nicht nach Rache. Er hält an ihnen fest. Jesus ist die Beziehung zu uns Menschen wichtiger als unsere Schuld. Er ist bereit, das, was wir ihm antun, den Unglauben, das Unrecht, die Schmerzen zu erleiden.

In der ganzen Bibel ist die Vergebungsbereitschaft Gottes da. Am Kreuz sehen wir, wie weit diese Bereitschaft geht. Am Kreuz sehen wir, dass Gott seine Liebe zu uns durchhält.

3.
Jesus gibt einem Mitgekreuzigten ein Versprechen. Es heißt in den Versen 42-43: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!

Dieser Mann ist der erste, der durch das Leiden Jesu zum Glauben kommt. Wir wissen aus Mt 27,44, dass er zunächst beim Verspotten Jesu mitgemacht hat. Aber dann passiert etwas mit ihm und in ihm. Er klinkt sich aus der Verachtung Jesu aus.

Er wendet sich voller Hoffnung an Jesus: Du hast Zukunft! Die Zukunft gehört Dir! Auch wenn es jetzt nicht so aussieht! Und Du hast die Macht, Plätze im Paradies zu verteilen. Du entscheidest über die Plätze in der Ewigkeit. Er wagt einen Schritt des Vertrauens. Er wagt ein Gebet: Denk‘ an mich! Vergiss mich nicht!

Und Jesus gibt ihm das Versprechen: Heute wirst du mit mir im Paradies sein! Jesus gibt ihn nicht dem Vergessen preis! Er verspricht ihm: Du wirst nie mehr ohne mich sein! Und ich werde immer bei dir sein. Du gehörst zu mir! Ich gehöre zu Dir! Das wird immer gelten! Das hört nie auf!

Was passiert hier? Jesus integriert ihn in die Gemeinschaft mit sich. Er nimmt ihn mit zu Gott. Er kann das, weil dieser Mann ihm vertraut.

Exkurs: 
Die Liebe Gottes vergibt. Aber die Vergebung kann die sozialen Folgen der Sünde nicht unwirksam machen. Wie schauen die sozialen Folgen aus? Sünde verdirbt all unsere Beziehungen: die zu Gott, die zu anderen, die zu uns selbst. Die Bibel sagt uns eine bittere Wahrheit, die wir gerne verdrängen. Die Folgen der Sünde müssen aufgearbeitet werden. Aber wir können das nicht allein. Und im Blick auf unsere Beziehung zu Gott können wir es überhaupt nicht. Aber die Folgen müssen aufgearbeitet und behoben werden. Gottseidank sagt uns die Bibel die Botschaft vom Kreuz: Gott übernimmt die Verantwortung für die Folgen unserer Sünde. Jesus befreit uns aus unserer kaputten Beziehung zu Gott. Jesus schenkt uns Gemeinschaft mit Gottnimmt und startet einen Prozess der Befreiung und Veränderung.

 

IV.
Lukas 23 ist voller hilfreicher Tipps für unsere Glaubenspraxis, für unser Leben mit Gott

 Im Connect-Gottesdienst am 24.4. werden wir die drei Worte am Kreuz uns anschauen und auswerten. Heute drei Impulse für uns, die wir uns von den im Text vorkommenden Menschen abschauen.

 1.
Das Volk stand und sah zu“, heißt es in Vers 35. Und in Vers 48: Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

Wir wissen nicht, warum diese Menschen gekommen waren. Wir wissen aus Mt 27,39, dass Menschen, die zufällig vorbeikamen, Jesus ihre Verachtung zeigten und ihn demütigten. Wir können uns fragen, ob Schaulustige dabei waren. Denn damals wie heute gibt es die Gaffer. Wenn etwas Schreckliches passiert, zieht das Abstoßende an, gibt es den unheimlichen Drang dabei zu sein und zuzusehen. Aber – auffälliger Weise! – kritisiert Lukas das Volk nicht.

Lasst uns diese Menschen als Vorbilder für uns nehmen! Sie machen nicht mit beim Verspotten. Sie machen nicht mit beim radikalisierten Hassen! Sie schweigen. Sie schlagen sich an die Brust. Aus Betroffenheit! Aus Entsetzen! Aus Mitgenommensein. Es gibt Ereignisse, wo das die beiden einzigen Reaktionen sind, die nicht völlig daneben sind.

2.
„Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles“, heißt es in Vers 49.

Von ferne müssen seine Freunde und Freundinnen alles mit ansehen. Abseits. Hilflos. Wohl auch schweigend. Vielleicht mit Tränen in den Augen. Nur von weitem, nur auf Distanz lässt Lukas diese Menschen zu Zeugen des Leidens und Sterbens Jesu werden.

Wir kennen dieses Abseitsstehen. Corona hat es uns aufgezwungen. Keine Berührung! Keine Umarmung! Nichts! Man durfte seinen leidenden Liebsten nicht nahekommen!

Wir kennen diese Ohnmacht, dieses Nichtstunkönnen! Die großen Krisen unserer Zeit muten uns das zu! Oft auch die Nöte in unserem Leben! Leidenden Menschen, sterbenden Menschen nicht nahe sein können, nicht helfen zu können, das ist schwer, das tut weh. Wenn wir so etwas erleben, dann lasst uns in unserer Hilflosigkeit zusammenstehen! Dann lasst uns beten: Herr, vergiss mich nicht! Herr, vergiss die Meinen nicht! Dann lasst uns auf die starken Hände unseres Vaters schauen! Dann lasst uns auf Auferstehungserlebnisse warten!

3.
„Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein gerechter Mensch gewesen“, heißt es in Vers 47.

 Lasst uns den Offizier der Römer, den Leiter des Exekutionskommandos zum Vorbild nehmen! Lasst uns Gott loben und preisen!

Ich wiederhole das, was ich am 27. März in der Predigt über den „Gott allen Trostes“ gesagt habe: Jüdische Menschen, die Auschwitz überlebt haben, erzählen: Ohne das Lob Gottes wären wir den Mördern und Henkern ganz anders ausgeliefert gewesen. Das Lob Gottes hat uns geholfen, uns an Gott festzumachen und von ihm Atem zu gewinnen, um auf Gott zu sehen und den Trotz in uns zu stärken.

Ohne das Lob Gottes sind wir den Ereignissen unsere Zeit ganz anders ausgeliefert. Das Lob Gottes hilft uns, uns an Gott festzumachen. Das Lob Gottes hilft uns, einen lebenstauglichen Trost zu bekommen. Dieser gute Trost hat etwas von einem positiven Trotz. So gewinnen wir Widerstandskraft gegen die Kräfte der Resignation, der Angst und des Hasses, die uns in Krisenzeiten leicht befallen können!