Markus 9,14-29 – Predigt I – Wohin mit unseren Glaubensnöten? – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung

Ich möchte in den nächsten Wochen drei Predigten über diesen Text halten.
Heute liegt der Fokus auf dem Vater, am 15.11. mehr auf den Jüngern, am 22.11. auf dem Sohn.

Die Predigt verdanke ich zu großen Teilen Cornelius Kuttler und Jürgen Schwarz, zwei Pfarrern, die mit meiner Ausbildungsstätte der Evangelischen Missionsschule in Unterweissach sehr verbunden sind.

Ich lese nun die Geschichte, in die die Jahreslosung Mk 9,24 eingebettet ist.

14 Und sie kamen zu den Jüngern und sahen eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. 15 Und sobald die Menge ihn sah, entsetzten sich alle, liefen herbei und grüßten ihn. 16 Und er fragte sie: Was streitet ihr mit ihnen? 17 Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. 18 Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten’s nicht. 19 Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! 20 Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. 21 Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist’s, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. 22 Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! 23 Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. 24 Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! 25 Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! 26 Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. 27 Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf. 28 Und als er heimkam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben? 29 Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.

 

B.

I.
Worum geht es in dieser Geschichte?

1.
Alle leiden in dieser Geschichte. Es wie bei einem Gruppenfoto. Ausschließlich leidende Menschen: Der Sohn leidet. Die Jünger leiden. Jesus leidet an den Jüngern. Der Vater leidet.

„Der Vater begegnet Jesus. Sein Sohn ist schwer krank, er kann sein Leben nicht mehr kontrollieren, er ist von einem bösen Geist befallen. Hier geht es um alles. Nichts hat bisher geholfen, nicht mal die Jünger von Jesus konnten helfen. Da sagt Jesus zu ihm: Alles ist möglich für den, der glaubt. Also, wenn du glaubst, kann alles geschehen, selbst dein Sohn kann wieder gesund werden. Da bricht der ganze Schmerz aus dem Vater heraus, alles, was sich angestaut hat an Verzweiflung und Hoffnung: Ich glaube, hilf meinen Unglauben!“

„Es ist nicht so einfach: Vom Glauben und vom Nicht-glauben-Können, vom Zweifel handelt die (diesjährige) Jahreslosung. Über Zweifel sprechen wir wahrscheinlich nicht gern… Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Hier wird ehrlich vom Glauben gesprochen, es ist nicht immer alles klar und einfach.“
(Cornelius Kuttler, Hilf meinen Unglauben, Freundesbrief Unterweissach, Nr. 213, S.4)

2.
Worin besteht eigentlich der Glaube des Vaters? Was glaubt er? Was hält er von Jesus?

„Der Mann sucht Hilfe für seinen geplagten Sohn. Und er hört von Jesus. Er spürt, dass Jesus etwas kann. Jesus zieht ihn an – und so lässt er sich darauf ein, zu ihm zu gehen…“

„Der Glaube des Mannes war: Jesus suchen, Jesus finden, Jesus bitten. Das war sein Glaube.“  (Jürgen Schwarz, Freundesbrief Unterweissach, Nr. 213, Seiten 6-8)

Es geht schlicht darum, dass ein Mensch Interesse an Jesus hat. Der Vater des kranken Jungen macht sich Gedanken über Jesus: Kann der mir etwas geben? Kann der mir in meiner Situation helfen? Ist der etwas für mich, für uns? Ist etwas an dem dran, was man über ihn hört?

Er hat beides auf einmal: Glauben und Glaubensschwierigkeiten. Ein Mensch, der so oft enttäuscht wurde wie dieser Vater, ein Mensch mit dieser Leidensgeschichte, der kann wohl nur noch flehen und schreien: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

 

II.
Was versteht die Bibel unter Glauben? Was ist der Kern, die DNA des biblischen Glaubens?

1.
Schauen wir bei der Person nach, in der in der Bibel zum ersten Mal das Wort und das Thema Glauben vorkommt. Es ist Abram bzw. Abraham in 1 Mose 15.

Es heißt in 1 Mose 15: „Gott zeigt Abram Sternenhimmel und Erdenstaub und sagt: „So zahlreich wird Deine Nachkommenschaft sein!“ Abram glaubte dem Herrn (1 Mo 15,5f).

Gott macht dem Abraham ein Versprechen. Und Abram lässt das gelten. Das hebräische Wort für Glauben heißt: Ich mache mich fest. Davon kommt unser Wort Amen.

Abraham antwortet Gott: Was du sagst, was du zusagst, das gilt, das gilt für mich. Es heißt nicht: Das möge gelten. Das gilt hoffentlich. Nein, es heißt: Es gilt. Amen! Das ist gewiss!

Deshalb ist Glauben in der Bibel:  Amen sagen zu Gott! Gott gelten lassen!

2.
Mein Studienfreund Robert Lau sagt: „Es geht immer um diesen Gott, der handelt, der wirkt, der etwas tut, was Menschen nicht tun können – und davon lebt alles“.

Und ich lebe als Christ, indem ich Gott gelten lasse!

Gott hat in der Vergangenheit etwas getan. Etwas? Unglaublich viel. Die Bibel erzählt mir davon. – Ich lasse das gelten! Ich sage Amen dazu!

Gott gibt mir so viel in seinem Wort. Sein Wort lässt mich seine Nähe erfassen. – Ich lasse das gelten! Ich sage Amen dazu!

Gott gibt mir für die Zukunft seine Verheißungen, seine Zusagen, seine Versprechen. – Ich lasse das gelten! Ich sage Amen dazu!

Biblischer „Glaube ist: Gelten lassen, für mich gelten lassen, ankreuzen, was der lebendige Gott gesagt und getan hat. So ist ‚Glauben‘ in der Bibel formatiert.“

Damit liegt die Last meines Lebens nicht auf meinem Vertrauen, nicht auf meinen Seelenkräften, sondern auf Ihm, der mich liebt und sein Leben für mich dahingegeben hat“ (Gal 2,20f). (Jürgen Schwarz, aaO)

3.
Der Vater lässt Jesus gelten. Er lässt das Können Jesu gelten. Er lässt das Versprechen Jesu gelten. Er lässt das Mitgefühl Jesu gelten. Aber er muss schwer darum kämpfen. Es fällt ihm nicht leicht. Kein Wunder nach seiner Leidensgeschichte! Kein Wunder in dieser Situation!

 

III.
Was ist die Bedeutung dieser Geschichte für uns?

1.
Die Geschichte hilft uns, dass wir uns in Menschen hineinversetzen können, die gleichsam vor Ostern leben, die nichts von Kreuz und Auferstehung wissen, die wenig bis nichts von Jesus und über Jesus kennen, die sich mit der Bibel nicht auskennen, die aber ein Interessen an Jesus haben, die sich überlegen, ob Jesus ihnen etwas geben kann, ob er ihnen helfen kann.

Die Geschichte hilft uns, wenn wir das Interesse für Jesus bei Menschen wecken wollen, die Jesus leider nicht kennen, die vielleicht auch merkwürdige und falsche Vorstellungen von der Bibel, vom Glauben, von Gott haben.

2.
Wir selbst können in die Situation des Vaters geraten. Uns kann es so gehen wie dem Vater: Dass wir diesen Mix aus Glauben und Unglauben in uns tragen.

a.
Was machen wir, wenn uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn wir zu Boden geworfen werden?

Was machen wir, wenn das eigene Kind, der Ehepartner, eine liebe Freundin… schwer krank wird?

Was machen wir, wenn uns das Leben hart trifft?

Was machen wir, wenn wir nur noch schreien können: Jesus, wenn Du etwas kannst…

„Es gibt Momente, in denen wir kaum mehr die Kraft haben zu glauben. Wenn alles unsicher wird, was wir einmal geglaubt haben. Wahrscheinlich können wir alle davon erzählen. Von dem, was wir an Lebensenttäuschung mit uns tragen und was es uns schwer macht, Gott zu vertrauen. Oder wir denken daran, was andere durchmachen müssen und wie sie ihren Glauben verlieren. Weil sie ihr Leben und einen guten Gott nicht zusammenbringen…“ (Cornelius Kuttler, aa0)

b.
Ich empfinde diese Geschichte, diese Begegnung zwischen Jesus und dem Vater als sehr wertvoll. Das Vertrauen des Vaters als seelische Kraft reicht für diese Situation nicht mehr. Es ist am Ende. Jetzt aber kommt durch Jesus etwas ganz Neues in sein Leben hinein. Jesus sagt ihm: Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt, der an Gottes Möglichkeiten glaubt. Und der Vater schreit. Ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Das ist wie ein Geburtsschrei! Zum ersten Mal schreit sein Glaube. Und doch hat er Schmerzen, hat er Schwierigkeiten, sich das vorzustellen!

Und Jesus kritisiert ihn dafür nicht. Auch das ist eine gute Nachricht für uns!

„Wir glauben immer zwischen Hoffnung und Zweifel. An Jesus zu glauben, bedeutet nicht: Sich seines Glaubens immer unerschütterlich gewiss zu sein und niemals über Lasten zu klagen. Wir dürfen zugeben, wie es in uns aussieht, müssen Zweifel nicht verdrängen, können sie ernst nehmen, sie Gott sagen: Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“   (Cornelius Kuttler, aaO)

Lasst uns von dem Vater lernen! Lassen wir es uns von unseren Enttäuschungen und Ängsten nicht verbieten, an Gott zu glauben. Lassen wir Gott gelten! Sagen wir unser Amen!

c.
Die Geschichte zeigt uns, wohin wir gehören, wohin wir gehen können, wenn wir Glaubensnöte und Zweifel haben. Was machen wir, wenn wir Zweifel haben?

Erste Antwort: Wir gehen in unser Team, in unsere Gemeinschaft. Wir gehen zu Menschen unseres Vertrauens.

Luther sagt einmal: „Kirche besteht in Verkündigung und Sakramenten und im Gespräch unter Glaubensgeschwistern und dem Trost und der Ermutigung durch die Schwester, den Bruder“ (Schmalkaldischer Artikel).

Wir sind nicht auf uns allein gestellt. Wir brauchen die Freude, wenn uns etwas gelingt, nicht allein zu feiern. Und wir müssen mit unseren Zweifeln nicht allein zurechtkommen.

Wir brauchen einander, um glauben zu können. Wir brauchen Menschen, die mit uns glauben, die uns hindurchbegleiten durch Zeiten, in denen wir nicht glauben können.

Deshalb rufe ich uns zu: Vertusche deinen Zweifel nicht! Vertusche deinen Unglauben nicht! Sprich alles aus vor anderen!

Zweite Antwort: Wir gehen zu Jesus.

„Wer so betet, der bleibt nicht bei sich. Wir müssen mit dem eigenen Zweifel nicht allein zurechtkommen. Der Ort, wo unsere Zweifel hingehören, ist nicht unser Herz, sondern Gottes Herz.

Wenn die Fragen kommen und die Rätsel des Lebens, auf die wir keine Antwort finden. Wenn wir keine Kraft mehr haben, keine Kraft zu glauben, keine Kraft zu beten. Oder vielleicht die Fassade wahren, obgleich in uns der Sturm tobt.

Wir müssen mit nichts allein zurechtkommen, nicht einmal mit unserem Zweifel. Jesus ist da – mitten im Sturm. Bei ihm ist der richtige Ort für unsere Zweifel. Er weiß, wie es ist, am Boden zu sein. Wenn die Verzweiflung über einem zusammenschlägt und Gott nur noch ein Schatten dessen ist, was er einmal für uns gewesen ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, hat er am Kreuz geschrien. Dieser Jesus am Kreuz ist der Ort, wo Platz ist auch für unser Leben, für unsere Zweifel.

Ich glaube, hilf meinem Unglauben, heißt: Sieh weg von dem, was dich in den Strudel des Zweifelns reißt. Behalte deinen Unglauben nicht für dich, sprich ihn aus: Vor Gott…

Entscheidend ist eines: Jesus ist da! Er reicht uns die Hand. So wie damals bei diesem Jungen, der auf dem Boden lag. Jesus reicht ihm die Hand und richtet ihn auf. Damit das Leben wiederbeginnt. Entscheidend ist, dass Jesus uns die Hand reicht, wenn wir uns gar nicht mehr sicher sind, was wir eigentlich glauben sollen. Dann ist da seine Hand…“

Was hält uns in diesen merkwürdigen Zeiten?

„Es ist nicht unser wankelmütiger Glaube, der uns halten kann. Dieser so oft von Zweifeln geschüttelte Glaube. Es ist nur eines, was uns hält. Nein, nicht eines, sondern einer: Er – Jesus.“ (Cornelius Kuttler, aaO)

„Jesus wendet sich nicht ab von mir! ER hilft meinem Glauben und meinem Unglauben! Er hilft mir dort, wo ich bin… Darauf kann ich bauen. Dazu kann ich Amen sagen.“ (Jürgen Schwarz, aaO)