Markus 13,41-44 – Alles geben! Eine Herausforderung! – Von Martin Brendel

41 Jesus setzte sich nun in die Nähe des Opferkastens im Tempel und beobachtete, wie die Leute ihr Geld einwarfen. Viele Reiche gaben hohe Beträge.
42 Dann aber kam eine arme Witwe und warf zwei der kleinsten Münzen in den Opferkasten.
43 Jesus rief seine Jünger zu sich und sagte: »Ich versichere euch: Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen.
44 Die Reichen haben nur etwas von ihrem Überfluss abgegeben, aber diese Frau ist arm und gab alles, was sie hatte – sogar das, was sie dringend zum Leben gebraucht hätte.«

 

A.

Da es auf den ersten Blick ums Geld geht, ein kleiner Witz zum Einstieg.

Nach einem Sturm retten sich zwei Schiffbrüchige auf eine kleine Insel. Während der eine sich entspannt unter eine Palme legt, läuft der andere aufgeregt über die Insel, schaut verzweifelt aufs Meer hinaus und ruft um Hilfe. „Hier findet uns niemand“ jammert er ununterbrochen, „hier sind wir verloren“. „Keine Aufregung“, versucht der andere zu beruhigen, „schließlich verdiene ich jede Woche über hunderttausend Euro“. Verständnislos schaut ihn sein Gefährte an: „Und was bringt uns das hier? Kein Geld der Welt hilft auf dieser Insel gegen Hunger und Durst und ein Boot kannst du hier auch nicht kaufen. Dein Geld nützt uns überhaupt nichts, wir kommen hier nie mehr weg!“ „Da irrst du dich gewaltig! Ich verdiene nicht nur jede Woche hunderttausend Euro, ich spende außerdem zehn Prozent davon der Kirche – egal wo wir sind – mein Pfarrer findet mich auf jeden Fall!“

 

B.

In dem heutigen Text geht es nicht nur um Geld. Mir sind noch andere Aspekte bewusst geworden, als ich mich damit auseinandersetzte. Und natürlich geht es auch um die Frage, was hat das mit mir zu tun?

Schauen wir erstmal, in welchem Zusammenhang der Predigttext steht.

Vorher geht es um Fragen der Schriftgelehrten, die Jesus ihnen beantwortet. Nach der kurzen Begebenheit im Tempel kommen die Endzeitreden Jesu und dann folgt die Passion.

Es geht um eine Witwe. Eine Frau, die ihren Mann verloren hat. Nach dem Tod ihres Mannes versuchte man, eine Frau möglichst schnell wieder in einen Familienverband zu integrieren, entweder durch die Rückkehr in ihre Herkunftsfamilie, oder durch Wiederverheiratung.

In der damaligen, eine von Männern beherrschte Gesellschaft, gehörte eine Witwe zu den sozial und wirtschaftlich, rechtlich und religiös Benachteiligten und oft Bedrückten. Witwen waren am stärksten von Ausbeutung bedroht, weil sie keinen Rechtsschutz und keine wirtschaftliche Absicherung hatten. Sie waren also von Armut bedroht und benötigten besondere Unterstützung.

In V.40 spricht Jesus davon, dass die Schriftgelehrten gierig den Besitz der Witwen an sich reißen. Das macht die schwierige Situation der betroffenen Frauen deutlich.

Die Frau in dem heutigen Bibelabschnitt wird als arme Witwe bezeichnet. Gehen wir davon aus, dass es ihr nicht gut ging, und sie vielleicht niemand hatte, der sie versorgte.

 

C.

Vier Punkte sind mir bei diesem Text wichtig geworden.

 

I.
Die Witwe geht in den Tempel.

Sie geht in das Haus des Herrn, um Gottes Wort zu hören. Sie hätte sich auch um ihren Lebensunterhalt kümmern, die Zeit „sinnvoll“ nutzen können. Ihr war es wichtig, Gottes Wort zu hören. Jetzt kann man sich die Frage stellen, ob sie aus Gewohnheit in dem Tempel ging, oder um sich wirklich von Gottes Wort stärken zu lassen. Sie sucht ihre Zuflucht im Tempel. Gerade weil sie es im Leben so schwer hatte, gab es da etwas, das ihr wichtig war.

Wo ist mein Zufluchtsort? Ist es auch in erster Linie das Wort Gottes? Das hat mich nachdenklich gemacht. Was mache ich, wenn ich in Not bin? Habe ich überhaupt einen Zufluchtsort?

Wende ich mich gleich an Gott? Ich würde sagen ja, mit einem Gebet auf jeden Fall. In welcher Form auch immer das Gebet ist.

Dann suche ich natürlich Hilfe bei Freunden, denen ich mich anvertrauen kann. Das ist gut und wichtig. Auf der anderen Seite suche ich auch Ablenkung, damit ich nicht immer an die Probleme denken muss.

Der richtige Weg ist wirklich, dass ich all das, was mich beschäftigt und belastet bei Jesus abgebe, ihm sage. Da ist es gut aufgehoben, auch wenn ich nicht gleich eine Lösung finde oder gezeigt bekomme. Ich habe das gerade erlebt. Wir mussten nach dem Tod meiner Schwiegermutter die Wohnung ausräumen. Meine Frau und ich haben verschiedene Vorstellungen vom Ausräumen. Es kam auch zu einem heftigen Streit. Ich habe gelernt, dass es im Moment keine schnelle Lösung gibt, ich es aber bei Jesus abgeben kann und das Problem nicht zu viel Einfluss nehmen darf auf mich und auf unsere Beziehung. Ich weiß, bei Jesus ist alles an der richtigen Stelle.

 

II.
Die Witwe gibt ein Dankopfer.

Die Witwe warf zwei der kleinsten damaligen Münzen in den Opferkasten. Es handelte sich um Kupfermünzen mit der griechischen Bezeichnung Lepton, zwei davon waren zwei Lepta.
Sie hörte das Wort Gottes und gab dann ihr Dankopfer. Aus Dankbarkeit gibt sie ihr Geld.

Jesus holt seine Jünger zu sich und sagt ihnen, dass die Witwe mehr gegeben hat als alle anderen.
Er fordert seine Jünger nicht auf, genauso zu handeln. Er sagt nicht: Gebt mehr, opfert mehr, tut dies oder das. Das finde ich wichtig. Gebe ich mein Geld auch aus Dankbarkeit? Die Witwe dankt Gott, trotz ihrer schwierigen Situation. Hier kann sie ein Vorbild sein. Sie ist dankbar, egal wie es ihr geht. Das ist nicht immer so einfach.

 

III.
Die Witwe hat großes Vertrauen

Sie hat großes Vertrauen, dass Gott sie versorgt. Sie hat zwei Münzen dabei und gibt auch zwei Münzen in den Opferkasten. Sie hätte ja eine davon einwerfen können und die andere für sich als Sicherheit behalten können. Sie gibt beide her, sie gibt alles, was sie hat. Sie vertraut darauf, dass Gott sie versorgt. Die Witwe kann etwas, das vielen schwer fällt: loslassen.

Es geht um Vertrauen. Auf was oder wen vertraue ich? Auf die eigene Kraft, auf die Gesundheit, auf die materielle Sicherheit, auf Anerkennung und Ehre, vertraue ich auf die Position, die ich im Beruf habe, auf die Stellung in der Gemeinde, usw.

Oft ist es im Leben so, dass eher das Misstrauen wächst als das Vertrauen. Haben mich Menschen enttäuscht, wächst das Misstrauen. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wen kann man heute noch trauen? Betrüger lauern überall, der Enkeltrick gelingt immer wieder. Selbst Unfälle werden gestellt und Helfer werden überfallen. Es gibt die schlimmsten Geschichten.

Vertrauen ist wichtig. Es geht um Beziehungen zu Menschen, auch um materielle Sicherheit. Ja, auch die ist uns doch wichtig. Meine Wohnung, mein Geld. Ich glaube, die wenigsten würden alles aufgeben. Ohne Vertrauen sind wir arm.

Alle Dinge, die uns in dieser Welt Sicherheit geben, geben uns nicht die Garantie, dass das Vertrauen nicht enttäuscht wird.

Auf das Ende des Lebens hin gesehen – was bleibt übrig, was bleibt?

Meine Gesundheit vergeht, die eigene Kraft schwindet, vom Geld kann ich mir am Ende auch nichts kaufen. Das haben wir vielleicht alles schon tausendmal gehört. Es stimmt aber, vielleicht gehört es immer wieder bewusst gemacht.

Ich brauche eine Sicherheit, die nicht vergeht und die mich nicht enttäuscht. Jesus sagt: Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. (Mark. 13,31)

Am Ende bleibt nur mein Vertrauen auf Jesus, auf meinen Fürsprecher, auf seine Liebe.

 

IV.
Jesus beurteilt alles richtig.

Die Szene ist schon eigenartig. Jesus setzt sich in die Nähe des Opferkastens und beobachtet die Leute, was sie einwerfen. Er muss genau hingesehen haben, sonst wären ihm die zwei kleinen Münzen nicht aufgefallen, sonst wüsste er nicht, dass die Wohlhabenden viel eingelegt haben.

Stellt euch mal vor, hier würde sich jemand gleich neben unsere Körbe stellen und genau hinschauen, was jeder gibt. Schon etwas komisch.

Jesus sieht die Schriftgelehrten, die vielleicht fromm und stolz ihre großen Scheine einlegen, vielleicht mit einem Rundumblick, der sagt: „Habt ihr alle gesehen, was ich gegeben habe?“

Jesus sieht den, der wie immer und üblich seinen Betrag einwirft. Vielleicht ohne nachzudenken, so wie man es aus Routine bei jedem Tempelbesuch tut, um dann mehr oder weniger gleichgültig weiterzugehen.

Jesus sieht die Witwe, die alles gibt, was sie zum Leben gebraucht hätte.

Jesus sieht alle. Und ich denke, ihn berührt auch alles, was er sieht. Ich denke, ihn freut es, wenn die Reichen viel abgeben. Sie könnten ja auch alles für sich behalten. Es tut ihnen halt nicht weh.
Ihn freut es, wenn jemand regelmäßig den gleichen Betrag gibt. Egal ob er gerade viel oder wenig hat. Er ist beständig.

Und ihn freut es, wenn jemand wenig gibt, so wie er eben kann.

Was gebe ich für die Gemeinde, für Gott außer Geld? Muss ich etwas leisten?

Einer zeigt Einsatz. Er hat viel Zeit, dann kann er auch einen großen Teil davon gut in der Gemeinde einbringen.

Einer übernimmt beständig eine Aufgabe, ist total zuverlässig.

Einer kann nicht so viel beitragen, aber er schaut, was möglich ist und bringt einen kleinen Teil ein.

Auch das sieht Jesus genau. Wie und mit welcher Haltung wir uns in der Gemeinde und letztendlich für ihn einsetzen.

Das Loslassen und der Einsatz für Jesus beschäftigen mich schon lange. Irgendwie ist das so in uns verankert, dass wir, dass ich etwas tun muss. Prof. Hans Joachim Eckstein hat die Situation einmal sehr schön geschildert, in der ich mich auch wiederfand: Man steigt in ein Zugabteil mit 5 Menschen. Man setzt sich dazu und überlegt sich gleich: Wie kann ich den Leuten etwas vom Glauben erzählen? Wenn es einem nicht gelingt, macht man sich Vorwürfe, warum man es nicht geschafft hat. Dieser Druck, ich muss etwas tun, der beschäftigt mich und wird in diesem Beispiel deutlich.

Maria begegnet Gott in Form eines Engels, der ihr die Geburt von Jesus voraussagt und sie sagt: Mir geschehe, wie du gesagt hast. (Lukas 1,38) Gott ist der Handelnde!

Jesus sagt zu Petrus: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. (Matth. 16,18) Jesus baut die Gemeinde, nicht Petrus, nicht ich.

Paulus schreibt an die Philipper in Kap. 1, 20-21: Wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

Magnus Malm schreibt in seinem Buch „Gott braucht keine Helden“ dazu folgendes: „Eine solch tiefe Freude entsteht nur, wo ein Mensch ganz losgelassen hat, wo er nicht mehr krampfhaft festhält an anderen Menschen, an Gottes Werk und an seinem eigenen Leben. Dem Menschen, der sich und seinen Einsatz als unentbehrlich für Gottes Werk betrachtet, ist die Tür zu dieser Freude verschlossen.

Ein anderes Beispiel. Jesus sagt: Ich will euch zu Menschenfischern machen (siehe Luk 5,11).  Ich will. Jesus möchte dich und mich gestalten, so wie er es will.

Ich möchte noch einmal aus dem oben genannten Buch von Magnus Malm zitieren: „Wenn ein Mensch Ja zu Jesus gesagt hat, kommt eine neue Freiheit in sein Leben. Die unerhörten Energien, die er gebraucht hat, um sein Leben selbst zu kontrollieren und zu verteidigen und selbst seinen Wert aufzubauen, werden freigesetzt. Es ist, als wenn ein erstickender Kalkpanzer, der sich um die Seele gelegt hatte, endlich zerspringt und abfällt. Der Prozess kann sich über mehrere Jahre erstrecken, aber die Zielrichtung bleibt: mehr Freiheit.“

Da sind wir nun wieder bei den Schriftgelehrten angelangt. Ich möchte behaupten, dass wir von ihnen gar nicht weit entfernt sind. Ursprünglich waren sie voller Hingabe und Wahrheit für Gottes Werk, gerieten aber in eine religiöse Scheinwelt, in äußere Rollen, die sie unter Aufbringung aller Kräfte spielten.

Nochmal ein Blick in das Buch von Magnus Malm. Malm verweist auf diesen Zusammenhang: „Es beginnt damit, dass ich die Ohren vor meinen inneren Warnsignalen – Müdigkeit, Zweifel, verschiedene Bedürfnisse – verschließe. Ich unterdrücke mein Inneres und baue stattdessen eine religiöse Fassade auf, die Gott und meinen Mitmenschen imponieren soll.“

Genau das haben die Schriftgelehrten gemacht. Mache ich das auch? Dieses Buch beschäftigt mich schon lange und immer wieder.

Ich arbeite mit Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Bewohner ist mir bei der Vorbereitung eingefallen. Er versucht auch, eine Fassade aufrecht zu erhalten. Er möchte immer gut sein. Er möchte der Beste sein. Er macht keinen Fehler. Wenn man ihn kritisiert, hat er immer irgendeine Erklärung dafür. An ihm liegt es aber nie, er macht ja nichts falsch. Er möchte auch uns Mitarbeitern gegenüber immer gutdastehen. Ihm ist es wichtig zu wissen, wer zum Dienst kommt, damit er sich auf die Mitarbeiter einstellen kann. Das ist total interessant zu beobachten. Das kostet ihm aber ungemein viel Kraft. Ab und zu bricht es aus ihm heraus, dann schafft er es nicht mehr, seine Fassade aufrecht zu erhalten. Er bricht aus, wird laut, rennt davon.

Dann denke ich mir, sind wir wirklich so weit von den Schriftgelehrten entfernt, sind wir wirklich so weit von dem Bewohner meiner Wohngruppe entfernt?

Es geht darum, ehrlich zu sein, ehrlich zu werden. Nicht ich muss etwas leisten. Ich stelle mich Gott zur Verfügung. Ich folge ihm nach, schau auf ihn und bin bereit, mich gebrauchen zu lassen. Wie geht das?

Jesus nachfolgen, heißt Jesus liebhaben. Jesus lieben, heißt unaufhörlich Ja sagen zu ihm und seinem Willen. Es wird mir wichtiger, dass sein Wille geschieht, als dass meine Wünsche sich erfüllen. So muss ich in Kontakt mit Jesus stehen. So schließt sich der Kreis wieder. Am Anfang sagte ich, dass die Witwe in den Tempel geht. Sie suchte den Kontakt zu Gott. Ja, das ist die Grundlage, Gottes Nähe suchen. Stille, hören auf ihn. Dabei ist die Form nicht entscheidend, sonst wird es schnell wieder zur Pflicht. Die Zeit, die für mich passt, kann ich mit ihm verbringen. Der eine macht das früh morgens, der andere mittags, der andere abends. Das kann auch flexibel sein, eine Autofahrt, ein Spaziergang, usw. Immer und überall kann ich mit Gott reden. Durch den Kontakt mit ihm wird sich langsam Veränderung einstellen, wenn ich das zulasse. Es wird von innen nach außen dringen, mein Verhalten verändert sich, auch wenn es kleine Schritte sind.

So können wir wie die arme Witwe alles geben. Wir können Jesus unser ganzes Leben geben und anvertrauen. Er freut sich sehr darüber.