Mk 16,1-8 – Die Auferstehung Jesu – (Über Jesus III) – Von Thomas Pichel

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des  Jakobus und Salome, wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.  Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

 

I.
Unsere Zeit, unser Leben

1.
Als ob der Text gemacht ist für unsere Zeit.

Was für ein Osterevangelium in diesem Jahr! Es gibt keine Osterstimmung! Es gibt keine Osterfreude! Erst recht kein Osterlachen! Stattdessen ein Zittern und Entsetzen. Dreimal heißt es im Text: Sie entsetzten sich. Sie fürchteten sich. Sie sind fassungslos, überfordert, haben Angst.

Die Frauen hatten sich früh am Morgen aufgemacht. Sie wollten dem Leichnam Jesu eine letzte Ehre erweisen. Es ist ein letzter Liebesdienst. Und doch ist es eine traurige Pflicht. Sie sind innerlich nicht frei, sondern gefangen in ihren Gedanken und Gefühlen, in ihren Ängsten und Sorgen. Sie erleben so viel Sinnlosigkeit. Das ist kaum auszuhalten. Vor allem im Kontrast zu früher. Irgendwie müssen sie damit fertig werden. Aber das ist schwer!

Der Text passt in unsere Zeit des Entsetzens und der Angst. Wie oft heißt es wohl von Menschen in diesen Wochen: ‚Sie entsetzten sich. Sie fürchteten sich‘?! Wie oft heißt es vielleicht von uns: ‚Sie entsetzen sich. Sie fürchten sich‘?!

2.
Der Text erinnert uns daran, dass unser Leben eine Wallfahrt zum Tod ist, dass Gräber ein Zeichen des Lebens sind.

Wir sind unterwegs zu unserem eigenen Sterben, zu unserem eigenen Tod, zu unserem eigenen Grab.

Wir waren schon unterwegs, wir werden unterwegs sein zu Gräbern von geliebten Menschen.

Wir leben mit Gräbern im übertragenen Sinn: eine enttäuschte Liebe, eine verpasste Chance, eine vertane Zeit, eine falsche Entscheidung, ein zerschlagener Plan, ein geplatzter Traum, eine leere Versprechung.

3.
Der Text erinnert uns daran, dass große Steine ein Zeichen unseres Lebens sind.

Wer kennt sie nicht – die quälenden Fragen und die belastenden Sorgen?! Wie soll der Sorgenstein weggewälzt werden, der mir zentnerschwer auf dem Herzen liegt? Wer schafft die Schuldenlast beiseite, die mein Leben in eine Gruft einschließt? Oder: Wie finden wir Zugang zum Leben, zur Freude, zur Hoffnung, zum Glauben? Wie finden wir Zugang zur Zukunft? Wir sollen wir fertig werden zwischen der Diskrepanz zwischen dem, was wir an Botschaft hören und dem, was wir erleben?

4.
Der Text informiert uns, dass auch Gottes Handeln oder sein Nichthandeln uns Angst machen kann. Die Frauen erschrecken wegen der Macht Gottes, wegen der Macht der Auferstehung Jesu, wegen der Begegnung mit der himmlischen Welt. So kann es zugehen: Eine Erfahrung Gottes macht Probleme, verunsichert, überfordert.

Es kann im Leben mit Gott sein, dass wir vor lauter Fassungslosigkeit, vor lauter Entsetzen, vor lauter Angst nicht reden können. Die Frauen sollen die Botschaft von der Auferstehung weitersagen. Aber sie können es nicht. Für mich ist das sehr tröstlich, dass die Bibel uns das erzählt.

Man muss sich das einmal vorstellen, so hat ursprünglich das Markus-Evangelium geendet. Die Verse Mk 16,9-20 fehlen in bedeutenden alten Handschriften!

 

II.
Unser Glaube an den Gott, der Auferstehung kann.

1.
Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas hat vor vielen Jahren einmal gesagt: „Angesichts von Schuld, Einsamkeit, Leid und Tod ist die Lage des Menschen prinzipiell trostlos“. Ich ergänze: Wir sind entsetzt und fürchten uns angesichts des Artensterbens, des Klimawandels, der Ungerechtigkeiten auf dieser Welt, angesichts der vielen Kriege, angesichts der Gräuel in der Ukraine.

Wir brauchen eine Hoffnung, die das alles nicht ausklammert. Eine Hoffnung, die all diese Grenzerfahrungen ausklammert, also Erfahrungen, die uns an unsere Grenzen bringen, wäre billiger Trost, wäre Jenseitsvertröstung. Wir brauchen eine tragfähige und echte Hoffnung!

Deshalb freue ich mich, dass ich uns die Osterbotschaft verkündigen darf: Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu von den Toten“ (1 Ptr 1,3). – Jesus sagt uns: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ (Joh 11,25-26a).

Und in unserem Text sagt der Bote aus der Welt des Himmels: „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“

 2.
Schauen wir uns die Osterbotschaften dieses Textes näher an! Werten wir die großen und kleinen Informationen des Textes aus! Hören wir auf das, was wir glauben dürfen über Gott, über Jesus, über unser Leben!

(1)
Das Grab ist leer. Ohne das leere Grab Jesu hätte sich in der jüdischen Kultur die Auferstehungsbotschaft keine Sekunde halten können. Aber das leere Grab reicht nicht aus, um die Frauen zu überzeugen. Es reicht als Begründung nie aus, um Menschen von der Auferstehung Jesu zu überzeugen. In der Philosophie nennt man das einen notwendigen, aber nicht hinreichenden Grund.

(2)
Die Übersetzung „Er ist auferstanden“ ist nicht falsch. Aber es ist im Griechischen eine Passivaussage. Deshalb ist die Übersetzung „Er ist auferweckt worden“ zutreffender. Gott hat Jesus nicht im Tod gelassen. Gott hat den Tod entmachtet. Gott hat seinen Sohn zu einem neuen Leben erweckt. Wir sehen an der Auferweckung Jesu, was er kann, wozu Gott in der Lage ist, was er am Ostermorgen vollbracht hat.

Wir haben im ersten Teil der Predigt gesagt: Unser Leben ist eine Wallfahrt zu unserem eigenen Grab. Jetzt aber kommt die Osterbotschaft unserem eigenen Sterben und Tod zuvor. Damit verändert sich für uns alles. Gott wird auch uns aus nicht dem Tod überlassen. Gott wird auch uns auferwecken und zu sich holen!

(3)
Es gibt zwei kleine Informationen über den Jüngling im Grab, bei denen die jüdischen Leser und Leserinnen des Markus-Evangeliums sofort wussten, was sie bedeuten: (a) Der Jüngling hat ein weißes langes Kleid an. Das weist ihn als Botschafter des Himmels aus. (b) Er sitzt zur rechten Hand. Das zeigt seine Wichtigkeit. Es unterstreicht die Bedeutung dessen, was er zu sagen hat.

Der Botschafter aus Gottes Welt hat ein Gespür für die drei Frauen. Er weiß, dass er ihnen Angst macht. Und er weiß, was sie bewegt. Ein Ausleger vermutet, dass die Figur eines Jünglings genau das Wesen ist, was den Frauen in diesem Moment am wenigsten Angst gemacht hat. Ich weiß es nicht. Richtig erfolgreich war der Bote Gottes ja nicht! Es brauchte ein zweites und drittes Fürchte dich nicht, um die Frauen aus ihrem Entsetzen herauszuholen.

Das ist eine tröstliche und hoffnungsvolle Botschaft für uns! Die Engel, der Himmel, Gott selbst wissen, was uns Angst einflößt oder einjagt, was uns bewegt, was uns bedrängt. Jesus weiß, wie oft er zu uns „Fürchte dich nicht“ sagen muss, um uns zu trösten, um uns aus allem Entsetzen herauszuholen.

(4)
Der Bote Gottes gibt den Frauen eine neue Perspektive, eine neue Sicht der Dinge. Er sagt ihnen über Jesus: Er ist nicht hier! Jesus ist kein Toter! Keine Figur aus der Vergangenheit. Er ist nicht Geschichte! Er ist Gegenwart und Zukunft. Jesus ist auch nicht ein Wiederbelebter, der dann eines Tages doch sterben wird! Er ist der Lebendige. Er lebt. Er ist der erste, den Gott in die Auferstehungsdimension hineingeholt hat. Paulus sagt in 1 Kor 15,20 so: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.“

(5)
Der Bote Gottes gibt den Frauen ein Versprechen: Der Auferstandene geht vor euch nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen! Sagt das unbedingt seinen Jüngern und dem Petrus!

Was ist „Galiläa“ in unserem Leben? Die Antwort ist denkbar einfach: Galiläa ist unser Leben! Galiläa ist unser Alltag! Unser Leben ist der Ort, wo wir mit dem Auferstandenen rechnen dürfen, wo wir es mit ihm zu tun bekommen, wo wir auf seine Gegenwart, seine Realität, sein Reden, seine Möglichkeiten treffen!  Unser Leben ist der Ort, wo wir immer wieder Jesus neu begegnen werden. Galiläa ist der Ort des Anfangs. Da hat für die Jünger alles angefangen.

Was bedeutet der Satz: Dort werdet ihr ihn sehen? Das sind die praktischen Konsequenzen der Auferstehung!

a. Der Auferstandene ist immer bei uns!

b. Er ist immer schon dort, wo wir hinmüssen.

c. Der Auferstandene sucht uns. Er sucht die Begegnung mit uns.

d. Das gilt auch dann, wenn wir schuldig geworden sind. Der Bote sagt ausdrücklich zu den Frauen: Sagt das seinen Jüngern, die ihn alle verlassen haben! Sagt das auch und erst recht dem Petrus, der Jesus verleugnet hat.

e. Der Auferstandene selbst wird uns die Wahrheit und Wirklichkeit seiner Auferstehung bekräftigen.

f. Der Auferstandene selbst wird uns die Wunder schenken, die wir benötigen. Er selbst wird uns manchen Stein wegrollen. Ach, was könnten wir erzählen!

g. Und eines Tages werden wir Jesus im wahrsten Sinn des Wortes sehen. Dann erfüllt sich die Bitte Jesu an den Vater aus Joh 17,24: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen.“

 

III.
Unser Leben mit dem Auferstandenen, unser Leben mit dem Gott, der Auferstehung kann

Martin Luther sagt in einer Predigt zu unserem Text: Es kommt darauf an, dass wir nicht starr und stumm stehenbleiben vor dem Grab und der ganzen Geschichte, dass wir weiterkommen, dass wir Frucht und Nutzen der Auferstehung begreifen, dass wir ihre Kraft erfahren (WA 17/I, 183b,10-12).

Wir könnten es uns jetzt einfach machen. Wir könnten sagen: Wir haben diese Osterbotschaften zu glauben! Natürlich stimmt das! Also nur zu!

Ich will jetzt im dritten Teil der Predigt ein paar Gedankenanstöße für unser praktisches und konkretes Leben mit Jesus geben:

1.
Gedankenanstoß 1: Vertrauen wir jemanden an, wenn wir in einer ähnlichen Situation wie die drei Frauen sind, wenn wir Sinnlosigkeit erleiden, wenn es von uns dreimal oder öfters heißt: Sie entsetzten sich. Sie fürchteten sich. Geben wir das zu! Verdrängen wir das nicht! Sagen wir das dem Auferstandenen, wo wir überfordert sind, wo wir wie gelähmt sind…

Ich möchte das bewusst auf den Krieg in der Ukraine anwenden. Ich habe auf Instagram von einem Geistlichen (dem Vikar Alex Brandl) in München folgenden Eintrag gelesen: „Beten ist das Gegenmodell zum Krieg. Krieg kommt heraus, wenn man sich dem unbedingten Willen zur Macht hingibt. Beten kommt heraus, wenn man sich der unbedingten Machtlosigkeit hingibt“. Jemand anderes hat es ergänzt: „Machtlosigkeit ist nicht dasselbe wie Hilflosigkeit“. Wir können schauen, wem wir konkret helfen können.

2.
Gedankenanstoß 2: Lasst uns darauf achten, dass wir die Versprechen der Bibel nicht vergessen! Der Jüngling im Grab wiederholt den Frauen gegenüber ein Versprechen Jesu. Jesus hatte den Jüngern in Mk 14,28 versprochen: Wenn ich… auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa“. Der Bote im Grab sagt: „Jesus wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“.

 „Die Frauen und die Jünger vergessen, was Jesus ihnen versprochen hat. Im entscheidenden Augenblick denken sie nicht daran. Wir verstehen sie gut. Wir sind genauso. „Wir haben durchaus unseren Glauben an Gottes Macht – aber im entscheidenden Augenblick, im Ernstfall, wird uns nicht einmal bewusst, dass es jetzt zu glauben gälte“. (Theo Brüggemann, in: Worauf es ankommt, 3. März).

3.
Gedankenanstoß 3: Es gibt aus der Tradition der Kartäuser eine entscheidende Erkenntnis, eine grundlegende Unterscheidung: „Wir suchen nicht mehr die Freude, die der Herr schenkt. Wir suchen den Herrn, der die Freude schenkt“. Wir können das durchdenken: Wir suchen nicht mehr das Glück, den Frieden, die Geborgenheit, den Trost, die Hoffnung, die der Herr schenkt. Wir suchen den Herrn, der Glück, Frieden, Geborgenheit, Trost und Hoffnung schenkt. Wir suchen nicht etwas, sondern den Auferstandenen.

4.
Gedankenanstoß 4: Wir müssen diese Osterbotschaften weitersagen: Unsere Mitmenschen haben Zuversicht verdient. Wir Christen sind ihnen den Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe schuldig. Es gibt immer einen Petrus, der schuldig geworden ist an Gott und der dringend die Botschaft braucht: Der Herr sucht Dich! Gerade Dich! Du bist nicht ausgeschlossen! Amen!