Offenbarung 21,1-7 – Die Aussicht auf das gute Ende – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung

Hoffnung blendet die Realität nicht aus. Solange man glauben kann, dass es irgendwann Erlösung gibt, brennt bei aller Dunkelheit ein Licht“. „Hoffnung ist eine unglaubliche Ressource“, dunkle und schwierige Zeiten durchzuhalten. (Evelyne Baumberger)

Das gilt im Blick auf Corona. Das gilt im Blick auf persönliche Probleme, auch ohne Corona. Das gilt im Blick auf die Erde, die Welt, die Menschheit.

Unser Predigttext macht uns Hoffnung und begründet unsere Hoffnung.

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! 6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Ist das Wunschdenken? Ist das Jenseitsvertröstung? Wie es dem Christentum oft vorgeworfen wird!

Robert Spaemann sagt einmal zum Vorwurf der Jenseitsvertröstung: „Ja, die christliche Hoffnung tröstet, indem sie vertröstet, indem sie auf den Tag verweist, an dem alle Tränen getrocknet werden. Aber ist es nicht so in unserer Welt bei allen Heilungen, bei allen Krankheiten: Ein Kranker wird getröstet, indem er vertröstet wird. Nach dieser, vielleicht schmerzhaften Behandlung wird es besser. Ein Vorwurf wäre an diese Vertröstung nur zu richten, wenn die Zukunftsaussicht, die man ihr gibt, eine Illusion wäre.“

 

B.

I.
Die Zukunft der Erde

1.
Wir lesen in 1 Mose in der Geschichte von der Sintflut: „Ich will zukünftig nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen… Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe“ (Gen 8,21). „Ich richte meinen Bund so mit euch auf, dass zukünftig nicht mehr alles Fleisch zerstört werden soll durch die Wasser der Sintflut.“

Das heißt: Wir Menschen leben immer schon und nie anders als Davongekommene. Der Untergang liegt immer schon hinter uns.

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde… Siehe, ich mache alles neu!“

Gott macht seine Erde nicht kaputt. Er lässt sie sich auch nicht kaputt machen. Gott bewahrt die Erde nicht nur. Er repariert nicht nur. Er flickt sie nicht nur. Er verwandelt sie. Er macht sie neu.

Die Erde ist ein Teil von Gottes wunderbarer Schöpfung und sie wird ein neues Teil von Gottes herrlicher neuer Schöpfung sein.

2.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen…

„Es geht nicht darum – und es ist auch nie darum gegangen – , dass der Himmel die vollkommene Welt ist, in die wir eines Tages vielleicht umziehen werden, und die Erde der heruntergekommene, zweitklassige, vorübergehende Aufenthaltsort, den wir eines Tages dankbar und für immer verlassen werden.“ Nicholas Thomas Wright, Offenbarung, S.215

“Die Bibel lehrt, dass nach diesem irdischen Leben nicht ein abstrakt-körperloses Paradies kommt, sondern ein neuer Himmel und eine neue Erde. In Offenbarung 21 werden die Menschen nicht aus der Welt in den Himmel ‘da oben’ versetzt, sondern der Himmel kommt herab und reinigt, erneuert und heilt diese materielle Welt“ Timothy Keller, Warum Gott?, S.58

3.
Und was wird die Mitte, das Zentrum, das Herz der neuen Erde sein?

Gott wird unter uns wohnen. Dann wird alles ganz anders sein: Ich darf bei und neben und mit Gott wohnen und leben. Ich darf bei Gott zuhause sein.

Das heißt: Keiner wird mehr sagen können: Ich kenne Gott nicht. Keiner wird mehr sagen müssen: Ich leide an seiner Verborgenheit. Ich bin angefochten.

 

II.
Die Zukunft des Lebens

1.
Das Meer ist nicht mehr

Das ist kein Horrorszenario für alle Schwimmer, Taucher, Segler und Surfer!

Meer ist in der Bibel auch ein Symbolwort. Was meint die Bibel mit diesem Symbolwort?

a.
In 1 Mose 1,2 ist die Rede von der Tiefe, von einem Wasser, das für das Bedrohliche und Chaotische steht, gegen das Gott die Schöpfung macht und die Schöpfung erhält.

In Ps 74,13 ist die Rede davon, dass es im Meer angsteinflößende, gefährlichem, grausame Drachen gibt.

In Offb 13 entsteigt aus dem Meer das inhumane, grausame, brutale antichristliche Tier.

b.
Wir ahnen, was das Judentum mit dem Begriff Meer verbunden und verstanden hat.

Meer ist der Inbegriff des Unheimlichen und Unberechenbaren. Meer steht für alles, was der Mensch nicht durchschaut und nicht im Griff hat, nicht beherrscht.

Meer steht für Angst und Lebensgefahr. Im Meer ertrinken Flüchtlinge. Im Meer gehen Schiffe und Boote unter. Wellen bedrohen und gefährden das Leben. Es gibt unzählige tragische Meeres-Geschichten.

Meer steht für das Becken der Geschichte, das nie Ruhe gibt, aus dem immer wieder unheimliche, Angst und Schrecken verbreitende Unwesen entsteigen.

c.
Und jetzt heißt es: Das Meer ist nicht mehr. In der neuen Welt gibt es nichts mehr, was unser Leben bedroht und gefährdet. Es gibt nichts mehr Unberechenbares und Chaotisches. Es gibt keine tragischen Geschichten mehr im Zusammenhang mit dem Wort Meer oder Wasser.

 

2.
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen

a.
In dem Roman von Fjodor Dostojewskij „Die Brüder Karamasow“ kommt es zu einem denkwürdigen Gespräch zweier Brüder. Der eine, Aljoscha, ein Christ. Der andere, Iwan, ein leidender Atheist.

Hier ein Auszug aus dem Gespräch:

Erklärst du mir auch, warum du die Welt nicht hinnimmst?, fragte Aljoscha.

Natürlich werde ich dir das erklären… Ich hatte vor, von dem Leiden der Menschheit im allgemeinen zu sprechen, aber wir wollen uns auf das Leiden der Kinder beschränken… Ich bin … Liebhaber und Sammler von gewissen Fakten, die ich, du wirst es kaum glauben, aufschreibe und aus Zeitungen und Erwählungen sammle…“

Und dann zählt Iwan auf: Beispiele unsäglichen Leids von Kindern. Nichts Erfundenes. Alles real. Ich habe sie beim ersten Lesen schwer verkraftet. Sie gehören hier nicht her…

Iwan kommt zu folgendem Fazit: „Du musst wissen, dass es auf Erden ohne Absurditäten nicht geht… Ich will bei den Tatsachen bleiben. Ich habe mir schon lange vorgenommen, nicht zu verstehen… Ich habe mich nur auf die kleinen Kinder beschränkt, damit es möglichst anschaulich ist. Von den übrigen menschlichen Tränen, mit denen die ganze Erde, von der Rinde bis zum Mittelpunkt, getränkt ist, sage ich kein Wort.“ Fjodor Dostojewskij, Brüder Karamasow, S. 380-393

b.
Die ganze Erde ist getränkt mit den Tränen kleiner Kinder, mit den Tränen von Menschen.

Auf der ganzen Erde gibt es das Meer in den Augen, wie die Juden sagen. Die Tränen sind das bittere Salzwasser in den Augen.

c.
In diese Realität spricht unser Predigttext hinein: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Und Gott selbst, Gott persönlich wird jedem Menschen die Tränen aus den Augen wischen. Das ist Chefsache! Das überlässt er keinem Engel. Jeder Leidende erfährt diese Behandlung.

d.
Gott wird dafür sorgen, dass „der Tod… nicht mehr sein“ wird.

Der Tod ist der Feind des Lebens. Er ist das eigentliche Unglück. Er ist das Urproblem. Er macht alles kaputt

Der körperliche, biologische Tod wird nicht mehr sein.

Der Tod der Beziehungen wird nicht mehr sein.

Der Tod der Liebe, der Barmherzigkeit, der Mitmenschlichkeit… wird nicht mehr sein.

Der Tod der Hoffnung, der Tod des Lebensmutes, der Tod der Lebensfreude wird nicht mehr sein.

Weil aber Gott den Tod eliminiert, werden die Folgen und Auswirkungen des Todes auf den Menschen auch aufhören, endlich aufhören:

Leid, das ich erleide, wird nicht mehr sein. Das Leiden an mir selbst wird nicht mehr sein. Leid, das ich zufüge, wird nicht mehr sein. Leid, das ich im Gewissen trage, wird nicht mehr sein.

Geschrei, Hilfsschreie, Schreie aus Ohnmacht und Hilflosigkeit, Angstschreie, Verzweiflungsschreie, Wutschreie… werden nicht mehr sein.

Körperliche Schmerzen, psychische Schmerzen, seelische Schmerzen werden nicht mehr sein.

 

III.
Unsere Zukunft. Deine und meine Zukunft.

6b Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

1.
Die Bibel beschreibt uns Menschen als Durstende. Wir sind Wesen des Durstes, des körperlichen und des existentiellen Durstes. Unser Durst muss gestillt werden. Eher gibt er keine Ruhe. Eher können wir keine Ruhe geben. Wir sehnen uns nach Erfüllung unseres Durstes. Es geht nicht anders.

In unserem Zusammenhang ist unser Leiden am Leben und am Tod gemeint. Mit dem Wort Dürsten ist hier das notvolle und mühselige Leben der Glaubenden angesprochen. Christen erleiden wie alle anderen Menschen ein beschwerliches, schwieriges und zum Teil absurdes Leben.

Aber Christen erleiden zusätzliche Belastungen und Nöte, die ein Nichtglaubender so nicht hat und kennt: Christen erleiden die Reaktionen der Nichtchristen auf ihr Christsein. Diese Reaktionen reichen vom Nichtverstehen bis hin zur Verfolgung. Christen können ihre Fragen an Gott und dessen Schweigen erleiden. Sie können also Gott selbst erleiden: sein Verhalten, seine Zulassungen, sein Nichthelfen.

Dann sind Christen Durstende. Es dürstet sie, es quält sie der Durst nach Trost, nach Hoffnung, nach Tragekraft, nach Glaubenskraft, nach Sinn.

2.
In diesen Durst hinein schenkt Gott uns durch unseren Predigttext diese Verheißung: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

Gott ist mitten in diesen schwierigen und dunklen Phasen und Zeiten da, dabei, bei uns. Er stillt unseren Durst nach erfüllten Leben – auch wenn unser Leben eingeschränkt ist, auch wenn viele unserer Wünsche nicht in Erfüllung gehen.

Gott stillt unseren unglaublichen Durst nach Trost.

Er stillt unseren unglaublichen Durst nach Hoffnung. Einmal wird das kommen, was unser Text uns verspricht.

3.
Unser Text sagt: Wer überwindet, der wird es alles ererben.

Man kann das griechische Wort mit „siegen“ übersetzen. Aber ich halte die Übersetzung mit dem alten deutschen Wort „überwinden“ für angemessener und besser, weil sie etwas Wichtiges über das Christsein sagt: Zum Glauben gehört das Kämpfenmüssen. Der Christ stößt auf Hindernisse und Widerstände. Er muss durch Durststrecken, Wüsten und Nächte hindurch.

Aber, aber…!

Es heißt in 1 Joh 5,4: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Es heißt in 2 Ptr 1,3: Alles hat uns seine Kraft geschenkt.

Es heißt in Phil 2,13: Gott wirkt in uns beides: das Wollen und Vollbringen.

Das heißt: Wir verlassen uns in unseren Kämpfen nie auf unsere Kräfte (Willenskraft, Tragkraft, Entschiedenheit, Geduld, Treue…), wir verlassen uns auf die Möglichkeiten Gottes, wir verlassen uns auf den Willen Gottes, uns den Sieg zu geben.

 

C.
Eine Überlegung zum Schluss: Wenn das stimmt, muss dieses gute Ende unseren Weg zu diesem wunderbaren Ziel bestimmen.

1.
Ich weiß nicht, ob Sie die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling kennen. Kling unterhält sich mit einem philosophischen Känguru über das Leben, über Gott und die Welt. Einmal sagt das Känguru: Wenn das Ziel eine lustige Gesellschaft ist, dann muss der Widerstand gegen das Jetzige, dann muss der Weg dorthin auch schon lustig sein. 

Es geht mir nicht darum, dass wir auf Befehl lustig sein sollen. Es geht um die Überzeugung, dass ein Ziel den Weg prägt und prägen muss. Das hat nämlich das Känguru aus der Bibel. Das ist ein alter biblischer Grundsatz.

Wenn Paulus in Röm 14,17 sagt: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist“, dann muss der Weg der Kirche, dann muss der Weg einer Gemeinde, dann muss unser persönlicher Weg dorthin auch Gerechtigkeit und Friede und Freude sein.

2.
Wenn Gott einmal alle Tränen abwischen wird, dann ist es die Aufgabe der Kirche, sich um die Weinenden zu kümmern!

Wer das glaubt, wer das hofft, der lebt heute schon anders: Der wischt heute schon Tränen ab. Der kämpft heute schon gegen Leid, Geschrei, Schmerz und Unrecht, gegen diese Vorboten des Todes. Wer auf die neue Welt hoffen kann, der investiert sich in die alte!

Gottes großes Taschentuch macht Mut, uns als kleine Taschentücher zu investieren.