Psalm 121 – Gott begleitet, beschützt und hilft uns in unsicheren und schweren Zeiten – Von Thomas Pichel

A.
Das Leben ist widersprüchlich

Es ist schön. Es ist anstrengend und schwer. Es ist unsicher. Es ist voller Gefahren.

Der Psalm 121 befasst sich mit dem anstrengenden, unsicheren und gefahrvollen Leben.

Ein Wallfahrtslied.

1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt vom HERRN,
der Himmel und Erde gemacht hat.
3 Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
4 Siehe, der Hüter Israels
schläft und schlummert nicht.
5 Der HERR behütet dich;
der HERR ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6 dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
7 Der HERR behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
8 Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!

 

B.

I.
Einleitung und Einführung

1.
Der Psalm 121 ist ein Wallfahrtslied. Man sang und betete ihn, wenn man nach Jerusalem pilgerte bzw. wenn man von Jerusalem wieder heimwanderte.

Die Strophen 1-2 sind ein Selbstgespräch, eine Selbstermutigung.
Die Strophen 3-8 werden von einem Chor dem Wallfahrer, Wanderer, Reisenden zu gesungen. Es ist ein Lied der Ermutigung. Natürlich kann ich auch mir selbst diese Ermutigung unterbreiten.

Die Strecke von und nach Jerusalem war eine Problemzone. Man musste durch das judäische Bergland hindurch. Diese gebirgige Steinwüste hatte man immer vor sich. Egal, ob man nach Jerusalem wollte oder von Jerusalem wieder heim wollte. Das war kein Spaziergang. Das war ein Weg voller Unsicherheiten und Gefahren. Man wusste nie, was einen erwartete.

Ein Problem war schon das Gelände. Anstiege und Abstiege. Es gab also die Gefahr, zu verunfallen oder abzustürzen.

Ein Problem waren die Temperaturen. Klirrende Kälte in der Nacht. Brutale und brütende Hitze am Tag. Es gab also die Gefahr der Erschöpfung, die Gefahr zu dehydrieren, die Gefahr eines Sonnenstichs oder Hitzschlages.

Ein Problem waren Tiere. Es gab die Gefahr, von Giftschlangen gebissen und von Wölfen attackiert zu werden.

Ein Problem waren rücksichtslose Gewaltmenschen, die Reisende überfielen und ausraubten.

Es gibt also Gefahren für Leib und Leben und damit auch für die eigene Seele, die unsicher und ängstlich um diese Gefahren weiß und damit klar kommen muss.
Man weiß nicht, was auf einen zukommt, ob alles gut geht, oder ob etwas passiert.

 

2.
Wie ist das heute in Israel? An welchen Anlässen wird der Psalm 121 heute in Israel gebetet und gesungen?

An manchen Festtagen des jüdischen Kalenders. Aber auch am Sabbat-Ende, wenn man aus dem Feiertag „ausgeht“ und in den Alltag „eingeht“.

Im Alltag, wenn man das Haus verlässt und sich auf Reisen begibt: Herr, behüte meinen Ausgang aus der Wohnung und meinen Eingang in das Auto, in das Flugzeug, in das Hotel, in die neue Stadt.

An Sterbebetten und auf Beerdigungen wird Psalm 121 gebetet: Gott behüte deinen Ausgang aus dieser Welt und deinen Eingang in die Welt Gottes.

 

3.
Wir können den Psalm 121 leicht auf unsere große Lebensreise, aber auch auf unsere vielen kleinen Reisen übertragen.

a.
Wir leben ein Leben voller Unsicherheiten. Was kommt da auf mich zu? Was blüht mir da? Was erwartet mich? Was werde ich erleben, vielleicht durchmachen müssen? Werde ich durchkommen? Werde ich ankommen? – Was machen diese Unsicherheiten mit mir? Wie beeinflussen und verändern sie meine Seele?

Es gibt so vieles, was wir nicht unter Kontrolle haben, was uns verunsichert und ängstlich macht: das Klima, Corona, die Katastrophen, die Risse in den Gesellschaften. Woher kommt mir Hilfe?

b.
Es gibt diese endlose anstrengende und ermüdende Steppe des Alltages mit den 1000 Aufgaben, Terminen und Erwartungen. Woher kommt mir Hilfe?

c.
Es gibt viele Unfall-Gefahren für uns. Zuhause. Auf der Straße. Am Arbeitsplatz. Am Spielplatz. Woher kommt mir Hilfe?

d.
Es gibt unsere Problem-Berge, die wir vor uns herschieben. Woher kommt mir Hilfe?

Es gibt die Schicksalsschläge. Woher kommt mir Hilfe?

Es gibt das Krebs-Hochgebirge, wo ich nicht weiß, ob und wie ich oder geliebte Menschen durchkommen. Woher kommt mir Hilfe?

e.
Es gibt Schlangen auf zwei Beinen, deren Worte Gift für unsere Seele sind. Es gibt Wölfe auf zwei Beinen, die ihre Anliegen durchdrücken und andere zu ihren Opfern machen, die andere schwer misshandeln, missbrauchen und verletzen. Woher kommt mir Hilfe?

 

II.
Zusage und Zusicherung: Meine Hilfe kommt vom Herrn

1.
Was will dieser Psalm? Wozu ermutigt er uns? Wozu will er uns motivieren?

Wir sollen nicht naiv, sondern nüchtern sein. Das Leben ist, wie es ist: schön, schwer, unsicher und lebensgefährlich, aber auch gefährlich für unsere Seele.

Wir sollen nicht – wie das Kaninchen auf die Schlange – auf unsere Aufgaben- und Problemberge starren (und uns davon lähmen lassen), sondern wir sollen unser Augenmerk auf den Herrn richten. Wir sollen uns auf den Herrn fokussieren. Denn der Herr ist immer noch größer.

Der Psalm verspricht uns: Gott begleitet, behütet und hilft uns. Er ist unser Reisebegleiter. Er ist unser Reisehelfer. Auf jeder kleinen Fahrt und Reise. Auf unserer Lebensreise.

Dieses Wort Gottes sagt uns: Vergiss in keiner Situation Deinen Herrn! Du bist nie allein unterwegs! Übersieh‘ ihn nie! Lass Gott nie außer Acht! Vertraue Ihm! Rechne mit ihm! Unterschätze seine Möglichkeiten nicht!

 

2.
Der Psalm will, dass wir an Gott glauben, dass wir seine Zusagen und Zusicherungen glauben. Schauen wir uns drei Zusagen und Zusicherungen des Psalms näher an. Die Logik dabei ist wie immer in der Bibel: Gott ist so und so. Er tut dies und jenes. Deshalb können wir ihm vertrauen.

(1)
Da ist die Zusage: Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

 Gott ist unser Reisegefährte und Reisebegleiter. Er ist der Schirmherr unserer Lebensreise, aber auch der vielen kleinen Reisen, aus denen unser Leben besteht: in die Schule, in die Arbeit, zum Arzt, in ein schwieriges Gespräch, in den Urlaub…

Gott ist kein Papiertiger, der nach dem Schein stark ist, der sich einflussreich gibt, aber bei genauer Betrachtung in Wahrheit keine Bedeutung und Macht hat, sondern handlungsunfähig und schwach ist.

Gott ist der Schöpfer. Was heißt das hier? Wer Himmel und Erde erfinden, machen und werden lassen konnte, der hat auch alle Kraft und jede Möglichkeit, mir, einem seiner Geschöpfe, zu helfen.

Es gibt keine Situation, in der Gott macht- und hilflos wäre. Es gibt keine Situation, die für Gott ein geschlossenes System darstellen würde, in das er nicht eingreifen könnte.

Das ist für uns von großer Bedeutung, wenn unser Leben keiner schönen Wallfahrt bei herrlichem Sonnenschein gleicht, sondern eher einer ‚Qualfahrt‘ durch schwieriges Gelände, mal bei brütender Hitze, mal bei Sturm und Regen, mal auf eisigem Untergrund, mal im dichtem Nebel.

(2)
Da ist die Zusage: Der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand.

 Gott tritt zwischen die Sonne und dich. Gott tritt zwischen dein Problem und Dich. Er stellt sich schützend vor dich, neben dich, hinter dich. Je nachdem, wie Du es nötig hast.

Wie dein Schatten dir ein treuer Begleiter ist, so real und nahe ist Dir Gott. Lass dir nie die Gegenwart Gottes nehmen. Du wirst den lebendigen Gott erfahren!

Wie ein Schatten in brütender brutaler Hitze wohltuend ist, so wohltuend ist Gott für dich. Er wird so wohltuend sein, dass Lebenskräfte sich erholen, dass Du die Kraft findest, das dir Mögliche zu leisten. Vielleicht, dass du Dinge loslässt. Vielleicht, dass du Dinge wieder anpackst.

(3)
Da ist die Zusage: Der dich behütet, schläft und schlummert nicht.

Diese Aussage verstehen wir, wenn wir anschauen, wie die Menschen in Kairo, Athen, Rom und Kulmbach vor 3000 Jahren getickt haben. Man dachte sich die Götter sehr menschlich; natürlich etwas stärker und mächtiger als wir; aber uns doch sehr ähnlich.

Wenn ein alter Grieche oder Franke damals Hilfe suchte und brauchte, lief in seinem Kopf folgender Film ab: Ich muss das Interesse und die Aufmerksamkeit der Herrschaften gewinnen. Etwas, nein viel spenden z.B. Besonders lieb und anständig sein z.B. Aber hoffentlich komme ich nicht ungelegen. Hoffentlich störe ich sie nicht in ihrem Mittagsschlaf. Die benötigen auch Erholungs- und Verschnaufpausen. Außerdem feiern die viel und gerne. Und wenn man dann stört, reagieren die not amused. Dann kann ich das mit der Hilfe vergessen. Im Gegenteil: Dann muss ich auf der Hut sein vor ihren Wutausbrüchen!

In diese Überlegungen und Befürchtungen hinein redet der Psalm 121: Die Logik ist: Halleluja, unser Gott ist so nicht!

Gott muss sich nicht erholen. Er braucht kein Nickerchen, kein powernapping, keine Pausen, Seine Kraft verbraucht sich nicht. Er ist nicht wie wir Menschen. Er ist nicht wie die damals geglaubten und gefürchteten Götter, diese Papiertiger und Problembären!

Du musst nicht erst die Aufmerksamkeit Gottes für Dich wecken. Du musst dich nicht interessant machen. Du musst ihn nicht motivieren, Dir zu helfen. Denn Du bist ein Kind seines Interesses, seiner Aufmerksamkeit und seiner Liebe.

Hab keine Angst! Du störst Gott nicht! Du gehst ihm nicht auf den Zeiger, auf den Senkel, auf den Wecker! Du nervst nicht! Er wird deiner nicht müde, leid und überdrüssig!

 

 

III.
Auswertung und Anwendung

1.
Dieser „Psalm ist keine Lebensversicherung. Die Logik des Textes heißt nicht: Wer diesen Psalm aufrichtig betet, dem kann nichts mehr passieren. Es kommen auch gläubige Menschen zu Schaden, die diesen Psalm vertrauensvoll gebetet haben.“ (Reinhard Deichgräber, Tage der Einkehr mit biblischen Geschichten, S.49). Wobei wir alle unzählige Male Bewahrung erleben. Und wie oft werden wir es gar nicht bemerken.

Der Psalm will etwas anderes. Er sagt uns etwas Wichtiges über uns selbst. Wenn wir durch unser Gebirge durchmüssen, wenn unser Leben anstrengend und schwer ist, wenn unser Leben unsicher ist, wenn unser Leben gefährdet ist, dann müssen unsere Seele und unsere rechte Hand vor allem Übel behütet werden.

Wir können uns das mit folgender Ursache-Wirkungs-Kette klar machen:

(1) Es gibt mögliche oder tatsächliche Probleme und Gefahren.
(2) Wie wirken sich diese auf meine Seele, meine Psyche, auf meine Lebensenergie, aber auch auf mein Vertrauen zu Gott aus? Welche Ängste lösen sie aus?
(3) Welche Folgen haben diese Angst-Grübeleien auf mein Verhalten Gott gegenüber? Welche Verhaltensweisen diktieren meine Ängste in mein Heft des Handelns? Was machen meine Ängste mit mir? Zu welchen Handlungen führen sie? Zu welchen Veränderungen führen sie in mir? Welchen Menschen machen sie aus mir?

 

Lasst uns deshalb unserer Seele Beter sein! Aber natürlich auch Beter für andere Menschen.

Herr, behüte meine Seele, dass ich nicht blind und gleichgültig werde für Dich, dass ich nicht den Glauben verliere, die Freude, Christ sein zu dürfen, dass ich nicht das Gebet aufgebe…

 Herr, behüte meine Seele, dass mein Fuß nicht gleite in die Gleichgültigkeit, in die Resignation, in die Bitterkeit.

 Herr, behüte meine Seele, dass meine Ängste mich nicht lähmen, so dass ich nichts mehr anpacke und mich vom Leben zurückziehe, dass meine Ängste mich nicht in hektische und stressige Aktivitäten hineintreiben, dass meine Ängste mich nicht verleiten, viel zu oft zur Flasche zu greifen, um meine innere Unruhe zu betäuben.

Herr, behüte meine Seele, dass ich nicht in den Abgrund aus Neid und Wut, aus Angst und Hass stürze, dass ich nicht, weil ich mich unsicher und angegriffen fühle, selbst zur Schlange oder zum Wolf werde.

 

2.
Ich habe eine Negativ-Liste im Kopf und im Herzen.

Da sammle ich Übel. Übel, die mir zu schaffen machen, mich verunsichern, Angst einjagen, mich einschüchtern wollen. Übel, wo ich Gottes Schutz und Hilfe erbete und ersehne.

In dieser Liste steht natürlich derzeit Covid 19. Für die einen ist Covid 19 eine Hügellandschaft, durch die sie gut durchkommen. Für andere ist Corona aber der Himalaya, der ihnen sehr viel abverlangt. Und nicht wenige verlieren in diesen 8000ern ihr Leben.

Corona steht aber ein zweites Mal in meiner Liste. Als Übel. Als übler Spaltpilz. Es spaltet und trennt die Menschen voneinander. Selbst in christlichen Gemeinden. Bis in die Familien hinein. Es gibt üble Gräben und Mauern zwischen den eher Ängstlichen, den wenig Ängstlichen und den zu Sorglosen. Die Verschwörungstheoretiker braucht man für dieses Übel gar nicht.

 

3.
Ich habe eine Positiv-Liste im Kopf und im Herzen.

In Spalte 1 stehen Namen von Menschen, die meine Lebensreise begleiten und mich ermutigen. Menschen, die mir zur Seite stehen, die mir sehr oft, immer wieder, in unterschiedlichsten Situationen geholfen haben und wieder helfen werden.

In Spalte 2 stehen Namen von Menschen, denen ich zur Seite stehen will; denen ich helfe, soweit es mir möglich ist; die ich ermutigen will, Jesus nie zu übersehen und nie unterschätzen.

 

4.
Ich habe eine sehr wertvolle Bilderausstellung im Kopf und Herzen.

Bilder vom Hüter Israel. Diesen Hüter Israels nehme ich ernst und nehme ich froh! Ihn bete ich an! Ihn lobe ich! Ihm vertraue ich.

Der Hüter Israels ist unser Reisebegleiter, Reisebehüter und Reisehelfer.

Es ist der Gott, der schon Abraham, Isaak und Jakob, Mose und David, Ruth, Esther und Maria begleitet und geholfen hat.

Es ist der gute Hirte aus Psalm 23, der im finstern Tal bei uns ist.

Es ist der gute Hirte aus Johannes 10, unser Herr Jesus Christus: „Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“. Er begleitet uns. Er beschützt uns. Er hilft uns.

Deshalb ermutige ich uns: Machen wir unser Ding! Tun wir, was uns möglich ist! Gott segnet und behütet unsere rechte Hand: unsere Aktivitäten, unsere Tatkraft, unsere Energie, unsere vielen tausend Handgriffe… Dass wir unser Leben anpacken – im Vertrauen auf Gott. Dass wir nicht versäumen, was uns möglich ist.

Aber wenn “Angst essen Seele auf” (Filmtitel), wenn wir nicht klar kommen mit unseren Ängsten, wenn sie uns lähmen, stressen, verführen, wenn sie Ungutes in uns wecken, dann kann und will Gott uns vor uns selbst schützen.

Aber wenn unsere Seele müde wird, Gott wird nicht müde. Er tut sein Werk an uns, in uns und für uns.

Wenn unsere Hände schlaff und schlapp sind, sind es seine Hände nicht.

Wenn uns die Hände gebunden sind, sind es seine nicht.