Vaterunser VIII – Unsere Erlösung – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung

1.
Jahrhundertelang haben Christen, deren Muttersprache Deutsch war, gebetet: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Martin Luther legt diese Bitte in seinem Kleinen Katechismus so aus: „Wir bitten in diesem Gebet…, dass uns der Vater im Himmel von allerlei Übel an Leib und Seele, Gut und Ehre erlöse und zuletzt, wenn unser Stündlein kommt, ein seliges Ende beschere und mit Gnaden von diesem Jammertal zu sich nehme in den Himmel.“

Kann es sein, dass diese Sätze durch die Ereignisse der letzten Monate für uns wichtiger und nötiger sind, als es uns lieb ist? Eine Pandemie verändert unser Leben. Wassermassen zerstören ganze Städte. Wälder brennen. Eines der ärmsten Länder der Welt, Haiti, erleidet das x-te Erdbeben.  Ein ganzes Land fällt in die Hände von Extremisten. Tierarten sterben aus. Menschen leiden an Unfällen, Krankheiten und Schwächen. Ja, Herr, bitte, erlöse uns von dem Übel! Warum, Herr, erlöst Du uns nicht von unserem Übel? Ach, Herr, wie lange…?

2.
Man kann das griechische Wort auch mit schlimm, schlecht oder übel übersetzen. Dennoch ist die Übersetzung mit “Bösen” zutreffender. Warum?

a.
Einmal vom Zusammenhang her innerhalb des Vatersunsers. Es heißt ja: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Wir Menschen müssen bewahrt werden vor allen Versuchen des Versuchers, uns von Gott zu trennen, unseren Glauben kaputt zu machen. Gott kann uns der Stunde der Versuchung, wo unser Glaube auf dem Spiel steht, bewahren. Der Vater selbst kann unsere Gottesbeziehung retten und durchbringen.

b.
Zum anderen von der Botschaft des Neuen Testaments her, dass jeder Mensch von seinem ‚bösen Dichten und Trachten seines Herzens‘ (siehe 1 Mo 6,5 + 8,21) erlöst werden muss, aber auch erlöst werden kann.

Die Erlösungsbotschaft der Bibel ist Evangelium, ist eine gute Nachricht! Erlösung – was für ein Wort, was für eine Botschaft, was für eine Hoffnung, was für ein Trost!

Die Bibel spricht von unserer Erlösung, d.h. von unserer Veränderung. Sie spricht von der wunderbaren Möglichkeit, ein anderer Mensch zu werden. Es ist die Botschaft, dass ich von mir selbst erlöst werden kann.

c.
Die Bibel spricht von der Erlösung dieser Welt. Sie spricht von der Rettung und Erneuerung dieser alten leidenden und seufzenden Erde (siehe z.B. Rö 8,18-25)

3.
Wenn wir uns mit der heutigen Vaterunserbitte befassen, dürfen wir zwei Tatsachen nicht verschweigen.

Die erste Tatsache ist die furchtbare Schuld der Kirche als Täterin des Bösen. Wir müssen reden vom Tatort Kirche. Ich nenne stellvertretend drei Beispiele: (1) Die Schuld jeder Missionierung, die im Namen des Herrn auftrat, aber mit Zwang und Gewalt arbeitete und so unendlich viel Not und Leid über Menschen brachte. (2) Die Schuld der Kirche an den Juden. (3) Die Schuld von Kirchenmännern und Kirchenfrauen an Kindern durch unzähligen Missbrauch verschiedenster Art.

Die zweite Tatsache ist die furchtbare Schuld der Welt an der Kirche. Wir müssen reden von Staaten und Mächtigen als Täter des Bösen, die Gläubige unterdrücken und verfolgen.

 

B.
Predigt

I.
Unser Erlöser, unsere Erlösung

1.
Gott, unser Schöpfer und Vater, hat in unser Leben eine grundlegende Unterscheidung eingeschrieben, die wir kennen und beherzigen müssen.

Es gibt den Bereich unseres Handelnkönnens. Gott sagt hier zu uns: Mach‘ Dein Ding! Handle verantwortlich! Streng‘ Dich an! Hilf Dir selbst! Auf diese Art und Weise werde ich Dich segnen, so dass Du Gutes ernten und Ziele erreichen wirst!

Es gibt den Bereich der Hilfe. Ich kann einiges tun. Ich bin nicht ganz unfähig. Aber ich vermag es nicht ganz. Ich brauche Ergänzung. Ich brauche Hilfe.

Es gibt den Bereich der Rettung, der Befreiung, der Erlösung. Ich kann nichts tun. Ich bin hilflos, ohnmächtig, unfähig. Ohne das Eingreifen anderer bin ich aufgeschmissen und verloren.

2.
Unser himmlischer Vater ist unser Erlöser. Die Bibel stellt uns Gott als Erlöser vor.

Da sind die Ägypten-Erfahrung und die Babylon-Erfahrung Israels.

Da sind das Reich Gottes-Projekt und die Reich Gottes-Verheißungen. Gott verändert und erneuert diese Welt, seine Erde, seine Schöpfung, unser Leben.

Da ist die Geschichte von Kreuz u Auferstehung Jesu. Gott ist am Kreuz König geworden über die Mächte des Todes, der Sünde, den Bösen und das Böse. Wir können unser Herz nicht selbst erlösen. Aber Jesus hat den Willen und die Macht dazu!

3.
Das Projekt der göttlichen Erlösung hat drei Aspekte.

a.
Aspekt 1: Jesus hat uns von unserer Gottentfremdung, von unserer verlorenen Gottesbeziehung erlöst. Wir sind erlöst, wenn wir „in Christus“ sind, wenn wir mit Jesus leben, wenn uns das Evangelium um Glauben gebracht hat. Die Erlösung ist also etwas Ganzes. Das Johannes-Evangelium sagt: Wer glaubt, der hat das ewige Leben (Joh 6,47).

b.
Aspekt 2: Seitdem läuft der langsame Prozess unserer Erlösung. Unsere Erlösung ist ein Weg, auf dem wir uns verirren können, von dem wir abkommen können. Martin Luther sagt: „Ein Christ ist im Werden, nicht im Gewordensein!“ Henry Nouwen sagt: „Wer glaubt, dass er fertig ist, ist fertig. Wie wahr. Die, die glauben, dass sie angekommen sind, haben ihren Weg verloren. Die glauben, sie hätten ihr Ziel erreicht, haben es verpasst.“

Auf diesem Weg widerfährt uns Übles in Form von Not und Leid, in Form von traumatischen Erlebnissen… Hier beten wir: Erlöse uns von dem Übel.

Auf diesem Weg sind wir gefährdet, unseren Glauben wieder zu verlieren. Hier beten wir: Herr, bewahre uns davor, Dich zu verlieren. Aber auch: Herr, bewahre uns, dass wir uns verlieren. Herr, bewahre uns, dass wir unsere wichtigsten Beziehungen verlieren.

Auf diesem Weg verändert Gott uns, erlöst er unser Herz. Dietrich Bonhoeffer sagt: „Es ist ein stiller, ein wunderlicher, ein langsamer Weg, der durch Buße zur Erneuerung führt. Aber es ist allein der Weg Gottes“.

Denn es gilt, was Paulus in Rö 8,24 sagt: „Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung“. Es gilt, was Paulus in Phil 3 sagt: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin“.

c.
Aspekt 3: Die Erlösung wird einmal in der Ewigkeit vollendet werden. Wenn wir Jesus sehen werden (Joh 17,24). Wenn wir nicht mehr sündigen können. Wenn wir nicht mehr versuchlich sein werden. Wenn wir nicht mehr das Böse überwinden müssen (Rö 12,21). Wenn die große Trübsal vorbei ist (Offb 7,14). Wenn es „kein Meer“ (Offb 21,1), „keinen Tod und kein Leid“ (Offb 21,4), „nichts Verfluchtes“ (Off 22,3) und „keine Nacht“ (Offb 22,5) mehr geben wird.

 

II.
Der und das Böse

1.
Die Bibel redet sehr verschieden vom Bösen. Das griechische Wort kann maskulin sein. Dann heißt es „der Böse“. Es kann Neutrum sein. Dann heißt es „das Böse“.

Das Böse ist sowohl natürlich als auch übernatürlich, das Böse ist sowohl in uns wie außerhalb von uns, das Böse ist sowohl individuell als auch systemimmanent. Es gibt keine Möglichkeit, ihm völlig zu entkommen oder auch nur, es ganz zu verstehen“ (Timothy Keller, Der zugewandte Jesus, S.111).

Das Böse kann in seiner Brutalität offensichtlich sein. Es kann aber auch im Miteinander sehr subtil vorkommen. Es war z.B. in der banalen Pflichterfüllung vieler Deutscher in der Nazi-Zeit.

Eine Predigt kann der Frage nach dem Bösen nicht gerecht werden. Vieles Wichtige (Theodizee-Frage, Okkultismus…) bleibt außen vor.

2.
Ich möchte 5 Fragen zum Bösen stellen und zum Nachdenken anregen.

(1)
Wie sollen wir uns den Bösen vorstellen?

Als das Gegenteil des Vaters. Es ist m.E. kein Zufall, sondern von großer Bedeutung, dass im Vaterunser das erste Wort ‚Vater‘ und das letzte Wort ‚Bösen‘ lautet. Diese Anordnung verrät uns das Entscheidende über den Teufel. Er ist vom Vater meilenweit entfernt. Er ist das Gegenteil des Vaters. Er ist der Anti-Vater. Der Vater ist die verlässliche Wahrheit, die Liebe, das Leben, die Freude, das Glück. Der Teufel ist immer das, was am meisten all dem entgegengesetzt ist, wofür der Vater steht und was der Vater will. Er steht z.B. hinter den „Dämonien der Macht, der Sexualität, der Gewalt“ (Werner Grimm, Die Motive Jesu, S. 114).

Er ist ein Mörder und Lügner. Der Böse ist „ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er Lügen redet, so spricht er aus dem Eigenen; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge“ (Joh 8,44).

(2)
Wir sollen wir mit dem Teufel umgehen?

Die Bibel warnt uns (diesen Gedanken habe ich von C.S. Lewis) vor zwei Grundfehlern im Umgang mit dem Teufel. Über beide freut sich der Böse sehr.

a.
Der erste Grundfehler ist es, Gott und Teufel als zwei gleich starke Konkurrenten zu sehen, sich übermäßig mit ihm zu befassen, sozusagen an ihn zu glauben und Angst vor ihm zu haben.

Wenn wir vom Teufel reden, dürfen wir das nur mit Gott und von Gott her gesehen tun. Wir dürfen den Teufel oder Satan nie aufladen, nie überhöhen zu einem Konkurrenten Gottes oder eine Gefahr für Gott. Denn es gibt in der Bibel nur ein Machtzentrum. Es gibt nur einen, der alles in seiner Hand hat, und das ist Gott. Gottes Souveränität steht nie auf dem Spiel. Gott hat alles unter Kontrolle. Der Satan kann ohne Gottes Erlaubnis nichts ausrichten. Der Teufel hat keine eigenen, von Gott unabhängigen Entscheidungskompetenzen. Er kann nur tun, was Gott ihm zugesteht, erlaubt, zubilligt, einräumt.

b.
Der zweite Grundfehler ist, seine Existenz zu leugnen, die Realität des nicht-menschlichen Bösen überhaupt zu bestreiten oder zu verharmlosen.

„Wenn man die Vorstellung von Sünde, Satan und kosmischem Bösen aufgibt, dann hat jede böse Tat allein psychologische oder soziologische Ursachen. Und das verharmlost das Leiden der Opfer ebenso wie die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen ist“ (Timothy, Keller, aa0, S.114).

(3)
Was meint Jesus, wenn er uns „böse“ nennt (Luk 11,13)? Was ist das Böse, wozu wir fähig sind?

Laut Bibel ist das Ur-Problem unser Streben, wie Gott zu sein (1 Mo 3,5). „An der Wiege des Bösen… stehen… gemeinsam die menschliche Sehnsucht nach der göttlichen Macht, das Misstrauen gegenüber Gott und ein falsches Bild von Gott“ (Halik, Die Zeit der leeren Kirchen, S.38). Unser Herz denkt in Selbstbestätigung und Selbstdurchsetzung, in Rechthaben und Bessersein, in Machtstreben und Kontrolle, in eigener Größe, Maßgeblichkeit und Vollkommenheit. Das macht uns versuchlich. Das macht uns anfällig, Böses zu denken, zu reden, zu tun, oder gegen das Böse nichts zu unternehmen.

Das Böse, wozu wir fähig sind, ist immer das Gegenteil und die Verneinung des Guten. Im Blick auf die Demut ist es der Hochmut. Im Blick auf die Liebe ist es die Gleichgültigkeit oder der Hass. Im Blick auf das Lebensförderliche ist es das Lebenshindernde und – zerstörende. Im Blick auf das Richtige ist es das Unrechte. Im Blick auf das Wahre ist es das Unwahre, Unredliche, Hinterhältige. Im Blick auf das rechte Maß ist es das Unmaß, die Übertreibung, die Hemmungslosigkeit. Im Blick auf das Gesetz ist es die Übertretung, die Missachtung, die Auflehnung. Im Blick auf das Reine ist es das Schmutzige und Schlüpfrige.

(4)
Wo ist das Böse?

Wir müssen „mit dem Geschichtspotential des Bösen rechnen“ (Gerhard Lohfink, Gegen die Verharmlosung Jesu, S.117).

Es ist im Menschen. In der Passivität gegen das Böse. In der Gleichgültigkeit. In der Ablehnung anderer. Im Vorurteil. Im Neid. In der Eifersucht. In der Rachsucht. Im Hass. In der Herrschsucht. In der verbalen oder körperlichen Gewalt…

Es kann in Systemen sein. Das Böse war und ist in allen „Wahnsystemen der Macht“ (Lohfink, aa0), die einen totalen Anspruch auf den Menschen erheben und von religiöser, politischer, ökonomischer und militärischer Allmacht träumen. Das Böse war in der Inquisition, im Absolutismus, in der Sklaverei, in der Apartheid. Es war in den pervertierten Ersatzreligionen von Nationalsozialismus, Stalinismus und Maoismus. Es ist in Sozialdarwinismus, Patriarchalismus, Rassismus und Antisemitismus. Es ist im lupenreinen Kapitalismus. Es ist immer im Missbrauch der Religion. Es ist im internationalen Terrorismus.

(5)
Wie wirkt sich das Böse auf uns aus?

a.
Es ist Gift für unsere Beziehungen. Es zersetzt und zerstört Beziehungen. Die Beziehung zu Gott. Die Beziehung zu anderen. Die Beziehung zu uns.

b.
Es verursacht unendliches Leid und unglaubliches Leiden.

c.
Es verändert uns. Es macht etwas mit uns. Es hat negative Wirkungen auf uns. (Diese Gedanken habe ich von Romano Guardini.)

Der Mensch, der Böses tut, wird blind für sich selbst. „Diese Blindheit hat viele Gesichter: banale Vorurteile, Selbstgerechtigkeit, Selbstüberschätzung, grundsätzlich negatives oder positives Denken: Lauter Formen der Selbsttäuschung, für die die eigene Wahrnehmung und die Wirklichkeit nicht mehr unterscheidbar sind“ (Thorsten Dietz, Sünde, S.53).

Das Böse führt dazu, dass der Mensch den Bezug zu sich selbst verliert. Das Gefühl für die eigene Identität geht verloren. Der Mensch verlernt es zu sagen: Ich will das! Ich entscheide. Ich trage die Verantwortung. Ich urteile.

Das Böse schwächt den Verstand, den Willen, die Entschiedenheit Das moralische Urteilsvermögen des Menschen arbeitet nicht mehr gut. Der Mensch, der Böses tut, verlernt es zu sagen: Das ist so, nicht so! Das ist wahr. Das ist falsch. Das ist gut. Das ist nicht gut. Er verliert die Fähigkeit, Verantwortung zu fühlen. Er verliert die Kraft, Versprechen einzuhalten.

Das Böse raubt einem den Geschmack am Leben, die Freude am Leben. Die Lebenssuppe schmeckt fad und abgestanden. Das Gefühl stellt sich ein: Nichts lohnt sich. Nichts ist wichtig. Nichts berührt einen. Das Gefühl für Lebendigkeit geht verloren. Dafür wird man unsicher und ängstlich.

Das Böse verstrickt den Menschen, der Böses tut oder nichts gegen das Böse unternimmt. Das Böse ist eine Diktatur. Man wird unfrei. Man gerät in einen Bann, in Bindungen, in Abhängigkeiten. Man wird zu einem Gefangenen seiner selbst, zu einem Gefangenen seiner Lügen, seiner Gier, seiner Geltungssucht, seines Hasses… Man begreift: Das Böse steht nicht in unserem Belieben. Es hat Macht über uns. Das Böse ist eine Macht, die einzelne Menschen oder eine Gemeinschaft unterdrückt und tyrannisiert (nach Winfrid Härle, Dogmatik, S.511).

3.
Jetzt darf ich uns allen das Evangelium zusagen. Bitte glauben wir das!

Es gibt Rettung und Erlösung für uns in der Stunde der Versuchung, wo wir gefährdet sind, unsere Gottesbeziehung zu verlieren, bewahren kann. Gott selbst kann uns vor der Absage an Gott bewahren. Gott selbst kann unsere Gottesbeziehung retten, wo sie gefährdet ist.

Es gibt Rettung und Erlösung für uns, wo unser Herz gefangen ist in einer bösen Sache. Paulus sagt das ganz knapp in 1 Kor 1,30: Christus Jesus ist Dir von Gott gemacht zur Erlösung.

Und es gibt Hilfe für uns in schwierigen, ja ausweglosen Situationen. Dazu am Ende der Predigt ein Beispiel.


III.
Unser Leben mit Gott im Blick auf das Üble, das Böse und den Bösen

1.
Unsere Selbstseelsorge

Wir nehmen das Thema nur ernst, wir nehmen das Böse nur ernst, wenn wir unser Böses ernst nehmen.

Deshalb lasst uns unser Böses auf den Tisch legen!

Wer Sünde und Schuld nicht nennen kann, verspielt eine der wundervollsten Fähigkeiten, nämlich ‚das Recht, ein anderer zu werden‘ (Dorothee Sölle); das Recht, sich zu bekehren. Das Eingeständnis der Schuld ist der Abschied von der Selbstverholzung. Ohne Erkenntnis der eigenen Sünde setzt man sich selber fort, bis die letzte Freiheit verspielt ist. Man kann keine neuen Wege gehen, man kann nicht mit sich selber brechen, und so ist man ein Gefangener des eigenen kärglichen Herzens. Vor allem aber fordert die Blindheit sich selbst gegenüber Opfer. Das gepanzerte Ich walzt nieder, was sich ihm gegenüberstellt. Es kann sich nicht ganz verschweigen, dass es im Unrecht ist. Umso erbitterter hält es an sich selber und der eigenen Kärglichkeit fest, koste es, was es wolle… Wer Sünde nicht denken kann, der kann auch keine Veränderung wollen. Er hat keine Verantwortung sich selber, der Welt und Gott gegenüber; oder noch schlimmer und blasphemischer: Er hat seine Verantwortung an Gott selber abgegeben; klammert sich nur noch an die Versprechen Gottes und vergisst dessen Zorn.“  Fulbert Steffensky, gefunden bei Thomas Maier, Freundesbrief 4/2020 der Missionsschule Unterweissach, S.8

Beten wir treu für uns selbst! Z.B. Herr, bewahre mich vor der Stunde der Versuchung, wo mein Glaube, meine Beziehung zu Dir gefährdet sind, erlöse mich von meinem Bösen. „Darum also bitten wir zutiefst, dass uns der Glaube nicht entrissen wird, der uns Gott sehen lässt, der uns mit Christus verbindet. Darum bitten wir, dass wir über den Gütern nicht das Gut selbst verlieren; dass uns auch im Verlust von Gütern das Gute, Gott, nicht verlorengeht; dass wir nicht verlorengehen: Erlöse uns von dem Bösen“ (Benedikt XVI, Jesus von Nazareth I, S.201).

2.
Unser gemeinsames Leben

Wir sind eine Solidar- und Leidensgemeinschaft. Wir sind Weinepartner! Wir leiden gemeinsam, wenn jemand unter uns von einem Übel nicht erlöst wird.

Wir beten gemeinsam: Herr, erlöse von der Resignation, von der Verzweiflung, von der Angst, vom bösen Gewissen, von körperlichen Leiden, von einem bösen Menschen…

Wir feiern miteinander, wo jemand unter uns erlösende Erfahrungen machen darf. Wir sind Lachpartner!

Als Themenanzeige: Gewöhnen wir uns nie an das Böse! „Das Böse siegt über uns nicht nur dann, wenn wir seine Methoden übernehmen, sondern auch dann, wenn wir uns daran gewöhnen. Unsere Empfindsamkeit gegenüber dem Leid der anderen hört oft nach einiger Zeit auf, sofern dieses Leid uns nicht unmittelbar betrifft. Zu den gefährlichsten Versuchungen unserer Zeit gehören die Abgestumpftheit und die Gleichgültigkeit aufgrund der Übersättigung durch die Flut an Informationen“ (Tomas Halik, Die Zeit der leeren Kirchen, S.134)

3.
Unser Einsatz für alle Menschen

„Die Hauptanwendung schlägt sich vielmehr in einer Agenda nieder, welche die Menschen, denen vergeben wurde, zum Arbeiten bringt: Sie sollen die Bösartigkeiten der Welt im Licht des Sieges von Golgatha angehen. Diejenigen, die durch das Kreuz mit Gott ins Lot gekommen sind, sollen Menschen werden, die für die Welt die Aufgabe übernehmen, Dinge ins Lot zu bringen“ (N.T. Wright, Reich Gottes, Kreuz, Kirche, S.299)

Wir leiden mit allen Menschen mit und bezeugen die Erlösung und die Hoffnung des christlichen Glaubens. Wir erklären den Menschen, warum wir von Sünde und Schuld sprechen.

Wir kümmern uns um die, die unter mancherlei Übel leiden, die unter dem Bösen leiden. Und wir greifen dem Rad in die Speichen, d.h. wir setzen uns gegen Systeme ein, die Menschen unterdrücken und tyrannisieren.

Zum Schluss die angekündigte Geschichte. Es ist eine Erlösungsgeschichte, ohne dass alles gut wurde: Eine Frau, in einem afrikanischen Land, bekommt ein Kind. Wasserkopf. Diverse Behinderungen. Ihre Familie verstößt sie. Ihr Mann verlässt sie. Ein neuer Mann verlässt sie ebenfalls. Sie glaubt, verflucht zu sein. Sie lernt Missionare und Missionarinnen kennen. Ihr Kind wird operiert. Die Op ist erfolgreich. Die Grund-Behinderung bleibt. Sie findet Freunde. Jesus findet sie. Sie findet Jesus als Freund. Sie bekennt ihren Glauben an Jesus: Ich weine heute auch noch. Aber ich weine nicht mehr allein. Ich weine mit Jesus. Und er weint mit mir. Sie ist erlöst.  Von der Furcht, verflucht zu sein.