Offenbarung 21,1-7 – Weil Gott kommt – Von Thomas Pichel

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk (seine Völker!) sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! 6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. (Offenbarung 21,1-7)

 

Einleitung

1.
Staunen, sagt einmal Aristoteles, ist der Anfang, der erste Grund für die Philosophie. Staunen ist auch der Anfang des Vertrauens zu Gott. Vertrauen zu Gott kommt immer wieder neu aus einem Staunen über Gott.

2.
Natürlich kommen Fragen. Natürlich bleiben Fragen.

Fragen aus einer Verunsicherung heraus. Wie ist das mit dem Gericht, mit Nichtglaubenden, wie ist das mit Himmel und Hölle usw.? Das sind berechtigte und wichtige Fragen.

Fragen aus einem Nichtwissen heraus. Wie ist das mit den Weinenden? Wischt Gott nur die Tränen der Gläubigen ab?

Ich beschränke mich heute auf diesen Text, der zunächst in der historischen Situation angefochtene und leidende Christenmenschen trösten wollte.

3.
Die Predigt hat zwei Teile mit jeweils drei Punkten.

Im ersten Teil schauen wir auf die Botschaften dieses Textes.
Im zweiten Teil werten wir diese Botschaften aus. Wir fragen dann: Was bedeuten diese Informationen für unser Leben?

 

Teil 1 der Predigt

I.
Ich staune: Das Meer wird nicht mehr sein.

Ich lese den ersten Vers: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 

Mit Meer sind nicht unsere Lieblingsstrände auf dieser Welt gemeint. Meer ist ein Code-Wort, ein Signalwort, ein Symbolwort.

Meer steht für die Ur-Erfahrung des Menschen, dass es da keinen Weg gibt, dass man da nicht gehen kann, dass man da nicht weiterkommt.

Meer steht für die chaotischen, bedrohlichen und gefährlichen Kräfte in der Natur, die die Schöpfung und die Menschen bedroht, die Gottes Pläne mit der Welt bedroht, die auch Gottes Volk bedroht (nach N.T. Wright, Offenbarung, S.217). Überflutungen, Tsunamis, Welle auf Welle…

Meer steht für das, was man nicht durchschaut und nicht versteht. Meer steht für das, was man nicht in den Griff bekommt.

Meer steht für die Geschichte, in der immer wieder unheimliche Figuren auftreten. Sie sind Verkörperungen des Bösen. Es handelt sich um menschliche Machthaber und ihre Bewegungen, Parteien, Systeme. Sie sind: Gewissenlos. Skrupellos. Brutal. Rücksichtslos. Unmenschlich. Widergöttlich. Antichristlich. Die Bibel nennt sie Schlange, weil sie alles vergiften. Die Bibel nennt sie Drache, weil ihr Machtmissbrauch tödlich ist. Die Bibel nennt sie Tier(e), weil sie alles verschlingen, wofür Gott steht und wovon wir leben: das Gute und Schöne, das Recht und die Gerechtigkeit, die Wahrheit und die Liebe, die Freiheit und den Frieden.

Jetzt heißt es aber im Text: Auf der neuen Welt gibt es dieses Meer nicht mehr. In der neuen Welt gibt es nichts mehr, was unser Leben bedroht und gefährdet. Es gibt den Bösen nicht mehr. Es gibt das Böse nicht mehr. Es gibt keine Bösen mehr. Eines Tages wird es so sein: Gott hat alles Übel und das Böse abgeschafft.

 

II.
Ich staune: Der Himmel kommt auf die Erde.   

Ich lese die Verse 2 und 3: Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.

Ich muss zugeben, dass ich das Jahrzehnte lang gelesen, aber nicht verstanden habe: Ich hatte folgende Vorstellung: Die Erde sei ein heruntergekommener, zweitklassiger, vorübergehender Aufenthaltsort. Es gehe für uns alle darum, dass wir in den Himmel kommen, dass wir in die vollkommene Welt Gottes umziehen dürfen.

Diese zwei Verse sagen etwas Anderes. Wir werden nicht aus der Welt in den Himmel nach oben versetzt, sondern der Himmel kommt herab… und erneuert diese Welt (nach Timothy Keller, Warum Gott?, S.58). Es geht also nicht darum, dass wir von der Erde abgeholt und in den Himmel transportiert werden (nach Nicholas T. Wright, Offenbarung, S.215).

Es handelt sich um zwei Botschaften, die wir in der ganzen Bibel finden.

Botschaft 1 ist die von der Auferstehung. Die Bibel sagt eindeutig, dass unsere Erde vergehen wird (z.B. Mt 24,35). Aber wie Gott den toten Jesus auferweckt hat zu einem ganz anderen, ganz neuen Leben und Leib, wird er auch die Erde auferstehen lassen.

Botschaft 2: Es handelt sich um die Bewegung Gottes, die die ganze Bibel wie ein roter Faden durchzieht: Gott kommt zu uns! Ihn zieht es immer zu uns! Hin zu den Menschen! Herunter zu den Menschen! In den Staub. In die Not. In den Mist. Gott ist immer der entgegenkommende und der herunterkommende Gott. (nach Manuel Schmid und Stephan Juette)

Und so ist es auch am Ende, bei der Vollendung der Welt: Das himmlische Jerusalem, der Himmel, die himmlische Welt senkt sich auf die Erde herab. Himmel ist, wenn Gott mit seinem Himmel auf die Erde kommt, unter uns Wohnung nimmt, bei uns einzieht.

Unsere alte verwundete, geschundene, seufzende Erde wird Teil der neuen Schöpfung sein. Und die Mitte dieser neuen Welt wird sein: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Das heißt: Der Himmel findet sozusagen auf der Erde statt. Gott verbindet endgültig Himmel und Erde miteinander.

Was für eine Aussicht! Wir dürfen bei Gott wohnen. Wir dürfen mit Gott leben. Wir dürfen bei Gott zuhause sein. Kein Mensch wird mehr an Gottes Verborgenheit leiden. Keiner wird mehr angefochten sein.

 

III.
Ich staune: Es wird keine Tränen, den Tod, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz geben.

Ich lese Vers 4: Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

1.
Es gibt im Judentum den Gedanken: Tränen sind das Meer in den Augen der Menschen. Tränen sind das bittere Salzwasser in den Augen der Weinenden.

Da sind zunächst die Tränen in den Augen aller verfolgten Gläubigen gemeint. Da sind zunächst die Tränen in den Augen aller angefochtenen Glaubenden gemeint, die sich, warum auch immer nach Erlösung sehnen.

Ich denke aber doch, dass wir das allgemeiner fassen dürfen (weil die Bibel Gerechtigkeit für alle Opfer verheißt):

Tränen in den Augen von Kindern, die missbraucht oder verwahrlost sind.

Tränen in den Augen aller Gewaltopfer, aller Hassopfer, aller Opfer von Machtmissbrauch.

Tränen in den Augen aller Hungernden.

Tränen aller Gedemütigten.

Erschütterungstränen an den Krankenbetten.

Trauertränen an den Gräbern geliebter Menschen.

Gott persönlich wird jedem weinenden Menschen, jedem weinenden Kind die Tränen aus den Augen wischen. Das ist Chefsache! Das überlässt er keinem Engel. Jedes leidende Geschöpf erfährt diese Behandlung.

2.
Gott macht alles neu. Gott schafft den Tod in seinen verschiedenen Formen und Gestalten ab. Denn der Tod ist der eigentliche Grund für unsere Tränen, für unser Weinen.

Unser körperliches Sterben wird nicht mehr sein. Der körperliche Tod wird nicht mehr sein.
Der Tod der Beziehungen wird nicht mehr sein.
Der Tod der Liebe, der Barmherzigkeit, der Mitmenschlichkeit… wird nicht mehr sein.
Der Tod der Wahrheit wird nicht mehr sein.
Der Tod der Hoffnung, der Tod des Lebensmutes, der Tod der Lebensfreude wird nicht mehr sein. Langeweile und Sinnlosigkeit werden nicht mehr sein.

3.
Weil aber Gott den Tod abschafft, werden alle Begleit- und Folgeerscheinungen des Todes auf unser Leben nicht mehr sein.

a.
Das Leid wird nicht mehr sein.

Das Leid, das uns das Leben, das Schicksal, das Meer, die Mächtigen zufügen und antun, wird nicht mehr sein.
Auch das Leid durch einen Virus namens Corona.
Das Leid, das andere Menschen uns zufügen und antun, wird nicht mehr sein.
Das Leid, das wir anderen Menschen zufügen und antun, das wir im Gewissen tragen müssen und doch nicht tragen können, wird nicht mehr sein.

b.
Das Geschrei wird nicht mehr sein.

Das Schreien über körperliche oder psychische Schmerzen wird nicht mehr sein.
Das Schreien nach Hilfe wird nicht mehr sein.
Verzweiflungs- und Ohnmachtsschreie werden nicht mehr sein.
Angst- und Wutschreie werden nicht mehr sein.

 

Teil 2: Was bedeuten diese Informationen für unser Leben? Was dürfen wir daraus für unser Leben ableiten? Was sollen wir tun, weil Gott kommt?

I.
Dass wir glauben. Dass wir nie mehr die Zukunft vergessen!

Deshalb heißt es in Vers 5 und 6a: Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.

Dass wir glauben und es nie vergessen: Gott ist der Neumacher. Er ist der Neumacher, der alles neu macht: die Erde, die Welt, das Leben, sogar den Himmel. Gott wirft die alte Schöpfung also nicht weg, sondern transformiert, verwandelt, verändert sie.

Das Wort für Neumachen meint nämlich die Erneuerung von Dingen, die schon da sind. Es meint den Mix aus Wiederherstellung und Veränderung, so dass am Ende etwas herauskommt, was sogar besser ist als es vorher war.

Dieses göttliche Neumachen ist „die völlige Verwandlung und Erneuerung von Himmel und Erde“:Die neue Welt wird wie die jetzige sein mit all ihrer Schönheit, Kraft, Freude, Zartheit und Herrlichkeit“. (N.T. Wright, Offenbarung, S.217). Aber ohne all die Eigenschaften, die unsere Welt zu dem machen, was sie ist. Ohne all die Phänomene und Probleme, die wir nicht in den Griff bekommen: ohne Schuld, ohne das Böse, ohne Tod, ohne Tränen, ohne Leid und ohne Geschrei.

 

II.
Dass wir glauben, dass Gott auf unserem Weg dorthin immer wieder zu uns kommt, um sich um uns zu kümmern.

Ich lese den Vers 6b und 7: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Der Weg in diese neue Welt, in diese Zukunft ist kein Spaziergang. Er hat es in sich. Er ist lang. Er ist mühevoll. Er ist nicht ungefährlich.

Das Wort „überwinden“ verrät es uns: Wir werden zu kämpfen haben. Wir werden zu leiden haben.

Der Vers spricht vom Durst. Es gibt also Durststrecken. Es kann durch harte Zeiten gehen, es kann durch endlos lange Wüstenzonen gehen:
Probleme im Privaten oder im Beruf. Krankheiten. Krisen. Pandemiejahre.
Man spürt von Gottes Nähe und Gottes Segen nichts.
Man macht keine oder schwierige Erfahrungen mit Gott.
Man wird wegen seines Glaubens diskriminiert, schikaniert, verfolgt…

Vergessen wir nie dieses Versprechen Gottes in diesen Zeiten! Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Gott kümmert sich um unseren Durst. Immer wieder. Weil Durst hat man immer wieder.

Christsein ist ein Beziehungsgeschehen. Wenn wir Durst haben nach Gott, nach Gottes Nähe, nach Erfahrungen mit ihm, nach Zeichen, nach kleinen Bestätigungen und Ermutigungen…, wir werden Gott erleben, wir werden Gottes Nähe erleben, wir werden Zeichen seiner Treue erleben. Als Gewissheit. Als Trost. Als Hoffnung.

Und als Kraft. Denn Christsein ist eine Krafterfahrung. Wir werden erleben, dass er uns Lasten abnimmt oder die Kraft gibt, Lasten zu tragen.

 

III.
Dass wir zu den Menschen kommen und gehen. Dass wir uns um die Weinenden, Schreienden, Verstummten kümmern.

Wir haben gehört: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Wir können diesen Vers beruhigend verstehen. Also narkotisierend nach dem Motto: Wir müssen halt warten, bis Gott das macht. Die Gefahr ist also, dass wir uns auf die Couch der Bequemlichkeit setzen. Ich glaube, dass Gott uns das nicht erlaubt.

Tomas Halik sagt einmal: „Ich habe nicht das Recht, Gott zu bekennen, wenn ich den Schmerz und das Elend meiner Nächsten nicht ernst nehme. Ein Glaube, der die Augen vor dem menschlichen Leid verschließen möchte, ist nur eine Illusion oder Opium.“

Deshalb lasst uns diesen Vers: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen aktivierend lesen. Lasst uns Neues denken und Neues tun!

Das Motto lautet: Wer das glaubt, wer das hofft, der lebt heute schon anders: Wer auf die neue Welt hoffen kann, der investiert sich in die alte!

Der redet von Gott dem Neumacher. Der weint mit den Weinenden. Der trauert mit den Trauernden. Der wischt Tränen ab. Der kämpft heute schon gegen Leid, Geschrei, Schmerz und Unrecht, gegen diese Vorboten des Todes.

Weil Gott einmal alle Tränen abwischen wird, ist es die Aufgabe der Kirche, sich um die Weinenden, Schreienden und Leidenden zu kümmern!