Wir sollen und dürfen ein Segen sein – Von Thomas Pichel

I.
„Ihr seid die Gesegneten des Herrn“ (Wir fangen also nicht bei uns an, sondern bei Gott.)

12 Der HERR denkt an uns und segnet uns;
er segnet das Haus Israel, er segnet das Haus Aaron.
13 Er segnet, die den HERRN fürchten, die Kleinen und die Großen.
Der HERR segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder!
15 Ihr seid die Gesegneten des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. (Psalm 115,12-15)

1.
Gott segnet uns. Gerne. Tag und Nacht. Jeden Tag.

Segnen ist Gottes große Leidenschaft… Wenn Gott segnet, gibt er aus seiner göttlichen Lebensfülle. Es ist seine Art großzügig, ja fast verschwenderisch zu schenken. Segen ist göttliches Leben. Segen ist nur ein anderes Wort für Gnade, vielleicht leichter verständlich. Weil es Gottes Leidenschaft ist, uns Gutes zu tun, hält er Ausschau nach Menschen, die sich nach seinem Segen sehnen.“ (Schwester Barbara-Sibille Stephan, Christusbruderschaft Selbitz)

Wir dürfen uns als Gesegnete des Herrn verstehen. Wir dürfen Segen von Gott erwarten. Wir dürfen mit Segen rechnen. Gott selbst will segnend in unserem Leben wirken.

2.
Worin besteht denn sein Segnen? Was ist Gottes segnendes Wirken?

Ich will es mit Paul Gerhard beantworten: „Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dir’s nicht; dein Tun ist lauter Segen, dein Gang ist lauter Licht; dein Werk kann niemand hindern, dein Arbeit darf nicht ruhn, wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun“.

Gottes Tun, Werk und Arbeit sind ersprießlich, d.h. nutzbringend, förderlich, gedeihlich, fruchtbar, konstruktiv. Wenn Gott uns segnet, schenkt er die nötigen Kräfte und Mittel. Wenn Gott uns segnet, hat das gute Auswirkungen. Sein Segen ermöglicht Leben, dient dem Leben, lässt Leben blühen und Beziehungen gedeihen. Sein Segnen führt zu positivem Wachstum, Werden und Reifen.

3.
Gott segnet uns, damit wir für andere ein Segen sind.
Er sagt schon zu Abraham: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein (1 Mose 12,2).

Wir sollen keine Konsumenten des Segens sein, die für sich den Segen Gottes sicherstellen und genießen wollen, die den Segen wie in einen Safe einschließen, um den Safe dann zu öffnen, wenn sie etwas für sich davon brauchen.

Segen – das ist keine Einbahnstraße. Segen – das ist wie überfließendes Gefäß, wie ein römischer Brunnen.

Deshalb fragen wir jetzt, wie können wir für andere ein Segen sein. Ich möchte im zweiten und dritten Teil der Predigt darlegen, wie das aussehen kann.

 

II.
Welche Menschen sind für uns ein Segen?

1.
Ich erfahre das immer wieder durch Menschen, die für mich ein Segen sind, ohne dass sie viel tun.

Sie leben mit dem ewigen Gott. Sie sind mit einer Zeitvermehrung beschenkt. Jedenfalls scheinen sie immer Zeit zu haben. Sie tun gar nichts Besonderes, aber sie sind ein Segen, indem sie Zeit haben und Zeit schenken.

Sie leben eine Freundschaft mit Gott. Und das macht sie freundlich und angenehm. Sie wissen sich von Gott geliebt. Das macht sie liebevoll. Sie sind allein dadurch ein Segen für mich.

Sie leben eine Klarheit im Blick auf Gott. Allein das wirkt auf mich immer reinigend, klärend und orientierend.

2.
Ich erfahre das immer wieder durch Menschen, die für mich ein Segen sind, weil sie mir in großer Treue z.B. bei Computerproblemen, beruflichen Themen oder persönlichen Fragen helfen.

3.
Das ist mein Wunsch, dass es anderen mit mir auch so geht, dass mein Leben mit Gott abfärbt auf andere, sich positiv auswirkt auf meine Umgebung. Ich muss das gar nicht merken.

 

III.
Wir dürfen eine Segenskultur leben

1.
Wir segnen die Menschen.

a.
In der hebräischen Sprache heißt das Wort Segnen auch: jemanden loben, über jemanden oder zu jemanden etwas Gutes sagen.
In der griechischen (eulogein) und lateinischen Sprache (benedicere) heißt das Wort Segnen, über jemanden oder zu jemanden etwas Gutes sagen.
Auch das englische „blessing“ kann mit Loben oder Segen übersetzt werden.

b.
Schwester Barbara-Sibille Stephan von der Christusbruderschaft Selbitz schreibt zum Segnen durch Gedanken, Blicken und Worten folgendes:

„Ein Segen sein, das heißt, ich bin jemand, der segnet… Segnen kann jeder, der glaubt. Segnen ist an kein bestimmtes Amt gebunden. Im Alten Testament war es die Aufgabe der Priester, den Segen aufs Volk Gottes zu legen. Im NT gibt Jesus seinen Jüngern den Auftrag, alle Menschen zu segnen. Jeder Christ darf z.B. seine Nachbarn und Arbeitskollegen segnen. Jeder Vater darf seine Kinder segnen. Wenn wir mit dem Segnen ernst machen, wird sich die Atmosphäre in der Familie und im Geschäft voraussichtlich verändern. Wenn wir einen Menschen segnen, stellen wir ihn in eine Beziehung zu Gott.  Segnen heißt, die Hand auf jemanden legen und sagen, du gehörst trotz allem allen Gott.‘ (Dietrich Bonhoeffer).“

„Wie wir Segen weitergeben, das kann sehr vielfältig sein:

  • Gute Gedanken über einem Menschen wirken Segen
  • Jeder Gruß ist ursprünglich ein Segen. „Grüß Gott“ meint: Jetzt grüßt dich Gott. Aber das ist uns meistens nicht mehr bewusst.
  • Es gibt auch die segnende Berührung. Die Hand auf den Kopf oder auf die Schulter legen und ein gutes Wort sprechen.
  • Es gibt den segnenden Blick, die segnende Geste, den Segenswunsch.“

 

2.
Wir segnen die Menschen, die uns Leid zufügen und Unrecht tun.

„Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen“ (Luk 6,27f)

 „Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt“ (1 Thess 3,9).

a.
Wir werden das alle kennen. Über uns wird schlecht geredet. Wir werden gekränkt. Wir werden blöd angemacht, beschimpft, beleidigt, „gedisst“, gemobbt. Peter Gabriel singt: Wenn Blicke töten könnten, würden sie es oft tun.

Wir werden das alle kennen. Wir werden zu Unrecht kritisiert. Und die Art und Weise ist erst recht entwürdigend und erniedrigend.

Wir werden das alle kennen. Uns geschieht Unrecht.

b.
Wie reagieren wir normalerweise darauf? Wir zahlen mit gleicher Münze zurück. Wir schlagen mit Worten zurück. Wir schaffen uns selbst den Ausgleich.

c.
Die beiden Bibelstellen schildern uns die Alternative dazu. Ich will uns dazu vier kurze Fragen stellen:

Will ich das praktizieren? Will ich so leben?

Spreche ich mit jemanden darüber, wenn ich es nicht kann?

Glaube ich, dass ich in einer solchen Situation “Segen ererben” kann, Segen bekommen kann. Segen in Form von Tragekraft. Segen in Form von Mut, aus einer  unguten Abhängigkeit auszusteigen. Segen in Form eines Wunders. Dass Gott den anderen oder mich verändern kann. Dass Gott die Beziehung erneuern kann. Segen in Form von Frieden – mitten im Beziehungs’krieg’.

Wo brauche ich die Vergebung des anderen, weil ich gehasst habe, weil ich jemanden mit Fluchworten begegnet bin?

d.
Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu folgendes:

„Der Gerechte leidet unter der Welt (Psalm 34, 20), der Ungerechte nicht. Der Gerechte leidet unter den Dingen, die für andere selbstverständlich und notwendig sind. Der Gerechte leidet unter der Ungerechtigkeit, unter der Sinnlosigkeit und Verkehrtheit des Weltgeschehens. … Die Welt sagt: Das ist nun einmal so, wird immer so sein und muss so sein. Der Gerechte sagt: Es sollte nicht so sein, es ist gegen Gott. Daran vor allem wird man den Gerechten erkennen, dass er in dieser Weise leidet. Er bringt gewissermaßen das Sensorium Gottes in die Welt; darum leidet er, so wie Gott unter der Welt leidet. – »Aber der Herr hilft ihm« – nicht in jedem Leiden der Menschen ist Gottes Hilfe. Aber in dem Leiden des Gerechten ist immer Gottes Hilfe, weil er ja mit Gott leidet. Gott ist immer dabei. … Die Antwort des Gerechten auf die Leiden, die ihm die Welt zufügt, heißt: segnen. Das war die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug: Segen. Gott vergilt nicht Gleiches mit Gleichem und so soll es auch der Gerechte nicht tun. Nicht verurteilen, nicht schelten, sondern segnen (1 Petrus 3, 9). Die Welt hätte keine Hoffnung, wenn dies nicht wäre. Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. … Nur aus dem Unmöglichen kann die Welt erneuert werden, und das Unmögliche ist der Segen Gottes.“

 

3.
Wir suchen als Gemeinde der Stadt Bestes (siehe Jeremia 29,4-7)

 4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.

Wir befinden uns im Jahr 598 vor Christus. Die Angesprochenen haben eine tiefgreifende Verlusterfahrung erlitten. Sie erleben und erleiden eine schwierige Zeit. Nichts ist mehr so, wie es war. Sie sind Vertriebene. Sie leben als Minderheit in einem fremden Land, weit weg von der Heimat.  Die Betroffenen sollen die Situation realistisch einschätzen. Sie sollen sich keine Hoffnung machen, dass es schnell wieder so ist, wie es war. Sie müssen die Ungeduld des Herzens besiegen. Sie brauchen einen langen Atem.

Sie sollen sich einrichten. Sie sollen Häuser bauen. Sie sollen für ein Dach über den Kopf sorgen. Sie sollen als existentielle Grundlage Gärten für den Lebensunterhalt anlegen und pflegen. Und sie sollen Familien gründen, um ihre Anzahl zu mehren.

Sie sollen sich aber nicht nur um sich und ihre Gemeinschaft kümmern, sondern auch um die Stadt, in der sie leben müssen. Sie sollen für ihre Stadt ein Segen sein! Sie sollen das Beste für ihre Stadt suchen: Wohlergehen und Frieden.  Dadurch, dass sie für ihre Stadt beten, und dadurch, dass sie sich für ihre Stadt sozial und politisch engagieren.

Ich habe den Eindruck, dass die Anweisungen ein gültiges Modell für eine Gemeinde darstellen, die als Minderheit in der Diaspora leben muss: Lasst uns das Beste für Kulmbach suchen! Wir haben das als Aufgabe und als Verheißung. Trotz unserer kleinen Kraft will Gott uns zum Segen für diese Stadt setzen.

 

4.
Wir setzen uns für andere ein. Wir riskieren uns für andere.

Ich schildere dazu eine Episode aus dem Leben Abrahams. Wir können sie in 1 Mose 14,1-16 nachlesen.

Lot, der Neffe Abrahams, wohnt in der Nähe von Sodom und Gomorra. Das Land ist aufgeteilt unter diversen Stammesfürsten. 4 Stammesfürsten schließen sich zusammen und bekämpfen

gegen 5 andere Stammesfürsten. Es geht um Bodenschätze und um die Vormachtstellung in der Region. Lot wird in diesen Regionalkrieg verwickelt. Er wird mit all seinen Frauen, Kindern, Angestellten und Tieren gefangen genommen. Ihm droht ein Sklaven- Schicksal. Er kann sich selbst nicht helfen. Ohne Hilfe von außen sind er und die Seinen verloren.

Dann heißt es in 1 Mose 14-16: „14 Als nun Abram hörte, dass seines Bruders Sohn gefangen war, wappnete er seine Knechte, dreihundertundachtzehn, in seinem Hause geboren, und jagte ihnen nach bis Dan 15 und teilte seine Schar, fiel des Nachts über sie her mit seinen Knechten und schlug sie und jagte sie bis nach Hoba, das nördlich der Stadt Damaskus liegt. 16 Und er brachte alle Habe wieder zurück, dazu auch Lot, seines Bruders Sohn, mit seiner Habe, auch die Frauen und das Volk.

Abraham entscheidet, ohne zu zögern. Er verschließt die Augen nicht für die Not der anderen. Er sagt nicht: Ich bin erwählt. Ich bin gesegnet. Lot soll selbst zusehen und klar kommen. Er weiß um seine Verantwortung. Er startet eine nicht ungefährliche Hilfs- und Rettungsaktion. Er riskiert dabei das Leben seiner Männer. Er riskiert dabei sein eigenes Leben.

Ein Segen sein. Das ist immer wieder die Frage: Wo bin ich gefordert für die anderen? Wo kann ich dazu beitragen, dass andere aus einer Notlage gerettet werden?

Bei uns muss es nicht so spektakulär sein wie bei Abraham! Bei uns wird es alltäglicher sein. Aber genauso notwendig.

 

5.
Wir dürfen als Zeuginnen und Zeugen Jesu ein Segen für die Menschen sein. Wir dürfen Salz der Erde und Licht der Welt sein (siehe Mt 5,13-16)

 13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. 14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. 

Ich möchte uns dazu jetzt am Schluss der Predigt zwei kurze Gedanken mitgeben.

(1)
Wir Christen erleben und erleiden in Europa, in Deutschland einen unglaublichen Bedeutungsverlust. Sichtbar wird er z.B. in dem Verlust von Kirchenmitgliedern. Sichtbar wird er in der Gleichgültigkeit gegenüber Glaubensfragen. Sichtbar wird er in der breiten Ablehnung christlicher Vorstellungen.

Lasst uns auf der Hut sein! Vor uns selbst! Vor der Versuchung der Resignation! Vor der Versuchung des Rückzugs! Vor der Versuchung der Lieblosigkeit in Form von Schimpfen und Richten oder in der Form von Gegenangriffen!

Lasst uns mit Jesus zusammen zu den Menschen gehen!

„Kardinal Bergoglio, Papst Franziskus, zitierte einen Tag vor seiner Wahl zum Papst eine Aussage aus dem biblischen Buch der Offenbarung (Offb 3,20): Christus steht vor der Tür und klopft an. Er fügte hinzu: Heute klopft jedoch Christus aus dem Inneren der Kirche an und will hinausgehen.“ (Tomas Halik, Zeit online vom 1.4.2020)

(2)
Lasst uns, so viel an uns liegt, um das Vertrauen der Menschen ringen. Es ist klar: Ein Mensch, der Gott leider nicht kennt, scheut Gott, fühlt sich nicht wohl beim Thema Gott, ist misstrauisch gegenüber biblischen Aussagen oder christlichen Ansichten.

Aber lasst uns so leben, dass wir mit komischem und falschem Verhalten dieses Misstrauen nie rechtfertigen oder stärken!

Lasst uns zu den Menschen gehen, lasst uns ihnen so begegnen, dass sie Vertrauen zu uns finden! Denn Vertrauen ist unser höchstes Gut! Wenn wir das Vertrauen der Menschen nicht finden und haben, können wir sehr schwer ein Segen für sie sein.

Deshalb ist unsere erste Aufgabe als Gemeinde, aber auch Eure erste Aufgabe an Eurem Arbeitsplatz, in Euren Vereinen, in Eurer Freundschaftskreisen das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, zu pflegen, zu stärken.

Der Herr segne uns und lasse uns ein Segen sein! Amen!