Liebe IV – Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen! – 1 Kor 16,14 – Von Thomas Pichel

A.
Ein Ergebnis aus den ersten drei Predigten der Reihe über die Liebe

1.
In der hebräischen Bibel lautet Gottes erstes Wort an Israel, dass es geliebt ist. Israel hörte und hört diese Botschaft, z.B. in Jer 31,3: Mit unendlicher Liebe, mit ewiger Liebe liebt Gott uns. Er hat uns je und je geliebt, deshalb hat er uns erwählt, deshalb hält er uns die Treue (siehe auch 2 Mo 33,6; 5 Mo 4,37).

 Im Neuen Testament lautet Gottes erstes Wort an die Welt, dass wir geliebt sind (Joh 3,16; Rö 5,8), ja dass Gott die Liebe (1 Joh 4,16b) ist.

Die erste und grundlegende Botschaft Gottes der Bibel lautet also: Wir sind von Gott geliebte Geschöpfe! Das erste Wort Gottes in der Bibel an uns ist das Evangelium. Es lautet: Alles, was ihr tut, lasst im Glauben an die Liebe Gottes geschehen.

2.
Das zweite, auf das erste aufbauende Wort Gottes in der Bibel lautet: Gott beruft uns zum Lieben. Mit der Jahreslosung ausgedrückt: Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen (1 Kor 16,14; siehe aber z.B. auch Gal 5,6!)

Wir sollen die empfangene Liebe weitergeben. Dabei ist klar, dass wir das lernen müssen.

3.
Wir haben in den ersten drei Predigten drei Fragen immer wieder berührt:

Frage 1: Was ist Liebe? Welche Liebe meint die Jahreslosung?
Frage 2: Was macht man, wenn man zu lieben versucht? Was meint die Jahreslosung?
Frage 3: Wie werden wir liebesfähig? Denn wir fragen unweigerlich: Wer schafft das denn?

Heute befassen wir uns schwerpunktmäßig mit der Frage 1 und der Frage 2.

 

B.
Drei Annäherungen an die Jahreslosung

I.
Annäherung über das griechische Wort, das in 1 Kor 16,14 für Liebe steht.

1.
Es gibt im Griechischen verschiedene Wörter für Liebe.

Philia meint Freundschaft, die Liebe unter Freunden.
Philadelphia meint die Geschwisterliebe.
Eros meint die erotische Liebe, die sehnsuchtsvolle Liebe, das Begehren.
Storgä meint die natürliche Zuneigung zwischen Menschen, die Sympathie
Stergema meint die Liebe zum Vaterland, zu den Eltern. Da geht es um Respekt haben und ehren. Da geht es um das Miteinanderaushalten.

2.
Diese Wörter stehen nicht in 1 Kor 16,14! In diesem Vers steht das Wort Agape. Was hat es mit dieser Liebe auf sich?

Das Neue Testament beschreibt diese Agape-Liebe, indem es Jesus Christus beschreibt! Diese besondere, dienende Liebe war und ist vollendet in Jesus da! Jesus hat dieses Liebe gelebt und verkörpert. Er hat sie formatiert und kalibriert.

Diese Agape-Liebe zeigt sich immer in bestimmten Einstellungen und Haltungen, in einem bestimmten Stil im Umgang mit anderen Menschen: Sie ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu… sie erträgt alles… (siehe 1 Kor 13!).

Diese Liebe zeigt sich in konkreten Verhaltensweisen. Diese Liebe ist immer praktisch. Hungrigen zu essen geben. Durstigen zu trinken geben. Fremde aufnehmen. Nackte kleiden. Kranke besuchen. Inhaftierte aufsuchen… (Mt 25,35f). Trostbedürftige trösten. Menschen verteidigen und schützen, die sich z.B. selbst nicht wehren können, die in einem menschenfeindlichen System gefangen sind. 

Diese Liebe kennt keinen Hass auf Menschen! Sie ist aber auch das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Das Leid und die Not anderer berührt den gleichgültigen Menschen nicht. Denn einen gleichgültigen Menschen bringt nichts aus der Fassung, denn er hat keine. Er nimmt alles hin. Er riskiert nichts. Und er hat immer eine Entschuldigung parat. Eine seiner Lieblings-Entschuldigungen heißt: Ich kann als Einzelner sowieso nichts tun.

Diese Liebe lässt sich berühren von der Not anderer. Sie sieht die Bedürftigkeit andere. Sie wendet sich mitfühlend zu. Sie dient anderen. Sie sorgt für andere. Sie will anderen Gutes tun, damit es ihnen gut oder zumindest besser gehen kann. Sie will, dass andere aufblühen, sich entwickeln und wachsen können.

Diese Liebe kann, wenn es nötig ist, auf eigene Wünsche verzichten, eigene Interessen hintanstellen. Diese Liebe kann, wenn es nötig ist, Nachteile ertragen. Sie ist zu Opfern bereit. Sie ist leidensfähig und leidensbereit – um anderer willen! Diese Liebe ist so kostbar, weil sie immer etwas kostet!

Wie gesagt: Diese besondere und dienende Liebe ist in Jesus da! Mit dieser Liebe wirst Du von ihm geliebt. Diese Einstellungen und diese Verhaltensweisen darfst Du für Dich glauben! So ist er zu Dir! So behandelt er Dich! Diese Liebe ist Dir gewiss!

Diese Liebe wird bei uns nie vollendet da sein! Aber lasst uns das nicht als Ausrede missbrauchen! Lasst sie uns immer wieder probieren! Entscheiden wir uns für Jesus. Entschiedenes Christentum mal anders verstanden. Entscheiden wir uns: Es muss sich nicht alles um mich drehen! Ich muss nicht immer auf meine Kosten kommen. Ich muss nicht immer Recht bekommen. Denn: Ich bin nicht für mich selber da!

Themenanzeige: Was macht uns liebesfähig?

Gott sagt nicht: Ich liebe dich so, wie du mich liebst, wie du die Liebe zu anderen lebst.
Wer das glaubt, wird eine krankmachende Frömmigkeit erleiden.
Die Liebe Gottes ist Gnade. Gott liebt uns unabhängig von unserem Vermögen, seine Liebe zu erwidern oder sie zu realisieren. 

Aber das ist genau das, was uns verändert, wodurch unsere Liebesunfähigkeit Risse bekommt, wodurch uns Möglichkeiten zum Lieben zugespielt werden.

 

II.
Die Annäherung über den Zusammenhang in 1 Kor 16,13-14 (in Dankbarkeit gegenüber Prof. Michael Gese)

1.
Paulus schließt seinen Brief, wie es dem Ideal der antiken Briefkultur entspricht. Er bindet am Ende den Sack zu. Er fragt sich: Was soll hängenbleiben? Was sollen die Korinther tun? Er schreibt den Korinthern, worauf es ihn ankommt.

2.
Die Verse 13 und 14 in 1 Kor 16 gehören zusammen.

Glied 1: Wachet! Steht im Glauben fest!
Glied 2: Seid mutig und seid stark!
Glied 3: Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!

In Glied 1 und 2 stehen die Imperative in der 2. Person Plural. Sie rufen ins Handeln. Es geht ums Tun!

Im Glied 3 steht der Imperativ in der 3. Person. Im Deutschen gibt es dafür gar keine Form!

Was ist in dieser Formulierung der Clou, die Pointe? Diese Formulierung fordert nicht direkt zum Handeln auf, sondern zum Geschehenlassen. Wir sollen etwas zulassen, damit etwas geschehen kann. Es geht um das Raumgeben der Liebe!

3.
Schauen wir uns die 3 Glieder von 1 Kor 16,13-14 näher an!

a.
Glied 1: Wachet! Steht im Glauben fest!

Worum geht es hier? Es geht um die innere Haltung des Glaubens, des Glaubenden, um das Ausgerichtetsein auf Jesus Christus.

Wachet heißt, dass wir als Kinder des Lichts, Jesus nicht aus den Augen verlieren, Gottes Souveränität nicht aus den Augen verlieren. – Wachet heißt, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen, dass wir das Kommen des Reiches Gottes nicht übersehen. – Wachet heißt also, dass wir uns am Kommen Jesu orientieren!

Im Glauben feststehen heißt, dass wir uns nicht verunsichern lassen von den Ereignissen in der Welt, von den Entwicklungen, von unserer Umgebung, dass wir nicht wankelmütig werden, sondern dass wir im Vertrauen zu Gott bleiben!

b.
Glied 2: Seid mutig und seid stark!

Worum geht es hier? Es geht um eine sich nach außen zeigende Einstellung.

Seid mutig und stark heißt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen von der Welt, dass wir in schwierigen Situationen zuversichtlich bleiben, um in den Herausforderungen bestehen zu können.

Woher kommt dieser Ausdruck? Er kommt aus der Psalmensprache und meint immer einen Zuspruch!

Ps 27,14: Harre des Herrn. Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!
Ps 31,25: Seid getrost und verzagt alle, die ihr des Herrn harret

Vergleiche auch 5 Mo 31,6.7.23; Josua 1,6.7.9.18

b.
Glied 3, die Jahreslosung von 2024, umrahmt die Glieder 1 und 2. Die Botschaft lautet:

Paulus sagt: Lasst eure innere Haltung und eure sich nach außen zeigende Einstellung in der Liebe geschehen. Euer Tun und Lassen soll von der Liebe umschlossen sein, soll im Raum der Agape-Liebe geschehen.

Dazu ist wichtig, dass wir uns den Ausdruck „in der Liebe“ kurz näher anschauen!

Es ist nicht falsch, wenn wir ihn modal verstehen, also in der Logik der Art und Weise: Alles, was ihr tut, tut mit Liebe.

Aber der Ausdruck ist primär lokal zu verstehen. Die Logik bei Paulus lautet: Es gibt den Raum der Gottesliebe. Dieser Raum ist der Christus-Raum. Es ist die Liebe, die uns geschenkt ist.

Die Jahreslosung heißt deshalb: Bleibt bei allem, was ihr denkt, sagt und tut, in dem Raum, in dem ihr euch befindet, in dem ihr euch vorfindet, in dem ihr leben dürft! Bleibt in diesem Raum! Setzt ihn nicht aufs Spiel! Schaut darauf, dass ihr ihn nicht verlasst!

4.
Wir können die Jahreslosung auf alle Themen beziehen, die Paulus im 1 Kor-Brief anspricht, die es in unseren Gemeinden ebenfalls gibt!

Alles, was ihr in der Gemeinde tut, geschehe in Liebe.
Das Predigten und das Predigthören!
Das Miteinanderreden und das Miteinanderessen!
Der Einsatz unserer Gaben und das Zusammenarbeiten!
Alles Ringen um Entscheidungen und alles theologische Diskutieren!

„Alles soll geprägt sein von der Liebe, von der Zuwendung, die Freude und Leid der anderen so wichtig nimmt wie die eigenen, und von der Offenheit für ihre Stärken und Schwächen“ (Walter Klaiber, 1 Korintherbrief, S. 280).

 

III.
Annäherung über die Verbindung von 1 Kor 16,14 zu Luk 10,37

Jesus sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst.

Jesus beruft uns zum Lieben. Es geht um unsere Liebe zu Gott, um unsere Liebe zum Nächsten und unsere Liebe zu uns selbst. Alle drei Liebesadressaten gehören zusammen. Das ist eine Einheit. Es braucht ein Gleichgewicht.

Ich versuche jetzt, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, den großen Schein Liebe in Kleingeld zu wechseln.

1.
Gott lieben

(1)
Gott zu lieben heißt, Gott für liebenswert und vertrauenswürdig zu halten, denn er ist liebenswert und vertrauenswürdig. Gott zu lieben heißt, seine vollendete Agape-Liebe für mich zu glauben und ihm für seine Liebe, Güte, Gnade, Treue zu danken.

(2)
Gott zu lieben heißt, Gott für interessant und faszinierend zu halten.

Dass wir offen dafür bleiben, dass Gott uns immer wieder überraschen kann, immer wieder faszinieren kann. Denn Gott ist an sich interessant. Er ist anziehend. Er ist spannend. Vielschichtig. Komplex. Herausfordernd. Die Liebe zu Gott fängt immer mit einem Staunen über Gott an. (Gönn dir ein Staunen über Gott, über die Bibel, über die Schöpfung!)

(3)
Rettet die Nutzlosigkeit Gottes! Gott zu lieben heißt, dass ich Gott freigebe. Er muss mir nicht immer nützlich sein. Der Glaube muss mir nicht immer etwas bringen. Auch das Beten nicht. Gott ist nicht mein bester Interessenvertreter. Hüten wir uns davor, dass Gott immer nützlich sein muss.

Exkurs: Jesus wiederholt das Gebot aus dem AT: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen, durch Blödsinn oder Eigensinn zum Handeln zu zwingen.

(4)
Gott zu lieben heißt schlicht an ihn denken, Zeit für ihn haben, Zeit mit ihm verbringen.

Adolf Schlatter sagte einmal: Die erste Betätigung der Liebe zu Gott ist, dass wir an Gott denken, da die Liebe unsere Gedanken zu dem hinlenkt, den sie sich gibt, den sie liebt. Gott zu lieben hat etwas damit zu tun, die Beziehung zu ihm, das Leben mit ihm zu feiern.

(5)
Gott zu lieben heißt, bei allem mitmachen, was Gott gerne tut, was ihm am Herzen liegt:

Gott liebt es barmherzig zu sein (Luk 6,36). Gott liebt es, für andere da zu sein (Ich bin der, der für euch da ist). Gott liebt es, die Menschen zu lieben und ihnen zu dienen (Mt 20,28). Gott liebt es, Menschen zu trösten, sie aufzubauen, ihnen zu helfen…

Gott liebt das Reich Gottes und dessen Gerechtigkeit (Mt 6,33)

Gott liebt es, den Menschen das Evangelium zu sagen (Rö 1,1), Menschen zu suchen, die seine Liebe verloren hat (Luk 19,10). Er will, dass alle gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1 Tim 2,3f).

Gott zu lieben, heißt, seinen Willen zu lieben (Dein Wille geschehe!)

2.
Den Nächsten lieben

Wer ist mein Nächster? Jeder Mensch, sofern er meine Zuwendung oder Hilfe braucht, selbst wenn er mein Feind ist.

(1)
Wir haben ja weiter oben schon einiges aufgezählt, was Nächstenliebe ist. Was könnten wir jetzt alles sagen? Den Nächsten lieben heißt:

Nicht übergriffig agieren!
Andere nicht benutzen, nicht ausnutzen. Z.B. andere nicht als dunklen Hintergrund benutzen, vor der man selbst um so mehr glänzen kann!
Nicht über andere reden. Der Unlust folgen, andere zu verurteilen!
Sich fürchten, den anderen zu verletzen.
Andere wahrnehmen und sehen! Sich berühren lassen! Helfen! Beistehen!
Manchmal heißt lieben, mehr Zorn zu wagen, um Menschen vor anderen zu schützen und zu verteidigen, oder mehr Zorn zu wagen, um Menschen vor sich selbst zu schützen.
Anderen nicht befehlen, sie müssten vergeben!
Anderen vergeben. Aus Liebe zum anderen. Um der Beziehung willen!
Andere segnen.
Und, und, und…

(2)
Ich will stattdessen uns zwei Gedankenanstöße geben, die richtungsweisend sind für unsere Nächstenliebe.

a.
Der erste Gedankenanstoß ergibt sich aus der hebräischen Sprache. Jesus sagt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wir verstehen das heute fast ausschließlich so, dass unsere Selbstliebe die Voraussetzung für unsere Nächstenliebe sei. Das ist nicht ganz falsch! Wer sich nicht auf eine gute Art und Weise selbst wertschätzt, wer sich mit Aussehen und Gaben, mit Grenzen und Schwächen nicht annehmen und mögen kann, der kann schwerlich lieben.

Jesu Auftrag zur Nächstenliebe ist ja ein Zitat aus der Hebräischen Bibel. Und diesen Satz aus dem 3. Buch Mose kann man auch anders übersetzen: Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du. Liebe deinen Nächsten, das bist du selbst.

Der Mensch, der neben mir lebt und liebt und nicht liebt, ist wie ich. Wenn man ihn mit dem Messer sticht, blutet er wie ich. Er weint Tränen wie ich. Er hat Schmerzen wie ich. Er ist bedürftig, hilfsbedürftig, liebesbedürftig wie ich. Er ist schlecht drauf wie ich. Er hat Ängste wie ich. Er ist unreif, inkonsequent und unglaubwürdig wie ich. Er ist blind wie ich. Er wird schuldig wie ich. Er ist gerne besser als andere, wie ich es bin.

b.
Zweiter Impuls: Jesus hat die Liebe, übrigens genau wie das Alte Testament, in ein Netzwerk aller Werte hineingestellt, die Gott am Herzen liegen und die unser Leben erst ermöglichen. Es geht deshalb beim weisen und praktischen Lieben immer auch um das Zusammenspiel mit den himmlischen Werten für die Erde: Wahrheit, Treue, Vertrauen, Recht, Gerechtigkeit und Freiheit. Was gemeint ist, will ich an zwei kurzen Beispielen veranschaulichen.

Beispiel 1: Es ist keine Liebe, wenn eine Mutter für ihre 20-jährige Tochter alles macht, immer nur das Beste will, aber in ihre Vorstellungen einsperrt. Eine betroffene Tochter sagte einmal zu ihrer Mutter: Hör auf, mich zu lieben! Versuche, mich zu verstehen! Mama, du sperrst mich ein in das Bild, das du von mir und meinem Leben hast! Diese Mutter hat eine Liebe praktiziert ohne Freiheit für ihre Tochter!

Umgekehrt ist es auch keine Liebe, wenn erwachsene Kinder ihre Eltern immer nur benutzen (z.B. für die Betreuung der Enkelkinder, z.B. als Finanziers), aber den Eltern gegenüber keinerlei Interesse zeigen oder zum Funktionieren zwingen.

Beispiel 2: Das Thema sexualisierte Gewalt in den Kirchen. In allen betroffenen Kirchen, in der Katholischen Kirche, in den evangelischen Landes-Kirchen, aber auch in Freikirchen und Glaubenswerken gab es ein Denken, das den Opfern nicht gerecht wurde, ja sie ein zweites Mal schwer verletzte. Die Aufforderung Lass es wieder gut sein! war ein zweiter Missbrauch! Es war eine Haltung, die den Tätern entgegenkam. Man redete viel zu schnell von der Vergebung. Man nahm dadurch die Tat nicht ernst. Man nahm das Leiden der Betroffenen nicht ernst. Diese Kinder und Jugendlichen und Erwachsenen hätten Zuhören gebraucht, hätten Schutz gebraucht, hätten Gerechtigkeit gebraucht.

3.
Mich selbst lieben

Wir dürfen uns selbst lieben. Wenn Gott uns liebt, dann sollen wir auch uns selbst lieben. Verkehrt ist nicht die Selbstliebe, sondern die Selbstsucht, mit der wir uns anstelle Gottes oder des Nächsten lieben und mit der wir selbstverliebt um uns kreisen.

(1)
Ich darf mich mit den Augen Jesu sehen. Ich berge mich in seiner Wertschätzung, in seiner Treue, in seiner Liebe. Lass dir die Liebe Gottes gefallen! Sich lieben heißt auch, die Geschenke Gottes an das eigene Leben zu feiern!

(2)
Ich darf und ich muss mich abgrenzen. Ich sage das gegen den Missbrauch der Jahreslosung. Sich zu lieben kann heißen, dass ich Aufgaben nicht annehme, Erwartungen enttäusche, dass ich mich gegen Verletzungen wehre oder  toxische Beziehungen beende.

(3)
Achte auf deinen Umgang mit dem Thema Vergebung!

Wir sind in der Gefahr, dass wir einen Kult um unsere Schuldgefühle betreiben. Wenn wir an jemanden schuldig geworden sind, hilft es niemanden, dass wir uns schlecht fühlen, sondern dass wir das Gute tun: um Vergebung bitten, nach Versöhnung streben, um Wiedergutmachung uns bemühen.

Vergeben kann man nicht immer und nicht immer sofort. Da sind bestimmte Dinge zu beachten. Man muss sich z.B. von dem, der einen verletzt hat, gut abgrenzen können. Dazu ein ander Mal mehr! Aber mich zu lieben, kann heißen, dass wir uns auf den Weg der Vergebung machen. Aus Liebe zu uns! Denn Rache macht uns auf Dauer kaputt. Denn Nachtragen macht uns auf Dauer kaputt.

(4)
Rette immer wieder die Nutzlosigkeit in deinem Leben! Dr. Siegfried Kettling von Unterweissach sagte uns Studierenden der Missionsschule Unterweissach immer wieder: Macht für euch schöne Dinge, die keinem Zweck dienen, die euch aber guttun! Sich lieben heißt deshalb auch, die Geschenke Gottes an das eigene Leben zu feiern!

(5)
Sei geduldig mit dir selbst. Du bist mit Gott versöhnt! Du bist zum Leben mit Gott erlöst. Aber deine Erlösung von dir ist „under construction“, „im Bau“. Sie dauert ein Leben lang.

Du bist auf einer langen Reise! Deine Liebe muss nicht vollkommen sein. Aber die Liebe Gottes zu Dir ist es!