A.
Einleitung: Prüfen und Testen
1.
Die Jahreslosung: Alles aber prüft, das Gute behaltet! spricht eine Aufgabe an, die uns vertraut ist, vor der wir immer wieder stehen. Leben bedeutet halt auch Prüfen und Testen, Abwägen und Bewerten. Wir prüfen und testen: Mails, Bilder und Berichte in den Medien, oder Pilze, Urlaubsangebote, Geldanlagen, Autokäufe usw. usw.
Was wird im Zusammenhang der Jahreslosung geprüft? Ich lese 1 Thes 5,19-22: 19 Den Heiligen Geist löscht nicht aus! Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Alles aber prüft, das Gute behaltet! 22 Von jeder Gestalt des Bösen haltet euch fern. Wir sollen also prophetische Rede prüfen! Was ist damit gemeint?
2.
Zum besseren Verständnis eine Vorbemerkung zur historischen Situation, als Paulus seinen Brief an die junge Gemeinde in Thessaloniki schreibt, den wir heute den 1. Thessalonicherbrief nennen und der der älteste Text unseres heutigen Neuen Testaments ist.
Es ist eine vollkommen andere Welt als unsere. Es gibt noch kein Neues Testament, also keine Evangelien, keine Briefe, keine Offenbarung des Johannes. Der kleinen Gemeinde steht auch nicht das Alte Testament zur Verfügung. Was der Gemeinde zur Verfügung steht, sind die Worte und Predigten des Apostels Paulus, der einige Monate in Thessaloniki lebte und missionierte. Darin enthalten sind sicher Geschichten aus der jüdischen Bibel und Geschichten und Worte Jesu.
Bei uns heute ist nach 2000 Jahren Kirchengeschichte der Glaube festgezurrt und überbestimmt. Für die Christen aus Thessaloniki war das anders. Für sie steht vieles noch nicht fest. Der Glaube ist noch unbestimmt. Man sucht Orientierung in den Gottesdiensten. In diesen Gottesdiensten macht man Erfahrungen mit prophetischer Rede. Dieses Phänomen ist aber umstritten. Es gibt Christen in der Gemeinde, denen prophetische Rede unbekannt, fremd, ja suspekt ist. Paulus muss für ihre Zulassung kämpfen. Paulus nimmt die prophetische Rede in Schutz. Er verteidigt sie gegen Kritik. Ja, er wirbt für sie! Er schreibt:
B.
I.
Den Heiligen Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht.
Was ist prophetische Rede? Worum geht es da?
1.
Prophetische Rede ist eine Erfahrung, die die Kirche seit 2000 Jahren macht:
(1)
Gott redet zu uns!
Mit Hilfe der Bibel! Siehe z.B. 1 Thes 2,13! Was für ein Geschenk!
Mittels Menschen. Was für ein Geschenk!
Und mit Hilfe von Eindrücken, Bildern, Träumen, Anregungen… Was für ein Geschenk!
(2)
Es hilft, wenn wir zwei Dinge unterscheiden.
Es gibt ein Reden des Heiliges Geistes zu jedem einzelnen Christen.
Und es gibt ein Reden des Heiligen Geistes, wo Gott durch Menschen zu anderen Menschen spricht. Prophetisches Reden ist also von Gott inspiriertes Reden von und durch Menschen zu anderen Menschen. Wie gesagt: Das geschieht mittels Bibelworten und Bibeltexten. Oder mittels Bildern, Eindrücken, Impulsen, Anweisungen.
2.
Was ist das Besondere und Wertvolle prophetischen Redens?
Prophetische Rede ist ein Reden Gottes durch Menschen, das Orientierung und Durchblick stiftet. Gott redet aktuell und treffsicher in Situationen hinein. Er erreicht die Menschen in ihren konkreten Situationen, so dass Menschen Gottes Perspektive, Gottes Versprechen und Gottes Willen erkennen können. Prophetisches Reden hat immer mit dem Erkennen Gottes zu tun! Es geht immer um ein Offenbarungsgeschehen.
Deshalb sagt Paulus auch in 1 Kor 14,1: Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Siehe auch 1 Kor 14,4! Siehe Joel 3,1 bzw. Apg 2,17!
3.
Welchen Zielen dient sie? Was beabsichtigt und gibt Gott durch prophetische Rede?
Gott gibt laut 1 Kor 14,3 und 1 Kor 14,26.31 durch prophetische Rede Erbauung, Ermutigung, Zuspruch und Trost. Prophetische Rede dient der Gottesgewissheit, der Selbstvergewisserung… Prophetisches Reden ist die Aktualisierung aller ermutigenden und tröstenden Worte Jesu, die Aktualisierung aller wirksamen Hilfestellung durch Gottes Worte.
Gott gibt durch prophetische Rede Klarheit in Lehrfragen.
Gott gibt durch prophetische Rede aber auch Ermahnung und Kritik. Sie dient der Erweckung, der Umkehr, der Sündenerkenntnis, der Korrektur. Prophetisches Reden ist die Aktualisierung des Umkehrrufes Jesu!
Prophetisches Reden dient wie alle Gaben des Heiligen Geistes (1 Kor 12,7) zu einem guten bzw. besseren Miteinander in der Gemeinde und einem konsequenten bzw. konsequenteren Leben in der Nachfolge Jesu. Sie dient der Erneuerung und Förderung persönlicher Frömmigkeit. Sie führt immer in die größere Abhängigkeit von Gott! Sie führt immer in das Vertrauen zu Gott und in den Lobpreis Gottes.
4.
Das alles macht der Geist Gottes! Gott ist in uns gegenwärtig durch seinen Heiligen Geist. Ohne den wir nicht zum Glauben kommen können. Ohne den wir nicht glauben können.
Der Heilige Geist macht uns Jesus lebendig. Er schenkt uns das, was er selber ist: Vertrauen, Hoffnung und Liebe.
Deshalb sagt Paulus: „Löscht den Geist nicht aus!“ Oder an anderer Stelle: Betrübt und verletzt den Geist nicht! Indem ihr zu seid gegenüber dem Heiligen Geist! Indem ihr immer sofort die „Delete“-Taste, die „Lösch-Taste“ drückt, wenn Gott mit uns reden will! Indem ihr ihn unterdrückt! Indem ihr an ihm vorbei lebt!
Paulus sagt uns: Lasst Gottes Geistes nicht in die Leere laufen! Verschmäht ihn nicht! Gewährt ihm vielmehr Raum! Bittet um sein Reden! Achtet auf seine Impulse! Seid offen und empfänglich für prophetische Rede. Nehmt sie wahr!
II.
Alles aber prüft!
1.
Gerade weil prophetisches Reden mit der Möglichkeit, mit dem Anspruch zu tun hat, von Gott zu stammen, ist es in der Gefahr, missbraucht zu werden. Deshalb muss es sorgfältig geprüft werden. Es darf nicht verabsolutiert werden. In 1 Kor 14 lesen wir, dass in Korinth dieses Prüfen im Gottesdienst geschah.
Die Gemeinde darf und soll prüfen! Paulus fordert keinen blinden Glauben gegenüber prophetischem Reden. Niemand in der Gemeinde kann und darf sich anmaßen, eindeutig und allgemeingültig zu sagen, was Sache ist. Jeder Geltungsanspruch muss sich der Prüfung durch die Gemeinde aussetzen. Die Gemeinde darf abwägen, bedenken, gewichten, bewerten, prüfen… Sie muss nicht einfach folgen und sich unterwerfen. Sie darf kritisch nachfragen.
2.
Die Gemeinde hat also ein Prüfungsrecht und einen Prüfungsauftrag. Es geht bei dieser Prüfung immer wieder um eine Frage:
Was kommt von Gott? Was kommt nicht von Gott?
Kommt das, was jemand sagt, von Gott, oder ist es ‚nur‘ ein menschlicher Gedanke, nur ein persönlicher Einfall?
Handelt es sich um göttliche Wünsche und Vorstellungen oder um menschliche Wünsche und Vorstellungen? Oder sogar um gottwidrige?
3.
Ich möchte ein Beispiel aus meinem Leben hier erzählen. In den Corona-Jahren habe ich über Zoom an einem Meeting teilgenommen. Es gab ein Referat zu einem Thema und danach eine Diskussionsrunde. Zwischen Referat und Diskussion setzte der Referent eine kurze Zeit der Stille vor Gott. Sein Impuls lautete: Schaut mal, was Gottes Geist Euch an Gedanken und Bildern zu unserem Thema eingibt. Mein spontaner Gedanke damals war: Ich ahne, was der ein oder andere dazu sagen wird. Es war dann auch so.
Zu prüfen hieß damals für mich: Auch wenn ich manches vorher wusste, musste ich fragen, ob Gott hinter dieser Aussagen steht. Und die anderen mussten sich fragen, ob es wirklich Gott ist, der ihnen den Eindruck schenkte oder ihr menschliches Wünschen.
3.
Ich möchte als Zwischenergebnis festhalten, dass wir Christen bei dem Thema der prophetischen Rede von zwei Seiten vom Pferd fallen können:
Man kann sagen: Prophetische Rede gibt es nicht. Oder man kann sagen: Alles, was mir an Eingebung und Ideen und Bildern kommt, ist immer und grundsätzlich von Gott.
4.
Damit wären wir eigentlich bei der Frage nach den Maßstäben, nach den Prüfinstrumenten, nach den Prüfungsinstanzen.
Aber da das die Predigt sprengen würde, veranstalten wir einen eigenen Themenabend dazu, an dem wir uns die diverse Prüfinstrumente anschauen werden, die uns das Judentum, das Neue Testament und die Kirchengeschichte zur Verfügung stellen.
III.
Das Gute behaltet! Von jeder Gestalt des Bösen haltet euch fern.
Auf diesen einen Maßstab, den unser Predigttext uns vorgibt, wollen wir uns heute Morgen beschränken!
Diese Anweisung des Apostels Paulus ist etwas Fundamentales: Das Gute festhalten! Vom Bösen fernhalten! Dieses Wortspiel gibt es auch im Griechischen. Die Wörter lauten katechete und apechete.
Beide Anweisungen gehören zusammen. Wir können das Gute nur behalten, wenn wir uns gleichzeitig vom Bösen fernhalten. Das gilt auch andersherum. Wenn wir uns nicht vom Bösen fernhalten, wird es uns nicht gelingen, das Gute festzuhalten. Denn das Böse ist immer die Negation des Guten, die Negation dessen, was sein soll, was Gott will.
Zu fragen, welche Gestalten des Bösen es heute bei uns gibt, ist berechtigt und nötig. Diese Frage nach den Gestalten, den Erscheinungen, den Verkleidungen des Bösen ist aber nicht ungefährlich. Weil jeder von uns das Böse bei anderen viel besser sieht als das Böse bei sich und in sich.
Damit nicht geschieht, was so oft geschieht, dass nämlich wir auf der Seite der Guten und die anderen auf der Seite der Verkehrten und Bösen stehen, möchte ich uns an eine Wahrheit des christlichen Glaubens erinnern: Wir nehmen das Böse nur dann wirklich ernst, wenn jeder von uns das eigene Böse ernst nimmt.
C.
Auswertung, Ergebnissicherung und Anwendung
Es kann sein, dass wir zurzeit andere Sorgen haben als das Thema der Jahreslosung. Und doch bin ich überzeugt, dass wir dieses Wort aus 1 Thes 5,21 sehr nötig haben, dass wir es sehr schätzen sollten!
1.
Schreiben wir unsere Fragen auf, die uns bei dem Thema kommen!
2.
Die Jahreslosung ist eine Einladung. Sind wir offen und empfänglich für Gottes Reden!
3.
Die Jahreslosung ist wie gemacht für eine Zeit, in der es von absoluten Geltungsansprüchen wimmelt, absolute Geltungsansprüche in der Politik, in der Religion, im privaten, persönlichen Bereich.
Leben wir die Jahreslosung: Prüfen wir alles!
Leben wir ein kritisches Vertrauen! Das Motto kann lauten: Kein Offensein für alles. Keine Abwehr von allem.
Der französische Mathematiker Henri Poincard gibt für mich die Richtung vor: Alles zu bezweifeln oder alles zu glauben, das sind zwei gleichermaßen bequeme Lösungen; beide befreien vom Nachdenken
Halten wir Unsicherheiten aus! Wir wissen manchmal nicht, ob es von Gott kommt oder nicht!
4.
In Konfliktsituationen ist prophetische Rede keine Hilfe! In Streit-Situationen warne ich vor absoluten Geltungsansprüchen.
Ein christliches Werk, das durch prophetisches Reden ins Leben gerufen wurde, das prophetisches Reden als Geschenk über Jahrzehnte erfährt, gerät in eine große Krise. Die Konfliktparteien gehen mit dem Anspruch in viele Gespräche, man habe entscheidende Erkenntnisse von Gott bekommen.
Diese Überzeugung wird zur großen Mauer, zum tiefen Graben, zur Falle. Warum? Weil nicht menschliche Ansichten und Positionen aufeinandertreffen, sondern Gottes-Standpunkt auf Gottes-Standpunkt. Und wenn es um Gott geht, kann man keine Kompromisse machen.
5.
Lasst uns das Gute anschauen und festhalten, das Gott, der Geber aller guten Gaben, uns schenkt! (Diesen Punkt 5 und Punkt 6 übernehme ich von meinem Kollegen Immanuel Bender aus Cadolzburg!)
Gott ist der Geber aller guten Gaben. Schau Dich in Deinem Leben um! Schau hin! Was hast Du alles an Gutem und Schönem! Das Gute ist in der Bibel immer das, was uns von Gott entgegenkommt. Wenn etwas gut ist in der Bibel, dann geht es nicht um ein deutsches Qualitätsmerkmal, auch nicht um die 2 auf der Skala von 1 – 6. Gut beschreibt die Herkunft. Da kommt etwas direkt von Gott auf mich zu. Es ist ein Gruß aus dem Paradies.
6.
Welche guten, wahren, wichtigen… Worte kommen uns z.B. aus dem Alten Testament entgegen?
Behaltet das Gute! Haltet das Gute fest! Was kann das heißen?
Gott ist der, der mit uns spricht. Ich lade uns jetzt dazu ein, dass wir einige Worte Gottes aus der jüdischen Bibel, aus unserem sog. Alten Testament jetzt hören.
Wir werden sehen, dass das Gute bei Gott eine große Bandbreite haben kann. So dass sich die Frage aufdrängen kann: Kann etwas gut sein, auch wenn es weh tut, wenn es schwer ist?
„Herr, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Ps 90,1f)
„Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte“ (Jes 53,2)
„Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jes 43,19)
„Siehe, was ich gebaut habe, das reiße ich ein, und was ich gepflanzt habe, das reiße ich aus“ (Jer 45,4)
„Lasst ihn fluchen; denn der Herr hat ihm geboten: Fluche David! Wer darf dann sagen: Warum tust du das?“ (2 Sam 16,10)
„Weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe“ (Jes 43,4)