Luk 21,25-28 – Erlösung? Schon jetzt oder naht sie erst? – Von Martin Brendel

Luk 21,28: Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. 

Natürlich müssen wir nachlesen, worum es geht, wann etwas anfängt. Dazu lesen wir die Verse vorher ab Vers 25: Brder ob ich auf den Menschensohn warte, der mit großer Kraft und Herrlichkeit kommt.

Trotzdem wird das alles geschehen. Es ist Gottes Wort. Und es muss geschehen, weil sich unsere Erlösung naht.

2.
Was lösen diese Sätze in Menschen aus?

1.
In jungen Menschen? Ich versuche mich in jemanden hineinzuversetzen, dem die Bibel fremd ist. Ich versuche mich in jemanden hineinzuversetzen, der jung ist, vielleicht Anfang 20, voller Tatendrang und Zukunftsplanungen. Wie wirkt so ein Text? Löst er Ängste aus? Schlimme Zeiten kommen auf uns zu! Alles kommt ins Wanken. Es geht zu Ende mit dieser Welt.

2.
In alten Menschen? Liest das jemand der schon älter ist, im Seniorenalter zum Beispiel kann dieser Text ganz anders wirken. Ich habe mein Leben gelebt, ob ich das noch mitbekomme, usw.

3.
In gläubigen Menschen? Wie liest jemand den Text, der die Bibel kennt, der mit Jesus lebt? Sagt da jeder: „Endlich! Jesus kommt bald wieder! Unser Ziel ist erreicht!“?

Im Grunde müsste das jeder so sagen, der Jesus nachfolgt.

Doch haben wir das immer so im Blick? Warten wir wirklich darauf? Oder sagen wir: „Ich freue mich darauf, wenn Jesus wiederkommt – nur nicht jetzt!“?

Jeder hat seine Aufgaben zu erledigen, seinen Alltag zu bewältigen, Probleme zu lösen, die damit verbunden sind. Da ist der Blick auf das Leben im Hier und Jetzt gerichtet.

Nebenbei nehmen wir wahr, wie die aktuelle Weltlage ist. Unsicherheiten, Ängste, Kriege, Naturkatastrophen. Sind das nicht die angesprochenen Zeichen?

Wir wissen, dass das auf die Menschheit zukommt. Jesus hat es selbst gesagt. Für uns ist es doch tröstlich zu wissen, dass, wenn das alles geschieht, unsere Erlösung kurz bevorsteht. Wir können versuchen, dass wir diese Perspektive immer im Blick haben und in unserem Alltag integrieren. Dass wir trotz allem unsere Aufgaben hier pflichtbewusst und ordentlich erledigen. Auf der anderen Seite aber wissen wir aber, dass unser Leben hier auf Erden nicht alles ist. Dass wir noch etwas ganz Großes vor uns haben.

Bevor wir die Frage beantworten, warum dieser Text unbedingt in die Advents- und Weihnachtszeit gehört, müssen wir die Frage nach der geheimnisvollen Figur des Menschensohnes beantworten.

 

B.
Teil 2: Was meint Jesus, wenn er sich Menschensohn nennt?

Jesus spricht hier von sich selbst als Menschensohn. Was hat es mit dieser Bezeichnung auf sich?

Das vielleicht zentralste Wort von Jesus, in dem er seine eigene Mission beschreibt, ist Markus 10,45: „Selbst der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um anderen zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele Menschen hinzugeben.

Der Menschensohn ist nach Daniel 7 der Herr der Welt, der Richter der Welt, der Erlöser der Welt. 80mal in den Evangelien nennt Jesus sich selbst „Menschensohn“. Menschensohn ist der höchste Würdetitel, der für Jesus in der Bibel gebraucht wird.

In Daniel 7,13 lesen wir: „Dann sah ich in meinen nächtlichen Visionen jemanden, der kam mit den Wolken des Himmels und sah aus wie eines Menschen Sohn. Er gelangte zu dem alten Mann und wurde vor ihn geführt.“ Dem gibt Gott die ewige Weltherrschaft und damit das Weltgericht. Wenn man das Evangelium liest, dann spürt man, dass es immer Aufruhr gibt, wenn Jesus sich so nennt. Sie sagen, das sei Gotteslästerung. Deshalb wird Jesus zum Schluss zum Tode verurteilt. Er sagt: „Ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft Gottes.“ (nach U. Parzany)

Jesus gibt sich selbst hin. Der Herr wird zum Knecht. Der Weltenherr wird zum Diener aller. Deshalb denken wir in der Adventszeit an das erste Kommen Jesu, an sein Leben, an sein Leiden und Sterben.

 

C.
Teil 3: Warum der Text unbedingt in die Advents- und Weihnachtszeit gehört!

Vielleicht regt sich in dem einen oder anderen die Frage: Bin ich oder sind wir nicht schon erlöst? Wenn ich an Jesus glaube, seine Vergebung annehme, bin ich doch schon erlöst? Hat Jesus am Kreuz nicht schon alles für meine Erlösung getan?

Wie tickt da die Bibel? Wie ist die Logik bei der biblischen Botschaft von der Erlösung?

I.
Die Bibel redet von unserer persönlichen Erlösung von unserer Sünde zur Gemeinschaft mit Gott.

1.
Klar ist: Für uns ist Jesus der Erlöser. Als Person. Das war seine Aufgabe. Er kam als Erlöser in die Welt.

Bei den Sklaven war das ein gewohnter Sprachgebrauch. Sie konnten losgekauft werden. Jemand hat einen Preis gezahlt, dann waren sie frei. So hat uns Jesus losgekauft von der Sünde, er hat die Trennung zwischen Gott und uns aufgehoben.

Hier drei Bibelstellen dazu:

Römer 3,24: Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Kolosser 1,14: In Jesus Christus haben wir die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden.

Epheser 1,7: In Jesus Christus haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade.

2.
Das mit der Erlösung ist gar nicht so einfach. Ich habe mich einmal mit jemanden unterhalten, der im Laufe des Gesprächs meinte, er brauche keine Erlösung. Von was soll ich denn erlöst werden? Da merken wir, dass es gar nicht so einfach ist, über Erlösung zu sprechen, dass es gar nicht so leicht ist, benennen zu können, was Erlösung bedeutet.

Auf der Seite bibel.de (Deutsche Bibelgesellschaft – zum Lesen sehr zu empfehlen) wird erklärt, dass die Lehre von der Erlösung zur Leerformel erstarrt ist. Obwohl die Menschen nicht weniger erlösungsbedürftig seien wie zur Zeit Jesu. Neben der Konfrontation mit Krankheit, Tod, Naturkatastrophen, Krieg, Beziehungskrisen, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Hunger sind es Arbeitslosigkeit und die Sorge um den Arbeitsplatz, wirtschaftliche Schwierigkeiten und die Angst vorm Abgleiten in die Armut, Leistungsdruck, die Forderung nach immer größerer Mobilität und der Zwang, sich möglichst optimal selbst verwirklichen und das eigene Leben inszenieren zu müssen, aber auch das Belastet-Sein durch Schuld und Sünde, die ein unerlöstes Lebensgefühl schaffen.

Wenn wir nun im christlichen Sprachgebrauch davon reden, dass „er uns erlöst hat“, können viele Menschen nicht viel oder nichts damit anfangen.

Im christlichem Glauben ist Jesus Christus die personifizierte Erlösung. Denn in ihm ist das von Gott zugesagte Heil auf unüberbietbare Art und Weise unter den Bedingungen dieser Welt in einem Menschen aus Fleisch und Blut sichtbar und greifbar geworden. Durch ihn sollen alle Menschen gerettet werden, nicht nur einige Auserwählte oder ein auserwähltes Volk, sondern alle, auch und gerade die Sünderinnen und Sünder, wenn sie zur Umkehr bereit sind.

Erlösung geschieht nach christlichem Verständnis nicht durch menschliche Anstrengung und menschliches Bemühen. Denn die Menschen sind aus eigener Kraft gar nicht in der Lage, auf die Liebe Gottes mit Liebe zu antworten und so das gestörte Verhältnis zu ihm wieder herzustellen. Erlösung kann nach christlicher Überzeugung nur von Gott her geschenkt werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die christliche Erlösungsvorstellung grundlegend von denjenigen anderer Religionen, insbesondere vom Buddhismus und Hinduismus, für die der Gedanke der Selbsterlösung bestimmend ist. Nach christlichem Verständnis schafft nicht der Mensch die Erlösung, sondern Gott. Nicht der Mensch sucht die Entfremdung von Gott durch Opfer oder besondere Sühneleistungen auszugleichen und Gott dadurch gnädig zu stimmen, sondern Gott stiftet Versöhnung. Nicht der Mensch geht zu Gott, sondern Gott kommt zum Menschen.

Wo Menschen sich auf das Erlösungsangebot Jesu Christi nicht einlassen, kann es auch nicht wirksam werden. Erlösung geschieht nur dort, wo Menschen offen sind für das Versöhnungsangebot Jesu Christi, wo sie es annehmen und sich persönlich zu Eigen machen. Darum gibt es Erlösung nicht ohne Glauben.

Jesus selbst predigte nicht nur die Erlösung, er handelte auch so. Er befreite Menschen von Krankheit und Besessenheit. Von der Last des Gesetzes, von der Fixierung auf das eigene Ich, von Schuld und Sünde, von Sorgen und Zukunftsangst. Die Begegnung mit ihm verhalf denen, die sich für ihn öffneten, zu (neuer) Selbsterkenntnis, stiftete (neue) Beziehungen.

 

II.
Die Bibel redet von der Vollendung unserer Erlösung, die gleichzeitig die Erlösung der ganzen Schöpfung sein wird.

Wir sind also schon erlöst. Aber unsere Erlösung ist noch nicht perfekt, noch nicht am Ziel.

Wir sehen das an zwei Bibelstellen.

Wir lesen in Rö 8,18-25: 18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. 

Und wir lesen in 2 Kor 5,6-8: 6 So sind wir denn allezeit getrost und wissen: Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; 7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. 8 Wir sind aber getrost und begehren sehr, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn.

Die persönliche Erlösung zur Gemeinschaft mit Gott löst nach christlichem Verständnis die alltäglichen Probleme des Lebens nicht einfach auf. Menschen, die an Jesus Christus glauben, sind erlöst, sind keineswegs alle Schwierigkeiten los und Leid und Unheil bleiben ihnen nicht erspart.

Jetzt leben wir im Glauben und mit allen Schwierigkeiten, die dieses Leben mit sich bringen kann. Wir glauben. Unser Glaube wird im Leben auf die Probe gestellt. Es können Zweifel und Fragen aufkommen. Wir werden noch schuldig. Wir leiden wie alle Menschen an Kriegen und Katastrophen, an Konflikten und Nöten.

Das ist alles normal. Wir sind gerettet auf Hoffnung“. Wir sehnen uns nach der Erlösung unseres Leibes. Wir warten in Geduld auf die Erlösung. Wir können getrost sein.

Wenn Jesus wiederkommt, wird unsere Erlösung sichtbar, wird die Erlösung sichtbar. Wir werden Jesus sehen! Alles wird offenbar. Wir bekommen einen Platz in der neuen Welt! Die Welt wird befreit werden von der Vergänglichkeit. Wir können uns das gar nicht vorstellen, wie das sein wird, wenn die Schöpfung am Ziel angekommen sein wird, wenn wir am Ziel angekommen sein werden. Wen werden wir alles treffen? Wahrscheinlich werde ich sprachlos sein, wahrscheinlich werde ich das alles gar nicht fassen können!

Wir können uns wirklich darauf freuen, wenn der Tag der Erlösung kommt.

Deshalb gehört der Predigttext von heute unbedingt in die Advents- und Weihnachtszeit. Er lenkt unseren Blick auf die Hoffnung, die wir haben. Er lenkt unseren Blick auf das Wiederkommen Jesu, auf die Erlösung der Schöpfung, auf die Vollendung unserer persönlichen Erlösung.

 

D.
Teil 4: Wozu gibt uns Jesus diese Hinweise?

1.
Wir waren im September im Urlaub in Kroatien. Da geht es auf der Fahrt durch Österreich durch viele Tunnel. Der längste ist über 7km lang. Bevor der Tunnel beginnt, ist angeschrieben, wie lange er ist. Wenn man auf dem Weg durch den Tunnel ist, liest man an der Seite, wie viele Kilometer noch kommen. Es werden also immer weniger. Wenn man durch ist, freut man sich wieder am Tageslicht. Das finde ich ein schönes Bild.

Wenn man so durch einen langen Tunnel fährt, sieht man ja nicht viel. Man konzentriert sich auf den Weg. Irgendwie ist man dankbar für die Hinweise, dass es bald geschafft ist. So ist es im Leben. Wir sind unterwegs, erledigen unsere Aufgaben, leben den Alltag. Das muss sein. Doch gleichzeitig ist es auch gut, sich umzusehen. Was passiert um mich herum?

Bleiben wir nicht im Trott. Bleiben wir nicht wie im Tunnel. Wenn die Zeichen kommen, sollen wir wach werden, wach sein! Die Zeichen wollen uns Orientierung geben. Sie wollen uns auch ermutigen: Es dauert nicht mehr lange! Sie zeigen, dass Gott den Überblick und alles im Griff hat.

2.
Was können wir tun auf dem Weg zum Ziel?

(1)
Auf Jesus sehen!

Aufrichten! Kopf heben! Wie die gekrümmte Frau. Sie begegnet Jesus und kann endlich aufblicken. Sie bekommt eine neue Perspektive. Wir haben eine Hoffnung.

Sehen wir auf Jesus. Gerade im Advent. Wir erwarten ihn, wir freuen uns auf ihn. Wir feiern seinen Geburtstag. Wir sind Gott unendlich dankbar, dass er seinen Sohn zu uns geschickt hat. Er hat sich klein gemacht. Der Menschensohn, der Herr wird zum Knecht.

Und wir können sehen, was Jesus alles gemacht hat. Wie und was er bewirkt hat. Jesus sieht uns, jeden einzelnen mit seinen Bedürfnissen. An ihm kann ich mich orientieren.

(2)
Hoffnung verbreiten!

Alles kann „jetzt schon“ zu Spuren des Heils und der Erlösung werden: die Erfahrung einer unverdienten Wohltat, von Vergebung und Versöhnung, von Unterstützung und Zuwendung, von Annahme und Sein-Können, so wie man ist. All dies kann einen Vorgeschmack auf die Erlösung vermitteln, kann durchsichtig, transparent werden für das Erlösungshandeln Gottes in Jesus Christus. Die in diesem Leben erfahrbaren Spuren von Erlösung haben darum den Charakter von Hoffnungszeichen; sie sind Vorschein endgültiger Vollendung, aber nicht die Vollendung selbst.

Unheil, Leid und Böses wird nicht einfach beseitigt, aber ein Weg eröffnet, um in dieser Welt damit umzugehen und es im Leben zu bewältigen – durch Gemeinschaft, Liebe, Vertrauen, Versöhnung, Vergebung, Barmherzigkeit, praktische Hilfe und Unterstützung.

So können wir in der Zeit des Wartens Hoffnungszeichen weitergeben.

(3)
Zum Schluss noch ein Gedanke:

Das Wort „warten“ kann man auch in dem Sinn von pflegen lesen. Geräte, Autos, Maschinen, Anlagen müssen gewartet werden. „Warten“ bedeutet dabei prüfen, ob alles funktioniert, neu ausrichten, wenn etwas schlecht funktioniert, und pflegen, damit es auch weiter funktioniert.

Auf unser Leben übertragen kann das heißen: In sich gehen, Lebensausrichtung prüfen und gegebenenfalls ändern, aktiv dafür sorgen, dass es dem Nächsten, aber auch uns selbst gut gehen kann. Es heißt aber auch, sich ausrichten auf die Zeit der endgültigen Erlösung, wenn Jesus wiederkommt.

Auch das ist möglich in der Adventszeit. Nutzen wir die Stille und Ruhe zum „Warten“.