Apg 16,23-34 – Wenn das Lob Gottes eine große Veränderung einleitet – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung

In unserem heutigen Predigttext steht das Singen zweier Christen im Zentrum, die zu Unrecht misshandelt und inhaftiert sind, deren Singen aber im wahrsten Sinn die Welt bewegt.

Die Predigt hat zwei Teile. Wir schauen uns im ersten Teil die Geschichte näher an, um sie im zweiten Teil auszuwerten und auf unser Leben anzuwenden!

 

B.
Teil 1: Wir schauen uns die Geschichte an

 

I.
Die innere Freiheit von Paulus und Silas.

23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. 24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. 25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen

1.
Was war damals los? Warum sind Paulus und Silas ins Gefängnis gekommen und hart geschlagen worden?

Das wäre eine eigene Geschichte. Wir machen es kurz: Ihre Verkündigung hat einigen Geschäftsleuten nicht gepasst. Die haben Anzeige bei den Behörden erstattet und eine Demo gegen Paulus und Silas organisiert. Das Ganze endete mit einer Inhaftierung und mit Folter.

2.
Es ist mitten in der Nacht, als Paulus und Silas beten und singend, d.h. mit Hymnen, also mit Psalmen, Gott loben. Sie tun das so laut und vernehmlich, dass es die übrigen Gefangenen hören. Ihr singendes Beten und Loben dringt durch die Nacht.

Äußerlich gefangene Menschen sind innerlich frei. Es gibt diese Menschen, die in großer Bedrängnis eine innere Freiheit besitzen. Paulus und Silas waren solch innerlich freie Menschen. Sie loben Gott.

3.
Lob Gottes – was ist das eigentlich?

Wer Gott lobt, rühmt Gott für sein Gottsein, für seine Gegenwart, für seine Eigenschaften, für seine Größe und Macht, für seine Liebe und Treue. Gott loben ist das Bekenntnis eines Menschen: Es gibt Größeres als mich und mein Leben.

Gott zu loben ist zweckfrei. Das unterscheidet das Gotteslob von Dank, Bitte und Klage. Paulus und Silas bezwecken nichts mit ihren Gebetsliedern. Ob sie auch um ein Wunder, um offene Türen, um ihre Freiheit gebetet haben, wissen wir nicht. Der Text sagt es uns nicht.

Paulus uns Silas loben Gottes Güte, auch wenn sie diese Güte nicht erleben. Sie loben Gottes Macht, auch wenn ihnen diese Macht nicht hilft. Sie bleiben nicht bei dem stehen, was sie erleiden. Sie schauen im Glauben mitten im Dunkel ihrer Situation auf das Licht Gottes. Sie vergessen in ihrer Ohnmacht nicht die Macht Gottes. Sie stellen Gott über ihr Schicksal. Wenn ein Mensch Gott lobt, sagt er damit zu Gott: Du bist größer als alles. Größer als meine Not! Größer als meine Angst! Du bist der Herr der Welt! Du bist der Herr über Leben und Tod!

Paulus und Silas bleiben im Glauben. Glauben in einer solchen Nacht ist ein Ernstfall. Glauben heißt ja immer: mit der Wirklichkeit Gottes rechnen und seinen Möglichkeiten vertrauen.

 

II.
Das Erdbeben als Zeichen für Gottes veränderndes Handeln

26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! 

Die Antwort Gottes auf das Beten, Singen und Loben von Paulus und Silas ist unverhofft und ungewöhnlich. Gottseidank sind Erdbeben nicht der Normalfall der göttlichen Antwort auf Gebet und Lobpreis.

Erdbeben sind in der Bibel nicht immer, aber ab und an eine Zeichenhandlung Gottes: (1) Erdbeben sind ein Zeichen dafür, dass das Alte vergeht und etwas Neues entsteht. Eine Zeit vergeht. Eine Welt vergeht. Eine Ordnung vergeht. (2) Erdbeben sind ein Zeichen dafür, dass das scheinbar so Feste und Unveränderliche sich doch verändert.  (3) Gott schenkt etwas vollkommen und entscheidend Neues, das alles positiv verändert: Am Berg Horeb, als Gott die 10 Gebote schenkt (2 Mo 19,18). Beim Tod Jesu (Mt 27,51-51) und bei seiner Auferweckung (Mt 28,2). In all diesen Fällen kommt niemand zu Schaden. Im Gegenteil. Gott erschüttert das Bisherige, das so felsenfest und unveränderlich erschien.

Das Erdbeben hier in Apg 16 ist minimal-invasiv. Auch dieses fine-getunte Erdbeben ist exakt so stark, wie es sein muss, damit Mauern wackeln und Türen aufgehen. Aber das Erdbeben richtet keine Schäden an: weder Sachschäden noch Personenschaden! Gott schafft eine völlig neue Situation. Das Leben der beteiligten Menschen wird grundlegend ins Positive verändert. Hier in Apg 16: Mauern fallen nur im übertragenen Sinne. Türen gehen auf. Fesseln fallen ab. Gefangenschaften werden beendet. Das Leben wird anders. Freundschaften entstehen.

 

III.
Die Bekehrung des Gefängnisaufsehers

29 Der Kerkermeister aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 30 Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! 32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen 34 und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Damit sind wir beim Kerkermeister, der neben Paulus und Silas die dritte Hauptfigur in unserer Geschichte bildet. Ein Kerkermeister war zurzeit unserer Geschichte für die Aufsicht über die Gefangenen zuständig und persönlich für diese verantwortlich.

Die Pointe der Geschichte liegt darin, dass die Gefangenen nicht die Gelegenheit zur Flucht ergreifen. Keiner haut ab. Alle bleiben da! Diese erstaunliche Tatsache wird am ausführlichsten erzählt, weil sie neben dem Lobpreis von Paulus und Silas und neben den offenen Türen das wichtigste Instrument ist, um den Kerkermeister zum Glauben zu bringen.

Als der Kerkermeister in Philippi die offenen Gefängnistüren bemerkt, muss er annehmen, dass alle Gefangenen geflohen sind. Dafür würde er verantwortlich gemacht werden. Was für ein persönliches Versagen! Ich weiß es nicht, ob er seine Berufsehre oder seinen Job verloren hätte oder ob man ihn zur Strafe selbst eingesperrt, ja vielleicht sogar die Todesstrafe über ihn verhängt hätte. Jedenfalls reagiert er panisch. Er will sich umbringen. Paulus ruft laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Paulus und die anderen Gefangenen retten dem Kerkermeister zweimal das Leben: Einmal dadurch, dass sie nicht geflüchtet waren. Und durch die Kriseninterventionsmaßnahme des Paulus.

Ich weiß es nicht, welche Gedanken und Gefühle der Kerkermeister in dieser Nacht verarbeiten musste. Hier meine Vermutung!

Ich vermute, dass er vor Gott und dessen Nähe und Macht erschrocken ist, dass er aber gleichzeitig in sich eine starke Sehnsucht nach diesem Gott bemerkte.

Ich vermute, dass Paulus und Silas ihn beeindruckten und diese Faszination wichtige Fragen stellte: Was sind das für Typen? Warum sind die nicht abgehauen? Warum haben sie die Chance auf Freiheit nicht genutzt? Haben die vielleicht an mich gedacht? Haben die mir keine Schwierigkeiten einbrocken wollen?

Ich vermute: Der Kerkermeister merkt, dass diese Leute etwas haben, was er nicht hat, dass sie über eine Kraftquelle verfügen, die er auch will und braucht.

Jedenfalls stellt er die Frage, auf die all diese Fragen hinauslaufen: Was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Auf diese Frage hin fällt dann der Name Jesus!

Paulus sagt ihm, wie wir Menschen Anteil an der Gemeinschaft mit Gott und Anteil an Gottes Rettungshandeln bekommen können: Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst gerettet werden und dein Haus! Glaube, dass Jesus der Herr der Welt ist, dass er Gott ist, und du wirst gerettet werden!

Dann geht alles sehr schnell.

Wir lesen von Taufunterricht und Taufe. Mitten in der Nacht. Paulus tauft noch in der Nacht den Kerkermeister samt allen Menschen, die zu seinem Haus gehören.

Wir lesen von Diakonie! Der Gefängnisaufseher führt die Gefangenen in sein Haus, pflegt und verbindet die Wunden.

Wir lesen von einer Feier. Es gibt ein Festbankett. Man isst und trinkt wohl in den Tag hinein.

 

C.
Teil 2: Auswertung und Anwendung. 3 Impulse für unser Christsein, für unser Leben

I.
Zwei Impulse, zwei V für unser missionarisches Engagement

Lasst uns so leben, dass die Menschen ins Fragen kommen, wenn sie uns erleben. Unser Text sagt uns zwei Dinge, die dazu führen können, dass sie ins Fragen kommen.

Erster Impuls, ein erstes V: V wie Verzicht. Verzicht auf Freiheit. Verzicht auf unser Lieblingsprogramm. Verzicht auf das Gewohnte und Vertraute. Verzicht zu Gunsten anderer. Verzicht aus Solidarität und Nächstenliebe.

Zweiter Impuls, ein zweites V: V wie Vertrauensbildung, V. wie vertrauensbildende Maßnahmen. Verhalten wir uns so, dass Nichtchristen Vertrauen zu uns fassen können!

 

II.
Schwert oder Fackel ? – Das ist oft die Frage!

Unsere Geschichte kontrastiert Schwert und Licht. Der Kerkermeister hat ein Schwert bei sich, aber kein Licht.

Wir können Schwert und Licht als Symbole auffassen. Es gibt viele Menschen, die mit einem Schwert umherlaufen. Sie verletzen andere. Sie verletzen sich. Sie sind gefährlich für sich. Sie sind gefährlich für andere.
Es gibt Menschen, die mit dem Schwert der Rechthaberei und Kraftmeierei herumlaufen, weil sie unsicher sind und kein Licht für ihre Unsicherheit und für ihre Schwächen haben.

Es gibt Menschen, die mit dem Schwert des Hasses leben, weil sie tiefe Ängste haben, aber kein Licht für ihre Angst und ihren Hass.

Es gibt Menschen, die mit dem Schwert aggressiver Worte herumlaufen, weil sie z.B. kein Licht für ihr schlechtes Gewissen haben.

Es gibt Menschen, die mit dem Schwert des Zynismus leben, weil sie in ihrer Resignation kein Hoffnungslicht haben.

Leben wir so, dass wir unsere Schwerter bei Jesus abgeben! Und schenken wir den Menschen unser Licht!

 

III.
Gott loben, musizieren und singen, wenn man wie eingesperrt und blockiert ist?

1.
Vorsicht bitte! Was Paulus und Silas hier tun, dass sie singen und Gott loben, ist ein unglaublicher Vorgang, den man von niemanden verlangen kann, zu dem man Menschen in einer solchen Situation nicht verpflichten darf!

Machen wir nicht ein Gesetz aus dieser Geschichte – nach dem Motto: Du musst nur beten! Du musst halt Gott loben! Dann geschehen die Wunder! Garantiert!

Es ist so, Gott hört unsere Gebete. Und es geschehen Wunder. Die Hilfe kommt. Die Wende passiert.

Aber nicht immer! Oft geschieht das Wunder nicht! Oft verändert sich eine Situation nicht zum Guten! Dann merken wir: Gott funktioniert nicht einfach so, wie wir es uns wünschen!

2.
Dennoch ermutige ich uns, es in unseren Gefängnis-Situationen, in unseren Nächten mit dem Lob Gottes und der Musik zu probieren! Wenn wir wie eingesperrt sind! Wenn uns jemand bedrängt und Schmerzen zufügt! Wenn wir wie blockiert sind! Wenn wir uns fühlen, als sei uns jeder Spielraum genommen!

Ich kann nicht sagen, was passieren wird. Ob ein Wunder geschieht oder nicht! Ob Gott den Wunsch erfüllt oder nicht. Ob er das Leid wegnimmt oder nicht. Aber ich weiß: Manchmal sprengt ein Lob Gottes die Fesseln und bricht Blockaden auf – innerlich oder äußerlich. Manchmal gibt ein gemeinsam oder allein gesungenes oder ein gehörtes Lied Kraft und Hoffnung und Trost.

Es ist so: Musik hilft. Singen tut gut. Gottseidank!