Matthäus 14,22-27 – Ein Christsein weit weg vom sicheren Ufer – Von Thomas Pichel

I.
Wir müssen lernen, mit Corona und den Folgen umzugehen.
Wir müssen Corona lernen. Wir müssen Krise lernen.

Es kommt mir so vor, als ob uns ein verändertes Leben aufgezwungen wird, das wir alle erst noch lernen müssen.

Wir müssen lernen, Abstand zu wahren und doch Gemeinschaft untereinander zu halten.

Wir müssen lernen, mit all den Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten fertig zu werden.
Wir müssen lernen, mit Absagen und Einschränkungen, Ausgangssperren und Verboten zu leben.

Wir müssen lernen, die immer neuen Zahlen und Nachrichten zu verkraften.
Wir müssen lernen, die hilfreichen von den falschen Meldungen zu unterscheiden.

Schüler müssen lernen, daheim zu lernen.
Familien müssen lernen, ihr Leben anders zu organisieren.

Viele müssen lernen, weniger Geld zu verdienen, nichts zu verdienen.

Wir können alle unsere Lern-Listen fortschreiben und ergänzen.

II.
Ich lese nun einen Text aus dem Matthäus-Evangelium, in dem die Jünger Jesu einiges lernen mussten, einiges lernen durften.

22 Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe.
23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.
24 Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. 
26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.
27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Was haben die Jünger in dieser Geschichte lernen müssen? Was können wir aus dieser Geschichte lernen?
Auch wenn die Situation auf dem See Genezareth natürlich eine andere war als unsere in diesen Tagen.
Und doch gibt es Parallelen.

1.
Wir müssen jetzt erst recht ein Christsein weit weg vom Ufer, in der Nacht, auf gefährlicher See, im Gegenwind lernen.

Was meine ich damit?
Dazu müssen wir verstehen, dass Ufer ein Bildwort, ein Symbol für einen Sehnsuchtsort ist.

(1)
Am Ufer war für die Jünger die Welt noch in Ordnung.

Keine bedrohlichen Wellen. Nichts Angsteinflößendes. Kein Gegenwind. Keine Nässe. Keine Kälte.
Keine Existenzangst. Keine Lebensgefahr.

Im Gegenteil: Eine wunderbare Erfahrung mit Gott. Tausende waren begeistert von Jesus.

Ufer – das kann also die gute alte Zeit, die vergangene und nun verlorene bessere Zeit meinen.

(2)
Ufer kann auch die ersehnte und erhoffte Zukunft meinen.

Ufer – das sind die Verhältnisse, wo ich mich gut und sicher fühle.
Ufer – das ist der Wunsch nach idealen Bedingungen und Umständen.

Die Jünger müssen klar kommen mit dem Gegenteil eines Lebens auf dem Ufer.
Es ist Nacht. Unter ihnen ein bodenloser Abgrund. Welle auf Welle. Woge auf Woge. Gefährliche Brecher und Winde.
Das Boot wird hin und her geworfen. Es wird nach oben gezogen. Es fällt durch nach unten.
Alles ist unheimlich und bedrohlich.
Sie sind durchnässt, sie frieren, sie sind müde.
Eine giftige Angst hat sie infiziert.
Und wo ist Jesus?

Die Jünger werden vor dem Abend ins Boot getrieben. Also vor 18.00 Uhr.
Sie müssen rudern und rudern und rudern, kämpfen und kämpfen und kämpfen – bis zur 4. Nachtwache,
bis in die Zeit zwischen 3 und 6 Uhr am anderen Morgen.

(3)
Was sollten die Jünger in dieser Nacht lernen? Was können wir lernen?
Etwas, was wir nicht gerne hören und oft nicht wahrhaben wollen.

a.
Der Weg mit Gott kann ein schwieriger, dunkler und harter Weg sein.
Wellen bringen die Jünger in Not, wörtlich heißt es: Die Wellen quälten, folterten sie.

Übertragen auf uns: Die Nachrichten-Flut und die Bilder-Flut machen uns Mühe.
Die Zahlen-Wellen, die Erlebnis-Wellen, die Problem-Wellen können uns foltern…

b.
Es kann sein, dass man als Christ lange auf Jesus warten muss,
bis man seine Gegenwart erlebt, bis man eine Antwort bekommt, bis man eine Hilfe erfährt, bis er in unserem Inneren etwas verändert.

2.
Christsein in Corona-Zeiten heißt jetzt erst recht:
Ich vertraue Jesus. Ich rechne mit Jesus. Ich übersehe Jesus nicht.

Das dürfen wir in diesen Corona-Zeiten nicht verlernen. Das dürfen wir nicht vergessen.

Dazu braucht es jeden Morgen unsere Entscheidung:
Herr, ich will heute mich auf Dich fokussieren.

Das dürfen wir uns von Gott erbitten.
Herr, hilf mir, dass ich Dich nicht aus den Augen verliere.

(1)
Schauen wir in den Text!

Die Jünger haben, so wie es aussieht, nicht mit Jesus gerechnet.
Völlig verständlich in ihrer Situation. Sein Kommen hielten sie für ausgeschlossen.

Jesu Kommen ist zunächst für die Jünger nichts Positives, sondern etwas Unheimliches und Schreckliches.

Die Sprache der Bibel ist sehr genau. Es heißt zweimal, dass Jesus auf dem See geht, auf den Wellen, nicht über das Wasser.
Jesus schwebt nicht über dem Wasser.

Versuchen wir uns das vorzustellen!
Die Jünger sehen Jesus, wenn die Wellen oben sind, dann sehen sie ihn halb, dann verschwindet er, plötzlich taucht er an einer anderen Stelle wieder auf.
Das dürfte sich ein paar Mal wiederholt haben. Das ist unheimlich und angsteinflößend.

Die Jünger schreien vor Angst. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass es Jesus sein könnte. Damit rechnen sie überhaupt nicht.
Sie halten Jesus für ein „phantasma“. Dieses griechische Wort kann Schreckgespenst oder Sinnestäuschung oder Wahnvorstellung meinen.

Jesus erschrickt sie. Jesus löst Angst und Schrecken aus.
Erst, als er redet, dämmert es ihnen, erkennen sie ihn, beruhigen sie sich. Dazu gleich mehr.

(2)
Was sollten seine Jünger in diesen Minuten lernen? Was können wir für unser Christsein lernen?

a.
Ich sage es zunächst mit Worten, die vor Tagen mein Kollege Jürgen Höppner mir zugesagt hat:
Thomas, glaub nicht alles, was du denkst! Glaub nicht alles, was deine Ängste deinem Verstand kommandieren!

Deshalb sage ich es uns allen zu: Glaube nicht, dass Gott Dich allein lässt, dass Gott Dich nicht erreicht, dass Gott bei Dir nichts erreichen kann!
Glaube nicht, dass Gott nicht helfen kann!

Übersieh Jesus nicht! Rechne mit ihm! Für Gott gibt es keine Ausgangssperre! Ihn kann nichts von dir abhalten!
Kein Wind kann Gott entgegenstehen! Wellen können Gott nicht aufhalten.

b.
Das heißt aber auch: Wir müssen lernen, unsere Sehnsucht nach dem Ufer loszulassen, abzulegen, hintanzustellen.

Wir müssen lernen, dass wir in Zeiten wie dieser nicht auf unser Traum-Ufer sehen und schielen, sondern auf Jesus.
Die Gefahr ist, dass wir uns wehmütig zurücksehnen an das Ufer unseres bisherigen Lebens;
oder dass wir uns ungeduldig an das Ufer einer besseren Zukunft sehnen.

Menschlich verständlich. Aber ich habe den Eindruck, dass das uns jetzt nicht hilft, und dass diese Uferblicke
uns den Blick für Jesus auf den Wellen verschließen.

Was will dieser Text uns lehren und beibringen?

Wir sollen und dürfen Jesus auf den Wellen nicht übersehen.
Wir dürfen ihn und alles, was die Bibel über ihn sagt, nicht für eine Einbildung halten.
Wir dürfen nie vergessen, dass Jesus immer der Kommende ist, dass er der Herr ist und regiert!

Deshalb wünsche ich es uns allen, dass wir Jesus auf den Schaumkronen stehend und zu uns kommend sehen!
Diese Gewissheit schenke der Heilige Geist uns allen!

c.
Jesus ist auf den Wellen. Er kommt auf den Wellen. Er kommt zu uns.  
Im lateinischen Neuen Testament steht „ambulare“. Davon kommt unser Wort Ambulanz.

Das ist eine phantastische Botschaft: Jesus ist die göttliche Ambulanz.
Jesus ist zu jedem von uns unterwegs, um uns zu behandeln, zu versorgen, zu pflegen…

Wenn wir das glauben, können wir uns Jesus heute, jetzt, in diesem Augenblick anvertrauen.

Herr, ich habe nicht die Kontrolle über mein Leben verloren, sondern die Illusion, dass ich die Kontrolle je hatte.
Ich begebe mich in deine Hand. Ich sage Ja zu meiner totalen Abhängigkeit von Dir.
Ich lasse mir an Deiner Überlegenheit und Deinen Möglichkeiten genügen. Schenke mir Deine Ambulanz-Dienste!

3.
Christsein heißt: Es kommt sehr viel auf das Reden Jesu an.

(1)
Jesus merkt, dass er seinen Jüngern Angst und Schrecken einjagt.
Es heißt im Text: Sogleich redete Jesus mit ihnen. Er verschafft sich Gehör.
Die Lautstärke von Wind und Wellen können es nicht verhindern.

Wie schon gesagt: Erst als Jesus redet, erkennen die Jünger ihn und beruhigen sie sich.
Sein Reden verändert die Jünger, diese müden Ruderer, diese nassen, frierenden Kämpfer der Nacht,
diese Spielbälle der Wellen, diese Opfer des Gegenwindes, diese Christen, in deren Seelen das Virus der Angst steckt.

(2)
Was lernen wir daraus? Was lernen wir für unser Christsein?

Es kommt sehr viel auf das Reden Jesu an. Durch sein Reden erkennen wir seine Nähe.
Durch seine Worte kommt sein Geist in uns. Seine Zusagen sind über aller Bodenlosigkeit unsere Grundlage!

Das ist ein Geheimnis des Christseins: Gottes Lieblingswerkzeug, uns seine Nähe zu vermitteln, sind Bibelworte.

Die Gründerin der Christusbruderschaft Hanna Hümmer hat dieses Geheimnis mit folgendem Merksatz ausgedrückt:
Sein Wort wird nicht von dir weichen, wenn du in Angst bist und ihn nicht fassen kannst.

Und Jürgen Höppner, mein Kollege aus Bayreuth, hat das so formuliert:
Thomas, glaube, was Gott denkt! Glaube, was er Dir zusagt! Es gibt so tolle Worte.

(3)
Was sagte Jesus den Jüngern? Was sagt er uns heute zu, was sagt er in diesen Zeiten zu uns?

Sei getrost!
Ich lasse Dich nicht allein. Ich helfe Dir in Deiner Unsicherheit, bei Deinem Überfordertsein, in Deinen Nöten, in Deiner Einsamkeit.

Ich bin’s!
Ich bin Dir das, was Du am nötigsten brauchst. Ich bin dem Wind, den Wellen, der Nacht, dem Leben, dem Virus gewachsen.
Ihr müsst es nicht sein! Ihr könnt es auch nicht! Dafür bin ich zuständig!

Fürchtet euch nicht!
Ich habe den Impfstoff gegen Entmutigung, Hoffnungslosigkeit und Angst.

III.
Ich komme zum Schluss und wiederhole noch einmal:

(1)
Was ist die Moral unserer Zeit?

Ich sagte zu Beginn, dass wir es erst lernen müssen, uns auf Corona und die Folgen einzustellen.

Lasst es uns gemeinsam lernen! Lasst uns eine Lerngemeinschaft sein!
Helfen wir uns gegenseitig! Halten wir über Telefon und die sozialen Medien Kontakt!

Beten wir füreinander! Beten wir für unser Land, für alle Kranken, für…, für… für…

(2)
Was ist die Moral von dieser G’schicht?

Wir dürfen vor lauter Uferlosigkeit, vor lauter Wind und Wellen Jesus nicht übersehen.

Wir dürfen das, was die Bibel über Jesus sagt, nicht aus den Augen verlieren, nicht als Hirngespinst abtun. Wir dürfen mit Jesus rechnen!

Es ist keine Einbildung: Jesus ist immer der Kommende. Er kommt auf den chaotischen Wellen dieser “bösen Zeit”.
Es ist keine Einbildung: Er ist der Herr. Er hat diese erschütterte, wunde, infizierte Welt in seiner Hand.
Es ist keine Einbildung: Er erreicht seine Leute, seine Geschöpfe. Er erreicht zu seiner Zeit sein Ufer.

Wie aber können wir mit ihm rechnen?

Indem wir auf ihn hören! Z.B. Indem wir die Versprechen dieses Textes glauben!

Er ist die göttliche Ambulanz in Person!
Er kommt, um uns zu behandeln, zu pflegen, zu versorgen, vielleicht auch zu heilen, oder im Sterben zu begleiten.

Vergessen wir das nicht! Verlernen wir es nicht! Lernen wir es wieder ganz neu!

Wir wissen nicht, ob und wann wir wieder unser erhofftes Ufer erreichen.
Wir wissen nicht, wie dieses Ufer dann aussehen wird.
Aber wir wissen, dass Jesus uns an sein Ufer bringen wird!

Gelobt sei Gott!

Seien Sie behütet und gesegnet!