Gott sucht seine Menschen (Über Gott Basics IV) – Von Thomas Pichel

Teil 1: Gottes Suchen in der Bibel

 

I.
Es gibt sehr viele Bibelstellen, wirklich sehr viele, in denen Menschen Gott suchen bzw. aufgefordert werden, Gott zu suchen:

5 Mo 4,29: Wenn du den Herrn suchen wirst, wirst du ihn finden (siehe 1 Chro 28,9; 2 Chro 15,2.4.15; Jer 29,13)
1 Chro 16,10: Es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen (siehe Ps 105,3)
1 Chro 16,11: Sucht sein Angesicht allezeit (siehe 2 Chro 7,14; Ps 24,6; 27,8; 105,4; Hos 5,15)

Und es gibt ein paar wenige Bibelstellen, in denen Gott zornig ist und sich nicht finden lässt:

Spr 1,28: Sie werden mich suchen und nicht finden. (siehe Spr 14,6)

 

II.
Aber dieses Suchen Gottes durch uns Menschen ist nicht das Erste in der Bibel. Unserem Suchen geht etwas voraus und liegt etwas zugrunde. Es ist das Suchen Gottes!

Ich möchte uns heute auf das Hauptwerk des jüdischen Rabbiners und Philosophen Abraham Heschel (1907-1972) aufmerksam machen. Heschel schrieb 1955 eine Philosophie des Judentums. Sein Buch heißt: God in Search of Man. A Philosophy of Judaism. Gott auf der Suche nach dem Menschen. Eine Philosophie des Judentums. Heschel konnte sagen: “Die ganze menschliche Geschichte, wie die Bibel sie sieht, kann in einem Satz zusammengefasst werden: Gott ist auf der Suche nach dem Menschen.” (aa0, S.104).

Hier kurz die Hauptlinien, was Heschel über Gott, die Bibel und uns Menschen sagt.

1.
Gott sucht den Menschen. Er sucht jeden Menschen. Gott hat Pathos, das heißt: Gott zieht es zu seinen Menschen. Er nimmt immer neu Kontakt zu uns auf. Er ist von jedes Menschen Lage ergriffen. Er ist nie gleichgültig gegenüber menschlicher Freude und Trauer. Er ist der Gefährte des Menschen, ob der Mensch das weiß oder nicht. Er ist immer besorgt um den Menschen. Er antwortet ihm helfend in jeder Situation. Gott sind die Menschen wichtig. Er weiß auch, dass er für die Menschen wichtig ist. Er versucht die Menschen zu finden, um ihnen zu helfen, um mit ihnen zu leben

Gott ist nie ein Gegenstand, den wir Menschen wie ein Ding untersuchen könnten. Sondern er ist unser lebendiges Gegenüber. Es geht Gott immer um eine Gemeinschaft des Gebens und Nehmens mit uns.

2.
Eine große Rolle spielt bei dieser Suche Gottes nach den Menschen die Bibel. Heschels philosophisches Buch ist ein einziger Lobpreis der Bibel. Für ihn ist die Bibel eine sehr wertvolle Gabe Gottes bzw. eine sehr wertvolle Gabe, die Juden und Christen der Welt gegeben haben. Warum? Weil wir durch die Bibel das Suchen Gottes kennenlernen und begreifen können!

Heschel sagt, dass Gottesfrage an Adam in 1 Mo 3,9 immer wieder geschieht: „Wo bist du?“

Heschel begreift, dass innerhalb der Bibel z.B. die Bundesschlüsse Gottes eine kostbare Glaubenshilfe sind. Gott sucht durch die Bundesschlüsse die persönliche Beziehung mit den Menschen. Gott legt sich fest, bindet sich, um uns das Leben mit ihm zu erleichtern.

3.
Heschel weiß, dass das Suchen Gottes etwas Dramatisches hat. Denn der Mensch ist das Problem Gottes, weil der Mensch Gott für ein Problem hält. Gottes Suchen ist deshalb oft mühevoll und schwierig. Es bedeutet Leiden für Gott. Es kann auch vergeblich sein.

Heschel weiß auch: Das Suchen Gottes löst in uns Menschen unterschiedliche Gefühle und Reaktionen aus: Unsicherheit, Unwohlsein und Angst. Ablehnung. Widerstände. Überraschung und Freude. Ehrfurcht und Respekt. Freude und Dank.

 

III.
Wie soll und darf der Menschen auf das Suchen und Finden Gottes antworten?

1.
Die erste Antwort, die wir Menschen Gott geben dürfen, ist das Gebet als Zuwendung zu Gott. Die Stichworte heißen bei ihm: Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für Gott. Heschel sagt über das Beten folgendes: Gebet ist das, was der Mensch mit der Gegenwart Gottes tut. Gebet ist das Geschenk der Anbindung des Menschen an Gott. Durch das Gebet erhebt sich die Seele des Menschen aus der Enge menschlicher Selbstsucht. Der Mensch wird so fähig, die Welt im Spiegel Gottes zu sehen, die Welt mit den Augen Gottes zu sehen.

2.
Die zweite Antwort, die wir Menschen Gott geben dürfen, ist unser Ja zu Gottes Weisungen, seinen Geboten und Willensbekundungen. Heschel war überzeugt: Gott will unser Gott sein. Wir sollen und dürfen auf seinen Wegen gehen. Die zweite Antwort ist also das Tun des Willen Gottes. Nicht gesetzlich, nicht perfektionistisch, sondern aus Freude, weil der Wille Gottes dem Leben dient.

Heschel sieht zwei Lebensfelder, auf denen wir tätig werden sollen.

Feld 1, für uns als Christen vielleicht fremd, ist die Einhaltung des Sabbatgebotes, der Speisevorschriften und der Anweisungen für das Feiern der jüdischen Feste.

Feld 2 ist die Zuwendung zum Nächsten, ist die Frage der Gerechtigkeit. Es geht Heschel immer und die ethische Tat. Unser konkretes Tun ist entscheidend, nicht unsere Vorsätze, nicht unsere Absichtserklärungen, sondern unser praktisches Handeln.

 

IV.
Ich möchte nun eine Bibelstelle nennen, die Heschel immer wieder das Suchen Gottes anschaulich gemacht hat. Er betete jeden Morgen Hosea 2,21f.  Gott sagt: „Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit, ich will mich mit dir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, in Treue will ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen.“ Heschel lebte in dieser Gewissheit, dass Gott genau das möchte, wenn er uns Menschen sucht.

 

IV.
Einheit von AT und NT:

Gott ist der Suchende. Das Suchen Gottes ist eine Hauptbeschäftigung Gottes. Es ist ein Wesenszug Gottes. Es ist etwas, das auf jeder Seite des Alten Testaments da ist, das sich wie roter Faden durchzieht.

Es heißt in Hes 34,11f: „So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen.“

Alles, was Gott redet und tut, ist nichts anderes als ein Suchen und Findenwollen. Alles, was Gott redet und tut, sind Kontaktversuche! Gott sucht die Beziehung zu uns.

Dieses Suchen Gottes erfährt im Neuen Testament mit Jesus seinen Höhepunkt. Jesus sagt in Luk 19,10: Ich bin gekommen, „zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Und in Joh 10,10 sagt er: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“. Sein Suchen kostet Jesus sein Leben. Wir gedenken in der Passionszeit an diese Liebe! Damit sind wir beim zweiten Teil der Predigt.

 

Teil 2: Gottes Suchen im Neuen Testament

Jesus erzählt in Luk 15 drei Gleichnisse, in denen Jesus sein eigenes Suchen, aber auch das Suchen Gottes veranschaulicht und zum Ausdruck bringt: Das Gleichnis vom verlorenen Schaf (1-7). Das Gleichnis vom verlorenen Silbergroschen (8-10). Das Gleichnis von den zwei verlorenen Söhnen (11-32). Leider geht es jetzt nicht, dass wir diese drei Gleichnisse anschauen. Ich will zum zweiten Gleichnis vom Verlorenen Silbergroschen etwas sagen. Ich lese Luk 15,8-10.  Meine Ausführungen gehen auf Peter Wick zurück:

8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

 

I.
Ein paar kurze Erklärungen

Luther übersetzt „Groschen“, weil man zu seiner Zeit das Geld so genannt hat. Aber es eine Drachme, ein Silbertaler, etwas Wertvolles.

Der große Raum des Hauses ist dunkel. Der Boden ist fest gestampfte Erde. Die Frau braucht ein Licht. Sie benutzt einen Besen. Sie will den Silbertaler hören, wenn sie ihn mit dem Besen ins Rollen oder Gleiten bringt.

Es ist für die damalige Zeit sensationell, dass Jesus eine Frau benutzt, um etwas von Gott zu veranschaulichen.

 

II.
Wir sind der gesuchte Silbertaler! Gott ist die suchende Frau.

Wir könnten jetzt sagen und uns es gut vorstellen: Wir sind diese Frau und suchen etwas! Vielleicht einen Schlüssel, den Impfpass, den Geldbeutel, das Weihnachtsgeschenk, das man zwischen Büchern versteckt hat… Wir können uns vorstellen, wie wir nervös werden, weil wir das Gesuchte nicht finden. Jesus sagt uns aber durch dieses Gleichnis, dass wir der Silbertaler sind, der vermisst wird. Wir sind nicht die Frau, die den wertvollen Silbertaler vermisst und sucht. Wir sind der Silbertaler! Versuchen wir, uns in die Situation des Silbertalers hineinzuversetzen.

 

III.
Wir können dieses Gleichnis dreimal auf unser Leben übertragen.

1.
Die missionarische Übertragung

Wir können das Gleichnis übertragen auf andere Menschen. Da ist jemand aus Deinem Umfeld, der leider Jesus nicht kennt. Dieses Gleichnis macht Mut, über ihm zu glauben, dass Gott ihn sucht!

Er ist runtergerollt unter Ängste vor Gott, unter Vorurteile über Gott, unter komische und unmögliche Erfahrungen mit Christen… Er ist runtergerollt in schwere Schuld oder tiefes Leid.

Er kann sich nicht bemerkbar machen. Er kennt das Beten ja gar nicht. Er weiß gar nicht, dass es Gott gibt…

Jetzt sagt Jesus: Gott ist auf der Suche nach diesem Silbertaler! Gott wird nichts unversucht lassen, um diesen Silbertaler wiederzufinden, aufzudecken, ans Licht zu bringen.

Und vielleicht geschieht das Wunder: Dass er, angeregt durch dieses Gleichnis, ein Silbertaler wird, der zu rufen beginnt.

2.
Die biographische Übertragung

Wir können es übertragen auf die Zeit und Situation, bevor wir zum Glauben kommen durften. Wir lagen herum in einem Isoliertsein von Gott. Wir lagen herum in unserer Gottentfremdung. Und plötzlich wurden wir gefunden, weil wir das Evangelium erlebt haben, weil wir den suchenden Gott erlebt haben, der uns mit Fleiß suchte, der nichts unversucht ließ, der Hindernisse aus dem Weg schaffte.

Jeder, der zum Glauben finden durfte, erkennt zwei Dinge: seine Verlorenheit und seinen Wert. „Das Evangelium sagt uns, dass wir sündiger sind, als wir je geglaubt hätten, aber es sagt uns zugleich, dass wir viel tiefer angenommen sind, als wir je zu hoffen gewagt hätten – oder, mit einem Zitat, das dem Philosophen Sören Kierkegaard zugeschrieben wird: Wir sind verlorener, als wir zugeben wollen, und wir sind tiefer erlöst, als wir zu hoffen wagen.“ (Hanna Stettler).

3.
Die seelsorgerliche Übertragung (von Christen wie Nichtchristen).

Wir können das Gleichnis übertragen auf Situationen, in der wir oder andere sich befinden können. Man ist irgendwie runtergerollt, irgendwie dazwischengeraten, irgendwie bedeckt und verschüttet. Man liegt isoliert und verloren herum in dem Gefühl der Langeweile und Sinnlosigkeit, im Gefühl des schambesetzten Selbstempfindens, in dem Gefühl des Überfordertseins, der Resignation, in Ängsten, Traurigkeiten oder Ärger… Es ist so: Wir Menschen können uns in uns selbst verlieren!

Man kann nicht mehr schreien. Man kann sich nicht mehr bemerkbar machen. Es geht nicht mehr. Oder man schreit, aber keiner hört einen!

Wo kennen wir das? Wo fühlen wir das in unserem Leben? Vielleicht mit unseren Wünschen und Sehnsüchten? Vielleicht mit zerschlagenen Berufsplänen? Mit dem, was nichts geworden ist, was wir nicht verwirklichen konnten? Oder umgekehrt gerade mit dem, was wir verwirklicht haben, aber uns jetzt völlig desillusioniert und Mühe macht? Oder vielleicht mit unseren Beziehungen? Vielleicht mit der Kirche oder der Gemeinde?

Wo kennen wir das, weil es sich so anfühlt wie die Erfahrung des Silbertalers? Man liegt herum und muss hilflos und machtlos warten…

Die gute Nachricht ist: Gott ist unterwegs zu dir, sogar wenn es einige Hindernisse auf dem Weg zu Dir auszuräumen gibt. Gott wird nicht lockerlassen. Gott wird nicht ruhen, bis er dich gefunden hat.

 

Teil 3: Wie lautet unsere Antwort?

Das Gleichnis vom verlorenen Silbertaler sagt uns, wie wir über Gott denken sollen, wie wir über uns selbst denken sollen und wie wir über andere Menschen denken sollen.

 

I.
Wir dürfen an diesen Gott von Lukas 15 glauben. Er ist der, der uns sucht und der sich unglaublich freut, wenn er uns findet!

Im Gleichnis vom Verlorenen Schaf heißt es: „Er geht dem Verlorenen nach, bis er’s findet!“ „Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage Euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der umkehrt…“

Im Gleichnis vom Verlorenen Silbertaler heißt es: „Sie sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet.“ „Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbertaler gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der umkehrt“

Im Gleichnis von den beiden Verlorenen Söhnen heißt es: „Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn, er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“ „Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich ein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein

 

II.
Wir dürfen das für uns glauben: Wir werden gesucht!

Doch wie sehr man verloren ist, das merkt man erst dann, wenn man von niemanden mehr gesucht wird, wenn das Leben, sich selbst überlassen, nur noch abläuft und nichts mehr seinen besonderen Sinn, nichts mehr eine wesentliche Bedeutung hat, wenn sich auf alles der graue Schleier des Unwesentlichen, des Wesenlosen legt: tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert… Verlorenheit.“ (Eberhard Jüngel, Predigten 4, Unterbrechungen, S.130f)

Gott ist der, der uns nicht aufgibt, nicht verlorengibt. Er ist der, der uns sucht, der uns liebt und das heißt nach Augustinus, dass er zu uns sagt: Ich will Dich. Ganz. Brutto. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Luther sagt das so: „Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums ist, dass du Christus, ehe du ihn zum Vorbilde nimmst, zuvor entgegennehmest und erkennest, als eine Gabe und ein Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei. So dass du, wenn du ihm zusiehst oder hörst, dass er etwas tut oder leidet, nicht zweifelst, er selbst, Christus sei mit solchem Tun und Leiden dein… Das ist das große Feuer der Liebe Gottes zu uns, davon wird das Herz und Gewissen froh, sicher und zufrieden.“

 

III.
Wir dürfen das für andere glauben! Gott sucht sie.

 Wir haben nie das Recht, einen Menschen verloren zu geben. Über die Verlorenheit entscheidet Gott allein. Er entscheidet auch über den Zeitpunkt seiner Entscheidung.

 Ob wir einen Menschen verlorengeben, entscheidet aber, wie wir uns ihm gegenüber verhalten!

Wenn wir einen Menschen verlorengeben, macht uns das entweder gleichgültig oder hart. Wenn wir ihn nie aufgeben, halten wir an ihm und an der Beziehung zu ihm fest, dann beten wir für ihn, dann behandeln wir ihn anständig, dann bemühen wir uns, Gott zu helfen, ihn zu finden!