Luk 13,10-17 – Entkrümmt! – Von Martin Brendel

10 Und er lehrte in einer Synagoge am Sabbat. 11 Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. 12 Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! 13 Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott. 14 Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. 15 Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16 Musste dann nicht diese, die doch eine Tochter Abrahams ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? 17 Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren. Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.

Eine Heilungsgeschichte, die etwas anders ist als andere. Die Geschichte ist nur im Lukasevangelium zu lesen. Bei anderen Heilungsgeschichten fragt Jesus, die Menschen was er ihnen tun soll, oder ob sie gesund werden wollen.

 

I.
Die unfreie Frau

Wir wissen wenig über die Frau. Sie war verkrümmt, unfähig sich aufzurichten. Und das 18 Jahre lang. Man kann sich die Frau vorstellen. Auch bei uns sieht man viele Menschen, die nach unten gebeugt laufen. Der Blick nur nach unten. Die Frau war gebeugt und geknickt. Nicht nur der Körper, wohl auch die Seele.

Wir versuchen uns, das vorzustellen: Nur die Straße zu sehen, nur Schuhe, keine Gesichter. Man kann nicht weit schauen. Die Menschen, die ihr begegnen wissen nicht so recht, wie sie mit ihr umgehen sollen.

War sie selbst verbittert, enttäuscht? Eine Frau galt damals nicht so viel wie ein Mann. Und dann noch eine behinderte Frau!

Die Frau, die damals in der Synagoge saß, wurde von einem bösen Geist verkrümmt und der Teufel hatte sie gebunden. Ein böser Geist ist ein weitreichender Begriff. Ein Arzt würde heute die Diagnose Rückgratverkrümmung oder auch eine psychische Erkrankung stellen. Jesus spricht hier selbst davon, dass Satan sie gebunden hat. Das können wir nicht einfach übergehen. Das Böse ist auch in Form von Krankheiten in der Welt unterwegs. Und auch das wird zum Sinnbild unserer Schwierigkeiten, dass es der Teufel ist, der uns immer wieder zur Sünde verführt, der sich die Schwäche unseres alten Menschen zu Nutze macht und mit seinen Versuchungen über uns kommt. Wenn er es aber geschafft hat, dann klagt er uns an und dann schürt er den Zweifel an der Liebe Gottes und so krümmt er unsere Seele auch immer und immer wieder.

Warum geht die Frau in die Synagoge? Hat sie gehört, dass Jesus da sein wird? Sie wird gespannt sein, was passiert. Sieht sie ihn überhaupt? Wird sie gesehen? Eine gebückte Frau im Hintergrund.

Jesus sah die Frau! Das ist das Entscheidende in dieser Geschichte. Jesus sieht die Frau. Jesus sieht sie, und er sieht nicht nur die Behinderung. Er sieht die Frau ganzheitlich. Er kennt sie genau, er kennt die Lebensgeschichte der Frau.

Es wird noch schöner. Er ruft sie zu sich! Komm! Wie wird er sie angesprochen haben, sogar mit Namen? Wie wird es der Frau gegangen sein? Ich soll vorkommen? Was denken die Leute?

Sie muss losgehen! Sie muss die Blicke der Menschen aushalten, die Kommentare der Leute. Sie muss sich wohl überwinden. Die Einladung ist stärker, sie macht sich auf den Weg. Sie spürt wohl etwas ganz Besonderes. Gott zieht uns mit Seilen der Liebe. In Hosea 11,4 lesen wir: Mit menschlichen Seilen zog ich sie, mit Stricken der Liebe. Gott zwingt nicht, sondern er ist liebevoll, einladend.

Hier sehen wir, was Gott letztendlich möchte. Er möchte uns einladen. Er möchte Kontakt mit den Menschen. Weil er uns sieht und liebt. Weil er weiß, wie es um uns steht. Er sieht unsere Not, unsere Verzweiflung, unsere Ängste. Auch wenn wir ihn nicht sehen wollen oder können. Er möchte uns zu sich ziehen. Er sieht uns ganzheitlich. Das ist mir so bewusst geworden. Meine ganze Lebensgeschichte sieht er – und er liebt mich trotzdem. Da kann ich nur staunen. Und das gilt für jeden!

Mir fiel der Vers aus Mt 11,28 ein: Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.

Die Frau geht hin, es wird bestimmt lange gedauert haben, bis sie bei ihm war. Sie überwindet sich, egal was die Leute sagen.

Jesus legt die Hände auf sie. Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit. Sie richtet sich auf. Sie ist geheilt, sie wirkt plötzlich ganz anders. Sie kann aufrecht stehen, sie kann aufatmen, sie kann in die Gesichter der Leute sehen. Sie ist angekommen bei Gott. Er hat die Macht über den bösen Geist. Die Heilung erfolgte durch das gesprochene Wort des Herrn. Dieses Wort ist kräftig und voller Macht.

 

II.
Der unfreie Synagogenvorsteher

Die entkrümmte Frau preist Gott. Vielleicht stimmen die Anwesenden mit ein, freuen sich mit der Frau. Doch einer ändert plötzlich die Situation.

Kaum ist die Frau geheilt, meldet sich der Synagogenvorsteher. Er kann sich nicht mitfreuen. Er spricht nicht direkt zu Jesus oder zur Frau, sondern zum Volk: An sechs Tagen könnt ihr kommen und euch heilen lassen, aber nicht am Sabbat!

Ist die Frau mit der Absicht gekommen, um geheilt zu werden? Ich denke nicht, sie wollte Jesus in der Synagoge hören.

Er macht mit seinen Worten alles kaputt. Er besteht auf die Einhaltung des Gesetzes.

Doch das Gesetz kann uns nicht in die richtige Position vor Gott bringen, noch kann es die Kraft für einen Gott wohlgefälligen Lebenswandel sein. Das Gesetz ist wie ein Spiegel, der den Schmutz wohl zeigt, ihn aber nicht entfernt.

Es erweist sich als ein „Joch der Knechtschaft“, das niemand tragen kann. In Gal 5,1 lesen wir: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Und in Apg 15,10: Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Väter noch wir haben tragen können?

Und die Pharisäer waren Meister darin, die Vorschriften des Gesetzes, verknüpft mit ihren eigenwilligen Interpretationen, den Menschen als schwere Lasten aufzubürden. Es heißt in Lk 11,46: Weh auch euch Lehrern des Gesetzes! Denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten und ihr selbst rührt sie nicht mit einem Finger an.

Worte können wirken wie ein Schwert. Wir kennen das. Worte können viel kaputt machen. Auch in der Gemeinde. Wir sind nicht perfekt. Wir sind vielleicht neidisch auf andere. Kritisieren die, die anderes denken als man selbst.

Jesus antwortet: Was ihr mit euren Tieren am Sabbat macht, das habe ich mit der Frau gemacht. Jesus hat die leidende Frau losgebunden, er hat ihr Wasser des Lebens gegeben. Sie geht verändert aus der Synagoge, sie hat eine neue Perspektive. Das geschieht, wenn uns Jesus begegnet. Unser Blick wird verändert.

Welch eine geniale und überlegene Antwort von Jesus. Er nimmt das Beispiel mit den Tieren aus dem Alltag zum Vergleich. Eure Tiere bindet ihr auch am Sabbat los und versorgt sie. Die Frau wird auch am Sabbat losgebunden und befreit.

Wir merken, dass der Synagogenvorsteher innerlich unfrei war. Er sieht nur das Gesetz und die Vorschriften. Ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir nicht ähnlich sind oder werden wie der Synagogenvorsteher. Man sieht seine Meinung, seinen Glauben und lässt keine anderen Sichtweisen gelten. Verlangt von anderen so zu denken oder zu glauben wie ich. Wenn man ehrlich ist, ist man manchmal gar nicht so weit entfernt von dem Synagogenvorsteher. Ich denke, dass er ein sehr verkrampftes Glaubensleben lebte. Nur nichts falsch machen. Er konnte sich auch nicht mitfreuen. Er sah nur die Vorschriften, die ihm so wichtig waren.

Irgendwie war er auch wie die Frau, die nur nach unten sah. Er sah eben nur Gesetz und Vorschriften und konnte sich an dem Wunder nicht freuen.

Ich war mit einer Gruppe Radfahrer unterwegs und es ging steil den Berg hoch. Auf einer Wiese, links vom Weg waren zwei Rehe zu sehen. Als wir nach der Steigung anhielten, fragte einer, ob wir die Rehe gesehen hätten. Einige hatten sie gesehen. Eine Frau meinte, sie hätte so mit der Steigung zu kämpfen gehabt, dass sie die Rehe nicht mitbekommen hatte. Sie hatte nur nach unten gesehen und deshalb die Rehe auf der Wiese nicht wahrgenommen.

So ist es doch im Leben auch. Wenn ich verkrampft nur nach unten auf den Weg schaue, nehme ich nicht richtig oder überhaupt nicht wahr, was um mich herum passiert. Ich nehme auch andere Menschen nicht wahr. Wie es ihnen geht zum Beispiel.

Der Synagogenvorsteher hat sich nicht von Jesus verändern lassen. Im Gegensatz zur Frau lässt er sich nicht auf Jesus ein. Er war empört über das, was geschehen war.

 

III.
Und nun im dritten Teil der Predigt zu uns.

1.
Was drückt uns nieder? Was verkrümmt uns? Krankheiten, Belastungen, Stress, Vergangenheit, Zukunftsangst, Einsamkeit, Scham…

Wir tragen Lasten mit uns herum, von denen andere gar nichts wissen. Wie in einem Rucksack. Der sich im Laufe des Lebens immer weiter füllt.

Ich erinnere noch einmal an Mt 11,28. Jesus ruft uns zu: Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.

Wir können die Last bei ihm ablegen. Gott möchte nicht, dass wir unsere Lasten mit uns tragen. Er möchte uns ein Leben in Fülle schenken. Das geht oft etwas verloren, weil eben der Rucksack immer schwerer wird.

2.
Kommt her zu mir! Das sagt Jesus auch heute. Ich sehe deine Verkrümmung, ich kenne dein Herz. Wo ist deine Freude? Komme zu mir, lade ab, pack aus!

Beide – die gekrümmte Frau und der Synagogenvorsteher brauchten Befreiung, brauchten Freude!

Wo siehst du dich in der Geschichte? Welcher Person bist du zurzeit näher?

Es ist ja nicht so, dass uns, wenn wir mit Jesus unterwegs sind, keine Schwierigkeiten mehr zu schaffen machen, oder wir alles richtig sehen und tun. So ist es mit Sicherheit nicht.

Jesus sagt in Mt 11,29f: Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Was meint die Sache mit dem Joch? Das Joch tragen ist eine alte jüdische Redewendung, habe ich gelesen. Wessen Joch man trägt, dem dient man. Hier ist es eine Einladung Jesu in seine Nachfolge. Es ermutigt uns, von ihm zu lernen. Wir müssen uns an Jesus binden, um von ihm zu lernen.

Das Bild vom Joch ist den Menschen zur Zeit Jesu bekannt. Damals wurde ein junger Ochse gewöhnlich an einen älteren, erfahrenen Ochsen gebunden. So konnte der ältere den jüngeren trainieren, sich richtig zu bewegen.

Wenn Jesus von seinem sanften, milden Joch spricht, macht er deutlich, dass es bei ihm nicht darum geht, dass man Gesetze und religiöse Vorschriften einhalten muss. Es geht auch nicht darum, besonders klug zu sein.

Bei der leichten Last Jesu geht es um Liebe, Vertrauen und Nachfolge. Das alles geschieht freiwillig und bereitwillig. Wir dürfen gewiss sein, dass Jesus uns nicht überlastet. Mit ihm eingespannt sind wir auf dem richtigen Weg, hin zum ewigen Leben. Lernt von mir.

Wie ist meine Beziehung zu Jesus aktuell? Schmerzhafte Erfahrungen, Sünden können dazu beitragen, dass unsere Beziehung beeinträchtigt ist. Wir können überall in der Gemeinde dabei sein, beim Gebet, beim Gottesdienst usw. niemand wird etwas merken. Die Beziehung zu ihm ist so wichtig.

Lassen wir uns von Jesus entkrümmen! Lassen wir uns wieder aufrichten von ihm.

Das kann nur Jesus! Steffen Kern stellte in einer Predigt die Frage, zu wie viel Prozent Jesus an den Heilungen, die er getan hatte, beteiligt war. Die richtige Antwort heißt zu 100%. Jesus tat alles. Niemand hat etwas von sich aus dazu getan. Die Geheilten konnten ja gar nichts dazu tun.

Genauso hat Jesus für dich und mich 100% gegeben. Alles. Weiter spricht Kern davon, dass viele sich die Frage stellen, ob es denn reicht, was ich für Jesus getan habe. Wenn ich einmal vor ihm stehe, wird es reichen? Habe ich genug mitgearbeitet, habe ich alles richtig gemacht, habe ich genug gegeben? Jesus hat alles gemacht, zu 100%! Jesus sagt: Du bist erlöst, du bist geheilt. Dann ist das so. Da können wir nichts hinzufügen.

Er hat alles getan, er ist unsere einzige Hoffnung und Zuversicht.