Markus 14,3-11 – Wie würde die Liebe wohl riechen? – Von Thomas Pichel

A.
Eine Frage zu Beginn

Was ist in der Bibel der Gegensatz zur sog. Gottlosigkeit?
Es ist nicht der Glaube als eine Liste von Überzeugungen hinsichtlich biblischer Fragen.
Es ist die Liebe! Es ist ein Glaube, der mit der Liebe zu Gott verbunden ist.
Es ist der Glaube, der für andere in der Liebe tätig ist (Gal 5,6).

Wir werden diesen Ansatz auch im folgenden Bibeltext entdecken.
Ich lese aus dem Markus-Evanagelium, Kapitel 14 die Verse 3 bis 9, später kommen noch die Verse 1-2 und 10-11 dazu.

3 Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß (krank darniederliegen) zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

B.

I.
Menschen zeigen Jesus ihre dankbare und verehrende Liebe

1.
Simon der Aussätzige

Wir wissen nichts über diesen Simon. Nur dass er Lepra hatte. Aber er ist geheilt. Sehr wahrscheinlich von Jesus.
Er ist also wiederhergestellt. Er ist zurück im Leben. Wieder in Gemeinschaft mit anderen. All das verdankt er Gott.

Er hat Jesus eingeladen zum Essen.

Es duftet nach feinen Gewürzen, frischem Obst und Gemüse, warmen Brot aus dem Ofen,
vielleicht nach einem Braten, sehr wahrscheinlich nach klasse Wein!

Wenn Dankbarkeit und Freude duften könnten, es würde auf dieser Erde gut riechen!

2.
Eine namenlose Frau

Wir wissen nicht ihren Namen. Wir wissen aber, was sie getan hat.
Was damals in dem kleinen Dorf Bethanien geschehen ist, hat heute weltweite Bedeutung.

Sie betritt den Raum. Spricht kein Wort. Übergießt Jesus mit kostbarem Nardenöl.
Das griechische Wort steht für Importware. Ein Luxusartikel aus Indien.
Es wächst im Himalaja in Höhen von 2000 bis 3500 Meter.
Beste Qualität. Nicht verdünnt oder gepanscht. Extrem teuer. Das Jahresgehalt eines Tagelöhners.

Die Frau zeigt ohne Scheu ihre Dankbarkeit, ihre Verehrung.
Sie verschenkt das teure Öl. Einfach aus Liebe. Jesus ist ihr das wert.

Sie ist nicht berechnend. Sie stellt keine Kosten-Nutzen-Rechnung an:
Was bringt mir das? Was habe ich davon?

Ihre Liebe zu Jesus sprengt das normale Maß.

Was muss sie für eine Liebe von Jesus erfahren haben!
Auch jetzt erfährt sie dieses Geliebtsein durch Jesus.

Jesus lässt sich ihr Handeln gefallen. Er lässt sie gewähren.

Er würdigt sie, indem er ihre Liebe annimmt und sich ihre Liebe schenken lässt.
Und er stellt sich zu ihr und schützend vor sie. Dazu gleich mehr.

Wenn solche überschwängliche, sich verschenkende Liebe duften könnte, es würde herrlich riechen auf dieser Erde!

II.
Einige zeigen Jesus ihren Unwillen, einer läuft über.

1.
Einige der Jünger, also gläubige Menschen, zeigen Jesus ihren Unwillen.

Etwas Ungutes sitzt mit am Tisch. Bis jetzt war es unsichtbar.
Doch die Liebe fordert es heraus und lockt es hervor. Es äußert sich mit Empörung und Vorwürfen.

‘Was soll diese Verschwendung?
Man hätte das Öl teuer verkaufen und sinnvoll verwenden können,
indem man es für die Armen spendet, anstatt es so zu vergeuden!’

Was mir auffällt: Die Kritiker sprechen von Menschen, die nicht anwesend sind.
Aber sie haben kein Mitgefühl für die Anwesenden: weder für die Frau noch für Jesus.
Sie merken nicht, wie sie beide verletzen.

Sie haben kein Gespür für die Situation Jesu, für das, was vor ihm liegt, welches Leiden auf ihn wartet,
dass Jesus in den nächsten Tagen zum Ärmsten der Armen werden wird.

Jesus widerspricht ihrer Kritik.
‘Warum verletzt ihr sie? Ihr Handeln gefällt Gott. Es ist der Situation und dem Anlass angemessen.
Sie hat meinen Körper im Voraus für meine Beerdigung gesalbt. Merkt ihr das nicht?
Und außerdem: Wenn es Euch wirklich um die Armen geht, dann werdet ihr immer Gelegenheit haben, etwas zu geben.’

2.
Unverständnis, Unmut, Unwille sind Gefühle. Sie kommen und gehen.
Wir sollen sie nicht krampfhaft verdrängen und unterdrücken; sie aber auch nicht füttern und mästen.

Aber Unverständnis, Unmut und Unwille können sich entwickeln.
Sie können zu gefährlichen Verhaltensweisen werden.

Wir sehen das an Judas.

Es heißt in den Versen 10-11:
„Und Judas Iskariot, einer von den Zwölfen, ging hin zu den Hohenpriestern, dass er ihn an sie verriete.
Als die das hörten, wurden sie froh und versprachen, ihm Geld zu geben.
Und er suchte, wie er ihn bei guter Gelegenheit verraten könnte.“

Judas wechselt die Seiten. Er spielt plötzlich auf der Seite des Gegners.
Er gibt den entscheidenden Hinweis, wo und wann Jesus ohne Aufsehen geschnappt werden kann.
Er wird so zum Mittäter des Bösen.

Sein Unmut ist zum Ungeheuer des Verrats mutiert. Verrat bedeutet Vertrauens- und Treuebruch.
Judas macht alles kaputt: seine Loyalität zu Jesus, das Vertrautsein, die Nähe, die Freundschaft, die Beziehung.

Die Motive des Judas sind rätselhaft.
Die Bibel macht unterschiedliche Angaben.

Hier einige Vermutungen:

Man vermutet, dass Judas Jesus anders haben wollte, dass er Jesus als politischen Messias wollte.
Jesus sollte mit Gewalt Israel von der römischen Besatzungsmacht befreien und das Königreich Davids wiederherstellen.

Man vermutet, Judas war bitter enttäuscht, als Jesus dieses Ziel und dieses Mittel ablehnte.

Man vermutet: Judas wollte Jesus zu dem von ihm erwünschten Handeln zwingen.
Motto: ‚Zeig Deine Macht! Triumphiere! Besiege das Böse! Zwing die Ungläubigen in die Knie!‘

Man vermutet, dass er angesichts des Todesurteils für Jesus an der sinnlosen Gesamtsituation und an seiner Schuld verzweifelt ist.

Wir sind nicht Judas. Klar. Aber so fremd und weit weg ist das für mich gar nicht:

Wie schwer habe ich mir schon getan, als ich Gott anders haben wollte, als ich Dinge anders sah als er, als Gott mich enttäuschte!
Dann musste ich aufpassen, dass ich mein Vertrauen zu Gott nicht aufgebe, meine Liebe ihm nicht entziehe und nicht auf gefährliche Spielfelder gerate.

Was habe ich anderen schon angetan – aus Enttäuschung und Frust über mich, über andere, über das Leben, über Gott?!
Wie viel Beziehungsmist habe ich schon gebaut – aus enttäuschter Liebe, enttäuschtem Vertrauen, enttäuschten Hoffnungen?!

Wenn meine Lieblosigkeit und Untreue stinken könnten, ich würden den Gestank nicht aushalten!

III.
Jesus zeigt allen seine einmalige und einzigartige Liebe

Was die Frau tat, ist ein Gleichnis für das, was Jesus für uns alle tat.

Sein Herz, sein Wesen, sein Leben – geöffnet, zerbrochen, hingegeben wie das Alabastergefäß der Frau.
Freiwillig. Einfach aus Liebe.

Das kostbare Nardenöl ist ein Gleichnis für die kostbare Liebe Gottes zu uns.
Göttliche Narde. Kostbarste Importware aus dem Himmel. Der Luxusartikel made in heaven.

Die verschwenderische Menge ist ein Gleichnis für die Fülle der Liebe Gottes, die jedes Maß sprengt.

Es gibt für jeden genug Liebe, genug Vergebungsbereitschaft, genug Feindesliebe.
Genug für uns alle, für Dich und mich!

Jesus hat seine Liebe durchgehalten.
Er hat am Kreuz die Liebe vollendet, mit der er während seines öffentlichen Wirkens jeden Menschen geliebt hat.

Wenn die Liebe Gottes duften könnte, wie fantastisch und himmlisch gut würde es riechen auf dieser Welt!

Noch eine kleine Fußnote: Die Frau und Jesus haben noch etwas gemeinsam.
Die angegriffene Frau wurde von Jesus bestätigt und rehabilitiert.
Jesus wurde durch die Auferstehung vom Vater bestätigt und rehabilitiert.

C.
Zum Schluss eine theologische Anmerkung und drei praktische Anwendungen des Textes für unser Christsein

1.
Unser Text ist eine lehrreiche Geschichte über Liebe, Lieblosigkeit und Verrat.
Wir können diese Geschichte in den falschen Hals bekommen.
Wir können bei dieser Geschichte von zwei Seiten vom Pferd fallen.

a.
Wir können diese Geschichte verkitschen, indem wir die Liebe Gottes zur billigen Ware verramschen.
Motto: ‘Cool! Ich bin geliebt. Das ist der Urgrund meines Lebens. Ich fühle mich geborgen und bestätigt.
Ich konsumiere diese Liebe, ohne mich den Ansprüchen dieser Liebe zu stellen,
ohne diese Liebe zu leben, ohne sie weiterzugeben, ohne sie zu praktizieren.’

Das ist Selbstsucht. Das erlaubt uns Jesus nicht.

b.
Wir können diese Geschichte aber auch vergiften.

Indem wir folgende Logik glauben, die leider hier und da gepredigt wird:
‘Vor unserer Bekehrung liebt Gott uns ohne Vorbehalt und bedingungslos.
Wenn wir Christen sind, dann nur solange und insofern, wie wir Gott lieben,
dann nur solange und insofern, wie wir uns verändern lassen, wie wir uns nachweislich verändern.’

Wer das versucht, macht Fortschritte auf dem Weg als Christ zur nachträglichen Bedingung für Gottes Liebe.
Damit wird alles schief! Das sorgt für viel Frust! Dieser Glaube ist krank. Er befreit nicht. Er macht nicht fröhlich.

Deshalb bitte ich Euch: Hört diese Geschichte nicht als Druck! Motto: ‘Ich muss Gott so lieben wie diese Frau!’
Die Frage ist doch: Was mache ich, wenn ich keine (solche) Liebe zu Gott habe, wenn ich mich nicht verändere, wenn ich an einem Bibelwort gescheitert bin?

2.
Deshalb der erste Tipp für unser Glaubensleben

Bethanien heißt übersetzt Armenhaus. Das finde ich irgendwie gut.

Wenn ich merke, wie arm ich an Liebe bin, arm an Liebe zu Gott, zu anderen, vielleicht auch zu mir,
dann darf ich es zugeben und Jesus bitten:
‘Herr, ich bin arm, du bist reich. Zieh in mein Armenhaus ein.
Damit ich deine Liebe entdecke und erfahre. Damit Du mich liebesfähig machst.’

Hier ein paar praktische Schritte, die man in einer solchen Situation gehen kann.
(1) Jesus-Geschichten lesen, um seine Liebe zu entdecken und das Staunen zu lernen.
(2) Vertrauliche Gespräche mit anderen führen, um gemeinsam zu fragen: Woran könnte es liegen?
An meinem Bild von Gott? An einer Verletzungsgeschichte? An einer Schuld, die ich nicht bekennen und lassen will?
(3) Viele vertrauliche Gespräche mit Gott. Ihm das Herz ausschütten! Ihm alles klagen! Seine Stimme zu hören versuchen!
(4) Sich dem Wirken des Heiligen Geistes öffnen und den Heiligen Geist bewusst bitten:
“Gieß Deine Liebe in mein Herz hinein (siehe Rö 5,5), dass ich deine Liebe glauben kann und dass die Liebe zu Dir in mir freigeschaltet wird.
(5) Eine Gewissheit festhalten: Wir dürfen Jünger sein, d.h. Lernende. Wir lernen das Christsein, das Glauben, das Lieben.

3.
Eine seelsorgerliche Anwendung

Wo brauche ich es, dass Jesus sich zu mir stellt, sich vor mich hinstellt, mich schützt,
mich rechtfertigt, mich verteidigt, gegen das, was mich gerade verletzt, was mir den Frieden stehlen will?

3.
Eine Anwendung für die Nächstenliebe

In 2 Kor 2,14 heißt es: “Wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi”.
Verbreiten wir diesen Wohlgeruch!

Nicht den säuerlichen Geruch einer frommen Selbstzufriedenheit!
Nicht den säuerlichen Geruch unserer Vorzüglichkeit!

Sondern den Wohlgeruch Christi.
Den Duft seiner Liebe, seiner Vergebung, seiner Versöhnung.
Den Duft der befreienden Wahrheiten Gottes.
Den Duft des Trostes, der Hoffnung, der Freude.