Ostern 2024 – Joh 20,19-21a – Jesus in der Mitte seiner Welt, seiner Kirche, seiner Menschenkinder – Von Thomas Pichel

 

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. 

21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch!

 

A.
Teil 1: Der Auferstandene tritt in die Mitte seiner Jünger.

1.
Die Jünger sind bis ins Mark getroffen von den Ereignissen von Gründonnerstag und Karfreitag. Die Angst sitzt tief. Am Abend des Ostertages sind sie versammelt. Die Türen sind verschlossen. Es ist von mehreren Türen die Rede. In welchem Haus waren die Jünger? Welches Haus hatte damals mehrere Türen? Oder sind die äußeren und inneren Türen gemeint?

2.
Die Jünger machen unerwartet eine Erfahrung mit dem Auferstandenen. Jesus durchbricht nicht nur die Trennmauer des Todes, sondern auch die Trennmauern der Angst. Jesus erscheint durch die verschlossenen Türen hindurch. Er lässt sich sehen.

Jesus stellt sich gezielt in die Mitte seiner Jünger, damit sie sich von Angesicht zu Angesicht begegnen und in die Augen schauen können.

Jesus tritt genau an die Stelle, die seit seiner Verhaftung und seines Todes verwaist und leer war, wo seine Leute ein furchtbares Nichts wahrnahmen. Alles, was sie mit Jesus erlebt hatten, war weg, vorbei, kaputt. Die Jünger saßen auf einem großen Scherbenhaufen. Der Auferstandene kommt zu diesem verunsicherten, ängstlichen Haufen, zu diesen Traumatisierten, zu diesen Überforderten. Als entlastende, befreiende, heilende, rettende Wirklichkeit!

3.
Jesus sagt zweimal „Friede sei mit euch!

Er sagt also nicht: „Da seid ihr ja, ganz ängstlich und verschlossen. Kein Wunder nach eurem feigen Verhalten in den vergangenen Tagen. Das hätte ich von euch nicht erwartet! In den schlimmsten Stunden habt ihr mich in Stich gelassen! Es ist arg, was mir alles angetan wurde. Auf niemanden ist Verlass! Und ihr seid nicht viel besser als diese machtgierige Gruppe der“ politischen und religiösen Führer. (Franz Troyer, Heilsame Begegnungen, S.167). Nein, er kommt mit dem Friedensgruß! Er kommt mit seiner Vergebung.

Warum wiederholt Jesus den Friedensgruß? Wir wissen: In Sachen Frieden braucht es die Wiederholung. Aber ich habe den Eindruck, es ist konkreter, auch wenn ich jetzt vielleicht etwas in den Text hineinlege. Ich bin überzeugt, dass die Jünger sehr viel Frieden brauchen. (1) Einmal in dieser Situation, die ja zum Erschrecken ist. Es ist nicht normal, dass ein Toter plötzlich wieder da ist. (2) Zum anderen brauchen sie Frieden über ihrem Versagen, ihrem Schuldiggewordensein. Was denkt Jesus über mich? Was wird er gleich sagen? Aber auch im Blick auf alle Selbstvorwürfe und Selbstanklagen. Wenn man an jemandem schuldig geworden ist, ist man im Unfrieden mit sich selbst. Jesus sagt: Friede sei mit Euch! Es ist so befreiend, wie Jesus mit den Ängsten, mit den Versäumnissen, mit dem Versagen seiner Leute umgeht. Sein Vorgehen ist

4.
Merken wir, wie vorsichtig und feinfühlig Jesus vorgeht. Jesus macht aus dem Versteck seiner Leute einen safe space, einen sicheren Raum… Jesus tritt so auf, wie es Menschen in solchen Situationen brauchen. Jesus vermeidet alles, was die Ängste der Jünger verstärken würde. Er positioniert sich in die Mitte des Raumes. Wenn er aus einem dunklen Eck heraus gesprochen hätte, wäre das komisch gewesen, hätte das bedrohlich wirken können. Er tut insgesamt alles, um ihre Traumata zu heilen. Damit die Jünger sich öffnen können! Denn wenn sie sich öffnen, kann der Auferstandene sie beschenken: mit Vergebung, mit Frieden, mit Hoffnung, mit Zukunft, mit einem Neuanfang, mit einem Auftrag.

5.
Jetzt könnten wir sofort die Brücke zu uns heute Morgen schlagen. Wir könnten fragen, was dieser Text für uns bedeutet. Das kommt im dritten Teil. Wir wollen zunächst etwas Bibelkunde betreiben! Das ist nicht langweilig. Sondern das Öffnen einer Schatzkiste!

 

B.
Teil 2: Das biblische Thema der Mitte

Wir öffnen also die biblische Schatzkiste. Wir finden da u.a. Querbezüge zwischen einzelnen Bibeltexten. Wir finden thematische rote Fäden. Diese Dinge zu entdecken ist faszinierend. Einer dieser roten Fäden, ein Motiv der gesamten Bibel ist das Thema der Mitte. Es ist zum Staunen und Frohwerden! Gott ist mitten unter uns und besetzt die Mitte.

Alle diese Stellen haben gemeinsam, dass das, was sich in der Mitte befindet, immer das Entscheidende und Wichtigste ist, dass es für uns Menschen ausschlaggebend ist.

I.
Das Motiv der Mitte

1. Mitten im Garten Eden (1 Mo 3,3) steht ein Baum. Dieser Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist ein Zeichen dafür, dass es eine Grenze gibt zwischen Geschöpf und Schöpfer. Dieser Baum sagt uns, dass wir nie vergessen dürfen, dass wir Menschen nicht Gott sind und nie Gott spielen dürfen.

2. Bei der 40-jährigen Wanderung Israels durch die Wüste war das Stiftszelt genau „in der Mitte“ des Lagers (4 Mo 2,17).

3. Bei der Überquerung des Jordans stand die Lade, dieses Zeichen für die Gegenwart Gottes „mitten im Jordan“ (Jos 3,17). Die Gegenwart Gottes machte das Unmögliche möglich, so dass Israel den Jordan überqueren konnte.

4. Im Joel-Buch steht die Verheißung, dass eines Tages Gott selbst „mitten unter Israel“ (Joel 2,27) sein wird. Und ist nicht Luk 17,21 die Erfüllung dieser Zusage, als Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“.

5. Bei der Kreuzigung heißt es betont: Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte“ (Joh 19,17-18).

6. In der Offenbarung steht in der Mitte des Himmels der Thron (Offb 4,6) und mitten auf dem Thron steht das Lamm (Offb 5,6), das zugleich der Löwe aus dem Stamm Judas ist (Offb 5,5).

7.
Eindrücklich ist das Thema der Mitte in Joh 10 dargestellt, auch wenn das Wort „Mitte“ nicht vorkommt. Achten Sie bitte auf die Wörter “Ich”, mein, mir und mich.

1 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber. 2 Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe. 3 Dem macht der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie hinaus. 4 Wenn er alle seine Schafe hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme. 5 Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen vor ihm; denn sie kennen die Stimme der Fremden nicht. 6 Dies Gleichnis sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was er ihnen damit sagte. 7 Da sprach Jesus wieder: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. 8 Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorcht. 9 Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden. 10 Ein Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und umzubringen. Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge. 11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. 17 Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich’s wieder empfange. 18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und ich habe Macht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater. 19 Da entstand abermals Zwietracht unter den Juden wegen dieser Worte. 20 Viele unter ihnen sprachen: Er ist von einem Dämon besessen und ist von Sinnen; was hört ihr ihm zu? 21 Andere sprachen: Das sind nicht Worte eines Besessenen; kann denn ein Dämon die Augen der Blinden auftun? 22 Es war damals das Fest der Tempelweihe in Jerusalem, und es war Winter. 23 Und Jesus ging umher im Tempel in der Halle Salomos. 24 Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du uns im Ungewissen? Bist du der Christus, so sage es frei heraus. 25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir. 26 Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen. 27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.

Jesus sagt in 30 Versen 29x „Ich“. Jesus positioniert sich. Er besetzt die Mitte. Er sagt uns, wer er ist, was er will, was er tut, wer wir sind. Und wir, seine Gemeinde, seine Kirche sind die, die diese wirklich entlastende und rettende Wirklichkeit kennen! Wir haben nicht nur uns! Wir „haben“ immer ihn! Gottseidank!

II.
Ergebnis-Sicherung: Was heißt das, dass Jesus die Mitte besetzt?

Jesus ist system-relevant! Jesus ist die Hauptsache. Die wichtigste Gestalt. Jesus ist der Mittelpunkt der Kirche, der Gemeinde! Mit ihm steht und fällt alles! Er ist der Dreh- und Angelpunkt. Alles dreht sich um ihn. Er ist das Zentrum! Er ist die Quelle, die uns versorgt. Es kommt auf ihn an!

Er ist unverzichtbar und unentbehrlich! Er ist der Generalbevollmächtige Gottes! Er regiert! Er ist unsere Lichtgestalt, die Schlüsselfigur, unser Hoffnungsträger! Er ist die Quelle, die uns versorgt! Wir leben von seinen Fähigkeiten und Kompetenzen! Von seiner Macht! Von seiner Treue! Ihm verdanken wir alles!

Er ist das Maß aller Dinge! Er ist maßgeblich und entscheidend. Er ist unsere Instanz. Er ist unsere Autorität.

 

C.
Teil 3: Der Auferstandene und wir

In dem Lied „Easter“ von Marillion heißt es im Refrain: Easter here again, a time for the blind  to see. Wieder ist Ostern. Eine Zeit für die Blinden, um zu sehen. Es ist kein christliches Lied. Es geht auch nicht um körperliche Blindenheilungen. Es geht um die Not, dass wir Menschen für das Entscheidende blind sein können. Es ruft uns auf, dass wir das Wesentliche wahrnehmen und erkennen, damit unser Leben positiv verändert werden kann, damit all of your hearts can be free, damit unsere Herzen frei werden können.

Was ist das Entscheidende und Wichtigste für die Kirche, für uns als Christenmenschen? Dass wir nie übersehen, nie vergessen, dass Gott „mitten unter uns“ ist, dass Gott „die Mitte besetzt hat“. Das größte Unglück für die Kirche, für uns Christen wäre die Gottvergessenheit. Das große Glück für uns ist, dass Jesus unsere Mitte ist. Das ist die wirklich entlastende Realität unseres Lebens. Es gibt eine helfende, rettende Kraft für diese Welt, für diese Kirche, für uns persönlich. Es gibt eine durch und durch gute Macht. Und die sitzt auf dem Thron und regiert.

I.
Der Auferstandene und wir uns das Weltgeschehen

Wie Jesus am Ostermorgen in die Mitte der Jünger getreten ist, ist er in der Mitte des Weltgeschehens. Jesus sitzt auf dem Thron im Himmel und dieser Thron ist die Mitte allen Weltgeschehens. Jesus ist in der Mitte der Menschheit, in der Mitte der Geschichte, in der Mitte des Auges des Sturms. Jesus ist in der Mitte all der Katastrophen und Kriege. In der Mitte des menschlichen Elends.

Was tut er da? Seine Passion ist nicht vorbei. Er erleidet all diese Dinge. Und er ruft uns in „die Gemeinschaft seiner Leiden“ und verspricht uns „die Kraft seiner Auferstehung“ (Phil 3,10).

Was tut er da? Er regiert. Auch wenn es nicht so aussieht. Er führt diese Welt an sein Ziel! Er wird Gerechtigkeit schenken! Er wird diese Welt neu machen… Denn Jesus ist die Zukunft dieser Welt. Ihm gehört die Welt. Und er führt sie in die Zukunft, die er möchte.

Was tut er da? Er hilft. Er versorgt. Er tröstet. Er segnet. Er schenkt immer wieder im Kleinen Freude und Frieden, Aufatmen und Durchatmen. Er schenkt kleine und große Wunder.

II.
Der Auferstandene und wir und die Kirche

Wie Jesus am Ostermorgen in die Mitte der Jünger getreten ist, so ist er in der Mitte seiner Kirche.

Keiner ist ja gern auf einem Schiff, das untergeht! Jeder ist gern auf einem Schiff, das zu neuen Ufern aufbricht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Jesus in der Mitte nicht vergessen. Zugegeben: Die nächste Zukunft gehört in der westlichen Welt nicht der Kirche. (13% der Menschen in Deutschland haben noch eine Verbindung zum Glauben.) Aber Jesus ist die Zukunft der Kirche. Ihm gehört die Zukunft der Kirche, der Kirchen, jeder Gemeinde. Und er führt seine Kirche in die Zukunft, die er möchte.

Lasst uns auf uns aufpassen! Wir sind eine Minderheit! Wir haben Ansehen und Macht verloren! Eine Minderheit, ohne Einfluss und Anerkennung ist in der Gefahr, ängstlich zu werden. Wer aber Angst hat, z.B. vor dem Islam, vor dem Desinteresse, vor…, vor…, der wird schnell rechthaberisch und besserwisserisch, der kann auch schnell ungerecht werden, der kann auch leicht voller Hass agieren…

III.
Der Auferstandene und wir und unser persönliches Leben

Wie Jesus am Ostermorgen in die Mitte der Jünger getreten ist, so ist er in der Mitte unseres Lebens. Er ist in der Mitte jedes Einzelnen von uns.

Der Auferstandene ist der gute Hirte für uns alle. Es gibt in unserem Leben keine Situation mehr ohne den Gekreuzigten und Auferstandenen. Es gibt keine Situation mehr ohne seine Nähe, ohne seine Kraft, ohne seine Liebe. Gott lässt uns nicht allein!

Achten wir darauf, dass Jesus nie an den Rand gedrängt wird, sondern glauben wir ihn als unsere Mitte. Biblisch gesprochen heißt das: Jesus ist unser Eckstein und unser Schlussstein.

Ich sage es uns allen zu:

Jesus ist dein Eckstein. Vertraue darauf. Er trägt dich. Du darfst ihn mit allem belasten. Mit deiner Empörung und deiner Wut. Mit deinen Ängsten. Mit deiner Menschenfurcht. Mit deiner Leidensscheu. Mit deiner Resignation. Mit deiner Schuld.

Jesus ist dein Schlussstein. Vertraue darauf. Er wird dein Leben vollenden. Auch alles Fragmentarische. Auch alles, was nicht gut ist. Hab‘ Geduld mit deiner Erlösung. Er wird es gut machen mit dir.

Ich sage uns allen den Frieden zu! Frieden für deine äußere Situation! Frieden für dein Innenleben!

Friede sei mit dir über aller Furcht, was Gott dir angeblich vorwirft, wo Gott dich zurecht kritisiert.

Friede sei mit dir über allen Selbstvorwürfen und Selbstanklagen!

Friede sei mit dir, wo andere Menschen dich anklagen und dir – zurecht oder zu Unrecht – Dinge vorhalten!

Frieden sei mit mir über allem Schweren und Dunklen. Frieden im Herzen – selbst ohne Antwort auf deine Fragen.

Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Amen!