Ps 23 – Teil 8 – Was für ein Herr und Gott! – Von Thomas Pichel

I.
Der göttliche Geber aller guten Gaben

1.
Ich zitiere dazu Martin Luther.

„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was nottut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn‘ all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr.

2.
Wir machen eine Übung. Wir überlegen einmal: Was haben wir alles im letzten Jahr ‚ernten‘ dürfen, d.h. geschenkt bekommen von Gott?

Wir lesen für uns den Psalm 23: 1 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. 

Die Stichworte des Psalms zeigen uns die Geschenke unseres Herrn.

1 Kein Mangel.

2 Versorgung an Leib und Seele. Freuden. Glück.

3 Erquickte Seele. Neue Lebenskraft. Gute Wege.

4 Zeichen seiner Nähe im dunklen Tal. Wo mein Weg hart und schmerzhaft war. Erfahrung, von ihm getröstet zu werden.

5 Gedeckter Tisch. Gewissheit, ich bin gewollt. Ich bin überreich beschenkt. Z.B. mit Vergebung. Z.B. mit helfender Kritik.

6 Gutes und Barmherzigkeit. Glaubensgewissheit. Ich darf bei ihm bleiben. Ich kehre einmal zu ihm zurück. Ich darf einmal heimgehen.

 

II.
Der uns nachgeht.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang

1.
Der Ausdruck folgen in der Luther-Übersetzung ist im Grunde zu schwach. Das hebräische Wort radaf heißt verfolgen oder nachjagen. Im Englischen würde man to chase oder to persue sagen. Was ist gemeint? Wie ist die Logik dieses Verses?

2.
Wir versuchen, uns eine Schafherde mit ihrem Hirten und dessen Hüte-Hunden vorzustellen!

Jedes einzelne Schaf ist gefährdet. Es kann den Hirten aus den Augen verlieren. Es kann den Anschluss an die Herde verlieren. Es kann sich verlaufen oder zurückbleiben.

Jetzt kommen die Hüte-Hunde ins Spiel!  Sie haben die Aufgabe, die Herde zusammen zu halten, einzelne Schafe zurückzuholen.

Der 23. Psalm sagt uns: Gott hat auch Hüte-Hunde. Sie haben schöne Namen: Gutes und Barmherzigkeit.

Gutes und Barmherzigkeit haben die Aufgabe, die Gemeinde zusammenzuhalten. Gutes und Barmherzigkeit haben die Aufgabe, mich zur Gemeinde und zum Glauben zurückzuholen, wenn ich gefährdet bin, den Anschluss an die Gemeinde zu verlieren, die Nähe zum Hirten zu verlieren.

Paulus nimmt den Gedanken in Rö 2,4 auf: Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet, zur Zurückkehr motiviert, zum Umdenken motiviert?

Ich glaube das über jeden von uns, ich glaube das über jeden Menschen: Gott ist der uns Menschen suchende Gott. Gott ist der uns nachgehende Gott. Ich sage nicht, dass Gott jeden findet. Das weiß nur Gott. Aber ich bin glücklich, dass ich das glauben darf: Gott ist sozusagen mit seiner Güte und Barmherzigkeit hinter uns her. Die Gnade ist hinter uns her!

 

III.
Der uns erwartet.

1.
Ps 23 ist im Judentum ein Beerdigungspsalm. Jüdische Menschen beten ihn, wenn sie ihre Angehörigen beerdigen.

Das liegt sehr stark am Ende von Psalm 23: Ich werde bleiben immer dar im Hause des Herrn. Man kann auch übersetzen: Ich werde zurückkehren ins Haus des Herrn.

Ich bin so froh, dass ich das glauben darf. Mein Sterben wird ein Heimgehen, ein Heimkommen sein.

Und bis es so weit ist, darf ich in seinem Haus bleiben, in seiner Nähe, in seiner Umgebung. Der Himmel ist ja nicht das, was weit weg ist, sondern die nächste Nähe, auch wenn ich es nicht mit meinen Sinne erfassen kann!

2.
An dieser Stelle erinnere ich an C.S. Lewis, der die beiden Themen Erntedankfest und Ziel unserer Lebensreise auf geniale Weise zusammengebracht hat.

Ich gebe zunächst eine Zusammenfassung seiner Gedanken:

Gott schenkt uns Freude und Glück. Wir haben Spaß. Wir sind vergnügt und entzückt. Unser Vater im Himmel erfreut uns auf unserer Lebensreise mit manchem angenehmen Gasthaus.

Aber Gott wird uns nie ermutigen, diese Gasthäuser fälschlicherweise für unser Zuhause zu halten. Gott enthält uns durch die Beschaffenheit dieser Welt die Dinge vor, nach der wir uns sehnen: beständige Sicherheit und stabiles Glück.

Gott sagt uns in der Bibel etwas Wichtiges über uns: In unseren Herzen lebt ein Verlangen, das durch nichts in dieser Welt gestillt werden kann. Es gibt sehr vieles im Leben, das uns die letzte Erfüllung verspricht. Aber immer bleibt ein Rest von Enttäuschung zurück. Nie können wir die Befriedigung festhalten.

Jeder von uns weiß aus Erfahrung, wovon Lewis spricht. Ich zitiere Lewis nun wörtlich: „Die Sehnsucht, die uns ergreift, wenn wir uns zum ersten Mal verlieben, wenn wir an ferne Länder denken oder am Anfang eines interessanten Studiums stehen, wird durch keine Ehe, keine Reise und kein Studium wirklich gestillt. Ich spreche hier nicht von unglücklichen Ehen, verpfuschten Ferien oder verpatzten Karrieren, nein, ich spreche von den besten, die es geben kann. Doch immer wieder entgleitet es unseren Händen. Ich denke, jedermann weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich rede.

Wenn wir nun in uns selbst ein Bedürfnis entdecken, das durch nichts in dieser Welt gestillt werden kann, dann können wir daraus doch schließen, dass wir für eine andere Welt geschaffen wurden. Wenn keine irdische Freude dieses Verlangen befriedigen kann, heißt das ja nicht, dass die ganze Erde ein Betrug ist. Die irdischen Freuden waren vielleicht nie dazu bestimmt, es zu stillen, sondern nur dazu, es wachzurufen und das Wirkliche hinzudeuten.“

 

IV.
Der uns beauftragt:
Gebt ihr ihnen zu essen! (Mt 14,16)

Dieses Wort sagt Jesus in der Geschichte der Speisung der 5000 zu seinen Jüngern. Die Kirche hat in dieser Anweisung einen Dauer-Auftrag für sich gesehen. Es ist auch unser Dauer-Auftrag.

Auf der körperlichen und materiellen Ebene des Lebens: Geben wir den Menschen zu essen und zu trinken! Nudeln im KidsTreff! Kuchen und Torten im Café Zeit! Mittagessen oder Abendessen bei der Praxis der Gastfreundschaft! Spenden, Möbel, offene Wohnungen…

Auf der menschlichen und sozialen Ebene des Lebens: Geben wir ihnen das Brot der Zeit, des Interesses, der Aufmerksamkeit, der Zuwendung!

Auf der geistlichen Ebene: Geben wir ihnen das Brot des Wort Gottes, des Evangeliums.

 

V.
Was für ein Herr und Gott!

1.
Ich verdanke diesen Gedanken dem Katholischen Theologen Gerhard Lohfink (in: All meine Quellen entspringen in dir, S.189ff)

Der Hintergrund von Psalm 23 ist die altorientalische Königsideologie. Die Könige ließen sich als Hirten darstellen, die ihr Volk führen und versorgen, hüten und schützen. Mit dem Hirtenvergleich warben die Könige für ihre Regierungskünste.

Psalm 23 ist macht- und regierungskritisch. Mein Hirte ist Jahwe und kein anderer. Die Botschaft war klar: Es gibt Mächtige, mit denen man besser nichts zu tun hat. Man vertraut ihnen besser nicht. Sie haben unser Vertrauen nicht verdient.

Jesus nimmt diese Wertung von Diktatoren in Luk 22,25 auf. Er sagt: Die Könige vergewaltigen ihre Völker. Und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen.

2.
Dazu kommt ein zweiter Gedanke, den die jüdische und christliche Bibelwissenschaft in den letzten Jahrzehnten deutlicher zu sehen gelernt hat als früher. Die Abfolge der 150 Psalmen ist nicht zufällig, sondern absichtlich. Oft ergänzen sich die zusammenstehenden Psalmen und interpretieren sich gegenseitig. Das Beieinanderstehen hat sozusagen eine weitere Botschaft.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir, dass es kein Zufall ist, wenn Psalm 23 von Ps 22 und Ps 24 gerahmt wird. Diese 3 Psalmen gehören zusammen. Sie stellen uns Gott und Jesus, als unseren Herrn und Hirten vor.

Ich lese Ausschnitte aus den 3 Psalmen vor.

Psalm 22: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen… Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf… Du legst mich in des Todes Staub… Hunde haben mich umgeben und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchbohrt… Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand…

Ps 23: Der HERR ist mein Hirte… Du bist bei mir… Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein…

Ps 24: Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist… Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe. Wer ist der König der Ehre? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr mächtig im Streit…