1 Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.
I.
Teil 1: Helle Zeiten, dunkle Zeiten
1.
Helle Zeiten oder Good vibes only
Bis zu Vers 4 klingt alles hell und schön. Es sind Beschreibungen eines Lebens, das gut verläuft: Mir mangelt nichts. Grüne Aue. Frisches Wasser. Erquickte Seele. Richtig gute Wege.
Die Gottesdienstbesucher sahen an dieser Stelle Bilder des schönen Lebens: Ein Paar liegt an einem herrlichen Strand. Man sieht bei bestem Wetter ein Alpen-Panorama.
Es gibt diese hellen, heiteren Glückszeiten. In ihnen gibt es good vibes. Man ist gut gestimmt. Man ist beschwingt. Man fühlt sich gut. Man hat es gut. Danken wir Gott, der uns diese hellen und guten Zeiten schenkt!
2.
Teil 2: Dunkle Zeiten, finstere Tal-Zeiten
(1)
David weiß: Es gibt auch andere Zeiten im Leben. Dunkle Zeiten. Dunkle Wege. Dunkle Situationen.
David redet vom Wandern im finstern Tal. Man könnte auch übersetzen: Tal der Todesschatten.
Die Gottesdienstbesucher sahen an dieser Stelle zwei Bilder: Bild 1 zeigt einen Menschen, der allein mitten in einer Dunkelheit von einem kalten blauen Licht eingefangen wird. Bild 2 zeigt eine Riesenspinne, die auf diesen Menschen zuläuft.
(2)
Der 23. Psalm malt kein idyllisches Bild vom Leben.
„Es ist die Rede vom Unglück, das einen überfällt, vom finstern Tal, das es zu durchschreiten gilt, von Feinden, die bedrohen, vom Leid, das bedrückt. Das alles kennen wir auch!“ (Manfred Bittighofer, in: Freundesbrief der Evangelischen Missionsschule Unterweissach, September 2024)
(3)
Mein Unterweissacher Lehrer Dr. Siegfried Kettling und seine Frau Christa haben 1986 ihren Sohn Matthias durch einen Motorradunfall in der Nähe von Bordeaux in Frankreich verloren. Die beiden haben dieses dunkle Tal, diese „nicht heilende Wunde“ in dem Buch „Du gibst mich nicht dem Tode preis“ beschrieben.
Siegfried Kettling schreibt u.a.: „Unsere Welterfahrung ist ganz widersprüchlich: Hell und Dunkel – Plus und Minus prallen hart aufeinander“ (Siegfried Kettling, aa0, S.18).
„Auch Christen stehen immer wieder ratlos vor Gott, sie verstehen Gott nicht, warum und wie er in der Welt wirkt, er bleibt ihnen darin fremd und verborgen. Aus dem Geschehen der Welt, aus dem persönlichen Ergehen können wir nicht zurückschließen auf einen liebenden Gott. Auf diesem Weg gelangen wir zu keiner Gewissheit. Unsere Erfahrungen sind und bleiben doppelgesichtig, ihnen fehlt die Eindeutigkeit im Blick auf Gott“ (Manfred Bittighofer, aa0).
(4)
Wir fassen zusammen. Wir dürfen uns nichts vormachen. Wir dürfen nicht denken: Wenn wir mit Gott unterwegs sind, dann gibt es solche dunklen Zeiten nicht. Gott führt nicht an diesen Tälern vorbei. Gott führt uns aber hindurch. Und er ist dabei.
II.
Teil 2: Ich fürchte kein Unglück. Denn Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.
1.
Wir hören Davids Bekenntnis, sein Glaubenszeugnis: Ich fürchte kein Unglück. Wörtlich: Ich fürchte das Böse nicht. Denn Du bist bei mir. David weiß um die Gegenwart Gottes. Er sagt: Die Anwesenheit Gottes ist meine Gewissheit, mein Halt, meine Geborgenheit! Deshalb fürchte ich mich nicht, wenn das Böse kommt.
2.
David erfährt die Gegenwart Gottes als Trost. Er erfährt die Gegenwart Gottes, weil er im dunklen Tal getröstet wird von der Ausrüstung des guten Hirten. Als gelernter Hirte wusste David um die Ausrüstung eines Hirten. Gott setzt – bildlich gesagt – seinen Stecken und Stab für uns ein.
Der lange Hirten-Stab war am oberen Ende gebogen. Dieser Bogen lief an der Spitze in einem Haken aus. Manchmal war dieser Haken aus Metall. Mit diesem Stab konnte der Hirte einzelne Tiere lenken, streitende Tiere trennen, die Herde zusammenhalten. Er konnte damit in einem Gestrüpp verhedderte Tiere herausziehen oder vom Weg abgerutschte Tiere zurück auf den Weg ziehen.
Der Stecken war eine Art Keule oder Prügel. Mit diesem Gerät konnte der Hirte die Tiere und sich selbst vor wilden Tieren und vor Dieben schützen.
3.
David sagt: Dein Stecken und Stab trösten mich.
Klar! Wir sind keine Schafe! Und der lebendige Gott läuft im Himmel nicht mit Stecken und Stab herum. Es ist ein Bild. So sollen und dürfen wir uns Gottes Wirken für uns, Gottes Engagement, Gottes Begleitung, Gottes Schutz für uns vorstellen.
Stecken und Stab sind Symbole der Macht Gottes, Symbole seiner Fürsorge. Stecken und Stab sind Mittel, um uns seine Gegenwart und sein Für-uns-Sein zu zeigen. Stecken und Stab sind Mittel, um uns zu trösten.
Den Stecken verwendet Gott für meine Bedrohungen und Feinde! Das ist sehr tröstlich!
Den Stab verwendet Gott für mich. Auch wenn es vielleicht nicht angenehm ist, wenn man in der Seite die Spitze des Stabes spürt. Der Stab-Einsatz Gottes ist sehr tröstlich!
Das hebräische Wort, das hier in Psalm 23 verwendet wird, illustriert uns das Trösten Gottes: Der gute Hirte stellt sich zu mir. Er stellt sich vor mich. Er lässt sich durch meine Not motivieren, einzugreifen und zu helfen, um meine Notsituation zu verändern.
III.
Teil 3: Impulse für unsere Wege durch unsere dunklen Täler
1.
Impuls 1: Danken wir für unseren menschlichen Gefährten und Nothelfer in unseren Tal-Zeiten! Bitten wir um Gefährten und Nothelfer!
2.
Impuls 2: Machen wir es wie David! Sprechen wir mit unserem göttlichen Gefährten und Nothelfer!
Als David die hellen Zeiten in seinem Leben beschreibt, spricht er von Gott in der dritten Person. Im dunklen Tal redet er nicht mehr über Gott, sondern zu Gott. In der Tiefe, wenn es schwer ist, sagt David „Du“ zu Gott. Er hält in der Not am Gebet fest. Und er hält mit dem Gebet an Gott fest. Das ist nicht selbstverständlich.
David weist uns also an, in unseren dunklen Zeiten zu beten.
(1)
Ich darf im Gebet mir wünschen: Herr, bewahre mich vor Unglück und Bösem. Wenn Du mir diese Bitte nicht erfüllst, dann bitte ich dich: Bewahre mich im dunklen Tal, im Unglück, in der bösen Zeit!
(2)
Man kann Gebetssätze anderer Menschen verwenden. Ich habe in dem Buch „Kraftworte“ von Reiner Knieling ein solches Gebet gefunden, das ich bete:
„Wenn es dunkel wird und eng hat die Angst keine Kraft. Mit dir bin ich verbunden in der Tiefe. Niemand kann das zerstören. Das tröstet mich und gibt mir Halt. Darin bin ich aufgehoben“.
(3)
Und was ist, wenn man das „Ich fürchte kein Unglück“ nicht packt?
Ich habe mit diesem Glaubensbekenntnis des David meine Probleme. Ich schaffe das Nichtfürchten nicht. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: Ich fürchte kein Unglück.
Aber ich übe, ich flüchte mit diesem Nichtkönnen zu Gott. Er ist im dunklen Tal auch für jemanden, der diesen Gebetssatz nicht beten kann, der göttliche Gefährte und Nothelfer. Jesus ist der, der meinen Ängsten eine drüberzieht oder aber der, der mich angstfähig macht.
3.
Impuls 3: Lernen wir zu glauben! Üben wir den Glauben! Glauben wir!
(1)
Wolfgang Bittner sagt einmal: “Der Glaube ist ein Glaube für Menschen, die in der Not Leben und Glauben lernen müssen. Nicht etwas für Menschen, die dem Unglück unbedingt entgehen wollen.“
Aber ich bin mir unsicher, ob wir sagen können: Der Glaube ist mein Halt.
Ich denke da eher wie Christiane Tietz, die auf die Frage, ob der Glaube ihr Halt im Leben sei, folgendes antwortet: „Ich würde nicht sagen: Der Glaube gibt Halt. Gott gibt Halt. Ich bin gehalten. Das anzuerkennen, das ist eigentlich Glaube. Das hängt nicht an meiner subjektiven persönlichen Verfassung, wie ich gerade unterwegs und drauf bin. Auch wenn ich keinen Glauben spüre, bin ich gehalten! Die Frage ist, ob ich mein Glauben abhängig mache von meinen Erfahrungen, vom Spüren Gottes. Glaubenserfahrung und Mangel an Erfahrung – beides ist normal.“
(2)
Der Glaube lebt vom Wort Gottes. Der Glaube lebt vom Hören auf den redenden Gott. Der Glaube lebt von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes geht (5 Mo 8,3 bzw. Mt 4,4)
Siegfried Kettling sagte uns Studierenden immer wieder: „Das Wort ist’s, tut’s, hält fest, trägt durch“. Nicht die eigene Erfahrung! Nicht das eigene Spüren und Fühlen. Nicht der eigene Glaube. Wir müssen lernen, gegen den Augenschein und gegen unsere Erfahrungen zu glauben.
a.
Der Glaube lebt von den Worten Gottes, die uns bremsen und korrigieren und kritisieren.
Machen wir die Bibel zu unserer Heiligen Schrift. Heilige Schrift ist sie erst in dem Moment, wo wir Gott das Recht einräumen, dass er uns bremsen, korrigieren und kritisieren darf.
David sagt uns hier in Psalm 23: Daran, dass ich Gottes Stab spüre, erkenne ich, dass Gott da ist, dass ihm etwas an mir liegt. Es wäre schlimm, es wäre viel schlimmer, wenn ich Gottes Stab nicht spürte, wenn Gott mich laufen ließe, wenn ich Gottes Stock-Einsatz nicht erführe.
Diese Vorstellung bewahrt uns vor einem zu einseitigen Gottesbild. Sie bewahrt uns vor einer Verniedlichung und Verharmlosung Gottes durch die Formel vom „lieben Gott“. Die Liebe Gottes lebt nicht von der Kritik, aber sie kann kritisch sein. Sie bewahrt uns nicht vor allem Unangenehmen. Sie entschuldigt nicht einfach billig unsere unguten Verhaltensweisen.
b.
Der Glaube lebt von den Zusagen, Versprechen Gottes, die uns die Bibel vermittelt.
Es gilt, was die Zusagen Gottes angeht, was Jeremia bekennt: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost“ (Jer 15,16)
„Ich habe Hoffnung, weil Gott Gott bleibt“ (Rowan Williams, Erzbischof von Canterbury). Ich habe Trost, weil Gott Gott bleibt. Ich habe Halt, weil Gott Gott bleibt.
c.
Der Glaube lebt in Liedern, ja von Liedern.
Deshalb schließe ich mit drei Strophen eines Gesangbuchliedes aus dem Jahr 1623. Der Text stammt von dem Pfarrer und Liederdichter Georg Weissel (1590 – 1635) aus Königsberg. Die Melodie stammt von Johann Stobäus (1580 – 1646) aus Königsberg.
“Such, wer da will, ein ander Ziel, die Seligkeit zu finden; mein Herz allein bedacht soll sein, auf Christus sich zu gründen. Sein Wort sind wahr, sein Werk sind klar, sein heilger Mund hat Kraft und Grund, all Feind zu überwinden.
Such, wer da will, Nothelfer viel, die uns doch nichts erworben; hier ist der Mann, der helfen kann, bei dem nie was verdorben. Uns wird das Heil durch ihn zuteil, uns macht gerecht der treue Knecht, der für uns ist gestorben.
Wend von mir nicht dein Angesicht, lass mich im Kreuz nicht zagen; weich nicht von mir, mein höchste Zier, hilf mir mein Leiden tragen. Hilf mir zur Freud nach diesem Leid; hilf, dass ich mag nach dieser Klag dort ewig dir Lob sagen.“