Realistische Hoffnung oder: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten – Krisenliteratur II – Von Thomas Pichel

1 Ein Wallfahrtslied. Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, werden wir wie die Träumenden sein.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Jubel sein. Dann wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan.

3 Der Herr hat Großes an uns getan. Dann werden wir fröhlich sein.

4 Herr, wende unser Geschick, wie du im Südland die versiegten Bäche wiederbringst.

5 Denn die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen dahin unter Tränen und säen ihren Samen, sie kommen mit Freuden heim und bringen ihre Garben.

 

A.
Vorbemerkung

Man kann aufgrund einer Eigenart der hebräischen Sprache die Verse 1-3 als Blick zurück, als Blick in die Vergangenheit lesen, aber auch als Blick nach vorne, als Blick in die Zukunft.

Ich habe mich, gegen die Elberfelder-Bibel, gegen die Zürcher-Bibel und mit der Luther-Übersetzung entschieden, die Verse 1-3 als Blick in die Zukunft zu sehen. Deshalb lautet auch das Thema der Predigt: Realistische Hoffnung oder: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

 

B.

I.
Das Leben kann hart sein.

Der Psalm beschreibt unser Leben mit vier Stichworten: Freude, Gefangenschaft, vertrocknete Bachläufe und Tränen. Das Stichwort Freude heben wir uns für den Schlussteil der Predigt auf. Wir befassen uns zunächst mit den Zeiten und Situationen unseres Lebens, in denen es die Freude schwer hat, in denen sie ausfällt, weil es uns nicht gutgeht.

1.
Stichwort: Gefangenschaft

Der Psalm spricht von Gefangenen. In der Ursprungssituation des Psalms waren die Israeliten gemeint, die in der sog. Babylonischen Gefangenschaft festsaßen und erst nach Jahrzehnten freikamen und heim durften.

Wir sind nicht die Israeliten in den Jahren 595 bzw. 586 bis 538 vor Christi Geburt. Wir leben nicht als Deportierte fern von unserer Heimat. Aber wir kennen wohl alle Gefangenschaften (und die eigene ist immer die längste und aussichtsloseste!)

Wir Menschen können gefangen sein – im Alltagsstress, im Erwartungsdruck, in einer alten Geschichte, in einer verhängnisvollen Entscheidung, in  einer Krankheit, in der Einzelhaft einer Schuld oder einer Verletzung, hinter großen dicken Mauern einer Sorge, im Verlies einer Resignation, im Kerker einer Angst.

2.
Stichwort: Vertrocknete Wadi im Negev, im Süden Israels

Stellen wir es uns vor: Wir sind in der Steinwüste des Negev. Wir sehen einen Wadi. Ein Wadi ist ein ausgetrocknetes Bach-Bett. Wir sehen die Spuren der Wasserränder. Alles ist stein- und staubtrocken.

Es gibt viele Wadi in unserer Seele. Da sind alle frischen Kräfte verschwunden. Man ist müde, sehr müde, nur noch müde.

Es gibt viele Wadi im Leben von uns Menschen, in unseren Beziehungen, in den Ehen. Da kann vieles versickern und verlorengehen. Man sieht nur noch die Spuren der Vergangenheit.

Es gibt viele Wadi in unserem Glaubensleben, in unserem Christsein. Man ist geistlich ausgetrocknet. Die Freude ist weg. Die Begeisterung ist weg. Der missionarische Elan ist weg. Der Glaube ist Pflicht. Das Lob fällt einem schwer. Das Gebet ist Kampf. Das Lesen der Bibel langweilig. Die Gottesdienste langweilen. Und es liegt nicht am Prediger!

3.
Stichwort: Tränen

Es wird viel geweint auf dieser Erde. Mit Tränen und ohne Tränen.

Es gibt Tränen der Reue, wenn ich schmerzhaft begreife: Meine Gegenwart wäre besser, meine Zukunft wäre heller, wenn ich in der Vergangenheit keine so schlechte und falsche Entscheidung getroffen hätte, wenn ich nicht so dumm gehandelt hätte, wenn ich nicht Menschen so viel angetan hätte.

Es gibt Tränen des Sich-Schämens. Vor einiger Zeit sagte jemand zu mir: Ich bin eigentlich überall gescheitert. In meinen Beziehungen. An meinen Arbeitsstellen.

Menschen weinen über sich und um sich. Menschen weinen über andere Menschen, um andere Menschen. Über ausweglose Situationen. Über die Nöte der Liebsten.

Menschen weinen an Krankenbetten, an Sterbebetten, an Gräbern.

Es gibt Tränen über die persönlichen Alpträume. Krankheiten. Unfälle. Tränen des Leids, der Schmerzen. Es gibt Tränen der Erschütterung, der Resignation und Verzweiflung. Tränen über den Unfrieden in den Familien. Es gibt Tränen über die großen Alpträume unserer Zeit: Unrecht, Gewalt, Katastrophen, Kriege.

 

II.
Der Psalm will uns abholen und mitnehmen

Der Psalm gibt uns einen Hinweis, was wir tun können, wenn es uns so geht, wenn wir uns als Gefangene erleben, wenn wir uns als vertrockneten Bachlauf erfahren, wenn wir Weinende sind, ob mit oder ohne Tränen. Der Hinweis steckt im ersten Wort des Psalms. Es heißt: Ein Wallfahrtslied. Gläubige Menschen beteten, sangen auf ihrem gemeinsamen Weg zum Tempel in Jerusalem diesen Psalm. Der Psalm diente zur Gemeinschaft mit anderen und zur Begegnung mit Gott.

1.
Es geht also darum, dass wir das Gespräch mit anderen suchen, dass wir uns nicht isolieren, wenn es uns so geht, wie es der Psalm beschreibt.

2.
Es geht also darum, dass wir ins Gespräch mit Gott kommen, dass wir ihm sagen, wie es uns geht.

a.
Dazu ist es entscheidend, dass wir das Gottesbild glauben, das uns die Bibel von Gott schenkt.

Du kannst getrost und mit Hoffnung das Gespräch mit Gott suchen und ihm dein Herz ausschütten, denn der Jesus Christus-Gott ist der große Wiederbringer, der große Zurückbringer, der Neumacher, der Geschicke-Wender.

Er ist aber gleichzeitig der, der dich am besten versteht, wenn es zum Weinen zumute ist. Denn Jesus weiß, wie das ist, wenn man weinen muss. Jesus weinte am Grab des Lazarus (Joh 11). Er weinte über und um Jerusalem (Luk 19). Er war im Garten Gethsemane betrübt bis zum Tod (Mk 14) und weinte bittere Tränen.

Jesus steht mitweinend und mitleidend neben uns, wenn wir weinen. Er sagt uns: Ich sehe Deine Tränen. Ich zähle sie. Sie wiegen schwer in meinen Augen.

b.
Zu diesem Gott kann man beten!

Herr, ich lebe wie ein Gefangener. Eingesperrt in meine Lebenssituation, in meinen Fehler vor ein paar Jahren, in meine Krankheit… Herr, beende meine Gefangenschaft, wende mein Geschick! Schenke mir Freiheit!

Herr, ich bin ein ausgetrockneter Bachlauf. Herr, bringe wieder, was mir verlorengegangen ist – an Lebenslust und Energie, an Gebetsfreude, an Verständnis für andere.

 

III.
Realistische Hoffnung oder: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

1.
Aufgabe 1: Machen wir uns klar, wie die Bibel von Hoffnung spricht!

Jesus gibt uns die Bibel in die Hand und sagt uns: Lies! Schau doch mal, wie die Bibel über Hoffnung redet. Überprüfe Deine Sicht von Hoffnung. Ich leihe mir diese Gedanken von Thorsten Dietz.

Wie redet die Bibel von Hoffnung?

Hope is no dope. Die Hoffnung ist keine Droge, um sich die Welt rosarot zu färben. Die Erzählungen der Bibel über Hoffnung sind nicht aus einem Hochglanzprospekt. Die biblische Hoffnung verschließt nicht die Augen vor den Tatsachen des Lebens. Es gibt viele Texte, die voller geplatzter Hoffnungen sind. Es gibt viele Geschichten mit Menschen, die am Optimismus und positiven Denken gescheitert sind, die viel durchmachen müssen.

Die Bibel spricht leidsensibel von Hoffnung und solidarisch mit anderen. Hoffnungsmenschen in der Bibel wissen um die Tränen bei sich und bei anderen. Die Hoffnungsmenschen in der Bibel hoffen nicht nur für sich, sondern für alle anderen und mit allen anderen (Thomas Schlag)

Verlieren wir nie die Fähigkeit zur Enttäuschung, die Fähigkeit zum Traurigsein. Lassen wir uns berühren von der Unerlöstheit der Welt. Hüten wir uns vor Abstumpfung und Resignation.

Ringen wir mit Gott! Beklagen wir sein fehlendes Eingreifen. Hoffnungsmenschen in der Bibel hoffen oft mit Tränen im Gesicht auf Gott. Sie erwarten von Gott mit Tränen das, was er verheißt. Sie halten an der Verheißung fest: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie sind Säende!

2.
Diese Aufgabe nimmt Gott uns nicht ab. Es wie bei einem Bauern, der seine Felder bearbeiten muss, der sein Saatgut säen muss, um etwas zu ernten. Nur wer etwas sät, wird etwas ernten. So hat Gott das Leben angelegt. Ich möchte uns nun beschreiben, wie das konkret aussehen kann.

a.
Bestelle Deine Lebensfelder, Deine Themenfelder, Deine Problemfelder. Säe Dein wertvolles Saatgut aus. Riskiere Dein Saatgut! Halte die Unsicherheit aus, ob es zur Ernte kommt. Habe Geduld. Auch mit Gott! Lerne zu warten!

Was ist das unser wertvolles Saatgut? Das wertvolle Saatgut bist Du. Es ist alles, was in Deinem Herzen, in deiner Seele, in deinem Herzen liegt.

Säen heißt, Gute Worte, wahre Worte, nötige Worte aussäen. Segensworte. Menschliche Worte wie Danke, wie die Bitte um Vergebung säen.

Säe das wertvolle Saatgut deiner guten, vernünftigen und notwendigen Verhaltensweisen auf deine Lebensfelder. Deine Menschlichkeit. Deine Güte. Dein Interesse. Deine Zeit. Dein Helfen.

Säen heißt beziehungsförderliche Verhaltensänderungen verändern. (Familienvater: Sei kein Rechthaber, sondern ein Liebhaber deiner Tochter)

Säen kann auch heißen: Weiterkämpfen! Nicht aufgeben! Wieder aufstehen! Auch mit den Tränen deiner Niederlagen und Vergeblichkeiten! Auch mit den Tränen darüber, dass sich andere leichter tun oder es einfacher haben!

Wir haben nicht die Verheißung, dass wir immer Erfolg haben, dass es immer ein happy end gibt. Aber wir haben die Verheißung, dass es Sinn macht zu beten, Sinn macht, die notwendigen Dinge zu tun, Sinn macht, weiterzugehen!

b.
Säe im Vertrauen auf Gottes Segen, auf Gottes Treue, auf Gottes Möglichkeiten! Säe im Vertrauen auf Gottes Verheißungen, auf Gottes Versprechen und Zusagen!

Bleibe eine mutige Seele! Bleibe im Gebet! Auch wenn es Dir schwerfällt, auch wenn es Dir nicht danach zumute ist. Manchmal kann man nur noch weinend beten und zu Gott rufen. Manchmal kann man nur noch schreien. Und manchmal kann man, weil man emotional überfordert ist, nicht mehr beten. Dann braucht man Freunde, die das für einen tun.

Säe mit Tränen! Aber säe! Sage zu Gott: Du darfst mich enttäuschen. Das Leben darf anders sein, als ich es mir vorstelle. Du darfst anders sein, als ich es mir wünsche. Aber ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich! Ich warte auf Dich. Ich hoffe auf Deine Versprechen. Ich weiß nicht, ob ich das immer schaffe. Aber ich will es!

c.
Themenanzeige: Säe seine Worte auf dein Missionsfeld! Die Texte der Bibel. Die Geschichten der Bibel. Die Jesus-Geschichte. Die Worte Gottes der Bibel.

3.
Aufgabe 3: Halten wir die Verheißung Gottes fest! Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Das ist die realistische Hoffnung, Teil 2.

Es ist das Bild von der Freuden-Ernte. Sie werden mit Freuden ernten. Sie kommen mit Freuden heim und bringen ihre Garben!

1.
Welche Freuden-Garben hast Du in diesem Jahr ernten dürfen? Welche Garben hast Du heimtragen dürfen? Welche schönen Tage? Welche guten Zeiten? Welche Glücksmomente? Welche Gaben? Welche Geschenke? Welche guten Begegnungen mit Menschen? Welche Gebetserhörungen?

Sagen wir ihm heute an Erntedankfest: Danke, Herr!

2.
Du wirst auch in Zukunft nicht leer ausgehen. Du wirst staunen. Du wirst dankbar sein.

Etwas Wunderbares geschieht. Etwas, was wir befürchten, geschieht nicht. Etwas Unwahrscheinliches geschieht. Ein kleines Wunder. Ein großes Wunder. Dir wird geholfen. Du wirst beschenkt. Du erfährst Gottes Reden. Du kannst loslassen. Du wirst staunen.

Du erlebst erste Raten einer Freude, die nicht von dieser Welt, aber für diese Welt ist: Freude an Gottes Nähe. Freude an Gott. Freude an seinem Segen. Freude an seinem Reden. Freude über eine Bibelstelle. Freude an seinen Geschenken.

Du wirst Garben der Jesus-Freude heimtragen.

Jesus, der große Schenkende, wird dich beschenken. Jesus, der Freudeschenker, wird dir Freude schenken. Jesus, der Trostvermittler, wird dir Trost schenken. Jesus, der Hoffnungsgeber, wird dir Hoffnung schenken.

3.
Wir werden in der Ewigkeit eine Rekord-Ernte der Freude ernten dürfen, Freude in Reinkultur, in Vollendung. Dann werden wir ewig sein wie die Träumenden.

What is the chief end of man? Westminster Shorter Catechism (1646-1647): Man’s chief end is to glorify God, and to enjoy him forever.

Was ist das höchste und eigentliche Ziel des Menschen? Das entscheidende Ziel des Menschen ist es, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen, Gott für immer zu genießen.