A.
Einleitung: Worum geht es im 1 Korintherbrief?
Es gab in der Gemeinde von Korinth innergemeindliche Spannungen. Es gab ein starkes Gruppen- und Lagerdenken. Die Einheit der Gemeinde war beschädigt.
Es gab Fan-Lager mit diversen Promi-Christen als Meinungsführer. Motto: Nur was die erwählte Autoritätsfigur sagt, zählt. Für die Gemeinde bedeutete das ein immer neu aufpoppender Machtkampf um die ‚Richtlinienkompetenz‘. Wer hat das Sagen? Wer gibt die Richtung vor? Wir kennen das.
Es gab Lager aufgrund unterschiedlicher Positionen in ethischen und moralischen Fragen. Was darf ein Christ? Was darf ein Christ nicht? Wir kennen das: Diese Diskussionen haben ein unglaubliches Spaltungspotenzial.
Es gab Lager aufgrund sozialer Unterschiede. Die einen waren wohlhabend, hatten Geld wie Heu, mussten nicht arbeiten. Die anderen waren arm und konnten sich nichts leisten.
Es gab Lager aufgrund unterschiedlicher Positionen zum Heiligen Geist und den sog. Charismen und da besonders zum Phänomen der Zungenrede. Dazu später mehr!
Vor diesem Hintergrund schauen wir uns nun 3 Stellen an, an denen Paulus die Liebe ins Spiel bringt. Ich danke Andreas Loos und Thorsten für viele Impulse und Gedanken bei dieser Predigt.
B.
Liebe im ersten Korintherbrief
I.
Liebe ist besser als Härte, Druck, Zwang und Gewalt. Liebe ist immer das Gegenteil von Machtmissbrauch
14 Nicht um euch zu beschämen, schreibe ich dies; sondern ich ermahne euch als meine lieben Kinder. 15 Denn wenn ihr auch zehntausend Erzieher hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn ich habe euch gezeugt in Christus Jesus durch das Evangelium. 16 Darum ermahne ich euch: Folgt meinem Beispiel! 17 Aus diesem Grund habe ich Timotheus zu euch gesandt, der mein geliebtes und getreues Kind ist in dem Herrn, dass er euch erinnere an meine Wege in Christus Jesus, wie ich sie überall in allen Gemeinden lehre. 18 Es haben sich nun einige aufgebläht, als würde ich nicht zu euch kommen. 19 Ich werde aber, wenn der Herr will, recht bald zu euch kommen und nicht die Worte der Aufgeblasenen kennenlernen, sondern ihre Kraft. 20 Denn das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und im Geist der Sanftmut? (1 Kor 4,14-21)
1.
Worum geht es hier? Die Andeutungen in den beiden uns erhaltenen zwei Korintherbriefen ergeben folgendes Bild. Es gab in der Gemeinde in Korinth Paulus-Kritiker, die sich dem Apostel überlegen fühlten und ihn geringschätzten. Sie unterstellten Paulus persönliche Schwächen: In Briefen benutzt du starke und harte Worte gegen uns, deine Kritiker. In Wirklichkeit hast du Angst vor der direkten Konfrontation mit uns, sonst hättest du dein angebliches Vorhaben, uns zu besuchen, längst in die Tat umgesetzt. Und sie machten Paulus deutlich, dass sie sehr gut ohne ihn auskämen: Paulus, wir brauchen dich nicht. Du kannst dir den Besuch sparen Ihre Überzeugung war: Unsere biblischen Positionen sind der Goldstandard in allen Fragen und Debatten.
2.
Wie reagiert Paulus auf diese Unterstellung und Beschämung?
(1) Paulus zeigt ihnen sein Selbst- und sein Rollenverständnis. Er sagt seinen Kritikern: Ich bin nicht Euer Aufpasser und Euer Kontrolleur, wie die Erzieher eurer Kinder, die, wenn es sein muss, mit Prügelstrafen agieren.
(2) Paulus erinnert sie daran, dass er, der Gründer der Gemeinde, sich als Vater verstehe und dass sie, die Korinther, für ihn seine geliebten Kinder seien. Er macht ihnen damit klar, dass es ihm um Versöhnung geht, um die Wiederherstellung der Beziehung.
(3) Und er deutet mit seiner Frage in Vers 21 an, wie er seine Vaterrolle versteht. Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und im Geist der Sanftmut? (1 Kor 4,21)
Paulus orientiert sich damit nicht am patriarchalen Vaterverständnis seiner Zeit. Der Vater war der Patriarch, der Chef über alle Familienmitglieder. Was er sagte, mussten alle denken, glauben und tun. Es galt das Prinzip des absoluten Gehorsams. Körperliche Strafen gehörten wie selbstverständlich zur Erziehung dazu. Wer nicht spurte, wurde gezüchtigt! Für Machtmissbrauch und Grenzverletzungen fehlte damals das Problembewusstsein!
Paulus nimmt Maß, wie Jesus mit Menschen umging und wie Jesus seine Macht nutzte. Jesus benutzte seine Macht, um zu dienen und zu ermächtigen. Er herrschte nicht über Menschen, sondern diente ihnen. In seinem Einflussbereich wurden Menschen nicht klein gemacht, sondern freier, mutiger, fröhlicher, stärker.
Paulus weiß: Man gewinnt das Vertrauen anderer nie mit Gewalt. Man darf in Glaubensdingen andere nie zu etwas zwingen. Paulus weiß: In Beziehungen und erst recht in schwierigen Beziehungsphasen sind Druck, Zwang und jede Form von Gewalt immer Gift. Und Paulus weiß: In der christlichen Gemeinde und erst recht, wenn die Einheit der Gemeinde gefährdet ist, braucht es immer Liebe und den Geist der Sanftmut.
Was ist Sanftmut? Wie geht Sanftmut vor? Wie wirkt sie?
(1) Sanftmut ist keine Friede-Freude-Eierkuchen-Haltung, in der man über die schwierigen Dinge schweigt. Sanftmut hat den Mut, die Dinge klar anzusprechen. Paulus spricht in seinem Brief ja auch einiges an. Weil Sanftmut das tut, wirkt sie klärend und befreiend.
(2) Sanftmut ist ein vorsichtiges, rücksichtsvolles und leidensbereites Agieren. Sanftmut ist ein Lieben ohne Zwang zum Gehorsam, ohne Machtmissbrauch. Sie gibt den anderen frei. Sie ist ein Werben um Einsicht und ein Werben um den anderen. Deshalb kann sie verbindend und versöhnend wirken. Sie hat die Fähigkeit, Gemeinschaft mit anderen leicht(er) zu machen oder zu heilen. Sanftmut erreicht Dinge, die Härte, Druck, Zwang und Gewalt nie erreichen. Sie verbindet Menschen untereinander. Sie verbindet aber auch die Wunden, die man sich gegenseitig geschlagen hat.
(3) Mit der Sanftmut kommen wir an das eigentliche Geheimnis der Liebe heran. Liebe macht sich verletzlich. Sie lässt sich berühren, treffen, aber sie will nicht verletzen.
II.
Liebe ist besser als stolzes Wissen ohne Rücksicht auf andere
„Nun zur Frage des Opferfleisches: Wir wissen ja, dass wir alle Erkenntnis besitzen. Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt“ (1 Kor 8,1-3)
1.
Was hat es mit dem Opferfleisch auf sich? Fleisch wurde in der Antike als Tieropfer zu Ehren von Gottheiten geopfert. Aber der Großteil des Fleisches wurde nicht auf Altären verbrannt, sondern von Menschen in Kultfeiern gegessen oder auf dem Markplatz mit seinen Verkaufsständen zum Kauf angeboten. Den Christen war klar, dass man an Kultfeiern für andere Gottheiten nicht teilnehmen kann. Aber die Frage war, ob man das zum Verkauf angebotene Opferfleisch kaufen und essen darf oder nicht.
Es gab über dieser Frage wie so oft zwei Gruppen, zwei Meinungen in Korinth: Die einen sagten aus Gewissensgründen: Das angebotene Fleisch ist für uns Christen tabu. Die anderen kauften und aßen solch ehemaliges Opferfleisch völlig unbekümmert. Um die Gewissensnöte anderer (Christen) kümmerte man sich null. Wie die eigene Glaubenspraxis auf andere wirkte, war ihnen egal.
2.
Wie geht Paulus in diesem Fall vor?
(1) Einerseits betont er die Erkenntnis: „Alles, was auf dem Markt verkauft wird, könnt ihr essen, ohne euch ein Gewissen zu machen!“ (1 Kor 10,25). Das hat für ihn etwas „mit der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Gal 5,1) zu tun.
(2) Andererseits ruft er aber dazu auf, auf die Rücksicht zu nehmen, die aus Gewissensgründen diese Freiheit für sich nicht leben können, die beim Kauf und beim Essen von ehemaligen Opferfleisch ein schlechtes Gewissen hätten.
3.
Paulus markiert damit für die Korinther und für uns eine wichtige ethische Leitlinie: Ein Durchsetzen und Ausleben von Überzeugungen, ohne dass man Rücksicht auf Andersdenkende in der eigenen Gemeinde nimmt, setzt Christen in Unrecht, selbst wenn man sachlich recht hat. Rücksicht auf andere ist immer wichtiger als Rechthaben. Das Ausleben von Freiheiten braucht die Frage, was das für meine Mitmenschen bedeutet. Denn die Liebe zu Gott enthält immer auch die Liebe zu anderen Menschen. Die Liebe zu Gott gibt es nicht ohne das Lieben des Nächsten.
III.
1 Kor 12-14: Die Liebe ist das Kriterium dafür, wie wir unsere natürlichen Gaben und unsere Geistesgaben einsetzen und leben
1.
Der Hintergrund von 1 Kor 12-14 ist der Konflikt um den Heiligen Geist und die Geistesgaben prophetische Rede, die Gabe der Heilung und der Zungenrede. Korinthische Gemeindeglieder, die die Gabe der Zungenrede hatten, bildeten sich ein, das wichtigste Charisma zu besitzen. Sie blickten auf andere herab. Sie stellten ihre besondere Geistbegabtheit zur Schau, ohne sich um das Übersetzen zu kümmern. Ob andere beim Zuhören ihrer Zungenrede-Laute mitkommen und etwas davon haben, war ihnen egal. Sie vermittelten den Eindruck, dass die Geschwister, die diese Gabe nicht hatten, weniger wert seien.
2.
Wie geht Paulus in diesem Fall vor? Wie geht er mit dieser Überbewertung der Geistesgaben um?
Paulus antwortet nicht anti-charismatisch. Er verdächtigt die Geistesgaben nicht. Er schenkt der Gemeinde in Korinth Leitlinien, die für uns heute von großer Hilfe sind.
(1)
Das Bekenntnis zu Jesus als Herrn, sagt Paulus in 1 Kor 12,3, ist bereit geistgewirkt. Jeder Christenmensch ist ein Charismatiker, weil er das Bekenntnis: Jesus ist der Herr sprechen kann.
(2)
Die größte Gabe des Heiligen Geistes ist die Agape-Liebe (1 Kor 12,31; 13,13; Rö 5,5). Sie bildet den Prüfstein für alle anderen Gaben.
Paulus sagt in 1 Kor 12,7, dass alle Gaben „zum Nutzen aller“ gegeben sind. Das Bewertungskriterium für alle Geistesgaben, aber auch für alle natürlichen, menschlichen Gaben ist die Frage, ob die Gaben anderen Menschen dienen, indem sie ihnen nützen und sie aufbauen, oder ob sie lediglich dazu dienen, damit der begabte Mensch sich beweihräuchern kann.
Der französische Moralist Francois de La Rochefoucauld (1613-1680) sagt einmal: Man sollte einen Menschen nicht nach seinen Vorzügen, Gaben und Fähigkeiten beurteilen, sondern nach dem Gebrauch, den er davon macht.
(3)
In 1 Kor 13,1-3 wendet Paulus das Kriterium der Liebe auf Christenmenschen.
1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
Paulus urteilt sehr klar und herausfordernd:
Ein begabter Redner, der prophetisch reden kann, ist ohne die Liebe ein Nichts.
Ein Mensch mit ganz viel Wissen und ganz starkem Glauben ist ohne die Liebe ein Nichts.
Selbst ein Mensch, der für Arme sehr viel spendet, ja selbst ein Mensch, der sich für den Glauben zu opfern bereit ist, ist ohne die Liebe ein Nichts. Er tut es nur für sich, um zu performen, um sich darzustellen und anzugeben.
(4)
Paulus ruft die Korinther auf den „besseren Weg“ der Liebe (1 Kor 12,31).
Was ist der normale Weg? Auf dem normalen Weg sehen Menschen auf die Unterschiede, was Gaben und Fähigkeiten angeht. Aber sie schaffen es nicht, diese Unterschiede zu denken, ohne sie als besser und schlechter, als wertvoller und weniger wertvoll einzustufen.
Was ist der bessere Weg der Liebe? Die Liebe verweigert sich jeder Einteilung von Menschen aufgrund ihrer Gaben in ein Besser und Schlechter, in ein Vollkommener und Weniger-Vollkommen.
(5)
Paulus portraitiert abschließend die Agape-Liebe.
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Der Clou, die Pointe dieser Verse ist, dass wir Gott bzw. Jesus für “die Liebe” einsetzen können. Diese Verse sagen, mit welcher Liebe Jesus uns liebt.
Deshalb noch einmal 1 Kor 13,4-7 leicht verändert:
4 Jesus ist langmütig und freundlich. Jesus eifert nicht. Jesus treibt nicht Mutwillen. Jesus bläht sich nicht auf. 5 Jesus verhält sich nicht ungehörig. Jesus sucht nicht das Seine. Er lässt sich nicht erbittern, er rechnet das Böse nicht zu. 6 Jesus freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, Jesus freut sich aber an der Wahrheit. 7 Jesus erträgt alles, Jesus glaubt alles, Jesus hofft alles, Jesus duldet alles.