1 Und als der Pfingsttag sich erfüllte, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
I.
Woran erinnern wir heute?
1.
Dass sich die Verheißungen Jesu erfüllten. Der Auferstandene hatte seinen Jüngern den Heiligen Geist versprochen. Und die Erfüllung dieser Verheißungen geschah an Pfingsten. Es heißt in Vers 1: Als der Pfingsttag sich erfüllte.
Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit (Joh 14,16)
Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein (Apg 1,8)
2.
Dass sich die Verheißungen des Alten Testaments erfüllten. Gott hatte ja seinem Volk den Heiligen Geist versprochen. Und die Erfüllung dieser Verheißungen geschah an Pfingsten.
Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben (Hes 36,26-27)
Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch (Joel 3,1)
3.
Das Wort Pfingsttag spielt auf das jüdische Wochenfest Schawuot an. Wir könnten den Bericht von Pfingsten auch so beginnen: Als sich Schawuot erfüllte. Dieses große jüdische Fest begann und beginnt heute noch 50 Tage nach dem Pesach- oder Passahfest. Deshalb feiern wir Christen Pfingsten 50 Tage nach Ostern. Es ist kein Zufall, dass Gott Pfingsten ausgerechnet an Schawuot geschehen ließ, denn es ist ein Fest der Freude und Dankbarkeit. Man feiert große Geschenke Gottes, man feiert die großen Taten Gottes:
Erstens: An Schawuot feiert Israel die Gabe der Tora als wertvolles Geschenk Gottes an uns Menschen. Man feiert also ein Bibelfest. Tora heißt auf Deutsch Weisung. Und dazu gehören die Gesetze und Gebote, aber auch die Erzählungen von Gottes Geschichte mit der Welt und Israel, aber auch Gottes Verheißungen und Zusagen.
Zweitens: Man feiert an Schawuot den Bundesschluss am Sinai, die Verbindung mit Gott, man feiert Gottes Gegenwart und Nähe, Gottes Liebe und Treue. Schawuot ist als ein heilsgeschichtliches Fest.
Drittens: Man feiert an Schawuot die Gaben und Früchte des Schöpfers. Schawuot ist ein Erntedankfest. Gott segnet das Land mit sieben Früchten: Weizen, Gerste, Trauben, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Datteln (5 Mo 8,8).
4.
Wenn wir die Punkte 1, 2 und 3 zusammenfassen, wenn wir die Erfüllung der Verheißungen Jesu, die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen und das jüdische Wochenfest Schawuot zusammenlegen, wissen wir, dass wir an Pfingsten viel zu feiern haben.
(1)
Wir feiern die Gabe des Heiligen Geistes.
Wir feiern die Gabe des Heiligen Geistes als wertvollstes Geschenk an Menschen. Der Heilige Geist ist… die Person der Dreieinigkeit, die uns nahekommt, die uns berührt, die uns verwandelt, die uns neu macht. Der Heilige Geist kommt mit dem Wort Gottes, mit den Texten der Bibel zu uns und öffnet uns diese Texte und inspiriert uns mit ihnen. Der Heilige Geist schenkt uns Jesus-Gewissheit, schenkt uns die Gewissheit, dass die Liebe Jesu uns gilt.
Das heißt z.B., dass wir nicht aus eigenem Willen uns entscheiden müssen, dass wir nicht aus uns heraus das Christsein versuchen müssen, dass wir den Glauben an Jesus nicht ohne Jesus versuchen müssen, dass wir den Missionsauftrag und alle anderen Aufträge Gottes in der Bibel nicht aus eigener Kraft versuchen müssten.
Kurz, das heißt: Wir müssen nicht aus eigener Kraft Christ sein.
(2)
Wir feiern die Gaben des Heiligen Geistes. Siehe die Gabenlisten in Rö 12 und 1 Kor 12.
(3)
Wir feiern die Früchte des Heiligen Geistes. D.h. wir feiern, dass Gott angefangen hat, uns in neue Menschen zu verwandeln. Pfingsten ist das Fest der Ermächtigung. Der Heilige Geist ermächtigt uns. Er macht uns neu. Er macht uns lebendig. Es ist durch seinen Geist ein ganz anderes Leben für uns möglich. Gott segnet uns mit 7 Früchten. „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ (Gal 5,22)
II.
Was schenkt uns der Heilige Geist? (Wir zoomen Pfingsten größer)
1.
Antwort 1: Ein Hören- und Verstehenkönnen
Wir gehen auf der Suche nach der Antwort von der Verwunderung der Augenzeugen an Pfingsten aus. Diese Menschen fragen: Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? (Apg 2,8)
Alle Menschen, die Pfingsten erleben, sprechen unterschiedlichen Sprachen, haben unterschiedliche Kulturen, Mentalitäten, Denkmuster, Gewohnheiten, Vorlieben usw. Alle hören aber am Pfingsttag die Jünger in ihrer eigenen Sprache reden.
Das Wunder von Pfingsten ist also nicht, dass alle Menschen wieder eine einzige Sprache, eine Einheitssprache hätten und sprächen. Das Wunder ist, dass jeder in seiner Sprache versteht, was Gott tut. Das Wunder ist, dass Gott sich in die Sprachen der Völker hineingibt, hineingeht und sich verständlich macht. Gott macht sich für alle verständlich. Gott wird für alle verständlich. Gott macht sich für alle relevant. Er wird für alle relevant.
Die Apostel werden von einer Inspiration ergriffen. Die Kraft des Heiligen Geistes kommt über sie. Sie sind nicht gebildet. Sie sind keine Künstler, keine Diplomaten, keine Weltbürger. Sie sind nicht sprachenkundig. Aber sie werden erstaunlicherweise von Inländern und Ausländern verstanden.
Das macht diese Geschichte so wundervoll. Der Heilige Geist trichtert ihnen nicht im Schnellverfahren Fremdsprachen ein. Sie bekommen vielmehr die Gabe, über alle Barrieren hinweg, über Sprachbarrieren, Kulturbarrieren, Mentalitätsbarrieren hinweg, Menschen aller Kulturen und Nationen zu erreichen.
Das ist das Pfingstwunder. Das ist das geheimnisvolle Wirken des Heiligen Geistes. Bis heute. Menschen verstehen die Taten Gottes. Menschen verstehen die Botschaft der Kirche. Menschen verstehen, wer Jesus ist. Menschen verstehen die Bibel.
Kurz: Pfingsten ist das Fest der gelingenden Kommunikation (Heribert Prantl).
2.
Antwort 2: Die Nähe zu Jesus und zueinander. Die Gemeinschaft mit Jesus und die Gemeinschaft miteinander.
(1)
Dazu möchte ich uns aus zwei Erfahrungen vor Augen malen. Ich leihe mir diese Gedanken von Gerhard Lohfink (in: Ausgespannt zwischen Himmel und Erde, S.193f)
a.
Die erste Erfahrung heißt: Man sitzt mit anderen aufs Engste zusammen und bleibt doch in völliger Distanz zu ihnen.
Viele von uns sind schon einmal geflogen. Die Nichtflieger können sich es vorstellen: Man leidet unter der Enge in einem vollbesetzen Flieger. Schon das dicht gedrängte Stehen im Gang ist nicht angenehm. Man muss warten, bis man zu seinem Platz vorgerückt ist, da die anderen Passagiere ihr Handgepäck verstauen müssen. Dann sitzt man, endlich angegurtet, in Tuchfühlung mit seinem Nachbarn. Das Gefühl heißt eingezwängt. Nicht einmal die Zeitung kann man richtig umblättern, weil es viel zu eng ist. Und mit dem Sitznachbarn kann man nicht reden, weil der das nicht will.
So ist es oft. In der Schlange vor der Kasse, im Kino, in der U-Bahn. Die räumliche Nähe hebt den inneren Abstand nicht auf. Wir können uns räumlich sehr nahe sein – und doch ist man Welten vom anderen entfernt. Es gibt keine Verbindung.
b.
Die zweite Erfahrung: Man ist räumlich weit auseinander und ist dem anderen doch unglaublich nahe.
Zwei Menschen, die sich lieben, sind durch berufliche Umstände voneinander getrennt. Vielleicht tausende von Kilometern. Die Handy-Verbindung klappt nicht. Doch trotz der räumlichen Distanz sind sich die beiden nahe. Sie denken aneinander. Sie fragen sich, was der andere jetzt gerade macht. Sie sehen ihn vor sich. Sie fühlen mit ihm. Sie führen im Geist Gespräche mit ihm.
Man kann räumlich weit auseinander sein und ist dem anderen doch nahe. Man kann, trotz aller räumlichen Distanz, im Geist ganz bei dem geliebten Menschen sein.
(2)
Jeder kennt ähnliche Beispiele. Größte räumliche Nähe – und doch unüberbrückbare Distanz. Oder aber: Räumliche Ferne – und doch innere Nähe. Was schafft diese Nähe? Was schafft diese Verbindung, die physikalisch nicht messbar ist, die nicht aus irgendwelchen Wellen oder Vibrationen besteht – und die doch so real ist, dass jeder sie spüren kann?
Man muss solche Erfahrungen zu Hilfe nehmen, um zu ahnen, wie das mit dem Heiligen Geist ist.
Der Heilige Geist schenkt uns eine Jesus-Gewissheit, die ohnegleichen ist. Er bezeugt uns, dass wir Gottes Kinder sind, dass wir nicht allein sind, dass Jesus da ist… Er schenkt uns Vertrauen zu Jesus, Freude an Jesus, Liebe zu Jesus.
Der Heilige Geist ist das „Zwischen“, das die Glaubenden verbindet. Er überbrückt jede Distanz. Er macht, dass wir einander zuhören… Er macht, dass wir einander nahe sind. Er macht die Gemeinden zum Leib Christi, weil er der Geist Jesu ist. Er führt uns, die wir so unglaublich verschieden voneinander sind und die wir eigentlich von Natur aus wenig Gemeinsames haben, zur Einheit und Einmütigkeit zusammen. Er macht die Kirche zum internationalen Gottesvolk.
Kurz: Pfingsten ist das Fest der guten Nähe, das Fest der Einheit in Vielfalt.
III.
Was ist unser Beitrag zu Pfingsten?
1.
Es gibt im Judentum eine wichtige Unterscheidung. Wir haben zu Beginn gehört, dass Israel bis heute Schawuot feiert. Man feiert bis heute „die Gabe der Thora“, aber nicht „den Empfang der Thora“?
Diese Unterscheidung ist keine Spitzfindigkeit. Sie entspricht einer Grundregel des geistlichen Lebens. Worauf macht die Unterscheidung zwischen Gabe und Empfang aufmerksam?
Ich leihe mir die Antwort von Rabbi Menachem Mendel von Kotzk (gest. 1859), der die folgende Grundwahrheit unserer Spiritualität festgehalten hat: „Am Fuß des Sinai wurde die Tora uns nur gegeben. Sie zu empfangen, dass muss jeden Tag neu, hier und heute geschehen.“ Israel hat also am Sinai die Tora geschenkt bekommen. Aber jede Jüdin und jeder Jude sind berufen, die Tora jeden Tag neu zu empfangen, indem sie zu Gott sagen: Rede Herr, ich höre, ich bin bereit, Dich durch Dein Wort zu empfangen.
Fußnote: Dahinter steht die Erfahrung des Judentums, dass die Gottesgegenwart und seine Herrlichkeit, hebräisch seine Schechina in unserer Welt und in unserem Leben zunehmen und abnehmen kann. Es ist die Erfahrung einer heiligen und höchst verletzbaren Gegenwart.
Und genau dasselbe geistliche Prinzip gibt es im Blick auf den Heiligen Geist. An Pfingsten ist der Heilige Geist der Kirche gegeben worden. Und jede Christin, jeder Christ haben den Heiligen Geist von Gott geschenkt bekommen. Er ist uns gegeben. Und doch sind wir berufen, jeden Tag neu den Heiligen Geist zu empfangen.
Wir sehen also: Die Bibel denkt in einer spannungsreichen Logik: Ich habe den Geist. – Und doch soll ich sein Wirken wollen und mich von ihm füllen lassen. Denn der Heilige Geist ist ein Teamplayer. Er will in uns, aber auch mit uns zusammenwirken.
2.
Deshalb fragen wir jetzt: Was ist unser Beitrag zu Pfingsten?
Ich beschränke mich auf eine Antwort. Wir bitten um sein Wirken.
Jesus ermutigt uns in Luk 11,13: Bittet um den Heiligen Geist! Paulus ermutigt uns in Eph 5,18: Lasst euch vom Heiligen Geist erfüllen!
Der Heilige Geist ist sehr speziell. Gottseidank! Er ist leise, sanft, sanftmütig. Er kommt, wenn wir ihn darum bitten.
3.
Ich sage es mit zwei Bildvergleichen:
a.
In Marburg wird in jeder Evangelischen Kirche an jedem Sonntag folgende Bitte an Gott geäußert: Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen Deiner Gläubigen, entzünde in ihnen das Feuer Deiner göttlichen Liebe. Schenke uns das Feuer des Heiligen Geistes als Lebensenergie, als Energie unseres Glaubens, unserer Liebe, unserer Wahrhaftigkeit…
b.
Komm, Heiliger Geist, erfüll unsere Herzen; gieße dein Wasser auf unsere dürren und erschöpften Herzen.
Wasser kann verschlossene Gefäße nicht füllen. So kann der Heilige Geist uns nicht erfüllen, wenn wir uns Gott gegenüber verschließen, wenn wir nicht offen und empfangsbereit sind.
Wasser fließt nach unten, nicht nach oben. Die Wasser des Heiligen Geistes fließen auch nach unten. Diese Wahrheit ist eine gute Perspektive für uns: Unsere Tiefen sind gute Voraussetzungen für sein Wirken: unsere Schwächen, unsere Nöte, unsere Niederlagen, unsere Verletzungen, sogar unsere Schuld…
Deshalb dürfen wir so oder ähnlich beten: Herr, ich halte dir meine erschöpfte Seele hin, mein trockengerissenes Herz: Ich weiß nicht weiter. Oder: Ich bin nicht so, wie ich es gerne wäre… Rede Herr, ich höre, ich bin bereit, Dich durch Dein Wort zu empfangen. Ich erlaube Dir, mir zu sagen, was Du mir sagen willst. Ich brauche Deine Zusagen. Ich bin aber auch offen für Deine Kritik und Deine Aufträge.
IV.
Lasst uns an den Verheißungen von Pfingsten für unser missionarisches Engagement festhalten
Wir sind Verständnis-Arbeiter. Wir sind Zeugen der großen Taten Gottes.
Wir tun das im Glauben an die Verheißungen von Pfingsten?
1.
Der Heilige Geist wirkt an Nichtchristen, an Nichtgläubigen, die von ihm nichts wissen, die ihn auch nicht möchten. Er versucht alles, ihnen den Glauben zu schenken. Das kann allein der Heilige Geist.
2.
Der Heilige Geist will uns dazu benutzen. Unsere Menschlichkeit. Unser Leben. Unsere Worte.
Das ist das, was wir glauben dürfen, worum wir bitten dürfen: Herr, mach dich verständlich und benutze dazu unsere Sprache, unsere Worte, unsere Sätze, unser Leben.
Das ist das, wofür wir uns engagieren und einsetzen. Der Heilige Geist tut Dinge, die wir nicht können. Aber der Heilige Geist ergänzt nicht nur, was an unserem Tun immer fehlen wird.
Der Heilige Geist heiligt unser Tun. Er ist kein „Zerstörer des Menschlichen“ (Adolf Schlatter). Er ist kein Verächter des Menschlichen und Geschöpflichen. Er will nicht, dass wir weniger tun, damit er auch noch etwas zu tun hat, sondern dass wir das, was wir tun, im Heiligen Geist tun, in der Kraft seines Geistes, im Vertrauen auf die Möglichkeiten des Heiligen Geistes.