Der redende Gott (Über Gott Basics V) – Von Thomas Pichel

Einleitung: Gott redet. Er ist der Redende.

Gott redet mit uns. Er teilt sich mit. Im Gegensatz zu den Göttern, zu den Götzen. Die reden nicht bzw. die können nicht reden. Wir lesen in Ps 115,4-7: Ihre Götzen aber sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. Sie haben Mäuler und reden nicht, sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Nasen und riechen nicht, sie haben Hände und greifen nicht, Füße haben sie und gehen nicht, und kein Laut kommt aus ihrer Kehle.

Gott redet mit uns. Er teilt sich mit. Auf viele Weisen: In der Schöpfung. In Ereignissen. Durch Menschen. In Beziehungen. In Träumen. In Visionen. In der Musik. In der Kunst. In Aha-Erlebnissen. In Wundern und Zeichen. Die Frage ist nur, ob wir dieses Reden Gottes mitbekommen und richtig deuten und verstehen.

Gott redet mit uns. Er teilt sich mit. C.S. Lewis wird konkret und herausfordernd: „Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind sein Megaphon, eine taube Welt aufzuwecken.“ Die Frage ist wiederum die, ob wir dieses Reden Gottes hören und richtig deuten und verstehen.

Gott redet mit uns. Er teilt sich mit. In der Bibel und durch die Bibel. Das ist das Bekenntnis des Christentums. Das ist die Erfahrung der Kirche. Die Frage ist auch hier noch einmal, ob wir dieses Reden Gottes hören und richtig deuten und verstehen.


I.
Welches Verhältnis hat Gott zur Bibel?

Ein ganz besonderes! Zwischen Gott und der Bibel besteht eine „Wirkungseinheit“ (Siegfried Zimmer). Sie ist ein Wunder. Sie ist ein Geheimnis. Man kann sie nicht beweisen. Aber sie ist die Erfahrung von Judentum und Christentum!

Die Bibel ist Gottes Lieblingsinstrument. Sie ist sein bevorzugtes Instrument, um mit uns zu reden. Nirgends wirkt der Heilige Geist stärker und kräftiger als durch die Bibel.

Die Bibel selbst deutet dieses Geheimnis an:

Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende“ (Jes 58,10-11)

Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt“ (Jer 29,29).

„Alle Schrift, von Gott gottgehaucht, ist nützlich zur Lehre, zur Aufdeckung und Überführung von Schuld, zur Auferbauung und Veränderung, und zur Erziehung zu einem Leben in Gerechtigkeit“ (2 Tim 3,16).

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“ (Hebr 4,12)

Wir können uns darauf verlassen: Gott erreicht alles, was er durch die Bibel erreichen will. (Siegfried Zimmer) Gott hat unerschöpfliche Möglichkeiten, durch die Bibel zu wirken. Das kann uns gewiss und gelassen, zuversichtlich und fröhlich machen.

Aber wir sollten eines nicht vergessen: Gott entscheidet über die Wirkungen der biblischen Worte und Texte, nicht wir! Wir haben keine Macht – weder über Gott noch über die Bibel. Es ist nicht so, dass wir nur die Bibel aufschlagen oder auf eine bestimmte Art predigen müssten und dann kämen automatisch die gewünschten Wirkungen heraus. Nein! Gottes Geist wirkt, so Martin Luther, wo, wann und an wem er möchte. Aber wir haben die Verheißung, dass Gott zu uns durch die Bibel sprechen will und wird.

 

II.
Wie ist das, wenn Gott redet?

Ich habe uns einige Begriffe mitgebracht, die unterschiedliche Antworten von unterschiedlichen Menschen auf diese Frage festhalten und über die wir ins Gespräch kommen könnten.

Schwer zu verstehen, missverständlich.
Eine Einbildung! Ein Problem! Ein Unglück! Eine Gefahr!
Verunsichernd, angstmachend, unheimlich, erschreckend.
Herausfordernd, provokativ, schmerzhaft.
Erstaunlich, überraschend, frohmachend, befreiend.
Schön. Gut. Wohltuend und lebenswichtig.

Ich stelle uns nun im zweiten Teil der Predigt meine (derzeitigen) Begriffe vor. Sie hängen und spielen zusammen.

1.
Aufschlussreich

Themenanzeige: Was schließt uns Gottes Reden durch die Bibel alles auf?! Das Leben, den Tod, die Sünde, den Sinn, die großen Begriffe und Werte, die Götzen, gottseidank auch das Drehbuch Gottes mit und für diese Welt.

(1)
Gottes Reden in der Bibel schließt uns Gott auf. Gott offenbart sich uns durch die Bibel. Deshalb können wir durch das Lesen der Bibel Gott begegnen und zu Gott finden.

Die Bibel ist alternativlos und unersetzbar. Weil wir unser Gottesbild und unser Gottesverständnis durch sie gewinnen! Es gibt kein anderes Buch, das uns den Zugang zu Gott öffnen kann. Wir wissen alles Wichtige und Nötige über Gott aus der Bibel. Wir haben uns das in den ersten vier Predigten der Basics-Reihe angesehen.

Die Bibel sagt uns: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott!“ (Jes 45,15). Sie sagt uns: Gott „will im Dunkel wohnen“ (1 Kö 8,12). Das heißt: Wir können uns schwer tun im Glauben und Leben. Wir können Zeiten erleben, Zeiten der Mehrdeutigkeit und Verunsicherung, Zeiten, wo alles ins Wanken gerät; wo wir nicht wissen, was wir denken sollen; wo wir Gott nicht verstehen; wo seine Führungen und Fügungen Angst machen, Fragen aufwerfen, Leiden bedeuten; wo wir nicht mehr wissen, wohin das alles noch führen soll.

Erst vor diesem Hintergrund können wir das aufschlussreiche Reden der Bibel über Jesus verstehen.

Jesus ist der entscheidende Schlüssel, der uns Gott aufschließt.  In Joh 14,9 sagt Jesus von sich: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. Jesus ist das Ende der Ungewissheit in Sachen Gott. Der unbekannte Gott hat sich bekannt gemacht. Der unbegreifliche Gott hat sich begreifbar gemacht. Wir erkennen an Jesus und durch Jesus, wie Gott ist. Wir erkennen, dass Gottes Wesen tiefste Liebe ist. Wir sehen das am Leben Jesu und am Tod Jesu. Gott ist nicht in der Höhe, sondern in der Tiefe. Gott ist nicht gegen uns, sondern für uns. Michael Herbst hat das Geheimnis Gottes einmal so ausgedrückt: Gott leidet mit den Leidenden. Er ist bereit, an uns Menschen zu leiden. Er war bereit, für uns Menschen zu leiden. Ohne die Bibel wäre kein Mensch auf diese Wahrheit gekommen. Man kann sich das nicht ausdenken!

(2)
Gottes Reden schließt uns auch uns selbst auf. Gott zeigt uns durch die Bibel, wer wir sind, wie wir sind. Deshalb können wir durch das Lesen der Bibel uns selbst begegnen und zu uns finden.

„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“ lautet ein Buchtitel von Richard David Precht. Ich lese seit fast 40 Jahren die Bibel. Ich weiß durch die Bibel: Ich bin Kain. Ich bin Jakob. Ich bin Petrus. Ich bin Thomas usw. usw.

Ich bin wie Kain (1 Mo 4). In mir kann eine Bitterkeit brennen, dass andere etwas genießen können, was ich nie bekomme. Und dann kann ich verletzende Worte zu anderen sagen oder verächtliche Worte über sie.

Ich bin wie Petrus (Luk 22). Ich kann große Töne spucken, wenn es aber drauf ankommt aus Angst um mich feige schweigen.

Ich bin wie der ältere Sohn in Lukas 15: Ich kann mich moralisch überlegen fühlen über andere und sie verachten und dennoch aus Lust an mir selbst ständig nach ihrer Achtung streben.

Ich bin wie Thomas (Joh 20). Kein Mensch hat Vertrauen. Vertrauen zu Gott ist keine Fähigkeit. Vertrauen zu Gott lässt sich nicht speichern wie einen Besitz. Wir können Vertrauen nur gewinnen, wenn wir es nötig haben. Aber das ist nicht immer einfach. Jesus weiß das! Er weiß, dass wir zum Glauben immer neu die Begegnung mit ihm, dem Auferstandenen, brauchen. Das heißt aber: Ich darf Thomas sein!

 

2.
Konfrontativ

Gottes Reden konfrontiert uns mit Gott. Es konfrontiert uns mit dem, was Gott will bzw. nicht will. Gott redet uns da nicht nach dem Mund. Das sind keine Streicheleinheiten! Das ist unangenehm!

Dieses konfrontative Reden geschah z.B. im Alten Testament durch die Propheten. Propheten sagen Gottes Sicht in eine geschichtliche Situation hinein und kündigen die Konsequenzen für die Zukunft an, wenn die Menschen ihr Verhalten nicht ändern.

Gottes Geist benutzt heute viele Bibelstellen (oder auch Menschen), um in diesem konfrontativen Sinn zu uns zu sprechen.

Gott konfrontiert uns mit dem, was er will. Er konfrontiert uns mit seinen Ansprüchen an uns, mit seinem Willen. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Kümmert euch um die Hungernden, Durstenden, Fremden, Nackten, um die in den Gefängnissen! (Mt 25,35-26)

Gott konfrontiert uns mit dem, was er nicht will, er konfrontiert uns mit seiner Kritik z.B. an konkreten sozialen Missständen, z.B. mit unserer Schuld.

3.
Verheißungsvoll

Das konfrontative Reden Gottes (Kritik, Ansprüche, Warnungen, Mahnungen) ist wichtig. Aber es kann uns nicht tragen. Es ist ja das, was uns aufgetragen wird. Aber unsere Aufgaben können uns nicht tragen. Was aber trägt uns? Tragen tun uns die Versprechen und Verheißungen Gottes. Sie tragen uns, weil wir alle von dem leben, was Gott uns verspricht und was Gott für uns tut! Deshalb ist das Entscheidende in der Bibel das, was Gott uns zusagt, verspricht und verheißt. Wir sind Kinder der Versprechen Gottes. Wir alle leben von den schöpferischen, beglückenden, unverdienten, unerwarteten Versprechen Gottes.

Dazu habe ich einen Tipp: Legt Euch einen Wortschatz an und pflegt ihn! Legt Euch einen Schatz an biblischen Verheißungsworten an! Schreibt Euch die Versprechen Gottes auf einen Zettel, in ein Tagebuch! Schreibt Euch die Versprechen Gottes auf, die Euch tragen, die Euch den Glauben an Gott leicht(er) machen, die Euch Kraft geben, die Euch Gewissheit über Gott schenken!

Christina Brudereck, von der ich diesen Tipp mir leihe, hat ein schönes Wortspiel geprägt: Ewiges Wiederholen kann bedeuten, sich etwas Ewiges wiederzuholen!

Ich will Euch die drei Worte verraten, von denen ich in dieser merkwürdigen und schwierigen Zeit lebe. Sie sind aufschlussreich, konfrontativ und voller Verheißungen!

„Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,35)

„Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt“ (Hebr 10,35f)

„Demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn. Denn er sorgt für euch“ (1 Ptr 5,6-7)

4.
Schöpferisch

Gottes Reden durch die Bibel ist wirksam und hat Kraft. Es geht beim Bibellesen nicht um Theorien über die Inspiration. Auch nicht um Bekenntnisse. Es geht um die Erfahrung der Kraft des Redens Gottes.

Gottes Reden ist schöpferisch. Es verändert. Es bewirkt unendlich viel Gutes. Warum? Weil Gott uns durch die Bibel den Heiligen Geist und den Glauben schenkt. Weil Gott uns durch die Bibel neues Leben schenkt. Weil Gott uns durch die Bibel befreit!

5.
Ich halte als Fazit fest:

Gottes Reden kann weh tun! Es kann herausfordern und provozieren. Bibellesen kostet etwas: Zeit, Geduld. Mut. Es kann anstrengend sein. In Anfechtungszeiten kann es schwer sein! Schuld kann uns schwerhörig werden lassen!

Und doch möchte ich zusammenfassend sagen: Gottes aufschlussreiches, konfrontatives, verheißungsvolles und schöpferisches Reden ist gewinnbringend.

Es ist ein Geschenk. Gottes Reden stiftet durch die Bibel Orientierung. Sein Reden schenkt durch die Bibel Trost und Hoffnung. Gott schenkt uns durch die Bibel den Zugang zur Kraftquelle, die er selbst ist. Kurz: Die Bibel ist immer wieder eine Entdeckung. Sie ist unser Glück!

In der Bibel stehen zwei sehr schöne Zeugnisse für das, was ich meine:

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!“ (Ps 119,105)

„Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost“ (Jer 15,16)

 

III.
Was braucht es von unserer Seite für das Reden Gottes?

1.
Hörbereitschaft.
Wir dürfen nicht off sein!

Es gibt ein Buch von Klaus Bockmühl, dessen Titel aussagt, worum es geht: Hören auf den Gott, der redet.

Wie macht man das?

Antwort, Teil 1: Bibellesen, auf Gott hören ist Übung, ist Arbeit.

Antwort, Teil 2: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden! Es gibt eine altbewährte Methode, die seit Jahrtausenden von Juden und Christen praktiziert wird.

Man liest ein Bibelwort oder einen Bibeltext laut, langsam und wiederholt. Man sinnt darüber nach! Vielleicht sogar über mehrere Tage! Man bleibt bei einer Geschichte, bei einem Psalm, bei einem Vers! Man denkt darüber nach! Meditiert ihn.

Es kann sein, dass uns der Text nichts sagt, dass wir minutenlang die Erfahrung machen: Kenn‘ ich! Kenn‘ ich doch! Kenn ich schon lange! Es kann aber auch sein, dass nach einer gewissen Zeit etwas geschieht

Achten wir beim Bibellesen darauf! Was bleibt mir hängen? Worüber stolpere ich? Was stört mich? Was tut mir weh? Was spricht mich an? Wo kommen mir innerlich Assoziationen? Welche Sehnsucht wird berührt? Was fängt zu leuchten an?

2.
Tatbereitschaft!

Tun, was wir hören! (Jer 22,29; Mt 7,24; Hebr 3,7 u Jak 1,22)

Hans Jonas (1903-1993), ein deutscher jüdischer Philosoph, hat einen sehr wichtigen Satz über Gottes Reden und unser Hören gesagt. Er spricht von der großen Paradoxie des Glaubens: Der Mensch wird den Ruf Gottes erst dann hören, wenn er beginnt, darauf zu antworten. Deshalb sage ich Ihnen, Euch, Dir:

Wenn Du in etwas Geschehenes einwilligen sollst, dann glaube, indem Du darin einwilligst!
Wenn Du etwas Gebotenes tun sollst, dann glaube, indem Du es tust!
Wenn Du einer Verheißung Glauben schenken darfst, dann tue es!

3.
Teambereitschaft

Mit anderen zusammen es versuchen, zu hören, das Gehörte leben, um die schöpferischen und verändernden Wirkungen des Redens Gottes bitten, sich segnen lassen! Denn wir dürfen Empfangende und Beschenkte sein!