A.
Teil 1: Einführung in das Thema
Jesus erregte nicht nur Aufsehen durch seine Worte, sondern auch durch seine wundersamen Taten. Er machte Kranke gesund. Lahme ließ er gehen, Blinde machte er sehend, Taube hörend. Er verwandelte Wasser in Wein. Er speiste 5000 Männer und 4000 Männer mit so gut wie nichts. Sogar 3 Tote weckte er zum Leben auf. Er konnte über Wasser laufen.
Das hat sich im Großen und Ganzen bis heute nicht geändert.
1.
Was auffällt, wenn wir die Wunderberichte im Neuen Testament lesen.
(1)
Jesus weigerte sich, bestimmte Wunder zu vollbringen
Es gibt bei Jesus keine Schau- oder Demonstrationswunder. Jesus verweigert sich, wenn die Menschen Beweiswunder verlangen. Das ist bis heute so. Gott tut heute noch Wunder. Aber nicht als Beweis unseres Glaubens.
Es gibt bei Jesus keine Fortunawunder. Fortuna war in der Antike die Glücksgöttin, die ihr Füllhorn ausschüttet und z.B. jemanden mit Lottoglück beglückt. Das ist bis heute so. Denke ich zumindest.
Es gibt bei Jesus keine Strafwunder, keine Rachewunder an seinen Gegnern.
Es gibt bei Jesus Heilungswunder, Rettungswunder, Fruchtbarkeitswunder, Wunder der Beherrschung der Natur, der Materie, Wunder der Wiederherstellung, Geschenkwunder, Wunder der vorweggenommenen Vollendung, Wunder der alten Schöpfung, Wunder der neuen Schöpfung…
(2)
Jesus handelte unterschiedlich. Die einen beschenkte er mit Wundern. Z.B. seinen Freund Lazarus, den er von den Toten auferweckte. Anderen schenkte er kein Wunder. Z.B. seinen Mitarbeiter Johannes den Täufer, den er nicht aus dem Gefängnis befreite und nicht vor dem Märtyrertod bewahrte. Das ist bis heute so. Gott tut heute noch Wunder. Aber nicht in der Regel. Nicht immer. Nicht überall.
(3)
Auch was die Beteiligung des Glaubens von uns Menschen angeht, gibt es Unterschiede. Bei der Heilung eines sog. Besessenen spielt das Vertrauen des Mannes keinerlei Rolle. In Nazareth aber kann Jesus so gut wie nichts tun. Dort spielt der Unglaube der Leute eine große Rolle. Es heißt: Jesus „konnte dort nicht eine einzige Tat tun, außer dass er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte. Und Jesus wunderte sich über ihren Unglauben“ (Mk 6,5f)
2.
Was sind eigentlich Wunder?
Das Neue Testament vermeidet das gängige Wort für Wunder (griechisch: thauma; lateinisch miraculum. Von miraculum kommt unser Wort Mirakel.
Das Neue Testament kennt drei Wörter, die in drei Versen sogar nebeneinanderstehen (Apg 2,22; 2 Kor 12,12 und Hebr 2,4).
Das erste Wort heißt teras und meint seltene, außergewöhnliche Ereignisse, die von einer Gottheit bzw. von Gott herbeigeführt werden.
Das zweite Wort heißt dynamis und bezeichnet sichtbare Kraft- und Machttaten, die durch Gott möglich sind, durch die Gott eigentlich Unmögliches möglich macht, durch die Gott Dinge verändert, Geschichte verändert, Geschichte schreibt.
Das dritte Wort heißt semeion und bedeutet Zeichen, Kennzeichen, Indikatoren. Wunder sind Kennzeichen der messianischen Heilszeit, Kennzeichen des gekommenen und kommenden Reiches Gottes. Wunder sind zeichenhafte Geschehnisse, an denen wir die guten und barmherzigen Ziele Gottes mit der Schöpfung, mit dem Menschen ablesen können. Wunder sind Zeichen der Herrlichkeit Gottes (siehe Joh 2,11).
Wenn wir diese drei Wörter zusammenfassen, können wir auf die Frage: Was sind Wunder? folgendes antworten: Wunder sind barmherzige Interventionen in den normalen Ablauf der Dinge. Wunder sind barmherzige Interventionen in die Schöpfung durch die Macht des Schöpfers (nach Peter Wick).
3.
Wie gingen und gehen die Menschen mit den Wundern Jesu um? Wie werden sie immer damit umgehen?
(1)
Da gab und gibt es die Wunderskepsis, die Ablehnung der Wunder im Namen der Wissenschaft (mechanistisches Weltbild), im Namen der Vernunft.
Dahinter steht eine vergöttlichte Vernunft. Die Vernunft wird auf den Sockel gestellt und zum obersten Kriterium erhoben. Eine vergöttlichte Vernunft verführt den Menschen zu folgendem Glauben: Für mich gibt es nur das, was ich verstehe, was mir einleuchtet, was sich rational erklären lässt. Es ist gefährlich, wenn wir nichts außer der Vernunft anerkennen.
(2)
Da gab und gibt es den Glauben an Wunder bzw. den Glauben an den Gott, der Wunder tun kann und tun will. Diese Menschen wissen: “Das System Welt ist nach oben offen. Wir zählen auf das Eingreifen von außen.” (Robert Spaemann). Die Welt ist kein geschlossenes System, in dem es nur die Materie und die innerweltlichen Prozesse gibt. Gott kann jederzeit eingreifen. Gott ist nichts unmöglich.
(3)
Da gibt es die Wundersuche und Wundersucht. Diese Menschen übersehen, dass Wunder nicht die Regel sind. Diese Menschen sind anfällig für einen Glauben, der wie eine Bedienungsanleitung funktioniert: Wenn wir auf die richtige Art glauben, wenn wir ohne Zweifel und lang genug und unter Beteiligung möglichst vieler Beter beten, wenn wir die richtigen Rituale richtig anwenden, dann geschieht das Wunder.
Hinter der Wundersucht steht nicht die vergöttlichte Vernunft, sondern oft die Krise der Vernunft, die wir in unserer Zeit ebenfalls beobachten können. Diese Krise besteht im Raubbau an der Vernunft, im Ablegen der Vernunft. Die Stichworte heißen Esoterik und Aberglauben. Sie heißen Unvernunft und fehlende Weisheit. Man glaubt predigenden Laien oder Schauspielern in medizinischen Fragen. Man geht nicht zum Doktor. Man fragt nicht, ob etwas wahr und vernünftig ist, sondern ob man eine Kraft oder Energie spürt… Hier muss die Vernunft verteidigt werden.
B.
Teil 2: Das Weinwunder in Joh 2,1-11
1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. 2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. 3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4 Jesus spricht zu ihr: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. 6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. 7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. 8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. 9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam 10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. 11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.
Ich will und kann diesen Text jetzt nicht im Einzelnen auslegen. Ich möchte uns drei Annäherungen an die Fülle der Botschaften dieses Wunderberichtes versuchen.
1.
Annäherung 1: Der Wein ist alle
Entweder waren der Bräutigam und seine Familie (denn sie haben das Fest ausgerichtet) zu wenig begütert, zu arm. Dann war das Problem ein Mangel! Deshalb konnten sie nicht genug Wein einkaufen. Oder sie waren zu sparsam, zu knausrig, zu geizig. Deshalb wollten sie nicht genug Wein einkaufen. Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass Jesus sie vor einer Blamage bewahrt.
Ich finde es sehr bezeichnend, dass Jesus die Not so heilt, dass das Fest nicht gestört wird, dass die Gäste das Ganze nicht mitbekommen. Auch das ist sehr barmherzig.
Was aber ist die Botschaft von Joh 2,1-11? Jesus ist unser Nothelfer. Sowohl für unsere Mängel. Als auch für unsere Makel. Jesus ist zuständig für unsere Mängel und unsere Makel.
Für unsere Mängel. Für unsere Armut. Wo wir nicht können.
Für unsere Makel. Für unseren Geiz an Liebe, an Gastfreundschaft, an Schenkenwollen…
“Such, wer da will, Nothelfer viel, die uns doch nichts erworben; hier ist der Mann, der helfen kann, bei dem nie was verdorben. Uns wird das Heil durch ihn zuteil, uns macht gerecht der treue Knecht, der für uns ist gestorben” (EG 346,3)
2.
Annäherung 2: Die jüdischen Wasserkrüge
Nach jüdischer Sitte stehen 6 Wasserkrüge zur Verfügung. Je nach Maß macht das 480-600 Liter. Diese Wasserkrüge stehen für die rituellen Waschungen aller Gäste zur Verfügung.
Wir können nicht, müssen aber auch nicht das Thema Reinheit im Judentum darstellen und erörtern. Wir können die Brücke zu uns durch eine Erinnerung an eine Weisheit schlagen, die vielleicht gerne unterschätzt wird: Wenn ich ordentlich feiern will, muss mein Leben in Ordnung sein, muss meine Beziehung zu Gott in Ordnung (gebracht) sein, müssen die Beziehungen untereinander, unter den Gästen in Ordnung sein.
Was ist die Botschaft von Joh 2,1-11? Ich brauche eine Waschung. Weil an mir immer wieder unsaubere Dinge kleben: mein Gedankenschmutz. Mein Wortschmutz. Mein Verhaltensschmutz.
Was ist die Botschaft von Joh 2,1-11 bzw. vom ganzen Johannes-Evangelium, vom ganzen Neuen Testament? Ich muss diese Waschung nicht selbst vornehmen. Jesus schenkt mir diese Behandlung. Er schenkt mir die Vergebung für allen Gewissenschmutz.
3.
Annäherung 3: Der gute Wein auf einer Hochzeit als erstes Zeichen der Herrlichkeit Jesu
Jesus übt erstmals in der Öffentlichkeit seine Macht aus und verwandelt Hunderte Liter von Wasser in guten Wein. Warum ausgerechnet Wein?
Wein stand und steht im Judentum für Frieden und für Freude.
Dieses Weinwunder ist ein Zeichen für das, worum es Jesus ging und worum es Jesus heute geht. Wozu ist Jesus in die Welt gekommen? Wozu kommt er zu uns heute?
Um uns Festfreude zu bringen. Er ist der Herr der Festfreude! Das ist seine Herrlichkeit! Amen!
C.
Teil 3: Ein Heilungswunder: Mk 7,31-37
31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Ich will eine Brücke von diesem Wunderbericht zu uns heute schlagen. Ich habe sie aus dem Buch „Der evangelische Patient“ von Klaus Douglass und Fabian Vogt (S.46ff)
1.
Die Einheimischen bringen einen Taubstummen. Das griechische Wort heißt wörtlich: mit Mühe reden. Aufgrund seiner Taubheit kann der Mann nur lallen. Er kann nur gewisse Laute von sich geben.
Es ist wohl wie heute: Die wenigsten Menschen kommen von sich aus in den Wirkungskreis, in die Nähe Jesu. Bei ihm, den Tauben, ist es auch verständlich. Warum sollte er einer Predigt zuhören, die er nicht hören kann?
Diese Einstellung gegenüber Predigten können wir verallgemeinern. Es gibt sie leider viel zu oft. Da ist ein Mensch, der überzeugt ist: Ich brauche keine Predigt. Die Botschaft Jesu, die Botschaft der Bibel ist unwichtig für mich. Das heißt aber nichts anders als: Die Menschen sind dem Evangelium gegenüber „gehörlos“. Sie sind – leider oft! – auf Predigten nicht ansprechbar.
Aber wir dürfen hoffen. Vielleicht sind sie ansprechbar auf das Thema Heilung. Auf „Heilung der Seele, Heilung des Körpers, Heilung der Erinnerung, Heilung der Beziehung und anderes mehr. Dass ausgerechnet die Predigt Jesu diese Heilung bringen könnte, darauf kämen sie im Leben nicht.“
2.
Wir können eine weiter Übertragung in unsere Zeit vornehmen: „Darum müssen“ die Menschen – „wie der Taubstumme in unserer Geschichte – zu Jesus gebracht werden. Die Wenigsten kommen von sich aus in den Gottesdienst, einen Glaubenskurs, eine missionarische Veranstaltung, eine Kleingruppe oder an irgendeinen anderen Ort, an dem man Jesus gut begegnen kann. Es braucht in aller Regel einen oder mehrere Menschen, die einen liebevoll, aber beharrlich dort hinführen.“
3.
An diesem Punkt kommen wir zur vielleicht wichtigsten Übertragung. Es ist das Thema unserer Ohnmacht. „Es gibt einen Ort, an dem wir nichts mehr machen können. Da hilft nur noch eins: beten. Und genau das passiert in unserem Text: Sie baten Jesus: Leg ihm deine Hand auf. Das ist das Gebet jedes Menschen, der mit viel Mühe einen anderen Menschen in den Wirkungskreis Jesu bringt: Herr, lege deine Hand auf diesen Menschen.“
4.
Es heißt in Vers 33 und 34: Und Jesus nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf!
a.
Jesus nimmt den Taubstummen beiseite. Das zeigt uns etwas Entscheidendes über unseren Glauben. Christsein ist ein Verhältnis zu Christus. Und
b.
Jesus redet mit dem Taubstummen in Zeichensprache. Den Finger in die Ohren. Den mit Speichel benetzten Finger in die Ohren hieß damals Heilung. Worte hätte der Mann nicht verstanden. Aber von Jesus aus gesehen, hätten Worte ja genügt. Aber Jesus sagt ihm in der Sprache, die der Mann verstehen kann: Ich will dich heilen.
c.
Dann schaut Jesus zum Himmel auf und seufzt. Das Seufzen der Menschen spielt in der Bibel eine große Rolle. Arme seufzen. Kranke seufzen. Unterdrückte seufzen. Und Jesus seufzt auch. Jesus stimmt in das Seufzen der Menschen mit ein. Jesus nimmt hier bewusst Kontakt auf mit dem Himmel, mit Gott, mit seinem Vater. Er nimmt Blickkontakt auf. Ich denke mir, dass Jesus das dem taubstummen Mann auch vermitteln wollte. Schau in den Himmel! Schau auf Gott! Erwarte von ihm das Entscheidende!
d.
Schließlich sagt Jesus: Hefata. Das ist Aramäisch. Tu dich auf! Meint er die Ohren oder den Himmel? Natürlich die Ohren! Aber vielleicht auch den Himmel!
5.
Wir klinken uns aus und wenden das Hefata auf uns an!
Wo ermutigt mich der Text zu folgender Wunderbitte: Herr, lege deine Hand auf. Herr, sprich Dein Hefata!
Zu meinen Ohren…
Zu den Ohren meines Freundes, meiner Verwandten, meiner Kollegen!
Zu den Herzen von…
Zu den Sackgassen-Situationen…
Zu meiner wie abgesperrten und eingesperrten Lebensfreude…