Johannes 19,17-18 – Karfreitag – ein guter Tag für schwierige Themen und harte Zeiten – Von Thomas Pichel

A.
Karfreitag. Ein dunkler Tag oder ein guter Tag. Das ist hier die Frage.
Black Friday oder Good Friday? So heißt der Karfreitag in England.

Nicht zu verwechseln mit dem Black Friday in den USA, dem ersten Tag des Weihnachtsgeschäftes nach Thanksgiving.

Black Friday: Öde. Langweilig. Nichts los. Nervend wegen der Verbote.
Black Friday: Das Thema Sterben und Tod. Dunkel. Ernst. Traurig.
Black Friday: Schwere Rätselfrage: Warum musste Jesus für unsere Sünden sterben?

Good Friday: Chance zum Nachdenken. Chance zur Besinnung. Zur Reue und Neuanfang.
Good Friday: Staunen über Gottes Liebe. Staunen über das Opfer Jesu.
Good Friday: Eine stille Freude. Eine ruhige Gewissheit. Eine tiefe Dankbarkeit.

B.

I.
Für die Jünger, für die ersten Christen war Karfreitag zunächst ein Black Friday!

Jesus wurde das Opfer eines Verbrechens. Wie zurzeit Menschen Opfer von Corona werden!

Paulus sagt in 1 Kor 2,8: Die Mächtigen der Welt haben Jesus gekreuzigt.
Jesus wurde ein Opfer des Pilatus, dem Gouverneur der römischen Besatzungsmacht, und der damals regierenden Gruppe in Israel.
Jesus wurde ein Opfer ihrer Interessen und Ängste, ein Opfer ihrer Machtspiele. Jesus wurde das Opfer eines Justizskandals. Es war Mord.

Warum kreuzigten die Römer Revolutionäre und Staatsfeinde?
‚Es ging nicht nur darum, jemanden zu töten, sondern ihn zu brechen. Jede Anhängerschaft, jede Idolisierung, jeder Glaube sollten unmöglich gemacht werden. Es sollte von Jesus keine Faszination mehr ausgehen können. Sein Charisma sollte ausgelöscht werden. Die schrecklichen Bilder sollten sich tief in die Köpfe seiner Anhänger einprägen, so dass man mit Jesus nichts mehr verbinden können sollte, was Kraft und Hoffnung gibt‘.
(Diesen Gedanken verdanke ich Thorsten Dietz. Gefunden in einem Worthaus-Vortrag über die Auferstehung Jesu)

Die Kreuzigung war für die Anhänger Jesu ein Schock!
Wie sollte es weitergehen ohne ihn? Sie hatten Angst um ihr Leben.
Quälende Fragen: ‚Warum hat Gott das zugelassen? Hat er Nein zu Jesus gesagt, ihn bestraft? Können wir uns so in ihm getäuscht haben?‘

II.
Wie kam es, dass die ersten Christen Karfreitag als Good Friday entdeckten?

1.
Erste Antwort: Es lag an den Begegnungen mit dem Auferstandenen.

Die ersten Christen erfuhren: Jesus lebt. Er erfreut sich bester Gesundheit.
Sein Ende ist kein tragisches Scheitern. Es gibt gar kein Ende. Es geht erst richtig los. Mit ihm und für ihn.

2.
Zweite Antwort: Es lag an der Auferstehung.

Die ersten Christen begriffen: Gott hat Jesus durch die Auferweckung bestätigt. Er hat nicht Nein zu ihm gesagt. Er hat sich mit Jesus identifiziert.

Die ersten Christen begriffen: Die Auferstehung ist der Sieg des Kreuzes.
Gott gibt dieser sinnlosen Untat einen Sinn.
Er gibt dem furchtbaren Ereignis eine Bedeutung, die es an sich gar nicht hat.
Er macht ausgerechnet dieses dunkle Geschehen zum Instrument der Rettung der Welt.
Er macht ausgerechnet “das Wort vom Kreuz” (1 Kor 1,18) zu seinem ‚Allheil-Mittel‘ zur Behandlung und Heilung von schuldigen Menschen. Eigentlich verrückt!

Aber es ist typisch für Gott. Das sieht ihm ähnlich. Es heißt in Jes 45,15: „Tatsächlich, du Gott Israels, du bist auch als Retter ein verborgener Gott.“
Gott handelt gerne im Verborgenen. Er ist am Werk, ohne das man es sofort versteht. Am Kreuz hat er einen ganz süßen Inhalt in einer ganz harten Schale versteckt.

Warum bewirkt das Kreuz das Heil? Ist das göttliche Magie? Geht es um die Substanz Blut? Nein. Es wirkt, weil Gott es gelten lässt.
Weil er es mit dieser Wirkkraft wirken lässt. Weil er da seine erlösende Kraft hineinlegt.

3.
Dritte Antwort: Es lag an der Bibel.

Die ersten Christen waren alle Juden. Sie fanden in unserem sog. Alten Testament die entscheidenden Schlüssel und Verständnishilfen für den Tod Jesu.

Ich nenne nur zwei Bibelstellen. Es geht in ihnen um zwei jüdische Feste.

a.
2 Mose 12: Hier geht es um das jüdische Pesachfest, das wir Passafest nennen.

Es ist das Fest der Befreiung und Freiheit.
Gott befreit sein Volk aus der Macht des Pharao, des damals größten Weltherrschers.

Diese Geschichte wird zum Schlüssel für das Kreuz Jesu. Wir werden befreit aus den Mächten der Sünde, des Bösen, unserer Schuld.

Übrigens: Der Auszug aus Ägypten wurde den Juden auch zum Schlüssel für das Verständnis von geschichtlichen Ereignissen.
Plagen, schwere und leidvolle Ereignisse, sind Zeichen der kommenden Befreiung. Gott wird den Sieg über alle Pharaos der Welt davontragen.

b.
3 Mose 16: Hier geht es um das jüdische Fest Jom Ha-Kippurim oder Yom Kippur, um den großen Versöhnungstag. Es ist der höchste und wichtigste Feiertag in Israel.

Dieses Fest wurde ein Schlüssel zum Verständnis des Todes Jesu.
Wie im AT auch auf Golgatha: Kein Opfer, um einen zornigen Gott gnädig zu stimmen.
Wie im AT auch auf Golgatha: Kein Deal, um Gott zu motivieren, uns zu helfen oder zu segnen.

Genau das Gegenteil dieser gängigen Sühnevorstellungen:
Gott stellt sich als Opfer zur Verfügung. Er schenkt sich selbst.

Die Folge: Meine Sünde wird mir abgenommen. Ich bin nicht verloren oder verworfen. Ich darf auch als schuldiger Mensch mit Gott zusammen sein und mit ihm leben.

Was für eine Idee! Was für ein Gott! Was für ein Geschenk! Was für eine Liebe! Was für eine Wertschätzung! Was für eine Treue!

Deshalb sage ich: Der Karfreitag ist und bleibt ein Black Friday. Gleichzeitig ist er ein Good Friday. Er ist the best Friday ever! Der beste Freitag, den es je gab.

III.
Worin besteht das Gute an Karfreitag? Er ist ein guter Tag für schwierige Themen und harte Zeiten.

Ich lese aus Joh 19 die Verse 17 und 18:
„Jesus trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha.
Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.“

Zwei leidende, schuldige, sterbende Männer.
In der Mitte Jesus. Leidend. Unschuldig. Sterbend.

Dieses Bild symbolisiert für mich die Botschaft des Good Friday!
Leidende, schuldige, und sterbende Menschen – nicht ohne Jesus! Jesus mitten unter ihnen!

Leider hat nur einer von ihnen zum Glauben an Jesus gefunden!
Aber wir dürfen das für uns glauben und wissen!
Dann wird der leidende Gott für uns zur Kraftquelle.

(1)
Wir dürfen es glauben: Wir leiden nicht ohne Jesus. Er leidet mit. Er lässt uns in unserem Leid nicht allein.

„Eine Krankenhauspfarrerin erzählt: Als Markus drei Jahre alt ist, liegt er mit Leukämie in der Klinik. Die Eltern kommen täglich. Aber er ist auch oft allein, und ich spiele mit ihm. Ich zeige ihm ein Bilderbuch ‚Jesus ist geboren‘. Später hat Markus einen schweren Rückfall und kommt wieder in die Klinik. Einmal fragt er: „Hast du auch ein Buch, wie Jesus am Kreuz ist?“ Er lässt nicht locker und will so ein Buch sehen. Als ich wieder zu ihm komme, hat er ein Bild von Jesus gemalt, mit Wundmalen an Händen und Füßen.Jesus hat Aua. Markus hat auch Aua.‘ Als er stirbt, ist er vier Jahre alt.“ (Quelle leider mir unbekannt)

Jesus hat den kleinen Markus nicht im Stich gelassen. Er hat ihn getröstet. Er wich nicht von seiner Seite.

(2)
Wir dürfen es glauben: Jesus lässt uns Sünder nicht allein.

Wegen Corona können und dürfen wir uns nicht umarmen.
Meine Kollegin Doris bastelt deshalb Hände aus Pappe und verbindet jeweils zwei Hände mit einer Schnur, die lang genug ist, dass andere sich das Ganze umhängen können. Diese Hände verschickt sie mit der Post. Die Botschaft für die Empfänger ist klar: ‚Ich umarme Dich!‘ Coole Idee!

Mit der Botschaft vom Kreuz verhält es sich genauso!
Alles, was die Bibel zum Thema Sünde und Kreuz sagt, sind Beziehungsbotschaften.
Gott möchte uns die Hand geben, umarmen und segnend die Hände auf uns legen.

Durch das Kreuz spricht Gott zu uns:

‚Hör auf, deine Schuld zu ignorieren, zu verstecken, zu verdrängen! Das hilft nichts!
Hör auf, die Dinge zu verharmlosen und herunterzuspielen! Das geht nicht!
Hör auf, dich dafür fertig zu machen! Das musst du nicht!
Hör auf, andere dafür fertig zu machen! Das macht alles noch schlimmer!
All diese Versuche schaffen Sünde nicht aus deinem Leben weg. Im Gegenteil!

Ich leide mit dir mit, wenn du unter den Folgen einer Schuld leidest.
Ich befreie dich von der unerträglichen Last auf deinem Gewissen!
Ich befreie dich, wenn eine Verletzung durch andere Dir unerträglich ist!

Der Glaube bittet: ‚Herr, umarme mich, behandle mich, heile mich, segne mich!‘

(3)
Wir dürfen es glauben: Wir sterben nicht ohne Jesus. Er lässt uns in unserem Sterben nicht allein.

Einer der beiden Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, hat gebetet:
‘Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Vergiss mich nicht!‘ (Luk 23,42)

Er betet nicht: ‘Rette mich’. Wenn Jesus an ihn denkt und nicht vergisst, dann ist alles gut.

Dann ist ein Sterben ein Umzug, der von Jesus geleitet und vollzogen wird.

Jesus lässt uns nicht allein. Natürlich gilt es auch an den Sonnentagen unseres Lebens.
Aber wie gesagt: Karfreitag ist für die Tage und Nächte unseres Lebens, wo es hart zugeht, wo viel auf dem Spiel steht.

IV.
Was lernen wir über Gott?
Diesen Punkt verdanke ich und übernehme ich von Michael Herbst. (Vom Gekreuzigten Gott reden, S.189f)

1.
„Gott kann leiden.

Das Kreuz mit dem Mann aus Nazareth, der dort so elend verreckt, sagt: Gott kann leiden. Er ist nicht der Gott der Philosophen, der über der Erde thront, unberührt von unserem Schmerz, ohne ein Lächeln über unsere Freude. Nein, er ist nicht der apathische Weltenlenker, unbewegte Beweger, gefühllose Herrscher, kaltherzige Richter.

Jesus am Kreuz – da ist Gott, gebeugt unter unseren Schmerz, gequält von unserem Versagen, hineingestoßen in die schlimmste Gottesferne. Am Kreuz geht Gott durch die Hölle. Er kann leiden. Kann er aber leiden, dann ist er vor allem der Gott, der mit uns mitfühlt und dem es das Herz zerreißt, wenn er an unsere Not denkt. Wenn du ganz unten bist, dann ist er nicht ganz oben, sondern direkt neben dir. Gott kann leiden.“

2.
„Gott kann mich leiden.

Wenn mich jemand leiden kann, dann ist das mehr als mich mögen. Jemanden zu mögen, weil er so liebenswert ist, das ist leicht. Das kriegen wir locker hin. Tiefer geht es, wenn wir sagen. Ich kann dich leiden. Dann sagen wir: Und wenn ich Schmerz davontrage, auch wenn du mich enttäuschen wirst, auch wenn du mir wehtun wirst, ich kann dich leiden. Wenn Liebe enttäuscht wird, muss sie wählen: Sie muss sich zurückziehen oder sie gerät ins Leiden. Jesus am Kreuz sagt: Ich kann dich leiden. Auch wenn du mich bisher nicht beachtet hast. Auch wenn so viel schief gelaufen ist… Ich mag nicht nur deine Schokoladenseiten (die sind auch toll!), ich liebe dich brutto, mit deinen weniger guten Seiten, deinem Versagen, deiner Bitterkeit, deiner Hilflosigkeit, deinem Starrsinn, deiner Furchtsamkeit. Ich kann dich leiden.“

3.
„Gott kann für mich leiden.

Wo ist… die Gnade? Woher kommt die Erlösung von unserem Schmerz, von unserem traurigen Schicksal… von unserer Schuld, von unserer Todesfurcht? ‚Geh zum Kreuz‘, sagt Jesus, ‚schau es dir an. Was da geschah, habe ich für dich getan… Da habe ich alles hingeschleppt, dein Schicksal und deinen Tod, deine Schuld und deine Krankheit. Komm zum Kreuz. Ich strecke dir die Hand entgegen… Hier sollst du aufatmen und leben, geborgen… losgekettet von deiner Schuld und frei, das Leben neu anzupacken, mutig und zuversichtlich…!“