Lukas 1,26-38 – Freude. Trotz hoher Belastung und schwieriger Umstände. – Von Thomas Pichel

A.
Einstieg in das Thema zu Beginn des Gottesdienstes

I.
Ich grüße Sie mit zwei Bibelversen:

Zunächst mit dem Wochenspruch für die heute beginnende Woche: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4-5b)

Und zweitens mit einem Vers aus der Weihnachtsgeschichte: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (Luk 2,10f)

Wir merken, es geht heute (am 4. Advent) um Freude, um unsere Freude.

II.
Kann man zur Freude aufrufen?
Funktioniert das?

Wenn ich das richtig sehe, hat die Bibel drei zusammenhängende Überzeugungen, wenn es um Freude geht.

Überzeugung 1: Freude braucht Gründe, braucht Auslöser, braucht etwas, was mir von außen begegnet, was mir widerfährt, was mir geschenkt wird. Oder woran ich mich erinnere!

Überzeugung 2: Freude hat etwas damit zu tun, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte, womit ich mich die ganze Zeit befasse, worüber ich nachdenke und nachdenke, wofür ich offen und empfänglich bin.

Überzeugung 3: Es gibt zwei unterschiedliche Freuden. Freude ist nicht gleich Freude. Wir können unterscheiden zwischen einer Wenn-Freude und einer Weil-Freude. Was ist damit gemeint?

Die Wenn-Freude funktioniert so: Wir machen unsere Freude abhängig von einem Wenn. Wenn das nicht so bei mir wäre… Wenn damals das nicht passiert wäre… Wenn das endlich passieren würde… Wenn das endlich vorbei wäre, anders wäre, der Fall wäre…, dann könnte ich mich freuen.

Das ist menschlich. Aber! Wenn wir so denken, machen wir unsere von Bedingungen abhängig. Das Ganze hat ein Problem! Was ist, wenn die Bedingung nie eintrifft? Oder: Woher weiß ich denn, dass ich mich tatsächlich freue? Was ist, wenn nach einem kurzen Moment der Freude die nächste Sorge, das nächste Problem auftaucht, wenn dann ein neues Wenn auftaucht?

Die Weil-Freude funktioniert anders: Sie macht sich nicht von Bedingungen abhängig, sie wartet nicht auf ideale Zeiten, sondern sie schaut auf das, was ihr geschenkt ist, welche Gründe zum Freuen da sind – trotz hoher Belastungen, trotz schwieriger Umstände.

Dieser Gedanke, so richtig er ist, ist gleichzeitig missverständlich und gefährlich. Weil da ein großer Druck entstehen kann: Ich muss mich ja freuen, weil es in der Bibel die Weil-Freude gibt. Ich muss mich ja freuen, also darf ich meine Umstände nicht so wichtig nehmen, also darf ich nicht klagen.

Fußnote:
Es gibt an Depressionen erkrankte Menschen. Die müssen bei diesem Thema sich vor einem falschen Verständnis hüten: Ich muss beten. Dann wird das schon. Gebet hilft. Der Glaube hilft. Aber der Glaube und das Gebet sind kein Rezept, wie man eine Depression loswird.

Es gibt Menschen, die schwer angefochten sind. Die müssen bei diesem Thema sich vor einem falschen Verständnis hüten: Ich müsste mich freuen. Ich muss mich freuen. Es steht ja in der Bibel. Ich will diesem Druck entgegensetzen: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit u Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal“ (2 Kor 1,3-4a).

Ich will es so sagen: Gott nimmt unsere Umstände immer wahr. Und er verlangt von uns nicht, dass wir nicht klagen oder um Hilfe rufen dürfen. Aber Gott ruft uns mitten in unseren Umständen zur Freude auf.

Und so ist es heute Morgen: Der Wochenspruch ruft uns zur Freude auf, weil die Nähe Jesu ein sehr guter Grund zur Freude ist. Die Engel rufen in der Weihnachtsgeschichte uns zur Freude auf, weil Gott seine Rettung allem Volk und damit jedem Menschen schenkt bzw. schenken will.

 

B.
Predigt

Ich lese uns den Predigttext für den heutigen 4. Advent. Er steht im Lukas-Evangelium, Kapitel 1, die Verse 26-38:

26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27 zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. 32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. 34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37 Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

 

I.
Eine Frage zu Beginn der Predigt: Wo ist das Thema Freude in dieser Geschichte?

1.
Ist das nicht eine seltsame Geschichte der Freude?

Das Wort Freude kommt nicht vor. Das Thema Freude ist nur versteckt da. Elisabeth, eine Frau in der Menopause, bekommt doch noch ein Kind.

Freudengefühle kommen nicht vor. Die Begegnung mit der himmlischen Welt löst in Maria keine Freude aus. Ganz im Gegenteil. Sie erschrickt. Sie ist verwirrt. Sie ist fassungslos. Sie hat Fragen. Im Grunde ist das Ganze ein Schock für sie.

2.
Wie soll denn auch Freude aufkommen?

Die Botschaft von der unglaubwürdigen Schwangerschaft ist für Maria eine einzige Verlegenheit, eine große Belastung. Sie weiß nicht, ob Joseph ihr glauben und bei ihr bleiben wird (War Maria mir untreu?)!

Auch die Umstände ändern sich nicht zum Guten. Joseph und Maria bleiben arme Leute. Die Folgen der Geburt Jesu sind weitreichend. Sie müssen wegen des Babys nach Ägypten flüchten und im Ausland als Flüchtlinge leben müssen. Sie müssen es ertragen, dass ihr Baby unschuldiger Auslöser für ein Massaker unter Kindern wird.

Genauso ist es übrigens bei den Hirten auf den Feldern bei Bethlehem. „Die Lebensumstände der Hirten ändern sich nicht. Ihre Arbeitsbedingungen wurden nicht besser. Sie haben keinen Lohnzuschlag bekommen in dieser Nacht. Sie hatten auch nicht plötzlich family-time“ (Ulrike Bittner).

3.
Und wie ist das bei uns im Moment in Zeiten von Corona? Löst das Thema Freude bei uns derzeit Freude aus? Oder sind wir vielleicht schlicht zu müde, körperlich und mental zu angeschlagen?

4.
Und doch sagt Maria: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Eine Wenn-Freude kann es nicht sein. Es muss eine Weil-Freude sein.

Damit auch wir sagen können: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes, schauen wir uns jetzt die Gründe an, mit denen Gott uns ins Staunen bringen will, mit denen Gott uns Freude schenken will.

 

II.
Drei gute Gründe für unsere Freude. 

1.
Die Anrede Gottes als Grund unserer Freude

Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.

Maria erfährt etwas, was sie nicht wissen kann. Maria erfährt, wie Gott sie sieht, wie Gott über sie denkt. Du Begnadete! Der Herr ist mit dir. Du hast Gnade gefunden. Das heißt: Maria erfährt das Evangelium! Der Engel sagt ihr: Du von Gott Erwählte. Du von Gott mit Gnade Beschenkte.

Natürlich: Wir sind nicht Maria. Was dieses junge Mädchen erlebt hat, ist einmalig. Und doch gibt es bei aller Außergewöhnlichkeit etwas Allgemeines, das auch für uns gilt, das wir für unser Leben glauben dürfen.

Wir dürfen das Evangelium glauben! Du darfst glauben: Ich bin dem Himmel bekannt. Ich bin persönlich gemeint. Gott ist mit meiner Person bestens vertraut. Du darfst glauben: So sieht Gott mich! So denkt Gott über mich. So steht er zu mir. Der Herr ist für mich. Er ist auf meiner Seite. Ich finde bei ihm Gnade. Ich bin erwählt.

2.
Jesus als Grund unserer Freude 

Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.

Wir könnten und müssten jetzt reden über die christlichen Dogmen, über diese großen Begriffe: Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott. Sohn Gottes. König. Reich Gottes

Wir könnten und müssten jetzt reden über die Jungfrauengeburt. Das Geheimnis Jesu beruht nicht auf der Jungfrauengeburt. Aber die Jungfrauengeburt bezeugt uns das Geheimnis Jesu.

Ich will es herunterbrechen und sehr persönlich sagen: Maria bekommt Jesus geschenkt. Das ist die Botschaft. Und was Maria wortwörtlich, körperlich geschenkt bekommen hat, ein neuer Mensch in ihrem Körper, das bekommen wir übertragen geschenkt: Wir bekommen Jesus geschenkt.

Gott will uns durch Jesus Christus froh machen. Er will uns nicht bedrücken, uns nicht Probleme aufgeben, er will uns nicht vor unlösbare Aufgaben stellen, sondern er will, dass wir uns an Jesus Christus und an seiner Herrschaft freuen… Das gehört wieder zu den einfachsten Dingen, die wir über den schwierigen gern vergessen, dass wir uns an Jesus Christus freuen lernen wie die Kinder” (Dietrich Bonhoeffer)

Christsein heißt zu wissen: Jesus Christus ist ein Geschenk für mich.

3.
Die Möglichkeiten Gottes als Grund unserer Freude

Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Der Heilige Geist kam über Maria und befähigte sie, mehr zu sein und mehr zu tun als sie allein je könnte. Gott selbst, der Schöpfer, umgab sie mit seiner souveränen Kraft. Gott selbst, der Schöpfer, bewirkte in ihrem Leben buchstäblich neues Leben. (nach N.T. Wright, Lukas, S.28).

Natürlich, noch einmal: Wir sind nicht Maria. Was dieses junge Mädchen erlebt hat, ist einmalig und einzigartig. Und doch gibt es bei aller Außergewöhnlichkeit etwas Allgemeines, das auch für uns gilt, das wir für unser Leben glauben dürfen. Gott macht unmögliche Dinge möglich.

Maria ist gewissermaßen das größte Beispiel für das, was immer passiert, wenn Gott durch Gnade in den Menschen wirkt. Gottes Kraft von außen und der innewohnende Geist von innen vollbringen zusammen Dinge, die ansonsten undenkbar wären.“ (N.T. Wright, aaO)

 

III.
Hinweise zu unserer Freude, zu unserem Sich-Freuen

Es gibt kein Rezept. Es gibt keine Bedienungsanleitung. Weder in der Frage, wie man zum Glauben kommt, noch in der Frage, wie man zur Freude kommt. Aber unser Predigttext enthält Hinweise.

Noch einmal: Wir sind nicht Maria. Ihre Geschichte ist ohnegleichen und einmalig. Und doch gibt in dieser Geschichte Marias Hinweise für uns.

1.
Hinweis 1: Freude kommt über Gottes Wort zu uns.

Bei Maria war es ein Engel, der ein Wort Gottes ihr sagte. Ein persönliches Wort von Gott für sie und an sie bringt Maria ins Staunen. Ein persönliches Wort verändert ihr Leben.

Gott kommt mit einer Anrede, mit einem Gruß. Er spricht sie an. Er stellt den Kontakt her.
Gott kommt mit Erklärungen.
Gott kommt mit Versprechen.
Gott kommt mit Aufträgen.

Das Wort Gottes ist der Weg, auf dem die Liebe Gottes zu uns kommt.
Das Wort Gottes ist der Weg, auf dem die Freude in unser Leben kommt.
Das Wort Gottes ist der Weg, auf dem der Trost in unser Leben kommt.

2.
Hinweis 2: Maria ist unser zeitloses Vorbild. Wir können viel von ihr lernen.

a. Maria dachte, heißt es in Vers 29.

Das griechische Wort „deologizeto“ meint: nachdenken, den Verstand nutzen, den Verstand gebrauchen, intensiv nachdenken.

Maria war eine Jüdin. Für das Judentum, für das ganze Alte Testament steht fest: Kein Mensch ist göttlich. Gott kann kein Mensch werden. Das ist für den Verstand unmöglich und für das Empfinden ein Schock. Die Geburt Jesu ist eine unglaubliche Herausforderung für alles Denken der Menschen. “Der Schöpfergott des Universums begibt sich in den Schoß eines Menschen, um durch dieses Mädchen als Mensch geboren zu werden” (N.T. Wright, aaO)

b. Maria stellt eine echte Frage und bringt einen berechtigten Zweifel zum Ausdruck.

Wie soll das zugehen? Wie kann ich ein Kind bekommen, ohne dass ich mit einem Mann intim gewesen bin?

Wir dürfen Gott unsere echten Fragen und unsere berechtigten Zweifel sagen. Wie soll das zugehen? Angesichts meiner Veranlagung. Angesichts meiner Geschichte. Angesichts meiner Krankheit. Angesichts meiner Schwächen. Angesichts…

c. Maria überlässt sich Gott. Sie hört und willigt ein.

Maria sagt: Ich will mich dem Herrn ganz zur Verfügung stellen. Alles soll so geschehen, wie du es mir gesagt hast. Sie weiß: Es gibt Probleme. Sie weiß nicht, ob es gut ausgeht. Sie weiß nicht, ob sie Joseph verliert. Aber sie überlässt sich Gott. Sie überlässt ihre Zukunft Gott.

Und Maria ist offen und empfänglich für Gott. Ihre Geschichte fragt uns, ob wir offen und empfänglich sind für Gott, für sein Reden und Handeln?

Mir geschehe, wie du gesagt hast. Das kann für uns heißen: Auf unsere kleine Gnade vertrauen und dann für uns losgehen!

3.
Hinweis 3: Wir brauchen das Gespräch mit anderen. Maria besucht Elisabeth und spricht mit ihr. Elisabeth, die auch um Gott weiß, die auch Erfahrungen mit Gott hat, wird ihr zur Hilfe.

4.
Hinweis 4: Wir dürfen um Freude bitten.

Es gibt viele Verheißungen, dass Gott uns Freude schenken wird.

Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude“ (Ps 30,6)
„Die Elenden werden ihre Freude haben“ (Ps 37,11)
„Die mit Tränen sähen, werden mit Freude ernten“ (Ps 126,5)
„Ich will ihr Trauern in Freude verwandeln“ (Jer 31,13)

Das heißt auch, weil wir das nicht machen können, dass wir darum bitten dürfen, dass die Freude zu uns kommt, zurückkommt.

„Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann“ (Ps 85,7)

Doch Gott will! Dass wir das glauben, deshalb feiern wir Weihnachten! Amen!