Mit Jesus in den Krisen und durch die Krisen unseres Lebens – Krisenliteratur I – Mt 14,22-33 – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung: Krisenliteratur in Krisenzeiten

In Dankbarkeit Herrn Prof. Frank Lüdke, dem ich viele Gedanken und Sätze dieser Predigt verdanke. Sie haben sich in den letzten Krisenjahren sehr bewährt.

1.
Jeder Mensch braucht Krisenliteratur – in den Krisen unserer Zeit. Krisenliteratur sind Texte und Geschichten, die uns in unseren Krisen helfen können, die uns Orientierung und Ermutigung geben.

Auch in der Bibel gibt es Krisenliteratur. Ich habe uns einen Text ausgesucht, der mir persönlich sehr hilft. Ich lese Mt 14,22-33 (nach der „Hoffnung für alle“).

22 Gleich darauf drängte Jesus seine Jünger, in ihr Boot zu steigen und an das andere Ufer des Sees vorauszufahren. Er selbst blieb zurück, denn er wollte erst noch die Leute verabschieden. 23 Dann ging er auf einen Berg, um ungestört beten zu können. Bei Einbruch der Nacht war er immer noch dort, ganz allein. 24 Die Jünger waren schon weit draußen auf dem See, als ein Sturm heraufzog. Der starke Gegenwind peitschte die Wellen auf und machte dem Boot schwer zu schaffen. 25 In den frühen Morgenstunden[3] kam Jesus über den See zu ihnen. 26 Als die Jünger ihn auf dem Wasser gehen sahen, waren sie zu Tode erschrocken. »Es ist ein Gespenst!«, meinten sie und schrien voller Entsetzen. 27 Aber Jesus sprach sie sofort an: »Habt keine Angst! Ich bin es doch, fürchtet euch nicht!« 28 Da rief Petrus: »Herr, wenn du es wirklich bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen.« 29 »Komm her!«, antwortete Jesus. Petrus stieg aus dem Boot und ging Jesus auf dem Wasser entgegen. Kaum war er bei ihm, 30 da merkte Petrus, wie heftig der Sturm um sie tobte. Er erschrak, und im selben Augenblick begann er zu sinken. »Herr, hilf mir!«, schrie er. 31 Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen, hielt ihn fest und sagte: »Vertraust du mir so wenig, Petrus? Warum hast du gezweifelt?« 32 Sie stiegen ins Boot, und der Sturm legte sich. 33 Da fielen sie alle vor Jesus nieder und riefen: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

2.
Ich weiß nicht, wer eine solche stürmische Nacht auf einem gefährlichen See oder auf dem Meer schon einmal durchmachen musste. Hoffentlich keiner von uns! Aber wir verstehen die Metapher.

Es ist Nacht. Man ist weit weg vom sicheren Ufer. Es geht heftig zur Sache.

Das Leben kann wild mit einem umgehen. Man fühlt sich wie die Jünger – mitten im Sturm, mitten in der Nacht, ohne Aussicht auf das rettende Ufer. Es geht einem schlecht.

Das Leben kann hart sein. Das war schon vor Corona und vor dem Ukraine-Krieg so. Das Leben ist voll von tragischen Ereignissen, grausamen Krankheiten, Sorgen um liebe Menschen, Einsamkeit, Schmerzen, unerfüllten Sehnsüchten, zerbrochener Liebe und Situationen, in denen man nicht mehr weiterweiß.

Ich denke, wir alle kennen solche Lebensstürme. Manche haben Windstärke 9, andere Windstärke 12. Egal, wie heftig es ist, ob es andere vielleicht sogar noch härter trifft, für einen selbst ist der eigene Sturm immer der schlimmste.

Die Jünger auf dem aufgewühlten See Genezareth sind ein Bild für uns. Das sind wir. Und wenn ich mich hineinfühle und hineinversetze in diese Geschichte, dann lerne ich fünf Dinge.

 

B.

I.
Wir werden gesehen

Ich kann mir das Gefühl der Jünger gut vorstellen. Es ist das Gefühl, das in Krisenzeiten in unsere Seele, in unseren Körper kriechen und sein Unwesen treiben kann.

Ausgerechnet jetzt, wo die Jünger Jesus am dringendsten bräuchten, ist Jesus nicht da. Er hatte sie ja losgeschickt und war am Land zurückgeblieben.

Hat Gott eine Ahnung, was wir durchmachen? Interessiert er sich für uns? Fragt er nicht danach, dass wir umkommen? Müssen wir uns allein durchkämpfen?

Doch die Wahrheit war: Jesus wusste ganz genau, wie es ihnen ging. Er sah sie schon die ganze Zeit. Er war bei ihnen. Mitten im Sturm. Nur anders, als erwartet.

Als sie ihn dann endlich wahrnahmen, dachten sie zuerst, es sei ein Geist, ein Gespenst. Aber Jesus sagt ihnen: Habt keine Angst, ich bin es doch, fürchtet euch nicht!

Mitten in der Nacht werden wir gesehen. Mitten im Sturm werden wir gesehen. Mitten in der Unsicherheit werden wir gesehen.

Jedem von uns gilt: Du wirst gesehen! Jesus sieht dich. Er ist der Gott, der dich sieht. Er spricht dir zu: Hab keine Angst! Fürchte dich nicht! Ich bin da mitten im Sturm.

Keiner weiß, was in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren noch auf uns zukommt. Manche werden vielleicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Manche werden vielleicht krank. Manche werden vielleicht mit der Einsamkeit nicht mehr klarkommen.

Wenn der Sturm uns vielleicht persönlich ganz stark ins Gesicht bläst, dann lasst uns daran festhalten: Wir werden gesehen! Gott weiß ganz genau, wie es uns geht. Jesus sagt: Hab keine Angst. Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir.

Wir werden gesehen. Das ist das Erste. Das Zweite lautet:

 

II.
Wir  erleben Dinge, die für uns, aber nicht für Gott unmöglich sind.

Petrus ruft Jesus durch den Sturm zu: Herr, wenn du es wirklich bist, dann befiehl mir auf dem Wasser zu dir zu kommen.

Petrus denkt sich: Wenn Jesus wirklich da ist, mitten im Sturm, wenn wir wirklich gesehen werden, dann muss das doch einen Unterschied machen, dann möchte ich das nicht nur zugesprochen kriegen, dann möchte ich es spüren, dann möchte ich es erleben, dass ich anders mit dem Sturm und den Wellen umgehen kann, weil Jesus da ist.

Herr, wenn du es wirklich bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen. Sag mir, ob ich dir vertrauen, dass ich über diese Wellen laufen kann, dass sie mir nichts anhaben können.

Und Jesus ermutigt ihn: Komm her! Steig aus dem Boot und schau auf mich!

Das gilt heute genauso für uns. Wir werden ermutigt: Mitten im Sturm, trotz Wind und Wellen, unser Vertrauen auf Jesus zu setzen. Wir werden ermutigt, zu vertrauen, , dass es einen gangbaren Weg durch all unsere Krisen und all ihren Herausforderungen gibt.

Jesus sagt: Vertrau mir! Schau auf mich! Du wirst gehen können. Du wirst da durchkommen.

Petrus probiert es. Er vertraut dem Versprechen von Jesus. Er wagt es und er wird tatsächlich getragen. Gegen alle Vernunft! Gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse! Er geht nicht unter. Jedenfalls so lange, wie er auf Jesus schaut. Das ist das Geheimnis seines eigentlich unmöglichen Weges.

Das heißt für mich heute: Worauf schaue ich? Was darf mein Leben bestimmen? Worauf richte ich meinen Fokus? Auf den Sturm? Auf die Wellen? Auf unsere Ratlosigkeit? Auf alles, was noch passieren könnte? Oder auf Jesus und seine Möglichkeiten? Auf seine Macht, auf seine Kraft und auf seinen Trost?

Nehmen wir das mit! Wir werden von Gott gesehen. Und wir werden ermutigt, Gott zu vertrauen! Ein solches Vertrauen hält einen über Wasser. Egal, wie schlimm der Sturm ist. Gott wird uns durchtragen.

Aber manchmal ist das nicht so einfach mit dem Vertrauen! Manchmal sind die Sorgen und Probleme so groß, dass sie uns einfach mitreißen, dass sie uns herunterziehen in die Tiefe. Was dann?

 

III.
Wir werden gehalten. Wir werden festgehalten von Jesus.

Petrus wird sich auf einmal bewusst, wie schlimm der Sturm gerade ist, wie irrsinnig seine Situation ist. Zu denken, er könnte durch reines Vertrauen auf Jesus auf dem Wasser laufen, als ob dadurch der Sturm nicht mehr so schlimm wäre.

Und plötzlich ist die Angst wieder da! Plötzlich ist die Sorge wieder da! Er sieht auf den Wind. Er sieht auf die Wellen. Er denkt an seine mission impossible. Er verliert Jesus aus den Augen. Er verliert den Halt und beginnt zu sinken. Wie jeder normale Mensch sinken würde bei dem, was Petrus da gerade macht und erlebt.

Aber Petrus versinkt nicht! In letzter Sekunde wird er gehalten. Jesus streckt ihm seine Hand entgegen. Er hält ihn fest und er zieht ihn aus dem Wasser. Er bringt ihn sicher ins Boot.

Petrus kann sich an den Händen Jesu festhalten. Besser gesagt: Die Hände Jesu halten ihn fest. Es kann sein, dass wir manchmal den Mut verlieren, dass die Sorgen über uns drüber schwappen, aber gerade dann werden wir von Jesus gehalten.

Die Bibel ist keine Heldengeschichte, in der uns psychologische Techniken vermittelt werden, wie wir durch jedes Problem der Welt leicht durchkommen. Die Bibel ist kein „Sicher durch jede Krise-Ratgeber“. Nein. Die Bibel ist ein Buch für Leute, die untergehen. Ein Buch für Zweifler, für Mutlose, für Menschen, die nicht mehr weiterwissen, die keine Kraft und kein Vertrauen mehr haben.

Mit dieser Geschichte sagt uns Gott: Selbst wenn du den Blick auf mich verlieren solltest, selbst wenn dein Vertrauen auf den absoluten Nullpunkt sinken sollte, dann bin ich da und halte dich. Ich werde dich nicht untergehen lassen.

Das Einzige, was der sinkende Petrus noch gemacht hat, war sein Schrei: Herr, hilf mir! Drei kleine Worte. Manchmal scheint alles so dunkel, dass einem alles, was einem beim Beten einfällt, nur noch drei Worte sind. Herr, hilf mir! Herr, erbarme dich!

Und solch ein Gebetsschrei kann dann ein Schlüssel sein, dass man nicht untergeht. Es ist der Griff, es ist wenigstens die Hand, die man ausstreckt, damit Jesus mich halten kann, damit er mich packen kann, dass er mich ans Ziel bringen kann, wenn ich selber den Halt verliere.

Das hat Petrus erlebt vor 2000 Jahren. Das haben Millionen von Christen erlebt durch die Zeiten, in Kriegen und Pestepidemien. Das dürfen wir erleben! Das gilt auch heute!

 

IV.
Das Entscheidende in Krisen ist das, was diese Geschichte zu uns sagt, was die Geschichten und Texte der Bibel zu uns sagen

1.
In Krisenzeiten ist es sehr hilfreich, wenn wir uns auf die in der Bibel uns geschenkten Texte, Bilder und Worte Gottes verlassen. Unsere gefühlten Eindrücke, unsere gefühlten Wahrheiten (Jesus ist da – Jesus ist nicht da. Er interessiert sich für mich – Interessiert er sich für mich? Hat er mich verworfen? – Er wird mir treu sein) sind in solchen Zeiten wie Wellen, die uns hin und her werfen.

2.
Lassen wir uns sagen, was dieser Text sagt: Jesus ist da. Jesus sieht uns. Er kommt uns zur Hilfe. Er hält uns.

 

V.
Das Entscheidende in unseren Krisen ist, dass Jesus redet, dass wir ihn hören.

1.
Die Jünger schreien vor Angst. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass es Jesus sein könnte. Damit rechnen sie überhaupt nicht. Sie halten Jesus für ein „phantasma“. Dieses griechische Wort kann Schreckgespenst oder Sinnestäuschung oder Wahnvorstellung meinen.

Jesus merkt, dass er seinen Jüngern Angst und Schrecken einjagt. Es heißt im Text: Sogleich redete Jesus mit ihnen. Er verschafft sich Gehör. Die Lautstärke von Wind und Wellen können es nicht verhindern. Das ist ein Wunder! Ein Hör-Wunder!

Erst als Jesus redet, dämmert es ihnen, erkennen die Jünger ihn und beruhigen sie sich. Sein Reden verändert die Jünger, diese müden Menschen, diese nassen Ruderer, diese frierenden Kämpfer der Nacht, diese Spielbälle der Wellen, diese Opfer des Sturms, diese Christen, in deren Seelen das Virus der Angst steckt.

2.
Was sagte Jesus den Jüngern? Was sagt er uns heute zu, was sagt er in diesen Zeiten zu uns?

Sei getrost! Ich lasse Dich nicht allein. Ich helfe Dir in Deiner Unsicherheit, bei Deinem Überfordertsein, bei Deiner Hilflosigkeit, in Deinen Nöten, in Deiner Einsamkeit.

Ich bin’s! Ich bin Euch das, was Ihr am nötigsten braucht. Ich bin dem Wind, den Wellen, der Nacht, dem Leben, den Krisen gewachsen. Ihr müsst es nicht sein! Ihr könnt es auch nicht! Dafür bin ich zuständig! Ich bin Eure Hoffnung, euer Trost!

Fürchtet euch nicht!
Fürchtet euch nicht, mir zu vertrauen!
Ich sehe Euch! Ich mache euch unmögliche Dinge möglich. Ich halte Euch fest. Amen!