I.
Kann man die Auferstehung Jesu beweisen?
1.
Meine Antwort ist kurz und knapp: Nein. Der Beweis steht noch aus. Den Beweis wird Gott selbst geben, wenn Jesus wiederkommt.
2.
Aber es gibt für die Auferstehung Jesu sehr gute Indizien. Indizien sind Hinweise, Anzeichen, Spuren, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Sachverhalt schließen lassen. Ein Indiz belegt einen Sachverhalt nicht zwingend, lässt ihn aber logisch, wahrscheinlich und glaubwürdig erscheinen.
Wie lauten die Indizien für die Auferstehung Jesu?
(1)
Das leere Grab
Das Grab Jesu war am Ostermorgen leer! Das leere Grab ist kein Beweis für die Auferstehung Jesu. Der Leichnam Jesu könnte ja theoretisch auch gestohlen worden sein. Das leere Grab war nicht der Grund für den Auferstehungsglauben der ersten Christen. Die Ostererscheinungen Jesu schaffen und schenken den Osterglauben. Aber das leere Grab ist die logische Konsequenz der Auferstehung Jesu Christi.
Also: „Nicht, weil sein Grab leer war, ist Jesus Christus auferstanden, sondern weil Jesus Christus auferstanden ist, war sein Grab leer“ (Hans-Christian Kammler, Jesus Christus, Grund und Mitte des Glaubens, S.95f)
Jürgen Moltmann bringt das auf den Punkt: „Die Botschaft von Ostern hätte gar nicht entstehen können in der Stadt Jerusalem, wenn man den Leichnam von Jesus hätte vorzeigen können. Da wäre gar keine Botschaft gewesen.“
(2)
Die Begegnungen mit dem Auferstandenen
Im 15. Kapitel gibt es einen Abschnitt, der für ein sehr altes, wenn nicht das älteste christliche Glaubensbekenntnis gehalten wird.
Ich lese 1 Kor 15,3-8: 3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
Die Gemeinde wird darin erinnert, dass Jesus in einem gewissen Zeitraum, an unterschiedlichen Orten sich immer wieder Menschen gezeigt hat.
„Bei den Ostererscheinungen handelt es sich keineswegs um Visionen, die sich im Kopf oder Herzen der Jünger abgespielt haben und dann etwas psychologisch als Verarbeitungen ihrer durch Jesu Kreuzigung erlittenen Traumatisierung zu bewerten wären. Es handelt sich vielmehr nach dem… Zeugnis der Ostertexte… um Widerfahrnisse, die als solche nicht von den Jüngern produziert werden konnten, sondern sie von außen trafen: gänzlich unerwartet und unvorhergesehen” (Kammler, aa0, s.87)
(3)
Die Veränderung im Leben der Jünger
Jürgen Spieß sagt: „Nur wenige Wochen nach der Kreuzigung von Jesus haben die vorher so verängstigten Jünger öffentlich in Jerusalem verkündigt, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat („Davon sind wir Zeugen“). An dieser Aussage hielten sie fest trotz Spott, Verfolgung und Tod. Es gab und gibt zwar immer wieder Menschen, die für etwas, was sie für wahr halten, in den Tod gehen, obwohl es nicht wahr ist. Aber es dürfte kaum vorkommen, dass jemand in den Tod geht für etwas, von dem er weiß, dass es nicht wahr ist.“
Pinchas Lapide fasst das zusammen: „Wenn die geschlagene und zermürbte Jüngerschar sich über Nacht in eine siegreiche Glaubensbewegung verwandeln konnte, lediglich auf Grund von Autosuggestion oder Selbstbetrug – ohne ein durchschlagendes Glaubenserlebnis -, so wäre das im Grunde ein weit größeres Wunder als die Auferstehung selbst.“
II.
Hätte man, wenn es damals schon Kameras gegeben hätte, den Auferstandenen fotographieren können?
Meine Antwort ist eine zweifache: Ja! Aber nur unter einer Voraussetzung!
(1)
Ja, denn Jesus ist wahrhaftig, leiblich auferstanden!
(2)
Aber nur unter einer Voraussetzung! Nur wenn Jesus aus seiner Verborgenheit herausgetreten und sich gezeigt hätte! Nur wenn er sich sichtbar gemacht hätte! Also: Wenn Jesus sich hätte fotographieren lassen!
Denn: Was ist denn die Quelle des christlichen Osterglaubens? Was hat denn die Jünger zum Glauben an die Auferstehung gebracht? Was hat uns denn zum Glauben gebracht? Was wird bis zum Wiederkommen Jesu Menschen zum Glauben bringen? Die Geburtsstätte des christlichen Glaubens war die Selbstoffenbarung Jesu, die Selbsterschließung Jesu, das Sich-Sichtbarmachen Jesu. Jesus zeigte sich. Er trat aus der Verborgenheit des Himmels hervor. Er schenkte seine Nähe.
„Auch dort, wo der auferstandene Christus real gegenwärtig ist, kann er von den Seinen nur wahrgenommen und erkannt werden, wenn er ihnen die Augen für seine Gegenwart öffnet“ (Kammler, aa0; S.92f).
Und dieses Heraustreten aus der Verborgenheit des Himmels ist bis heute die Voraussetzung dafür, dass Menschen zum Glauben kommen. Die Selbsterschließung Jesu war, ist und wird immer die Voraussetzung dafür sein, dass Menschen die Wahrheit der Auferstehungsbotschaft erfahren: Es geht nur über die Begegnung mit dem Auferstandenen. Nur die Art und Weise ist anders. Jesus zeigt uns seine Nähe im Heiligen Geist, aber er wird nicht mehr sichtbar.
III.
Was können wir tun, wenn wir doch die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht machen können?
Eine bibelkundliche Entdeckung hilft uns, die Antwort auf diese Frage zu finden.
1.
Was haben alle Begegnungen des auferstandenen Jesus mit den Zeugen der Auferstehung gemeinsam? Was ist bei allen Erscheinungen des Auferstandenen der Fall, also bei Maria, bei Thomas, bei den Jüngern, bei Petrus, bei den Emmaus-Jüngern usw.?
Die Gemeinsamkeit lautet: Nirgends erscheint der Auferstandene wortlos! „Immer erschließt sich Jesus worthaft!“ (Kammler) Immer redet er! Siehe Mt 28,10.18-20; Luk 24,25-27.44-49; Joh 20,16f.19-23.26-29; Apg 9,27
Der Auferstandene sagt zu Maria: „Maria!“ und „Weine nicht!“ Er sagt zu Thomas: „Reiche deinen Finger her… Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Er sagt zu den Jüngern: „Friede sei mit Euch!“ Er sagt zu Petrus: „Hast du mich lieb?“ usw. usw.
Interessant ist, dass der auferstandene Jesus Worte sagt, die den Auferstehungszeugen die Gewissheit schenken, dass sie ihm vertraut sind, dass er ihnen seine Vergebung und Liebe gewiss macht („Friede sei mit euch!“), dass es seelsorgerliche Worte sind („Sagt es Petrus“ in Mk 16), dass er die gleichen Worte oder ähnliche Worte sagt, wie der irdische Jesus („Habt ihr nichts zu essen?“ oder das Sprechen des Dankgebets als Gastgeber), dass er Worte sagt, die im Alten Testament verheißen sind.
Immer erkennen die Auferstehungszeugen den auferstandenen Jesus an dessen Worten! Sie bekommen durch seine Worte eine Gewissheit, die es nirgends sonst im Leben gibt. Sie bekommen durch die Worte des Auferstandenen alle nötigen Informationen. Sie erkennen durch seine Worte, dass er alles von ihnen weiß. Immer begreifen die Auferstehungszeugen durch die Worte Jesu das, was geschieht. Immer bekommen sie durch seine Worte das, was sie brauchen: Vergebung, Orientierung, Trost, Ermutigung, Hoffnung…
Noch einmal: Der Auferstandene kam bei allen Erscheinungen mit Worten zu seinen Leuten. Vom Prinzip ist das bis heute so geblieben. Die Art und Weise ist anders. Der Auferstandene kommt mit Worten zu uns.
2.
Genau an diesem Punkt liegt die Chance für uns. Hier liegt die Verheißung für uns. Hier kommen wir ins Spiel. Was können wir tun, wenn wir doch die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht machen können? Alle Menschen, die anfangen, diesen Worten zu vertrauen, kommen dem Geheimnis des Auferstandenen nahe.
Die Worte sind die Brücke, über die wir gehen dürfen uns müssen. (Ich muss an das Lied von Karat bzw. Peter Maffay denken: „Über sieben Brücken musst du gehen!“)
Der jüdische Philosoph Hans Jonas spricht von einer Paradoxie des Glaubens: Wir können Gottes Wort hören, wenn wir beginnen, darauf zu antworten. Wir gewinnen Klarheit über Gott, wenn wir beginnen, ihm zu vertrauen. Wir machen Erfahrungen mit ihm, wenn wir beginnen zu praktizieren, was er sagt. Gefunden bei Tomas Halik, Nicht ohne Hoffnung, S.146
Martin Schleske drückt dieses Geheimnis so aus: „Gott hat nicht unserem Denken und nicht unserem Fühlen, sondern unserem Gehorsam erlaubt, unseren Glauben zu stärken.“
„Gott hat beschlossen, in unserer Welt der Geglaubte zu sein“ (Martin Schleske). Gott hat beschlossen, mit Worten zu uns zu kommen, mit dem Wort, das Jesus selbst ist, mit den Worten Jesu, mit den biblischen Worten. Deshalb sind wir gefragt, ob wir darauf eingehen wollen, ob wir uns öffnen wollen, einlassen wollen, ob wir ihm vertrauen wollen.
IV.
Was bedeutet Ostern, was bedeutet die Auferstehung Jesu für uns? Was feiern wir heute?
1.
Bild 1 von Hans Multscher (1437). Wir sehen ein merkwürdiges Bild, das vor fast 600 Jahren geschaffen wurde. Es ist heute in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen in Berlin zu sehen. Ich beschreibe es:
Es ist ein ungewöhnliches Bild. Multscher malt einen aus dem Felsen gehauenen Sarkophag. Das ist historisch gesehen, natürlich falsch. Aber es geht um die Botschaft Multschers. Der Sarkophag ist mit einem schweren Steindeckel verschlossen. Die roten Siegelmarken sind unversehrt. Noch ist kein Engel erschienen. Die Frauen sind auch noch nicht da.
Ein Detail ist entscheidend. Jesus fehlt das linke Bein. Als ob es noch im Sarkophag stecke. Multscher nimmt Mt 28 ernst. Jesus verlässt nicht das Grab, nach dem ein Engel den Stein weggerollt hat. Jesus verlässt das verschlossene Grab. Jesus geht durch den Stein.
Der Künstler korrigiert unsere landläufige Vorstellung: Wir stellen uns das oft so vor: Damit Jesus herauskommen konnte, musste der Stein weggerollt werden. Nein. Das Wegrollen des Steines, das Hineinschauen in das leere Grab diente den Frauen und Jüngern am Ostermorgen, den Zeugen der Auferstehung und damit uns.
Was bedeutet Ostern für uns? Die Gewissheit: Gott scheitert nicht. Keine Macht der Welt, kein Machthaber, kein Mensch sperrt Gott aus oder ein! Nichts und niemand kann Gott sicher wegsperren! Vor Gott ist nichts und niemand sicher!
2.
Bild 2 von Janet Brooks Gerloff. Es ist in der Abtei Kornelimünster bei Aachen zu sehen.
Ich beschreibe es: Wir sehen drei Männer auf einem gemeinsamen Weg. Der auferstandene Jesus begleitet die beiden Emmaus-Jünger. Gerloff deutet das Geheimnis des Auferstandenen an. Sie malt Jesus nur umrisshaft. Sie hat verstanden, dass wir Jesus von uns aus nur unter der Voraussetzung erkennen können, wenn er sich erkennen lässt, wenn er aus der Verborgenheit des Himmels heraustritt und sich uns zeigt, sich irgendwie sichtbar macht. Der nur schemenhaft erkennbare Jesus deutet unsere Situation an. Wir sehen Jesus nicht mit Augen. Wir sehen ihn „nur“ im Glauben.
Was bedeutet Ostern für uns? Der Auferstandene begleitet uns. Er sucht unsere Nähe. Er sucht das Gespräch mit uns. Der Auferstandene hört uns, hört uns zu und spricht mit uns.
3.
Bild 3 ist die Ikone Christus und Abbas Menas. Sie ist auch bekannt unter dem Titel Jesus und sein Freund bzw. Ikone der Freundschaft. Sie stammt aus dem 8. Jahrhundert aus der ägyptischen Stadt Bawit. Man kann das Bild heute im Pariser Louvre besichtigen.
Ich beschreibe das Bild: Wir sehen Jesus, wie er seinen Arm um Menas legt. Jesus schenkt sich ihm, umarmt ihn, ohne ihn zu bedrängen. Jesus hat eine Bibel in der anderen Hand. Menas, der traurig wirkt, der ängstlich wirkt, der sehr ernst wirkt, hat eine kleine Schriftrolle in der Hand. Die Botschaft dieses Details heißt: Der Auferstandene schenkt uns etwas, wovon die Bibel berichtet.
Was bedeutet Ostern für uns? Christsein ist die Freundschaft mit dem gekreuzigten Auferstandenen. Christsein ist die Bruderschaft mit dem gekreuzigten Auferstandenen. Christsein ist das Staunen über die Ostergeschenke für uns: Gemeinschaft mit Jesus (Rö 6,5). Rechtfertigung (Rö 4,25). Vergebung (1 Joh 1,9). Frieden (Eph 1,14). Weisheit, Erlösung und Heiligung (1 Kor 1,30).
4.
Bild 4 ist ein Bild von einem großen rund gehauenen Stein. Durchmesser ist ca. 1,50. Die eingemeißelte Inschrift: Wer wird den Stein wegrollen? Der Stein steht vor der Kirche des Klosters St. Marien zu Helfta bei der Lutherstadt Eisleben.
Was bedeutet Ostern für uns?
(1)
Ostern bedeutet. So mancher Stein wird von ihm weggewälzt. Gott ist größer als alles, wogegen wir keine Chance haben. Gott ist größer als unsere Problemsteine.
(2)
Ostern bedeutet aber auch: Der Auferstandene ermächtigt uns. Wir können so manchen Stein anpacken und wegrollen. Oder um ihn herumgehen.
Fußnote: Ich erinnere uns an das sog. Gelassenheitsgebet, das ich gerne und immer wieder bete. Es stammt von dem deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr (und nicht von dem schwäbischen Pfarrer Oetinger, wie man es manchmal lesen kann).
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
(3)
Was ist aber, wenn wir einen Sorgenstein nicht überwinden können und wenn Gott uns den Not-Stein auch nicht wegräumt?
Dann erfahren wir Ostern noch einmal anders. Der Auferstandene setzt sich mit uns vor unseren Stein, den wir nicht wegschaffen können, den Gott, warum auch immer, nicht wegschaffen will.
Dann erfahren wir das Mitgefühl, das Mitleiden des Auferstandenen. Dann erfahren wir die Nähe des Auferstandenen als Trotzkraft, als Widerstandskraft, als Trost.