Jesaja 9,1-6 – Alles Große beginnt klein! Auch der Frieden! – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung: Alles Große beginnt klein

Da ist ein Samenkorn. Irgendwann gleicht es einem Grashalm. Irgendwann ist es ein Baum, auf den man klettern kann.

Da ist eine Quelle. Es wird ein Bach daraus. Dann ein Fluss.

Da ist eine Samenzelle (0,005 cm) und eine Eizelle (0,01cm). Und dann wächst es im Bauch der Mutter. Und dann wächst es zu einem erwachsenen Menschen.

 

B.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Über denen, die da wohnen im finstern Lande (= im Land der Todesschatten), scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte. Denn du zerbrichst ihr drückendes Joch und den Stecken ihres Treibers. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des allmächtigen Gottes.


I.
Teil 1: Die historische Situation und die Brücke in unsere Zeit

1.
Wir befinden uns ca. 720 Jahre vor Christi Geburt. Es ist eine unsichere und dunkle Zeit. Immer wieder erleiden die Menschen Gewalt und Krieg durch die damalige Großmacht Assyrien. Es herrscht Untergangsstimmung.

Assyrien übt eine rücksichtslose Gewaltherrschaft über die kleineren Staaten aus. Auch über Israel, das es damals als zwei Staaten gibt, wie früher bei uns mit DDR und BRD.

Der eine Staat, das sog. Nordreich, schmiedet zusammen mit Syrien einen Militärallianz, um gegen Assyrien zu kämpfen. Man träumt von Freiheit. Man will keine Tributzahlungen mehr zahlen. Assyrien marschiert daraufhin in Syrien und in das Nordreich ein und verwüstet die Länder. Das Nordreich wird ausgelöscht. Es gab es danach nicht mehr. Juda, das sog. Südreich, beteiligt sich nicht an dem Befreiungskrieg, wird aber mit harter Hand unterdrückt und ausgebeutet. Man sehnt sich deshalb auch in Juda nach Freiheit und Frieden.

In diese Situation hinein lässt Gott den Propheten Jesaja diese Prophezeiung dem Königshaus und der Bevölkerung ausrichten. Der oder ein Thronfolger des aktuellen Königs werde Freiheit und Frieden bringen.

Wer ist mit dem Kind, dem Sohn gemeint? Jüdische Ausleger denken an den späteren König Hiskia oder an den zu erwartenden Messias. Die christliche Kirche liest diesen Text als Prophezeiung auf Jesus. Wir Christen glauben, dass hier Weihnachten vorhergesagt ist, dass Jesus der angekündigte Friedensbringer ist.

2.
Wir verstehen die Stichworte (nur zu gut). Leider!

(1)
Dunkelheit und Finsternis

Viele belastet die dunkle Jahreszeit. Die Dunkelheit schleicht sich in die Seele, legt sich aufs Gemüt.

Wer einmal ein Kleinkind hat ringen sehen mit dem Einschlafen, beim Kontrollverlust über sein eigenes Leben, als Hingabe an etwas, was mächtiger ist als es selbst, der bekommt eine leise Ahnung, was die Nacht ist.

Ich kann mich noch gut erinnern, wenn ich als Kind in den Keller gehen sollte. Finsternis macht Angst. Dunkel ist bedrohlich.

Wir wissen, welche Wirklichkeit sich hinter dem Bild von der Finsternis verbirgt. In der Finsternis sitzen meint: Da ist eine Situation aussichtslos und ausweglos. Das Leben ist gekennzeichnet von Weinen und Stöhnen, von Angst und Sorge, von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit.

Wir können die großen Ereignisse unserer Zeit, in die verwickelt sind, als ein Sitzen in der Finsternis bezeichnen: das Artensterben, die Klimaproblematik, Naturkatastrophen, Corona, Ukraine-Krieg, finanzielle Sorgen, Reichsbürger, die Friedlosigkeit in den Gesellschaften, autokratische Staaten.

Wir können persönliche, private Ereignisse, als ein Sitzen in der Finsternis bezeichnen:
Eine Krankheit, die einen ereilt hat.
Eine Schuldgeschichte, aus der man nicht mehr herausfindet.
Die Nacht einer Depression. Die Empfindungen sind weg. Man kann nicht mehr lachen, aber auch nicht mehr weinen.
Das Erschrecken über die eigenen dunklen Abgründe, die man bei sich selbst wahrnimmt.
Die Erfahrung, dass einem vieles verdunkelt ist: Wer bin ich überhaupt? Liege ich jemandem am Herzen? Geht es gut mit mir aus?
Die Furcht, dass sich alles aufzulösen scheint, was dem eigenen Leben Glück, Bestand und Sinn gibt.
Die Sorge, ob unsere Demokratie und freie Gesellschaft überleben werden.

Gott setzt diesen dunklen Umständen und Zuständen, diesen dunklen Gefühlen, Gedanken und Fragen seine Botschaft entgegen: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte.

(2)
Das drückende Joch und der Stecken des Treibers.

Das drückende Joch steht für Unfreiheit und Zwang. Menschen werden auf Kurs gebracht und kontrolliert. Wer abweicht oder ausbrechen will, wird wieder auf Kurs gebracht. Man ist dann nicht zimperlich…

Die Menschen sind Getriebene. Man schlägt sie auf die Schulter. Man stößt sie in den Rücken. Es gibt viele Formen von Getriebensein. Getrieben von Angst und Sorge. Getrieben vom eigenen Ehrgeiz. Getrieben von einer Sucht. Getrieben von Vorgaben auf der Arbeit. Getrieben von fanatischen Machthabern.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte.

(3)
Soldatenstiefel und Soldatenmantel

Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn (= erdbebenartig, erschütterte Welt) dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Jede Kriegsmaschinerie, alle großen und kleinen Kriegstreiber und Kriegshandlanger werden von Gott selbst abgestraft und abgeschafft werden.

Jede brutale Gewaltherrschaft, jeder unmenschliche Machtmissbrauch, jede enthemmte Aggression, jeder rücksichtsloser Hass werden von Gott selbst abgestraft und abgeschafft werden.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte.


II.
Teil 2: Ach, dass doch alle Menschen die Botschaft von Weihnachten verstünden!

1.
Ich klage nicht. Es wird an Weihnachten viel über die Liebe Gottes und die Solidarität Gottes mit allen Leidenden gepredigt. Dass Jesus uns hilft, tröstet, die Wunden verbindet. Das ist richtig und gut. Ich tue es auch. Aber dieser Schwerpunkt darf nicht auf Kosten des eigentlichen Themas von Weihnachten gehen.

In der Weihnachtsgeschichte geht es um alles oder nichts. Es geht um die Frage, wie in unserer Welt Friede zustande kommen kann. Es geht um Frieden für eine friedlose Welt.

Gott, der der „Gott des Friedens“ (1 Thes 5,23) ist, erfindet Weihnachten. Weihnachten ist der Startschuss für Gottes Friedensbewegung, der Startschuss für die Neuschöpfung der Welt.

Weihnachten ist die Frage, ob in der Welt Frieden wird, oder ob Krieg und Gewalt, Fanatismus und Hass, Machtgier und Machtmissbrauch, Unrecht und Ungerechtigkeit im Großen und im Kleinen, in der Politik und im Privaten immer zu weitergehen…

2.
Frieden ist das, was die Welt, was die Menschheit dringend braucht. Wir sehen das in den Nachrichten. Wir sehen das an unseren Beziehungen. Die Bibel sagt es uns auf ihren ersten Seiten in ihrem ersten Teil, im unseren sog. Alten Testament. Wir können die ersten Kapitel der Bibel in 1 Mo 1-11 als Geschichten des Unfriedens lesen.

Da ist der Unfrieden zwischen Mensch und Gott. Die Bibel nennt ihn Unglauben. Unglaube heißt: Adam und Eva, also jeder Mann und jede Frau zu allen Zeiten und allen Orten, wollen Gott bestimmen, wollen dürfen und können, was Gott darf und kann, halten ansonsten in ihrer Angst, zu kurz zu kommen, Gott für ihren Gegner, für ein Problem, für ein Unglück…, den man bekämpfen oder meiden muss. Der Unglaube ist die Grundkatastrophe. Aus diesem Unglauben kommt alles Unheil.

Da ist der Unfrieden zwischen Adam und Eva aufgrund gegenseitiger Beschuldigungen.

Da ist der Unfrieden zwischen Kain und Abel. Kain fühlt sich zurückversetzt. Er ist frustriert. Weil er keine Bestätigung findet. Weil er gekränkt wurde. Weil ihm Unrecht getan wurde. Wer sich aber als Opfer fühlt, wird oft gefährlich für andere. Kain tötet seinen Bruder. Das wiederholt sich ständig und überall. Keiner kann die Kains und Abels der Menschheitsgeschichte zählen.

Da ist der erste sich selbst radikalisierende Mensch namens Lamech, der Selbstjustiz und willkürliche Rache übt.

Da ist der diktierte Friede im Turmbau zu Babel. Alle sollen das gleiche denken und glauben. Wer nicht mitmacht, wird eingesperrt oder umgebracht.

Die Bibel fasst das in 1 Mo 6,11 so zusammen: Die Erde ist voller Frevel. Frevel sind böse Worte, Boshaftigkeiten und Gewalttaten, kriegerische Handlungen im Kleinen und im Großen. Peter Gabriel fasst es so zusammen: „The man and the women in the blood of Eden“. Das ist die Realität! Wegen dieser Realität gibt es Weihnachten! In diese Realität hinein lässt Gott die Weihnachtsbotschaft ausrichten!

Gott sandte Jesus, seinen Sohn, den „Friedensfürsten (Jes 9,5). Er lässt die Engel in der Weihnachtsnacht singen: „Friede auf Erden“ (Luk 2,14). Alles Große beginnt klein. Auch der Frieden.

3.
Schauen wir uns den Friedensbringer Jesus von Nazareth näher an!

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des allmächtigen Gottes.

Wir lassen heute die ersten drei Namen aus. Ich werde an Heilig Abend in der Christvesper etwas dazu sagen. Wir konzentrieren uns auf den Namen Friedefürst.

Frieden heißt auf Hebräisch shalom. Shalom-Frieden meint: Alle Beziehungen des Menschen, die zu sich selbst, die zu seinen Mitmenschen und die zu Gott sind unverletzt, gut und ganz. Shalom-Frieden meint: Jeder bekommt, was er braucht. Alles ist so, wie es sein sollte. Menschen leben so zusammen, dass es keine Täter und Opfer gibt. Sie können sich nahekommen, ohne dass jemand vor dieser Nähe Angst haben müsste. Dieser Shalom-Friede setzt Gerechtigkeit und Recht voraus. Er wird von keiner Unwahrheit, von keinem Übel, keinem Krieg gestört… Übrigens: Dieser Shalom-Friede geht so weit, dass die Bibel ihn auch für die Tiere und die gesamte Schöpfung ankündigt.

Jesus bringt diesen Shalom-Frieden. Dieser Shalom-Friede kommt durch den 100%igen Verzicht auf Macht Jesu, durch seine absolute Gewaltlosigkeit. Seine Herrschaft ist so ganz anders als die Herrschaft aller menschlichen Machthaber, ob sie nun Putin oder Otto Müller heißen. Diese einmalige und einzigartige Art zu herrschen, kündigt Jesaja mit dem paradoxen Satz an, dass die Herrschaft auf der Schulter eines Kindes ruht.

4.
Wir fassen zusammen: Der Frieden kommt nicht durch Menschen. Er kommt nicht durch Gewalt. Der Frieden Gottes beginnt ganz klein – mit einem Baby, mit Jesus Christus in der Krippe von Bethlehem. Aber dieser Friede, der mit Weihnachten beginnt, endet in der sog. messianischen Zeit. Er endet im Reich Gottes, im Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude (Rö 14,17). Der Frieden, der mit Weihnachten beginnt, endet in Gottes neuer Schöpfung, in einer Welt ohne Neid und Eifersucht, ohne Angst, ohne Wut und Zorn, ohne Gewalt, ohne Hass, ohne Brudermord, ohne Krieg…

„Jesus wird eines Tages sein Friedensprojekt vollenden. Er wird wiederkommen und der Welt den umfassenden politischen Frieden schenken. „Dann wird des Friedens kein Ende sein!“ (Jes 9,6). Hallelujah!“ (Siegfried Zimmer) Der Frieden jenes Reiches ist nicht nur ein Seelen¬frieden. Es ist der Frieden, in dem es keine Gewalt und keine Sklaventreiber mehr gibt. Das ist das große Licht, das denen scheinen soll, die im finstern Land leben.“ (Fulbert Steffensky)

 

III.
Teil 3: Bis dorthin ist Frieden ein Vierfaches

1.
Frieden ist „immer wieder sein Geschenk in unseren Herzen (Siegfried Zimmer)

Jesus ist der Friedefürst, der uns schenken kann und schenken will, was unser Herz sucht: Zufriedenheit und Frieden.

Jesus ist der Friedefürst, der unseren Gewissen Frieden schenken kann und will.

Jesus ist der Friedefürst, der unseren schwierigen Beziehungen zu… Frieden schenken kann und will.

Jesus ist der Friedefürst, „der unsere Fragen und Zweifel befrieden will, der unsere Ängste befrieden will, der unsere Empörung befrieden will, der unsere Unklarheiten befrieden will, aber auch das Ende aller Illusionen, wenn wir aufwachen, wenn wir plötzlich klarsehen, wenn wir mit einer Wahrheit unseres Lebens konfrontiert werden“. (Patrick Todjeras)

Ich lade zu einer kleinen Übung ein (ich leihe sie mir von Guido Baltes): Gib dein friedloses Herz Gott! Bitte ihn, es zu behandeln! Schütte dein Herz aus! Beichte! Sag ihm alle Unversöhnlichkeit, allen Neid, alles Leiden an unverständlichen Erfahrungen, alle Angst, zu kurz zu kommen, alle Lust, Recht zu haben, alle Lust, andere zu bestimmen, alle Wut, alle Bitterkeit…

Aller Frieden beginnt klein. In unserem Herzen! Mit einem Gespräch mit Jesus!

2.
Unfrieden und Friedlosigkeit sind „immer wieder unsere Schuld!“ (Siegfried Zimmer)

Wo bin ich verantwortlich für Unfrieden? Wo gibt es ein Opfer meiner Kälte, meiner Heftigkeit, meiner Vorzüglichkeit? Wo gibt es ein Opfer meiner Rechthaberei?

Aller Frieden beginnt klein. In unserem Gewissen! Mit der Bitte um Vergebung!

Wo bin ich Opfer einer friedlosen Art anderer? Wo bin ich Opfer eines gewalttätigen Wortes, einer gewalttätigen Tat eines Menschen? Wo brauche ich Hilfe, um damit fertig werden zu können?

Aller Frieden beginnt klein. In unserer Seele.

3.
Frieden ist „immer wieder unsere Verantwortung, unsere schwere und sinnvolle Aufgabe!“ (Siegfried Zimmer)

Selig sind, die Frieden stiften! Selig sind die Friedensmacher! Ob ich ein Friedensmacher bin, zeigt sich in meinem Denken, Reden und Verhalten gegenüber.

Wie rede ich über andere? Vor allem wie rede ich über die, die ich nicht mag? Wie rede ich mit denen, die so sind wie ich, über die, die nicht so sind wie wir, die andere Positionen vertreten, über die ich mich so gerne empöre und aufrege?

Aller Frieden beginnt klein. Mit Worten, Gesten und Taten. Mit Einladungen.

4.
Frieden ist immer wieder unser Gebet! Immer wieder Klage zu Gott und Fürbitte an Gott!