Lukas 24,13-36 – Der Auferstandene bewirkt offene Augen und brennende Herzen – Von Thomas Pichel

A.
Eine Vorbemerkung zur Emmaus-Geschichte

1.
Sie ist eine Lern-Geschichte.

Wir lernen sehr viel über den Auferstandenen, sehr viel über unser Leben mit ihm.

Wir können sehr viel lernen für die Seelsorge, für uns selbst und für den Umgang mit Menschen in Not, denn in ihr erfahren wir z.B., dass ein Glaube burnout-krank sein kann.

Wir können sehr viel lernen über den Umgang mit suchenden und nicht-glaubenden Menschen.

2.
Sie ist eine Mutmach-Geschichte.

Wir werden ermutigt, uns so zu verhalten, wie es die beiden Männer getan haben.

Wir werden ermutigt, die Verhaltensweisen Jesu für uns zu glauben: Jesus geht unsere Wege mit – auch und gerade die Wege durch unsere Krisen. Er hört zu. Er stellt Fragen. Er erklärt uns die Bibel. Er segnet uns und beschenkt uns. Er schenkt uns „erleuchtete Augen“ (Eph 1,18) und „brennende Herzen“ (Luk 24,32).

B.

I.
Ausgangssituation: Die Krise: Fassungslosigkeit, Enttäuschung, zerbrochene Hoffnungen

13 „Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“

1.
„So haben wir uns das nicht vorgestellt!“ „Das hätten wir nicht gedacht!“ Ich denke, wir kennen diese Gedanken. „So habe ich mir mein Leben, meinen Beruf, meine Ehe… nicht vorgestellt!“ „So etwas wie Corona erleben zu müssen, das hätte ich nicht erwartet!“

Die Welt der beiden Männer ist zusammengebrochen. Sie sind bestürzt, desillusioniert, maßlos enttäuscht. Nichts wie weg! Sie können und wollen nicht mehr. Auch die Nachricht, dass das Grab Jesu offen und leer ist, hält sie nicht mehr.

2.
Was tut Jesus? Sehr ermutigende Dinge. Er wartet nicht in Emmaus auf sie. Er geht den Weg mit. Er lässt sie nicht allein. Er begleitet sie. Er hört ihnen zu. Er stellt die richtigen Fragen. Sie dürfen sich aussprechen: „Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?“

Wenn Gott uns so fragt, will er nicht etwas erfahren, was er nicht weiß. Er will, dass wir etwas über uns erfahren. Er will, dass wir mit ihm darüber reden. Bei Kleopas und seinem Freund funktioniert das. Es heißt im Text: „Da blieben sie traurig stehen.“ Dann sprechen sie sich aus:

3.
Sie präsentieren Jesus ihre Erklärung: „Jesus war ein Prophet. Ihm ist es so ergangen, wie es vielen Propheten in Laufe der Geschichte Israels ergangen ist. Von denen wurden auch viele ausgeschaltet. Nur so lässt sich das Ganze erklären.“

Mir fällt auf: Sie halten jetzt von Jesus weniger als vorher. Er ist im Ranking nach unten gerutscht. Er ist nur noch ein Prophet, nicht mehr der Messias, nicht mehr der Erlöser!

4.
Sie erzählen, was in ihnen zerbrochen ist! „Wir aber hofften, Jesus sei es, der Israel erlösen werde!“ Ihre Sehnsucht ist zu Bruch gegangen. Sie hatten eine politische Hoffnung. Jesus würde in Jerusalem triumphieren – über seine jüdischen Gegner, über die Römer. Jesus würde Israel von der Besatzungsmacht befreien und das Reich Davids wiederherstellen. Und dann diese Katastrophe! Diese maßlose Enttäuschung!

5.
Wer von uns kennt vom Grundsatz her diese Erfahrung nicht?! Wir hoffen, Jesus werde uns dieses oder jenes tun, aus einer Not befreien, einen Wunsch erfüllen… Und es geschieht nicht. Es tut sich nichts. Keine Hilfe. Dafür Schweigen. Wie schmerzhaft kann das sein!

6.
Wozu werden wir hier ermutigt? Wenn unser Glaube im Krisenmodus ist, dann dürfen wir mit Jesus über unsere Traurigkeit und Enttäuschung oder… reden, dann dürfen wir die Dinge beim Namen nennen, ohne etwas zu beschönigen. Wir sollten aber auch den Mumm haben, offen für Gott zu sein: „Herr, wie denkst Du über die Sache, wie siehst Du mich?“

II.
Zwei Impulse Jesu zur Aufarbeitung der Ereignisse

25 „Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“.

1.
„O ihr Toren, zu trägen Herzens… zu glauben!“

Jesus setzt einen Widerstand. Er konfrontiert sie mit dem, was Gott von ihnen und für jeden Menschen will. Er fordert sie heraus, indem er die Vertrauensfrage stellt. Ob wir Gott vertrauen oder nicht, entscheidet nämlich alles. Gerade auch in Krisenzeiten!

Ein Tor ist in der Bibel kein Dummkopf. Ein Tor ist jemand, der Gott übersieht, der Gott nicht berücksichtigt, der nicht mit Gott rechnet. Ein Tor ist jemand, der Gottes Gedanken und Pläne außer Acht lässt und Gottes Möglichkeiten unterschätzt, der an seine Meinungshoheit glaubt. Deshalb kommt er im Blick auf das Vertrauen zu Gott nicht in die Gänge. Deshalb geht sein Herz nicht von der Bremse. Er ist wie blockiert.

2.
Jesus öffnet den beiden Emmaus-Jüngern das Verständnis für die Bibel. Er erklärt ihnen den Sinn der Kreuzigung. „Musste nicht Christus leiden und in seine Herrlichkeit eingehen!“ Er informiert sie darüber, was Gott sich dabei gedacht hat. Jesus zeigt ihnen also die Mitte, das Herz der ganzen Bibel: seinen Tod und seine Auferstehung.

3.
Was tut Jesus hier seelsorgerlich mit den Beiden?

Jesus führt sie von einer enttäuschten Hoffnung weg zu einer anderen, viel größeren Hoffnung: ‚Jesus war nicht der politische Befreier für Israel von der römischen Besatzungsmacht. Es geht um mehr. Es geht um die ganze Menschheit. Es geht um die Erlösung von der Besatzungsmacht der Sünde und des Todes. Das ist seine Herrlichkeit! Diese Besonderheit und Einzigartigkeit zeigen sich auch in der Art und Weise, wie Jesus sein Ziel erreicht: nicht auf Kosten anderer, nicht mit Waffengewalt, sondern friedlich und gewaltlos‘ (Nach Thorsten Dietz)

4.
Die Einmaligkeit und Einzigartigkeit Jesu zeigt sich nicht nur in seinem Ziel, sondern auch in der Art und Weise, wie er dieses Ziel verfolgt hat.

„Jesus lebte nicht unser normales Muster: Gewalt wird mit Gewalt ausgetrieben, Böses wird mit Bösem vergolten. Jesus lebte ein völlig neues Muster: Du kannst Hass nicht weghassen! Du kannst Hass nur mit Liebe überwinden, Gewalt nur gewaltfrei, das Böse nur mit Leidensbereitschaft, Treue und Geduld“ (Thorsten Dietz).

Der gewaltlose Weg Jesu löst in mir Faszination und Schrecken aus. Ich frage mich: Was bedeutet dieser Weg Jesu für uns als Christen, für mich persönlich?

III.
Jesus schenkt ihnen „erleuchtete Augen“ (Eph 1,18) und ‚brennende Herzen‘ (Luk 24,32)

Nun geschieht die Wende, der Durchbruch. Sie kommen (wieder) zum Glauben.

28 „Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“

1.
Jesus stellt sich so, als ob er jetzt gehen möchte. Sie sagen: „Bitte, bleib!“

Was tut Jesus hier? Jesus drängt sich nicht auf. Er vereinnahmt sie nicht. Er fängt sie nicht.

Wir lernen aus diesem kurzen Moment der Freiheit sehr viel für unseren Umgang mit suchenden oder mit nicht-glaubenden Menschen. Wir dürfen nicht mit Druck oder Zwang agieren. Bitte sagen wir nie: „Das musst du glauben! Das steht so in der Bibel!“ Wie die Liebe verträgt auch der Glaube kein Müssen! Lasst uns die Menschen bitten: „Willst du dich darauf einlassen? Kannst du dir vorstellen, einen Weg des Vertrauens zu beginnen?“

2.
Zurück zur Geschichte! Die beiden Männer finden (wieder) zum Glauben. Wie Jesus das gemacht hat, erfahren wir nicht. Das bleibt ein Geheimnis. Dass jemand zum Glauben kommt, ist immer ein Geheimnis Gottes.

Aber wir erfahren, was Jesus dazu benutzt hat! Und das sind keine spektakulären Dinge! Sondern einfache, gewöhnliche, menschliche Mittel!

(1)
Was hat Jesus benutzt, um den beiden offene, „erleuchtete“ (Eph 1,18) Augen zu schenken? Offene, erleuchtete Augen bedeuten: Ein Mensch sieht die Bedeutung Jesu. Er sieht ein, wer Jesus ist.

Er hat die Rolle des Gastgebers eingenommen, er hat das Brot gesegnet und es ihnen ausgeteilt. Sie erleben die Tischgemeinschaft mit ihm. Sie erleben, dass sie beschenkt und satt werden. Ich denke automatisch an das Abendmahl, aber auch an die viele Segnungen und Geschenke Gottes in meinem Leben.

(2)
Was hat Jesus benutzt, um den Beiden „ein brennendes Herz“ zu schenken? Er hat die Bibel benutzt. Er hat die Bibel erklärt. Er hat ihnen das Herz der Bibel gezeigt:

a. den göttlichen Sinn des Leidens und Sterbens Jesu;

b. den mitfühlenden, leidensbereiten Gott, der entschlossen war, aus Liebe seine Menschenkinder zu retten und dafür diesen Weg ging!

c. den Gott, der die Macht hat, den Tod zu überwinden; wenn er Jesus von den Toten auferweckt hat, kann er auch in meine tote Situation hineinkommen und sie verändern;

Damit entzündet Jesus die Herzen der beiden Emmaus-Jünger. Damit werden bis heute Herzen für Jesus und Gott entzündet. Wir werden Feuer und Flamme für Gott, auch wenn wir nicht alles verstehen, was er tut.

Es ist ähnlich wie beim Dornbusch in 2 Mose 3. Es ist kein Feuer, das uns verbrennt und schadet. Wir werden auch nicht verheizt oder verbraten. Im Gegenteil. Es ist wie eine Energie- und Kraftquelle, die sich nicht verzehrt und verbraucht, sondern uns versorgt.

Aus ihr kommen all die Dinge, die ein Herz braucht, wenn es brennen soll, die wir im Leben und Sterben benötigen: z.B. die Gewissheit, geliebt zu sein, einen unverlierbaren Lebenssinn, Handlungsklarheit, eine echte Freude, einen starken Trost und immer neu eine „lebendige Hoffnung“.

Wir merken das an beiden Emmaus-Jüngern. Sie sind wie verwandelt. Alle Traurigkeit und Müdigkeit sind weg. Sie haben die Energie, sich wieder auf den Weg zu machen. Sie wissen, wo sie hingehören und worauf es jetzt ankommt. Sie ‚müssen‘ es den anderen erzählen.

C.
Anwendungen dieser Geschichte auf unser Leben heute

1.
Die grundsätzliche Anwendung von Luk 24,13-32 haben wir eingangs schon erwähnt: Ich darf mich so verhalten, wie die beiden Emmaus-Jünger. Ich darf die Verhaltensweisen Jesu auch für mein Leben glauben. Ich darf z.B. damit rechnen, dass Jesus meine Wege mitgeht. Ich darf ihm danken, dass er mir die Augen geöffnet und mir ein brennendes Herz gegeben hat.

2.
Luk 24,13-32 ist eine Mutmach-Geschichte für Christen, deren Glaube burnout-krank ist. Das Happy-End ist nicht sicher. Aber die Geschichte macht Hoffnung. Betroffene dürfen glauben, dass Jesus ihre Krise mit durchmacht, dass er sich das ehrliche Gespräch wünscht, dass sie bitten dürfen: „Zünde an dein Feuer, Herr, im Herzen mir, hell mög es brennen, lieber Heiland dir“ (Peter Strauch).

3.
Luk 24,13-32 ist eine Mutmach-Geschichte z.B. für Menschen, die wegen Corona fürchten müssen, dass ihr Geschäft pleitegeht. Sie dürfen Gott bitten, dass er sie vor dem Ruin bewahrt. Ob Gott es schenkt, weiß ich nicht. Wenn nicht, dürfen sie um die Kraft bitten, den Konkurs zu verkraften und doch weiterzumachen, noch einmal neu oder etwas anderes anzufangen.

4.
Aus dem, wie es für die beiden Emmaus-Jünger weitergegangen ist, können wir darüber hinaus Grundsätzliches für unser Leben mit dem Auferstandenen erkennen und lernen:

Deshalb noch einmal zurück zur Emmaus-Geschichte. Wie ging es weiter? 33 „Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach. 36 Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch!“

Welche Erfahrungen werden wir mit dem Auferstandenen machen?

(1)
Wir werden auf Menschen treffen, die die gleichen Erfahrungen machen wie wir.
Sie kommen zurück nach Jerusalem und hören: Der Herr ist Simon erschienen.

(2)
Wir werden einen merkwürdigen Schwebezustand erleben.
Der Auferstandene verschwindet und taucht wieder auf.

Jesus ist da. – Und doch auch wie weg.

Er enthüllt uns seine Nähe. – Und doch bleibt er uns verhüllt.

Wir erleben etwas mit Jesus. – Wir erleben nichts mit ihm.

Er greift in unser Leben ein. Spürbar. Deutlich. – Und doch bleibt er für uns unverfügbar.

Wir glauben. – Und doch ist der Glaube nicht in unserem Besitz, weil Jesus nie in unserem Besitz ist.

(3)
Der Auferstandene wird uns immer wieder unterbrechen und überraschen.

Die Beiden sind zurück in Jerusalem. Sie haben eine großartige Geschichte im Gepäck. Sie fangen an mit ihrem Zeugnis!

Und was passiert? Schwupp: Der Auferstandene ist da und unterbricht sie. Sie dürfen nicht ausreden. Sie sollen und dürfen zuhören.

Ich glaube, dass auch das für uns wichtig ist. Wenn wir Christen geworden sind, wenn wir vieles in der Bibel verstehen, wenn wir großartige Erfahrungen mit Gott machen, gibt es die Gefahr, dass wir uns zurücklehnen. Motto: „Ich weiß Bescheid. Bei mir ist alles geklärt. Ich bin am Ziel.“

Dann sind wir aber nicht mehr offen für das neue, aktuelle Reden Jesu mit uns. Dann sind wir nicht mehr bereit, uns von Jesus bewegen zu lassen. Dann besteht die Gefahr, dass wir christliche Privatiers spielen, die nicht mehr unterwegs mit Jesus und keine Lernende mehr sind.

Lasst uns offen sein für die Überraschungen des Auferstandenen! Wenn der Auferstandene uns stoppt und unterbricht, dann bekommen wir wichtige und wertvolle Dinge zu hören!

Fußnote: Ich verdanke viele Einsichten, die dieser Predigt zugrunde liegen, Thorsten Dietz (Gefunden auf worthaus, Der Lebendige – Begegnungen mit dem Auferstandenen).