Lukas 6,27-36 – Seid wie Gott! Seid barmherzig! – Von Thomas Pichel

Einleitung in den Gottesdienst

I.
Barmherzigkeit ist ein Thema zum Erzählen

Gottes Barmherzigkeit, das sind das Handeln und die Taten Gottes.

Wie sieht Gottes Barmherzigkeit in meinem Leben aus? In seiner Art, wie Gott mit mir umgeht, mir etwas schenkt, mir etwas verweigert?

II.
Barmherzigkeit ist ein Thema für das Gebet, für mein Reden mit Gott.

Ich kann Gott danken für seine Barmherzigkeit, weil ich mein Leben als eine Abfolge von Barmherzigkeiten Gottes sehen darf.

Ich kann Gott klagen, wenn seine Barmherzigkeit für mich verborgen ist, wenn Gott mir nicht barmherzig vorkommt.

(nach einer Idee und Worten von Immanuel Bender)

 

A.
Predigt Teil 1:

I.
Euer Vater ist barmherzig

Das Thema Barmherzigkeit beginnt nicht mit uns, sondern mit Gott.

Die Barmherzigkeit Gottes ist sein hinreißendes  Mitgefühl und Erbarmen. Gott lässt sich berühren von der Not seiner Kinder.

Barmherzigkeit heißt, „dass zuerst Gott ein Herz mit uns Armen hat. Das heißt, dass Gott zutiefst bewegt ist von dir und mir und von uns, von seiner Welt. Es heißt, dass Gott Mitleid empfindet mit mir und mit uns, mit der Stadt, in der du lebst, mit deiner Region, mit unserem Land“. (Patrick Todjeras, Verwurzelt, S.84-86).

Die göttliche Barmherzigkeit kommt aus seinem Inneren und äußert sich in seinen Taten. Gott versetzt sich in einen leidenden Menschen hinein und kommt ihm zur Hilfe. Die Barmherzigkeit Gottes ist eine Einstellung Gottes, die Gott zu barmherzigen Handlungen motiviert. Wenn man die Bibel liest, hat man den Eindruck: Gott kann gar nicht anders.

Was sind die Folgen der barmherzigen Taten Gottes? Leben wird gerettet. Leben ist wieder möglich. Menschen werden ins Leben zurückgeholt. Sie können ganz anders weiterleben. Der erste Petrus-Brief sagt nicht umsonst: Gott hat uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (1 Ptr 1,3).

 

II.
Seid wie Gott! Werdet wie Gott!  

1.
Uns ist Barmherzigkeit widerfahren. Jetzt sind wir aufgerufen, das widerzuspiegeln und zu leben, was Gott uns geschenkt hat: Wir sollen es wie Gott machen! Wir sollen Barmherzigkeit praktizieren!

2.
Es ist sehr interessant. In 1 Mose 3,5 injiziert die Schlange ihr süßes Gift in Adam, der für uns alle steht: „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist (1 Mose 3,5).“

Wir sind alle für diese Gift anfällig und empfänglich. Dieses Gift ist in jedem Kopf, in jedem Herzen: Der Ur-Traum des Menschen: So mächtig zu sein wie ein Gott. So unabhängig zu sein wie ein Gott. Absolutes Wissen zu haben. Absolute Macht zu haben. Absolute Freiheit. Möglichst viel können, haben und dürfen.

Dieses Gift ist das Ur-Problem der Menschheit: Der Mensch, der nach Gottähnlichkeit strebt, der eine Selbstvergötterung lebt, wird ein Übermensch. Und jeder Übermensch wird unmenschlich. Je mehr Macht ein solcher Mensch besitzt, desto problematischer und gefährlicher wird er: für sich und andere.

Warum? Weil ein Mensch, der Macht und Gewalt hat wie ein Gott, aber nicht barmherzig ist, zum Abbild Satans und nicht ein Abbild Gottes wird, weil er die Welt nicht Richtung Himmel verändert, sondern in eine Vor-Hölle verwandelt.

3.
Die Jahreslosung 2021 sagt: Seid barmherzig, wie euer Vater ist. An diesem einen Punkt dürfen und sollen wir sein wie Gott! In dieser Hinsicht können und sollen wir göttlich werden.

„Seid wie Gott, das heißt, lernt Barmherzigkeit! Gott ist nicht unmenschlich, sondern er ist der menschlichste aller Menschen; er ist der Barmherzige, der Helfende, der Niedrige, der, der sich der Elenden und Niedrigen erbarmt, das ist Gott. Das ist das Grundgesetz alles gütlichen Lebens.“ (Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke, Bd. 3: Ausgewählte Predigten, München: Chr. Kaiser Verlag 1963, S. 67-75)

 

B.
Predigt Teil 2:

 27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. 29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. 30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! 32 Und wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben ihre Freunde. 33 Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Denn die Sünder tun dasselbe auch. 34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch die Sünder leihen den Sündern, damit sie das Gleiche bekommen. 35 Vielmehr liebt eure Feinde; tut Gutes und leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft. So wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Kinder des Allerhöchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 

  

I.
Barmherzigkeit geht ans Eingemachte

 Der Anspruch Jesu hat nichts Weiches. Der Auftrag Jesu fordert uns heraus. Wir sind gefragt, ob wir das wollen. Wir fragen uns, ob wir das können.

Wir merken: Barmherzigkeit ist mehr als Almosen: Hier etwas geben. Da etwas tun. Vielleicht auch viel tun und viel geben. Barmherzigkeit ist nach Jesus, laut dieser Sätze ein Lebensstil, der nicht von dieser Welt ist. Barmherzigkeit ist eine Revolution, die alles auf den Kopf stellt. Jesus sagt sehr klar: Macht es anders, als man es normalerweise macht!

 

II.
Wie geht es in der Welt zu?

1.
Wir mögen die, die uns mögen. Wir lieben die, die uns lieben. Wir fördern die, die uns fördern. Menschen tun denen gut, die ihnen guttun, die ihnen Gutes tun. Das gilt unabhängig davon, was ein Mensch glaubt oder wie er lebt.

Wir mögen die nicht, die uns nicht mögen. Wir lieben die nicht, die uns nicht lieben. Menschen fördern die nicht, die ihnen blöd gekommen. Menschen sind keine Wohltäter ihrer Weh-Täter. Menschen hassen die, die sie hassen. Das gilt unabhängig davon, was ein Mensch glaubt oder wie er lebt.

2.
Das ist das Betriebssystem unseres Lebens. So ticken wir. So funktionieren wir. Wir können dieses Prinzip das ‚Doppelte Vergeltungsgesetz des Lebens‘ nennen.

Vergeltung gibt es positiv und negativ. Wir behandeln den anderen so, wie er uns behandelt. Wir gehen mit dem anderen so um, wie er mit uns umgeht. Wir kommen ihm so, wie er uns kommt.

Wie du mir, so ich dir“ als positive Vergeltung heißt: Wir vergelten Gleiches mit Gleichem. Wir sagen: Was du mir Gutes getan hast, vergelte ich dir, indem ich dir Gutes tue. Hier ein paar Beispiele: Gefälligkeit um Gefälligkeit. Hilfe um Hilfe. Nachsicht um Nachsicht. Geschenk um Geschenk. Dank um Dank. Lob um Lob.

Wie du mir, so ich dir als negative Vergeltung heißt: Wir vergelten Gleiches mit Gleichem. Wir sagen: Was du mir angetan hast, vergelte ich dir, indem ich dir auch etwas antue. Hier ein paar Beispiele: Wir werden nicht angerufen – wir rufen nicht an. Wir werden nicht gelobt – wir loben nicht. Wir werden blöd angeredet – wir antworten blöd. Wir werden kritisiert – wir kritisieren. Wir werden gemobbt – wir mobben. Vergeltung in Reinkultur: Liebesentzug um Liebesentzug. Verletzung um Verletzung. Gehässigkeit um Gehässigkeit.

Walter Lüthi schreibt: „Es gibt im Leben der Völker und im Leben des Einzelnen ein furchtbares Gesetz… Dieses unerbittliche Gesetz besteht darin, dass Böses Böses ruft, Druck erzeugt Gegendruck, Schlag folgt auf Schlag, Gewalttat ruft der Rache, der Rache der Vergeltung“.

 

III.
Macht es anders! Praktiziert Barmherzigkeit!

1.
Jesus nennt vier barmherzige Aktionen, mit denen wir gegenüber Feinden agieren sollen: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Das ist klar und verständlich.

Jesus nennt vier barmherzige Reaktionen, mit denen wir auf Feinde und Hilfsbedürftige reagieren sollen. Wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. Das ist klar und verständlich.

2.
Jesus fasst dieses Agieren und Reagieren in der sog. Goldenen Regel zusammen: Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun, so tut ihnen auch (v31).

(1) Tut ihnen Gutes, helft, seid barmherzig, denn ihr wollt doch, dass die Leute euch auch helfen, wenn ihr Barmherzigkeit nötig habt.

(2) Tut anderen nicht weh, tut ihnen nichts Böses an, denn ihr wollt doch auch nicht, dass euch etwas angetan wird, dass euch Unrecht geschieht.

3.
Eine Sache fällt auf und verwundert: Warum nennt Jesus Menschen, die mir schaden wollen, und notleidende Menschen, die von mir Hilfe wollen, in einem Atemzug? Warum stellt er sie zusammen?

Ich habe folgende Überlegungen dazu:

Wir alle haben ein Kriterium, nach dem wir entscheiden, ob wir anderen helfen oder nicht, ob wir barmherzig sind oder nicht. Dieses Kriterium heißt: Wer hat es verdient? Wer hat es nicht verdient?

Bei mir vertrauten und lieben Menschen werde ich helfen, weil sie es verdient haben. Bei mir fremden Menschen werde ich vielleicht helfen, weil sie es vielleicht doch verdient haben. Bei Feinden käme ich nie auf die Idee, barmherzig zu sein, weil die etwas ganz anderes verdient haben als meine Hilfe.

Jesus fragt uns durch diesen Text: Ist die Frage, ob es jemand verdient hat, wirklich entscheidend?

Was ist dann mit den Hilfsbedürftigen, die eure Hilfe nicht verdient haben oder nicht verdient haben können, weil sie zu arm sind, um euch etwas dafür zurückgeben zu können?

Was ist mit euch selbst, wenn ihr barmherziges Helfen nicht verdient habt, wenn ihr Hilfe braucht, die ihr nie bezahlen könnt? Was ist mit euch, wenn ihr schuldig geworden seid und die barmherzige Vergebung anderer braucht? Wisst ihr nicht, dass man Vergebung nie verdient hat?

Was ist mit euren Feinden? Natürlich haben sie eure Hilfe nicht verdient. Aber auch Feinde sind Hilfsbedürftige. Sie sind nämlich Verlorene. Sie sind verloren an ihren Egoismus, an ihre Forderungen, an ihren Hass, an ihre Beleidigungen, an ihren Machtmissbrauch, an ihre Schuld, an ihr Unrecht, an die Anklagen ihrer Opfer. Auch Feinde brauchen Barmherzigkeit. Ohne Barmherzigkeit kommen sie nicht frei von ihrem Bösen.

4.
Verstehen wir, was Jesus über die Barmherzigkeit Gottes sagt? Die Barmherzigkeit Gottes entspricht nicht unserem normalen Verhalten. Sie setzt das doppelte Vergeltungsgesetz: ‚Wie du mir, so ich dir!‘ außer Kraft. Die Barmherzigkeit Gottes ist größer als unsere menschliche berechnende Logik: ‚Wer es verdient hat!Gott fragt nicht, ob wir seine Barmherzigkeit verdient haben. Seine Barmherzigkeit ist nicht etwas, was man sich verdienen kann oder muss.

 

C.
Predigt Teil 3

Unser Predigttext beginnt mit dem Satz: „Ich sage euch, die ihr zuhört“ (v27). Jesus stellt im Text dreimal die Frage: „Welchen Dank habt ihr davon?“ (v32, v33, v34). Zuhören und Fragen sind elementare Bestandteile von Gesprächen. Das Thema Barmherzigkeit und diese Aussagen Jesu gehören, wie in der Einleitung des Gottesdienstes schon gesagt, ins Gespräch mit Gott (und ins Gespräch miteinander).

 

I.
Das Thema Barmherzigkeit und unser Text gehören ins Gespräch mit Gott

Ich lasse Sie/Euch nun teilnehmen an meinem Gespräch mit Jesus.

Herr Jesus, ich danke Dir für die unzähligen Barmherzigkeiten, die Du mir in meinem Leben erwiesen hast. Ich bin so oft ein Undankbarer. Ich bin auch jemand, der sein Böses ernstnehmen muss.

Herr Jesus, ich gebe Dir Recht, ich soll Barmherzigkeit praktizieren, aber ich weiß nicht, ob ich es kann… Herr, es ist für mich eine Überforderung. Aber ich will mich nicht davonschleichen. Bitte hilf mir!

Herr, was meinst Du mit Deiner dreimaligen Frage: Welchen Dank habt ihr davon? Meinst du, dass es einen Dank gibt, der nicht viel wert ist, weil er Bestandteil eines Tauschgeschäftes ist, weil Gleiches mit Gleichem ausgetauscht wird?

Herr, heißt das, dass Feindesliebe Dankbarkeit erwarten darf? Ist das eine Verheißung, dass Menschen, die mich beleidigt haben, die mir Unrecht getan haben, mir danken werden, wenn ich ihnen Barmherzigkeit erweise? Oder meinst du, dass sie mir in der Ewigkeit danken werden?

Oder bedeutet Deine dreimalige Frage, dass Du mir danken wirst, wenn ich barmherzig handle auch an denen, die mir nichts zurück schenken können, oder an denen, die Barmherzigkeit nicht verdient haben?

Ich staune, dass Du von Lohn sprichst. Ich bin gespannt, worin er bestehen wird. Oder ist der Lohn, dass ich ein “Kind des Allerhöchsten” sein darf?

Für unser Gespräch ist entscheidend, dass wir wissen, mit wem wir sprechen. Deshalb jetzt der letzte Gedankengang meiner Predigt.

 

II.
Wir sprechen mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus, der die Feindesliebe in Person ist.

1.
Jesus hat während seines Lebens nie mit Druck oder Zwang, nie mit Macht seine Ziele verfolgt. Er hat nie etwas auf Kosten anderer getan. Es gibt keinen Menschen, der hätte sagen können: Ich bin das Opfer Jesu!

2.
Er hat die gesegnet, die ihn beleidigt und verhöhnt, die ihn geschlagen haben. Er hat mehr gegeben als eine Backe, ohne etwas dafür zu erwarten. Sein Mantel wurde einem anderen gegeben. Er hat für die gebetet, die ihn umbrachten. Er hat an denen festgehalten, die ihm furchtbar Unrecht taten, die ihn erledigt sehen wollten.

Sein Kreuz ist das Mahnmal des menschlichen Hasses und der unmenschlichen Gewalt.
Sein Kreuz ist aber auch das Denkmal der göttlichen Barmherzigkeit und Liebe.

3.
Ich rede wieder mit Jesus: Du lebtest nicht nach dem doppelten Vergeltungsgesetz: Wie du mir, so ich dir! Du lebtest nicht nach dem Muster, Gleiches mit Gleichem, Böses mit Bösem zu vergelten! Es fasziniert mich, dass Du frei davon warst. Ich ahne, dass Du mich davon befreien kannst!

Ich begreife, was Du gewusst hast: „Man kann Hass nicht weghassen! Man kann Gewalt nur gewaltfrei, Hass nur mit Liebe, das Böse nur mit Leidensbereitschaft, Treue und Geduld überwinden“ (Thorsten Dietz). Dafür hast Du gelebt. Dafür bist du gestorben. Dafür bist du auferstanden.

4.
Natürlich gibt es dazu jetzt Fragen: Wie ist das mit der Gerechtigkeit? Wie ist das Verhältnis zwischen Gottes Barmherzigkeit und Gottes Gerechtigkeit? Wie ist das Verhältnis zwischen Gottes Barmherzigkeit und Gottes Zorn? Dazu etwas am 7.2. in der dritten Predigt über die Jahreslosung 2021.

Heute möchte ich mit einem Zeugnis schließen: Ich bin glücklich, Christ sein zu dürfen. Gottes Liebe galt und gilt allen. Er stellt seine Barmherzigkeit allen zur Verfügung. Auch den Undankbaren und Bösen. Gott hat ein Herz für jeden Menschen. Auch für die Hassenden. Auch die Hassenden brauchen Barmherzigkeit. Damit sie von ihrem Hass befreit werden können!

Wir alle brauchen Barmherzigkeit. Gott fragt nicht, ob ich Barmherzigkeit verdient habe! Gottseidank nicht!

Ich wünsche jedem, dass er, wenn er Barmherzigkeit von Menschen braucht, auf Menschen trifft, die nicht fragen, ob wir sie verdient haben!