Rö 1,16-17 – Der Kern des Evangeliums (Teil 4): Der Glaube – Von Thomas Pichel

A.
Einleitung: Paulus knüpft, um seine Botschaft weiterzusagen, an das an, was in Rom jeder versteht.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom. Er versucht, die Gemeinde in Rom für seine Missionspläne im Blick auf Spanien zu gewinnen. Dafür wirbt er für sein Verständnis vom Evangelium, von der Gerechtigkeit, vom Glauben, vom Leben mit Gott. Paulus knüpft dazu geschickt an das an, was in Rom jeder versteht.

1.
In Rom ist ständig vom Evangelium die Rede. Das Evangelium ist der Kaiserkult. Der Kaiser und seine Politik garantieren Wohlstand und Frieden. Dieses Evangelium ist verbunden mit Macht, Herrlichkeit und Größe. Es arbeitet mit Brot und Spielen, mit Druck, Zwang, Zensur und Gewalt.

Paulus greift das Wort Evangelium auf und füllt es neu. Das christliche Evangelium ist das Leben und Sterben Jesu und die Auferstehung Jesu. Dieses Evangelium ist verbunden mit Machtverzicht und Gewaltlosigkeit. Jesus arbeitet mit Worten und Helfen. Er schenkt den Menschen die Gemeinschaft mit Gott. Er schenkt ihnen alles, was sie zum Leben mit Gott brauchen.

2.
In Rom ist ständig von Glaube die Rede. Das lateinische Wort fides (genau wie das griechische Wort pistis) ist der zentrale Begriff. Es hat eine enorme Bedeutungsfülle: Fides kann heißen: Glaube, Vertrauen, Zutrauen, Gehorsam, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Loyalität, Treue und vieles mehr.

In Rom gibt es auf dem Kapitol einen Tempel der Göttin Fides. Gleich neben dem Jupiter-Tempel. Fides verkörpert die Tugenden Treue und Vertrauen. Treue und Vertrauen sind für die Römer die höchsten Werte in der Familie, in Freundschaften, im Gesellschaftsleben, im Geschäftsleben. Die Römer wissen: Treue und Vertrauen halten die Gesellschaft im Innersten zusammen. Ohne Vertrauen und Treue gibt es kein Zusammenleben. Vertrauen und Treue sind die Garanten für Frieden und politische Stabilität, aber auch für das private Glück.

Die Römer wissen auch, wie gefährdet und brüchig Treue und Vertrauen in der Gesellschaft sind. Man erleidet täglich, wie Misstrauen und Argwohn, Fake news und Lügen, Korruption und Machtmissbrauch, Intrigen und Streitsucht, Hass und Gewalt das Vertrauen und dadurch den Zusammenhalt untereinander verletzen und zerstören.

3.
Paulus greift das Wort Glaube auf und füllt es von Jesus Christus her neu. 21x kommt im Römerbrief “glauben” vor und 40x “Glaube“. Glaube ist bei Paulus Glaube an Jesus, den Gott als seinen Sohn und Messias der Welt geschenkt hat. Glaube ist bei Paulus Glaube an die rettende Kraft des Evangeliums. Wir sehen das an unserem Predigttext, dem thematischen Leitvers des Römerbriefes. Ich lese Rö 1,16f.

16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für die Juden zuerst und auch für die Griechen. 17 Denn darin wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): Der aus Glauben Gerechte wird leben (Zürcher) oder: Der Gerechte wird aus Glauben leben (Luther)

 

B.

I.
Was glauben wir, wenn wir an Jesus glauben? Was dürfen wir glauben? Was tun wir, wenn wir glauben?

Worüber könnten wir jetzt reden! Wie kommt ein Mensch zum Glauben? Was meint die Bibel mit Bekehrung und Wiedergeburt? Warum kommen die einen zum Glauben, die anderen nicht? Wie ist das mit Glauben und Zweifeln, mit Anfechtung? Das können wir nicht leisten. Ich will etwas anderes versuchen. Ich will die Basics des Glaubens an Jesus skizzieren.

(1)
Stichwort Auferstehung. Wir glauben, dass Jesus auferstanden ist. Diese Ausnahmebehandlung durch Gott hat Jesus als Ausnahmeerscheinung, als Lichtgestalt, als Hoffnungsträger… bestätigt. Jesus ist unser Weggefährte, Begleiter, Freund, Bruder. Er ist der Herr. Jesus ist unsichtbar da. Jesus hört uns. Er redet mit uns. Er hilft uns. Er tut kleine und große Wunder.

Die Auferstehung Jesus von den Toten ist die vernünftigste Erklärung für die Erfahrungen, die man als Christenmensch machen kann.

(2)
Stichwort Gottes Vorstellungen und Regieanweisungen für unser Leben: Wir glauben, dass die Bibel uns zu Recht „in einer unüberbietbaren Ernsthaftigkeit zur Verantwortung und Selbstprüfung“ (Wilfried Härle, in: Gott glauben – gestern, heute und morgen, S.77) ruft. Die Bibel stellt uns die Frage, ob und inwieweit unser Leben unserer Bestimmung entspricht, die der Schöpfer für uns vorgesehen hat. Der Maßstab für unser Leben sind die ethisch-moralischen Regieanweisungen, die Gott uns in der Bibel vorlegt. Der Maßstab ist das Leben Jesu.

(3)
Stichwort Sünde. Wir glauben, dass die Bibel uns zu Recht mit einer unangenehmen Wahrheit konfrontiert, die wir nicht gerne hören: Jeder Mensch hat ein Problem. Die Bibel nennt es Sünde.  Sünde ist Gemeinschaftsunfähigkeit und Gemeinschaftsunwilligkeit. Jeder Mensch ist ein Sklave seiner Selbst, seiner Egokräfte, seiner Taten und Versäumnisse. Jeder Mensch ist Täter und Opfer der destruktiven Spielereien der Sünde. Jeder von uns, ob er es weiß oder verdrängt, braucht Hilfe gegen diese Kaputtmacher-Macht. Jeder von uns braucht Befreiung und Erlösung von dieser Giftmischerin, die alle Beziehungen des Menschen manipuliert, tief schädigt, krank macht und tötet.

(4)
Stichwort Kreuz Jesu: Wir glauben an die positive Bedeutung des fürchterlichen Kreuzestodes Jesu. Jesus ist nicht zufällig am Kreuz gestorben, sondern mit innerer, göttlicher Notwendigkeit. Gott hat sich entschieden, das Leiden und Sterben Jesu als sein Mittel zu benutzen, um uns Menschen die Erlösung von der Sünde zu schenken. Das ist nicht leicht zu verstehen. Die Bibel arbeitet mit einer Fülle an Bildern und Vergleichen, um uns diese Botschaft aufzuschließen. Ich sage heute Morgen es einmal so (das leihe ich mir von Hans-Joachim Eckstein): Wir bemühen uns, die Einzelheiten der Sühnetheologie zu verstehen. Aber wir freuen uns über das Herzstück: Das Leben und Sterben Jesu steht für Gottes bedingungslose Treue und vergebungsbereite Liebe. Was für eine Wertschätzung des Himmels für uns: Jesus setzt sich nicht nur mit etwas, sondern mit sich selbst und mit seinem eigenen Leben für uns ein! Was für ein Gott, der so etwas für seine Menschenkinder getan hat! Damit sind wir beim…

(6)
Stichwort Gott: Die Wahrheit ist: Gott ist ein Geheimnis. Wir wissen, dass der lebendige Gott immer größer ist als alles, was wir an Bildern und Gedanken in unserem Kopf haben. Es ist auch wahr: Gott kann ein Rätsel sein, an dem Nichtglaubende und Glaubende schwer zu knabbern haben. Aber der gekreuzigte und auferstandene Jesus macht die Liebe Gottes anschaulich und Gott vertrauenswürdig. Als ich vor 40 Jahren zum Glauben kam, war Gott für mich eine Überraschung, eine Entdeckung. Unglaublich herausfordernd, aber auch unglaublich faszinierend, wohltuend und befreiend.

(7)
Stichwort Glaube: Unser Glaube heißt: Wir nehmen die Wahl an! Die Wahl Gottes, der uns erwählt hat, der uns will. Unser Glaube ist eine Beziehung! Unser Glaube ist unsere Anhänglichkeit und Abhängigkeit zu Jesus. Unser Glaube ist Vertrauen in die Treue und in die Macht Jesu! Wir rechnen damit, wir bitten darum, wir danken dafür, wir setzen darauf, wir bauen auf das, was Jesus für uns empfindet, wie er mit uns umgeht, was Jesus uns zusagt und verspricht, was der Jesus Christus-Gott kann, was er leistet, was der Dreieinige Gott für uns getan hat, tut und tun wird.

Luther beschreibt den biblischen Glauben einmal so: Der „Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, mutig-getrost und voller Freude gegenüber Gott und allen Menschen: das macht der Heilige Geist im Glauben“.

 

II.
Zwei Problemfelder im Glauben

1.
Problemfeld 1: Wir können von zwei Seiten vom Pferd fallen!

(1)
Wir können rechts vom Pferd in den Perfektionismus fallen.

Es gab und gibt bei Christen immer wieder folgenden Gedanken: Der Glaube an das Evangelium, an die Erlösung, an die Liebe Gottes, schön und gut! Aber es kann doch nicht beim Glauben bleiben. Es muss doch augenscheinlich und offensichtlich werden, dass wir Christen anders sind, dass wir bessere Menschen sind. Wir müssen doch in der Heiligung Fortschritte erzielen. Das bewusste, willentliche Sündigen muss doch aufhören! Immer wieder denken Christen so. Sie mühen sich ab, strengen sich an, sich und anderen ihr Anderssein und ihr Bessersein zu beweisen.

(2)
Wir können links vom Pferd auf die Couch der Bequemlichkeit fallen.

Man sitzt auf der Couch der Bequemlichkeit und gibt seine christlichen Kommentare ab! Man hat sich bekehrt und entschieden. Es ist alles klar. Auf dem Tisch liegt die himmlische Versicherungspolice: Man ist auf der richtigen Seite. Man hat den richtigen Glauben. Man macht nichts Falsches. Man ist sicher vor der ewigen Verlorenheit. Denn die Gnade ist einem ja sicher! Aber: Man hat sich selbst vor der Nachfolge befreit!

(3)
Beide Gefahren können abgewehrt und überwunden werden. Paulus gibt uns den entscheidenden Hinweis dafür mit seinem auffälligen Ausdruck „aus Glauben in Glauben“. Was heißt das? Die Christenheit diskutiert seit 2000 Jahren über diesen Ausdruck. Das wäre ein Thema für ein Bibelseminar. Ich meine, folgendes sagen zu dürfen. Aus Glauben in Glauben heißt: Aus dem von Gott ermöglichten Glauben zum praktizierten Glauben. Aus dem uns geschenkten Glauben zum Glauben als unsere Berufung.

a.
Die Gefahr des christlichen Perfektionismus wehrt der Ausdruck „aus Glauben“ ab. Der Glaube entdeckt die Liebe Gottes, die Bedeutung Jesu, die Bibel. Der Glaube empfängt alles, was Gott uns schenkt: Gemeinschaft mit sich, Vergebung und Erlösung. Durch den Glauben kann Gott uns beschenken. Aber der Glaube ist selbst ein Geschenk Gottes! Der Glaube ist der von Gott uns bereitgestellte Kanal, die Leitung, die Verbindung, die es Gott ermöglicht, mit uns zu kommunizieren (siehe Joh 6,65; 1 Kor 4,7 u Phi 2,13).

Wenn ihr dann Gott sagen hört: Ihr seid rein, gerecht und heilig, glaubt es ihm bitte. Aber versucht nicht, es an euch festzustellen! Glaubt es! Seid zufrieden! Seid glücklich, dass Gott Euch gut ist, dass Gott Euch vergeben und Euch freigesprochen hat. Aber versucht nie, über diesen Glauben hinauswollen. Denkt nie, dass Ihr besser seid als andere, dass Ihr heilig seid, weil ihr gewisse Dinge nicht mehr tut… Christsein ist kein Fitnessstudio zur moralischen Selbstoptimierung. Bitte bleibt im Glauben!

Paulus und die ganze Bibel sagen allen, die es doch versuchen: Ihr werdet dabei entweder ungenießbar selbstgerecht und blind für euch selbst. Oder unglücklich, weil man an sich selbst verzweifelt, wenn man immer wieder an Bibelversen scheitert oder die Selbstlosigkeit nicht schafft…

b.
Die Gefahr der Bequemlichkeit und der Faulheit wehrt der Ausdruck „in Glauben“ oder „zu Glauben“ ab. Es geht nicht um eine Christlichkeit ohne jedes Werk, ohne soziales Engagement, ohne missionarisches Engagement. Das Ziel Gottes, wenn er uns zum Glauben bringt, ist nicht, dass wir uns als christliche Privatiers auf der Couch der Bequemlichkeit ausruhen und nur aufstehen, um uns um uns selbst zu drehen: hier auf Erden um das eigene Rechthaben und Wohlergehen; im Blick auf die Ewigkeit um das eigene Seelenheil. Gott schenkt uns den Glauben, damit wir den Glauben praktizieren und leben, damit er durch uns tun kann, was er möchte, damit wir etwas bewegen, damit wir uns investieren…

Themenanzeige: Der paulinische Ausdruck „aus Glauben zu Glauben“ hilft mir sehr, wenn es in der christlichen Szene immer wieder einmal heißt: Wir müssen unbedingt das so und so machen. Paulus sagt uns: Der Glaube an Jesus braucht nie eine Ergänzung und duldet auch keine Ergänzung. Wir brauchen nie mehr als Jesus.

Wir müssen einen zweiten Pflock in unsere Erörterung der Gefahren im Glauben einschlagen. Diese Gefahr hängt mit der ersten eng zusammen.

2.
Problemfeld 2: Christen können stolz auf ihren Glauben sein. Christen können am Glauben schier verzweifeln.

(1)
Es gibt Christenmenschen, die sich ziemlich viel auf ihren Glauben einbilden und sich für ihren Glauben rühmen. Sie sind stolz darauf, dass sie sich entschieden und bekehrt haben, dass sie treu und willensstark glauben. Ihre Logik ist: Der Glaube sei die Bedingung, die der Mensch erfüllen muss, um von Gott mit dem ewigen Leben belohnt zu werden. Und sie hätten eben – im Gegensatz zu anderen, die könnten, wenn sie nur wollten – die Eintrittskarte für den Himmel vorgelegt.

(2)
Es gibt aber auch Christenmenschen, die an sich selbst fast verzweifeln. Der Glaube kommt ihnen wie ein Kraftakt, wie eine Seelenanstrengung vor, bei der sie immer wieder scheitern. Sie möchten, aber sie können immer wieder nicht.

(3)
Beide Gefahren können abgewehrt und überwunden werden.

a.
Die Gefahr des Stolzes wehrt wiederum der Ausdruck „aus Glauben“ ab. Es heißt nicht „wegen des Glaubens“. Es heißt auch nicht „aufgrund deiner Gläubigkeit“. Paulus fragt jeden, der in der Gefahr steht, eingebildet auf sein Christsein zu sein: Was hast du, was du nicht empfangen hast? (1 Kor 4,7) Weißt du nicht, dass Gott in dir beides bewirkt: das Wollen und das Vollbringen (Phi 2,13)? Weißt du nicht, dass du auch die Eintrittskarte von Gott bekommen hast? Weißt du nicht, dass der Glaube nicht deine Leistung ist? Weißt du nicht, dass du auch im Glauben abhängig bist von Gott? Weißt du nicht, dass du keinen einzigen Glaubensschritt ohne Jesus gehen kannst? Weißt du nicht, dass du jeden Glaubensschritt nur wegen Jesus und mit ihm gehen kannst?

b.
Was aber sagen wir Menschen, die sich schwer tun mit dem Glauben, die schier verzweifeln, weil sie immer wieder scheitern? Vielleicht ungefähr folgendes: Weißt du nicht, dass du keinen einzigen Glaubensschritt ohne Jesus gehen musst? Weißt du nicht, dass du nicht ohne Jesus an Gott glauben musst? Kümmere dich nicht so sehr um deinen Glauben! Bleibe im Gebet, egal, wie du dich fühlst. Lass dir sagen, was Jesus dir sagt! Lass es gelten! Und lass ihn machen! Er lebt doch in dir (Gal 2,20).

 

III.
Wie leben wir den Glauben an Jesus Christus?

1.
Das Vorzeichen im Christsein ist das Vertrauen zu Gott, zu Jesus, zum Heiligen Geist. Martin Schleske sagt einmal: „Gott hat es beschlossen in unserer Welt der Geglaubte zu sein“.

Gott will der Geglaubte sein. Deshalb geht es im Leben mit ihm um unser Vertrauen und Beten. Das Gebet ist der Lackmustest für unser Vertrauen zu Gott.

2.
Und dann geht es um das Wie, um unseren Lebensstil. Wie glauben, hoffen und lieben wir? Wie gehen wir mit uns selbst um? Wie gehen wir miteinander um? Wie gehen wir mit Nichtchristen um?

Ich möchte ein paar Wie-Begriffe nennen. Über jeden einzelnen lohnt es sich meines Erachtens nachzudenken: Wahrhaftig. Selbstkritisch. Demütig. Barmherzig. Weise. Dienend. Leidensbereit.

Lasst uns z.B. so unser Christsein leben, dass wir dem Vertrauen der Menschen untereinander, in unserem Lebensumfeld dienen! Lasst uns vertrauenswürdig, glaubwürdig, zuverlässig und treu sein! Lasst uns alles in unserer Macht Stehende tun, was dem Zusammenhalt in unseren Familien dient, was dem Zusammenhalt in unseren Freundeskreisen dient, dem Zusammenhalt am Arbeitsplatz und im Sportverein, dem Zusammenhalt in unseren Gemeinden.

Lebe so, dass die Menschen Dir vertrauen! Du kannst das, denn Du lebst von der Treue und Vertrauenswürdigkeit Jesu!