Weil Jesus uns gewonnen hat – Unser missionarisches Engagement Teil 6 – 1 Kor 9,19-23 – Von Thomas Pichel

19 Denn weil ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht (Diener, Sklaven) gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. 20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. 21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. 22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. 23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben. 1 Kor 9,19-22

 

A.
Teil 1: Paulus hat ein Ziel. Deshalb ist er so frei, sich zum Diener zu machen.

1.
Paulus will etwas. Er verfolgt ein Ziel.

Er ist missionarisch. Wir Menschen sind immer missionarisch. Wenn wir von etwas begeistert und fasziniert sind, ist unser Herz voll und dann geht unser Mund über.  Die Frage ist nur, worin.

5x heißt es in unserem Text: Damit ich möglichst viele gewinne. Er will Menschen gewinnen – für den Glauben an Gott, für das Leben mit Jesus, für das Christsein. Diesem Ziel widmet er sein Leben.

1 x sagt er sogar: Damit ich einige rette. Das entspricht dem Ziel Jesu, der von sich in Luk 19,10 sagt: Ich bin gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist. Zu den Stichworten Retten und Verlorenheit demnächst mehr.

Diese Predigt befasst sich auch nicht mit dem interessanten Vers 23. Es lohnt sich darüber nachdenken, dass Paulus sagt: Ich tue alles, um am Evangelium teilzuhaben?

Fußnote:
Paulus ist realistisch. Er spricht von möglichst vielen und einigen, die er gewinnen will.

Wunderbar ist es, wenn wir es erleben dürfen, wenn Gott jemanden zum Glauben bringt. Aber wir werden nicht bei allen Menschen ankommen. Wir werden nicht alle für den Glauben gewinnen.

Wir erleiden Niederlagen. Wir werden nicht verstanden. Wir kommen nicht an. Wir machen uns nicht überall beliebt damit. Besonders wenn wir von den Menschen etwas wollen. Wir ernten kalte Schultern, Kopfschütteln, süffisantes Lächeln.

Es kann auch sein, dass wir Freunde verlieren, weil der Glaube trennende Wirkung haben kann.

Die Christenverfolgung in vielen Ländern darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Das wäre ein eigenes Thema. Zurück zu dem, was Paulus hier von sich sagt.

2.
Paulus hat ein Ziel. Er will Menschen für den Glauben gewinnen. Für dieses Ziel engagiert er sich. Wegen des Zieles hat er die Freiheit, sich zum Diener der Menschen zu machen. Er hängt nicht die Fahne in den Wind, aber er dient. Er will sich nicht überall beliebt machen, aber er dient. Er will nicht über die Menschen herrschen, aber er dient ihnen.

Ihr hört jetzt keinen Appell von mir! Ich sage Euch nicht: So müsst Ihr das machen!

Ich frage mich und Euch/Sie: Wollen wir den Menschen dienen, die Gott leider noch nicht kennen, damit Gott sie für sich gewinnen kann? Haben wir die Freiheit dazu?

Aber auch: Wollen wir Menschen dienen, denen es nicht gut geht, die in Nöten feststecken, die Hilfe brauchen? Haben wir die Freiheit dazu?

Sind wir innerlich frei, um uns als Diener der Menschen zu verstehen? Sind wir frei, sagen zu können: Ich bin als Christ nicht für mich da; ich bin für andere da. Weil Jesus für mich da ist!“?


B.
Teil 2: Der Chamäleon-Stil der Christen

I.
Ich bin allen alles geworden.

Er ist missionarisch. Wir Menschen sind immer missionarisch. Wenn wir von etwas begeistert und fasziniert sind, ist unser Herz voll und dann geht unser Mund über.  Die Frage ist nur, worin.

Chamäleons sind Anpassungskünstler. Sie sind perfekt an ihren Lebensraum angepasst. Ihr Farbwechsel ist Ausdruck von Stimmungen, aber auch der Anpassung an die Temperatur. Bei Kälte dunkelt die Haut ab, bei Hitze wird sie heller, um viel Sonnenlicht zu reflektieren.

Der Clou ist nun: Der Farbwechsel dient nicht der Tarnung, sondern der Kommunikation mit anderen Chamäleons. Deshalb sind sie Vorbilder für alle Christenmenschen, die Menschen für Jesus gewinnen wollen.

Lasst uns den Chamäleon-Stil leben! Lasst uns so leben, damit Nichtchristen das Evangelium überhaupt hören und verstehen können, damit sie es gut hören und verstehen können! Lasst uns so leben, dass sie neugierig werden, staunen, Ängste verlieren, unnötige Missverständnisse verlieren…

Es geht nicht darum, dass wir das Evangelium anpassen! Natürlich nicht! Es geht um einen Kommunikationsstil, um einen Umgang mit Nichtchristen, die den Menschen dienen.

Es geht auch nicht darum, den Spötter ein Spötter, dem Atheisten ein Atheist, dem Gewalttäter wie ein Gewalttäter zu werden! Natürlich nicht! Es geht nicht darum, dass wir alles bestätigen.


II.
Wie schaut dieser Chamäleon-Stil in der Begegnung mit Nichtchristen aus? Um welche Verhaltensweisen geht es?

Es geht um sehr menschliche Dinge, die ein Nahekommen und Verstehen ermöglichen, die Angst nehmen und Vertrauen herstellen.

Ich zähle einiges auf. Die Liste ist nicht abgeschlossen. Ich nehme weitere Vorschläge gerne auf.

Zeit haben, Zeit schenken, Interesse zeigen, ihn verstehen wollen, ihn kennenlernen wollen.

Gemeinsamkeiten suchen. Solidarität leben.

Die Geschichte und die Identität des anderen würdigen; seiner Tradition, seinen Vorlieben, seinen Sehnsüchten, seinem Glauben mit Respekt begegnen

Auf die Sprache und Denkmuster der Menschen eingehen; auf den Musikgeschmack der Leute eingehen; auf die Bedürftigkeit der Menschen eingehen; auf die Situation der Menschen eingehen.

Junge Christen in Rostock, in Leipzig, in… ziehen in einen Wohnblock, um mit anderen das Leben zu teilen, um mit anderen zusammenzuleben, um Freud und Leid zu teilen.

Von Karl Heim, einem Theologieprofessor aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sagte man: Er kroch gleichsam in die Haut und die Fragen seiner Studentinnen und Studenten hinein, um sie zu verstehen, um ihnen Antworten geben zu können.

Ich habe einen sozial-diakonisch engagierten Freund vor Augen, der sich auf die Not anderer wirklich einlässt, hinabsteigt in die Not andere und die Not mitträgt, dabei aber den Menschen auch klare Grenzen setzt und unangenehme Wahrheiten sagt.

 

III.
Paulus sagt dreimal „wie“

1.
Ich bin den Juden geworden wie ein Jude.

Wir könnten jetzt über die Frage nachdenken, was es heißt, jüdischen wie ein Jude zu werden?

Ich will etwas anderes tun. Ich will diese Aussage des Paulus nutzen, um zu zeigen, was passiert, wenn Christen nicht wie ein Chamäleon, sondern wie ein Drache auftreten und agieren.

Leider können wir am Verhalten gegenüber Juden unübersehbar ablesen, was Christen alles falsch machen können!

Christen können Nichtglaubenden oder Andersgläubigen ohne jede Solidarität begegnen! Sie können Nichtglaubende diskriminieren, ja sogar verteufeln!

2.
Ich bin denen unter dem Gesetz geworden wie einer, der unter dem Gesetz ist

Ich denke, wir können das erweitern auf alle Menschen, die sich den Verpflichtungen einer Religion oder einer Moral unterworfen haben. Ich stelle nur die Frage: Was könnte es bedeuten, wenn wir versuchten, den Muslimen wie ein Muslim, den Moralisten wie ein Moralist, den Perfektionisten wie ein Perfektionist zu werden?

3.
Ich bin denen ohne Gesetz geworden wie einer, der ohne Gesetz ist.

Ich stelle wieder nur die Frage: Was könnte das heißen, wenn wir versuchten, den Nicht-Religiösen wie ein Nicht-Religiöser zu werden?

 

IV.
Den Schwachen als ein Schwacher begegnen!

Es ist auffällig. Dreimal sagt Paulus „wie“. Den Juden wie ein Jude. Denen unter dem Gesetz wie einer unter dem Gesetz. Denen ohne Gesetz wie einer ohne Gesetz. Jetzt lässt er das „wie“ weg. Jetzt sagt er: Den Schwachen bin ich als Schwacher begegnet.

Wer sind die Schwachen? Wer sind die schwachen Nichtchristen?

a.
Paulus meint m.E. nicht die Christen mit den, wie er es nennt, schwachen Gewissen, die aus Angst, sich schuldig zu machen und sich bösen Mächten zu öffnen, kein Fleisch zu essen, weil es vorher einer fremden Gottheit geweiht worden war. Das ist ja im Römerbrief und im ersten Korintherbrief ein Riesenthema.

b.
Schwache ist ein soziologischer Begriff. Paulus sagt in 1 Kor 1,25, dass in der Gemeinde in Korinth viele Menschen sind, die in der Welt nichts gelten, die keine Macht haben, die keinen Einfluss haben: kleine Leute, Ausländer, Sklaven, Tagelöhner… Menschen, die im Schatten oder im Dunklen stehen.

c.
Schwache ist ein anthropologischer Begriff. Menschen sind schwach. Auch wenn sie stark und erfolgreich sind.

Weil kein Mensch frei von Schwächen ist.

Weil jeder Mensch ganz leicht in Situationen kommen kann, die sein Schwachsein offenbaren.

Weil jeder Mensch Dinge hat, die er nicht kann, die er nicht packt, mit denen er nicht fertig wird, die ihn aber fertig machen, die er nicht ertragen kann.

Weil jeder, wie es Volker Sommerfeldt letzten Sonntag gesagt hat, einen Riss hat, eine Not, ein Problem, denen er macht- und hilflos gegenübersteht.

Paulus weiß: Das Evangelium glaubwürdig den Menschen bezeugen kann nur der, der um seine Schwächen weiß, der die Dinge und Themen kennt, mit denen er nicht fertig wird. Er kann solidarisch und barmherzig sein. Er begegnet Menschen auf Augenhöhe. Er kommt nicht von oben.

Warum? Wer selber unter seinen Schwächen leidet, kann Menschen verstehen, die ihre Schwächen schmerzlich spüren. Wer selber mit etwas nicht fertig wird, kann Menschen verstehen, die mit etwas nicht fertig werden.

Paulus weiß um eine Wahrheit des Lebens: Schwächen verbinden uns Menschen. Geteilte Schwächen verbinden.

 

V.
Damit sind wir beim entscheidenden Punkt beim Chamäleon-Stil. Es geht letztlich darum, zu vergessen, dass der andere ein Jude, ein Muslim, ein Nichtreligiöser, ein Moralist, ein Perfektionist, ein Irgendetwas ist.

Es geht darum, den anderen als Mensch zu sehen und ihm als Menschen zu begegnen. Das ist das Grundlegende und Entscheidende. Im Leben und im missionarischem Bemühen, Menschen für Jesus zu gewinnen. 

 

VI.
Ich fasse den Teil 2 der Predigt zusammen. Paulus wendet sich den Menschen zu, die nicht gläubig sind. Er interessiert sich für sie. Er schenkt ihnen Respekt und Wertschätzung. Er lässt sich auf ihre konkrete Geschichte und Situation ein. Er tut das, weil er die Zuwendung Jesu erfahren, weil er die Solidarität Jesu am eigenen Leib erfahren hat. Damit sind wir beim dritten Teil der Predigt.

 

C.
Teil 3: Weil Jesus uns gewonnen hat, uns alles geworden ist und uns dient

I.
Jesus hat uns alle gewonnen

Ich habe mir aufgeschrieben, wie das war, als im Frühjahr 1982 Jesus mich für sich gewonnen hat. Wie hat er das gemacht? Was hat er alles benutzt? Welche großen und kleinen Erlebnisse kamen da zusammen, wurden da zusammengefügt?

Da waren interessante Menschen. Echte Typen. Normal. Nur eben Christen.

Da war die Erfahrung, da kennt mich einer, ich bin durchschaut. Da war die Erfahrung, die Bibel redet ja von mir, die Bibel liest mich.

Da war das Wunder, einen Unfall unbeschadet zu überstehen.

Da waren für mich plausible, vernünftige Antworten auf meine Fragen.

Da waren die sich wiederholenden Bibelworte. Das habe ich als unsicherer und zweifelnder Gottsuchender gebraucht.

Da waren Gebetserhörungen.

Da war die unerklärliche Gewissheit: Jesus ist real da. Er ist mir treu.

 

II.
Alles im Leben Jesu ist ein freiwilliges Dienen. Jesus ist ein Diener.

Jesus ist ein Diener. Er dient jedem Menschen.

Er dient. Mit seinen Kräften. Mit seiner Zeit. Mit seinem Mut. Mit seinem Glauben an Gott. Er dient: dem Glauben der Menschen, der Hoffnung der Menschen, der Würde der Menschen, der Freiheit der Menschen, der Erlösung der Menschen, der Freude des Menschen.

Er zieht wie ein Magnet alles an, was Not und Elend kennt. Er schaut nicht weg. Er wendet sich allen zu. Er schont sich nicht, hält sich nicht heraus, riskiert sich. Er lässt sich beanspruchen, ohne Ansprüche zu stellen. Er gibt alles, ohne zu fragen, ob es ihm gedankt und gelohnt wird.

Jesus passt sich stets der Bedürftigkeit dessen an, dem er dient. Er sieht jeden in seinen komplizierten Zusammenhängen und erkennt die eine Stelle, an die er anknüpfen kann, wo noch ein verborgener Zusammenhang mit Gott vorhanden ist. Er schaut, wo und wie er eine Verbindung herstellen kann zwischen unserer Not und seiner Kraft, zwischen unserer Schuld und seiner Gnade, zwischen unserer Situation und der Realität Gottes.

 

III.
Jesus ist allen alles geworden. Jesus wird immer wieder neu uns allen alles.

Jesus wird uns immer wieder alles: Mensch, Bruder, Freund, Arzt, Seelsorger, Lebensgefährte, Leidensgenosse. Er hört dabei nie auf zu sein, was er für uns ist: Messias, Menschensohn, Herr und Gott. Gottseidank! Amen!